Politischer Karneval

Für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die offene Gesellschaft

Gestern fuhren sie wieder durch die Straßen Düsseldorfs, die weltberühmten politischen Mottowagen von Jacques Tilly. Beim diesjährigen Rosenmontagszug hatte der Künstler den Schwerpunkt auf die klare Positionierung gegen Rassismus, Rechtspopulismus und rechten Terror gelegt. Ausnahmsweise gab es sogar 13 statt der bisher üblichen zwölf politischen Karikaturen in 3D.

Gleich der erste Wagen (Titelbild) griff die Terroranschläge von Hanau, Halle sowie die Morde des NSU und den am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf. Diese aktuellste seiner Pappmaché-Figuren hatte Tilly im Vorfeld angekündigt mit den Worten: "Es wird kein Wagen, über den man lachen kann, aber es wird ein Statement der Narren sein." Der Anschlag von Hanau liege wie ein Schatten über Karneval. "Wir haben uns dafür entschieden, eine klare, knackige Botschaft gegen jede Art von menschenverachtendem Rechtsextremismus auf die Straße zu führen", sagte er bei der Live-Übertragung des Zuges im WDR.

Corona-Virus und Carnevals-Virus
Foto: © Ricarda Hinz

Der zweite Tilly-Team-Wagen nahm das grassierende Corona-Virus aufs Korn, von dem sich die zahlreich an der Strecke versammelten Feierwütigen den Karneval nicht verderben lassen wollten. In Venedig hingegen waren die traditionellen Feierlichkeiten vorzeitig beendet worden.

Zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen
Foto: © Ricarda Hinz

Wagen drei thematisierte die Ministerpräsidentenwahl von Thüringen: Der spontan aufgestellte FDP-Kandidat Thomas Kemmerich war auch mit den Stimmen der AfD überraschend ins Amt gewählt worden, kündigte aber gut einen Tag später aufgrund der bundesweiten Empörung seinen Rücktritt an. Der Karneval sei zwar parteipolitisch neutral, sagte der Düsseldorfer Wagenbaumeister über die insgesamt fünf Wagen gegen rechts im WDR, aber man verteidige Werte wie Toleranz, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Pluralismus und die offene Gesellschaft.

CDU-Vorsitzenden-Wahl
Foto: © Ricarda Hinz

Der folgende Mottowagen machte sich über das "Männersackhüpfen" in der CDU lustig, bei deren anstehender Vorsitzendenwahl wohl keine Frau antreten wird. Das sei wie zu Kohls und Adenauers Zeiten, kommentierte dies der Künstler. Der Wagen sei schon fertig gewesen, als noch Herr Röttgen um die Ecke gekommen sei, er sei aber angesichts seiner Chancenlosigkeit nur als Miniaturausgabe dargestellt.

Brasiliens Präsident Bolsonaro
Foto: © Ricarda Hinz

Als nächstes passierte der in Anlehnung an die berühmte Christusstatue dargestellte Brasilianische Präsident Jair Bolsonaro die Tribüne am Düsseldorfer Rathaus. Auf seiner Brust hatte sich auf der Nationalflagge zusätzlich ein Hakenkreuz befunden, das musste jedoch auf Entscheidung des Comitees Düsseldorfer Carneval hin kurzfristig entfernt werden, um einer Anzeige wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole zu entgehen, erklärte Tilly. In seinen Augen wäre dies jedoch durch die Kunst- und Satirefreiheit gerechtfertigt gewesen.

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans
Foto: © Ricarda Hinz

Den ersten Rosenmontagswagen ohne Farbe in der Geschichte sicherte sich die SPD: Für die neue von der Parteibasis gewählte Doppelspitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans habe man sich ein "richtig schönes Grau" bestellt, zitierten die Zugkommentatoren Jacques Tilly. Bei dem Versuch der beiden, wieder Farbe in die SPD zu bringen, sehe er eher schwarz – beziehungsweise grau: "Zwei graue Mäuse machen Politik".

Klimawandel und Buschbrände
Foto: © Ricarda Hinz

Anschließend bog der in einem brennenden Känguru dargestellte Klimawandel um die Ecke, auf dem die weltweiten Wald- und Buschbrände auf einer Karte zu sehen waren.

Donald Trump und Hassan Rohani
Foto: © Ricarda Hinz

Die achte rollende Karikatur zeigte den iranischen und den amerikanischen Präsidenten in inniger Umarmung als schwules Paar. "Es hätte fast einen Krieg gegeben (…), um Haaresbreite ist die Welt nochmal davongekommen", sagte ihr Urheber dazu. "Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben." Deshalb habe er die beiden Staatslenker mal nicht als bis an die Zähne bewaffnete Gegner zeigen wollen, sondern als "liebendes Kuschelpärchen, um das alte Hippie-Motto wieder zum Tragen zu bringen". Im Iran, wo Homosexuelle hingerichtet würden, habe das Bild noch ein ganz anderes Gewicht.

Brexit
Foto: © Ricarda Hinz

Dann war ein Thema an der Reihe, das dem Düsseldorfer Bildhauer traditionell ein besonderes Anliegen ist: Der Brexit. Diesmal repräsentiert durch Boris Johnson, dem sein Fundament Schottland davonläuft, ein drohendes "Little Britain", wie einer der Kommentatoren treffend feststellte. Begleitet von extra angereisten "echten Briten", die in den vergangenen Jahren die Tilly-Wagen über den Rosenmontag hinaus bei pro-europäischen Demonstrationen eingesetzt hatten. Ein nettes Detail befindet sich auf den Socken des schottischen "Unterteils": Einer der Sterne der Europafahne hüpft aus dem Kreis heraus.

Ein weiteres Novum gab es beim diesjährigen Karneval in Düsseldorf: Der Wagen aus dem vergangenen Jahr, der Greta Thunberg zeigt, wie sie der Elterngeneration die Ohren langzieht, war ein zweites Mal mit dabei, zusammen mit der eingeladenen Ortsgruppe der Fridays-for-Future-Bewegung, denen der Bildhauer den Wagen nach dem letzten Rosenmontag zur Verfügung gestellt hatte. Noch nie zuvor war ein Mottowagen zweimal gezeigt worden, normalerweise werden sie am Faschingsdienstag direkt wieder abgerissen.

Hetze im Netz
Foto: © Ricarda Hinz

Der zehnte Mottowagen veranschaulichte, wie die Justiz dem mehr oder weniger rechtsfreien Raum Internet nicht Herr wird. Das Wort "Hass" war mit den charakteristischen Runen geschrieben, die einst die Waffen-SS verwendete. Das durfte offensichtlich bleiben.

Der Super-Geisel und die Umweltspur
Foto: © Ricarda Hinz

Die Narrennummer elf war einem lokalpolitischen Thema vorbehalten: Oberbürgermeister Thomas Geisel versucht sich als Superman im Spagat durchzusetzen. In Düsseldorf waren Umweltspuren eingeführt worden, um drohende Dieselfahrverbote zu verhindern. Der Stadt-Chef sprach im Interview von einer "treffenden Darstellung" der Situation, in der man nur etwas falsch habe machen können. Einer der WDR-Kommentatoren nannte den Wagen ein Werbegeschenk im Wahljahr.

Die beiden Ganzjahres-Karnevalisten aus dem Vatikan
Foto: © Ricarda Hinz

Die nächste Großplastik widmete sich den beiden Ober-Ganzjahreskarnevalisten im Vatikan: Die beiden konkurrierenden Päpste, die sich voll christlicher Nächstenliebe – man kann es nicht gesittet treffend formulieren – die Fresse polieren. Der alte Witz "treffen sich zwei Päpste…" sei inzwischen Realität geworden, meinte der Wagenbauer dazu, die beiden obersten Brückenbauer arbeiteten gegeneinander und das sei nicht zu vereinbaren. "Zwei Päpste sind einer zu viel, das war schon im Mittelalter so", brachte es einer der Fernseh-Kommentatoren auf den Punkt.

Die verkehrte Welt der AfD
Foto: © Ricarda Hinz

Die letzte und anspruchsvollste 3D-Karikatur widmete sich einmal mehr der AfD und suggerierte, wie die Partei zu ihrem Weltbild kommt: Nur jeder zweite verstehe den Wagen auf Anhieb, zitierte der WDR den Erschaffer der Skulptur, die den Betrachtern zunächst nur ihren braun bekleideten Hintern entgegenreckt. Der Kommentator entlarvte sich dann gleich selbst, dass er einer der ersteren ist, da er einen Bezug zu "speziellen Autofahrern" erkannt haben wollte. Er beziehe sich darauf, klärte Tilly auf, dass die AfD nach eigener Aussage in Deutschland alles wieder vom Kopf auf die Füße stelle wolle. "In meinen Augen ist das nur deren verquere Perspektive, die alles falschrum sehen lässt. Sie sind wie Geisterfahrer, die glauben, alle anderen fahren falsch und nur sie fahren richtig."

OB Thomas Geisel und Jacques Tilly
Wagenbauer Jacques Tilly war als Teufel verkleidet; ebenfalls auf der Tribüne vor dem Rathaus: Oberbürgermeister Thomas Geisel (links); Foto: © Ricarda Hinz

"Schlaflosigkeit" habe der 13. Wagen bedeutet, so der als Teufel verkleidete Bildhauer Jacques Tilly auf die entsprechende Frage des WDR. Ein Kostüm, in das sich sein roter Arbeitsoverall, den er immer noch trug, gut einfügte. "Ist ganz klar, dass wir da nochmal extra reinhauen mussten". In der Nacht von Samstag auf Sonntag hätten er und sein Team bis sechs Uhr morgens am Wagen gegen den rechten Terror gearbeitet, der als erster fuhr. "Das ist schon 'ne harte Nummer, aber Aktualität ist Trumpf, das schulden wir den Düsseldorfern und allen Zuschauern."

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