Die MIZ, Zeitschrift "für Konfessionslose und AtheistINNen", bearbeitet in jedem Heft ein Schwerpunkt- oder Titelthema. Für die Ausgabe 2/21, die im Sommer kommenden Jahres erscheinen wird, hat die Redaktion sich nun "Religionskritik von rechts" vorgenommen. Dafür sollen mit einem "Call for Articles" Beiträge eingeworben werden. Über die dahingehenden Überlegungen sprach der hpd mit MIZ-Chefredakteur Christoph Lammers.
hpd: Im aktuellen Heft der MIZ gibt es einen Artikel von Christoph Kopke zum Verhältnis der Neuen Rechten zum Islam – gibt es zu dem Thema so viel mehr zu sagen, dass sich ein ganzer Schwerpunkt lohnt?
Christoph Lammers: Ja, es lohnt sich, denn das Thema ist ein weites Feld. Der Artikel von Christoph Kopke beschäftigt sich mit einem Teilbereich und es geht allein um den Islam. Die (Neue) Rechte schießt sich ja angeblich gern auf den Islam ein. Doch das ist ein Fehlschluss. Deshalb sind uns Analysen wie die von Christoph Kopke sehr wichtig.
Aber nicht erst der Anschlag von Halle/Saale am 9. Oktober 2019 hat gezeigt, dass rechte Ideologien ein weitaus größeres Spektrum, (vermeintliche) Gruppen und Feindbilder bedienen. Und erst wenn wir die Argumente und Argumentationsmuster kennen, sind wir in der Lage, Religionskritik wieder in die Diskussion zu bringen und dahingehend aufzuklären, wie wichtig Religionskritik für eine aufgeklärte Gesellschaft ist und uns zugleich abzugrenzen von Antisemitismus, Rassismus, Verschwörungserzählungen, Frauenhass und den politisierten Identitätsfragen.
Welche Themen und Perspektiven fände die Redaktion denn spannend?
Thematisch möchten wir das Heft mit den eingeworbenen Artikeln möglichst breit aufstellen. Es geht uns dabei nicht nur darum, einen allgemeinen Aufriss zum Thema Religionskritik von rechts zu machen, die Akteur_innen, Parteien, Netzwerke und deren Themen herauszustellen. Darüber hinaus interessieren wir uns auch für den sozialen und gesellschaftlichen Kontext, in dem rechte Religionskritik entsteht. Zudem wollen wir die Themen, allen voran Menschen- und Frauenrechte, in den Blick nehmen, soweit die Rechte diese Themen für sich entdeckt hat und zu instrumentalisieren versucht.
Da in diesen Tagen der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo vor Gericht verhandelt wird und um rechten Argumentationsmustern keinen Vorschub zu leisten, liegt außerdem ein inhaltlicher Fokus auf der Fragestellung, inwieweit es zu einer Diskursverschiebung und Tabuisierung von Religionskritik gekommen ist. Zu guter Letzt spielt auch die Identitätsfrage eine wichtige Rolle. Gibt es Schnittstellen zwischen rechten und linken Identitätsdebatten?
Grundsätzlich wünschen wir uns, den Blick nicht allein auf Deutschland oder Europa zu werfen. Wenn es uns mit dem Call gelänge, Perspektiven aus dem globalen Süden mit aufzunehmen, wäre das in vielerlei Hinsicht ein Gewinn.
Ein "Call for Articles" wird ja zumeist von wissenschaftlichen Zeitschriften ausgegeben. Die MIZ enthält zwar immer wieder Artikel mit Endnoten, aber eigentlich ist sie ihrem Selbstverständnis nach ein politisches Magazin. Wie sollen die Artikel denn geschrieben sein?
Wie bisher, an dem populärwissenschaftlichen Ansatz und dem allgemein verständlichen Stil der Beiträge sollte sich nichts ändern. Es geht zum einen darum, dass die MIZ in wissenschaftlichen, gesellschaftspolitischen Kreisen bekannter gemacht wird, also auch Menschen aus der Wissenschaft, Gesellschaft und Praxis angesprochen werden, die unseren aufmerksamen Augen bisher entgangen sind. Was eben auch heißt, dass diese von sich aus Zeit und Lust signalisieren, an die MIZ mit ihren Themenschwerpunkten heranzutreten. Zum anderen geht es darum, dass wegen der Streuung des "Call for Articles" Einzelpersonen oder Institutionen auf die MIZ aufmerksam werden, die wir in dieser Breite allein durch das regelmäßige Erscheinen möglicherweise nicht erreicht hätten.
Die positiven Erfahrungen des letzten "Call for Articles" zum Thema "Ist Glaube gesund?" haben uns bestärkt, dem ersten Versuch einen weiteren folgen zu lassen. Zumal die Rückläufe 2014 dazu geführt haben, dass wir nicht nur in der MIZ 4/2014 die Frage "Macht Glaube gesund?" stellen konnten, sondern uns aufgrund der zahlreichen Einreichungen dazu entschieden haben, ein weiteres Heft zu dem Thema "Ist Glaube gesund?" entstehen zu lassen.
Derzeit läuft eine Serie, die verschiedene Aspekte der Aufklärung erörtert. Die wird, soweit ich sehe, auf herkömmlichem Wege akquiriert. Warum habt ihr euch beim Thema "Religionskritik von rechts" für den Call als Methode, Artikel einzuwerben, entschieden?
Nicht jedes Thema eignet sich für einen Call for Articles. Grundvoraussetzungen sind ein weites, aber gut absteckbares Themenspektrum, eine gewisse Aktualität des Themas in Wissenschaft und Gesellschaft und – ganz schlicht – die Aussicht auf Rückläufe, was eine gewisse Breite der Forschung und ein gesellschaftspolitisches Interesse als auch die Relevanz beziehungsweise Aktualität meint.
So leid es mir für den Schwerpunkt Aufklärung auch tut, aber in puncto gesellschaftspolitisches Interesse und Aktualität bewegt sich dieses Themenfeld und die Diskussion eher im akademisch-intellektuellen Rahmen der Eliten und hat bisher (oder noch) wenig gesellschaftspolitische Relevanz gezeigt, von der Aktualität ganz zu schweigen. Aber weil das Thema Aufklärung unter Beschuss steht, hat die Redaktion darauf aufmerksam machen wollen, worum es geht und wohin die Reise gerade geht, also welche (gesellschafts-)politischen Auswirkungen derzeit zu beobachten sind und welche möglicherweise zu erwarten sind. Da macht es in einer ehrenamtlich arbeitenden Redaktion eher Sinn, strategisch abzuwägen und selbst auszusuchen, wer mit welchem Fokus einen Blick auf das Thema wirft ...
Bis wann müssen die Vorschläge denn bei euch auf dem Tisch liegen?
Vorschläge für den aktuellen Call for Articles von maximal 1.000 Zeichen bitte bis spätestens 30. September 2020 an redaktion@miz-online.de senden. Wenn uns aber bis zum 30. September eine Nachricht erreicht: "Bin noch im Urlaub. In zwei Tagen schicke ich die ausformulierten Zeilen zum Thema xy", dann handeln wir verhältnismäßig, nach rationalem Ermessen.
Insgesamt geht es schlussendlich um einen Beitrag von 10.000 Zeichen (inkl. Fußnoten und Leerzeichen), der spätestens bis zum 31. März 2021 vorliegen muss. An dieser Stelle erwarten wir allerdings Terminverbindlichkeit.
Gibt es in der Redaktion eine Erwartungshaltung, was eine politische Wirkung des Heftes angeht?
Ja, wir wollen eine Stimme im Diskurs um Religionskritik zurückgewinnen. Dazu gehört, dem Vorwurf des Rassismus Argumente entgegenzusetzen – weil Kritik an Religion, nicht an Gläubigen als Individuen, wichtig und unentbehrlich ist. Wenn das Heft dazu beitragen kann, Menschen, die einem säkularen Modell und einer laizistischen Gesellschaft aufgeschlossen sind und darüber hinaus diese aktiv – in ihren privaten beziehungsweise gesellschaftlichen Kontexten – fordern, Argumente zu liefern, die sie gegen Anfeindungen anbringen und schützen können, dann ist das Ziel erreicht. Die Redaktion lotet mit dem Schwerpunkt die Debatte und die Grenzlinien aus für Religionskritik – diesseits und fernab von Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit.
Wenn wir es darüber hinaus noch schaffen, was von den Einreichungen abhängt, die Ergebnisse für die Politik beziehungsweise Politiker_innen – beispielsweise in einer darauffolgenden Kampagne – aufzubereiten, dann schießen wir über das Ziel hinaus, aber dieser Effekt ist sehr willkommen!
Zuletzt noch: Was macht ihr eigentlich, wenn keine Angebote kommen? Religionskritik ist derzeit ja nicht gerade ein "In-Thema"?
Gute Frage, weil wir nach dem Erfolg des letzen Calls nicht damit rechnen. Dennoch machen Arroganz und eine überhebliche Erwartungshaltung wenig Sinn. Wir werden offen kommunizieren, dass es so ist. Wir werden versuchen, die Ursachen im direkten Umfeld zu erfragen. Und wir werden schlicht den Themenschwerpunkt – wie gehabt – direkt anfragen, auch das wird Aufschlüsse in direkten Gesprächen darüber geben, warum der Call for Articles gescheitert ist. Wir werden dennoch versuchen, eine Ausgabe zum Thema auf die Beine zu stellen, weil uns das Thema wirklich wichtig und allen in der Redaktion relevant erscheint.
3 Kommentare
Kommentare
SG aus E am Permanenter Link
Interessant wäre auch herauszufinden, wie die Neue Rechte eine Kritik der israelitischen Religion formuliert – und gleichzeitig versucht, sich vom Antisemitismus abzugrenzen.
Viele Aktive der Neuen Rechten heben ihre Verbundenheit mit dem Staat Israel hervor. Andererseits erschweren sie mit gegen Muslime gerichteten Forderungen auch jüdisches Leben in Deutschland. Kritisiert werden z.B. die Beschneidung, das Schächten und der konsequente Verzicht auf Schweinefleisch (was Probleme in Schulkantinen verursacht). Sie berufen sich dabei auf allgemein anerkannte Grundsätze wie Kindeswohl, Tierschutz und die Notwendigkeit, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Vorbild für – aus ihrer Sicht – tolerable Religionsausübung ist, was man aus dem bürgerlichen Kulturprotestantismus kennt: Religion wird auf familiäres Brauchtum beschränkt und im Bereich 'Küche und Kinder' verortet.
Man fragt sich, inwieweit die alten und neuen Rechten einfach nur keine Ahnung haben und ihre eigene vom Kulturprotestantismus geprägte Sichtweise auf andere Religionen übertragen – oder ob sie nicht doch das herrschaftskritische Potenzial aller Religionen erkennen und sie darum ins Private verbannen wollen. Denn an den christlichen Kirchen kritisieren sie ja auch, dass sie sich bitteschön nicht in die Politik einmischen sollten.
A.S. am Permanenter Link
Religion und Herrschaftskritik? Wie bitte?
Bei Religion geht es um die Herrschaft der Priester. Wenn die politische Führung nicht nach der Pfeife der Priester tanzt, dann, und nur dann, gibt es Herrschaftskritik seitens der "Religionen".
A.S. am Permanenter Link
Ist seitens der MIZ ein Beitrag erwünscht, der sich mit Psycho-Manipulation durch Weltbilder und Religionen beschäftigt?
Psycho-Manipulation ist weder rechts noch links zu verorten, wird aber gerne von Rechten wie von Linken benutzt - und natürlich von den "spirituellen Führern" jeglicher Couleur. Von allen Autoritären halt.
Nota bene: Psycho-Manipulation kann Heilungsprozesse unterstützen.