Policy Paper des Deutschen Juristinnenbundes

Neues Regelungsmodell für den Schwangerschaftsabbruch

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Der Ampel-Koalitionsvertrag zeigt den politischen Willen der Bundesregierung zu einer Stärkung reproduktiver Rechte und gibt daher auch der Zivilgesellschaft Anlass zur erneuten Auseinandersetzung mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch. Der Deutsche Juristinnenbund (djb) setzt sich für eine Neuregelung ein, die sich am reproduktiven Selbstbestimmungsrecht und der körperlichen Integrität schwangerer Personen orientiert.

Angesichts der internationalen Entwicklungen ist erneut eine Debatte um den Schwangerschaftsabbruch im Gang. Während in Staaten wie Polen und den USA besorgniserregende Rückschritte zu beobachten sind, die das Leben und die reproduktive Selbstbestimmung schwangerer Personen bedrohen, sollen beispielsweise in den Niederlanden, Frankreich und Mexiko die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch liberalisiert werden. Das deutsche Recht fällt im europäischen Vergleich restriktiv aus. Selbst das kürzlich ergangene und scharf kritisierte Urteil des US-amerikanischen Supreme Court erkannte lediglich kein subjektives, aus der Verfassung resultierendes Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch an. Im Übrigen überließ es aber den Bundesstaaten die Entscheidung für ein Regelungsmodell. Auch nach diesem Rückschritt gesteht der Supreme Court dem Gesetzgeber in dieser Frage also größere Regelungsfreiheit zu, als das Bundesverfassungsgericht dem deutschen Gesetzgeber im letzten Schwangerschaftsabbruchsurteil von 1993 beließ.

Der Ampel-Koalitionsvertrag zeigt den politischen Willen der Bundesregierung zu einer Stärkung reproduktiver Rechte und gibt daher auch der Zivilgesellschaft Anlass zur erneuten Auseinandersetzung mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch. So ist die Einrichtung einer Kommission geplant, die sich mit einer Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches (StGB) befassen soll.

Seit der Neufassung der Paragrafen 218 ff. StGB vor knapp 30 Jahren sind signifikante Änderungen auf der Ebene des internationalen Rechts eingetreten. Insbesondere sind die sogenannten reproduktiven Rechte seit der Kairo-Konferenz 1994 menschenrechtlich etabliert. Dazu zählt das Recht zur freien Entscheidung, ob und mit welchen Mitteln jemand Kinder bekommen möchte. Ebenso abgesichert wird das Recht auf lebenslangen Zugang zu Informationen, Ressourcen, Dienstleistungen und Unterstützung, die notwendig sind, um diese Entscheidung frei von Diskriminierung, Zwang, Ausbeutung und Gewalt treffen zu können. Heute sind reproduktive Rechte anerkannter Bestandteil des Menschenrechtsschutzes.

Es hat sich zudem gezeigt, dass die seit knapp 30 Jahren geltende deutsche Regelung den Zugang zu straffreien Abbrüchen in der Praxis nur unzureichend absichert. Die Versorgungslage in Deutschland ist defizitär. Die Zahl der Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, hat sich zwischen 2003 und 2021 fast halbiert. Gerade in ländlichen Regionen gibt es vielerorts gar keine Einrichtungen mehr, sodass ungewollt schwangere Personen lange Anreisewege auf sich nehmen müssen.

Vor diesem Hintergrund setzt sich der Deutsche Juristinnenbund (djb) für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs ein, die sich am reproduktiven Selbstbestimmungsrecht und der körperlichen Integrität schwangerer Personen orientiert. Weiterhin spricht sich der djb für eine Verbesserung der Versorgungslage ungewollt schwangerer Personen aus. Zudem muss sichergestellt werden, dass jede Person, die eine Schwangerschaft austragen möchte, die individuell notwendige Unterstützung erhält. Insofern möchte der djb den Schwangerschaftsabbruch nicht nur unter dem Paradigma der reproduktiven Freiheit oder der reproduktiven Rechte, sondern unter dem noch weiteren Paradigma der reproduktiven Gerechtigkeit verstanden wissen. Der Begriff entstammt dem wissenschaftlichen und aktivistischen Diskurs Schwarzer Feministinnen (mit originärem Bezug zu den USA) und transportiert den auch intersektionalen Anspruch der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit.

Das gesamte Policy Paper ist als PDF verfügbar und kann hier heruntergeladen werden.

Die Meldung erschien zuerst auf der Website des Deutschen Juristinnenbundes.

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