Sarah Buckel war 31 Jahre alt, als sie sich für den Tod durch Sterbehilfe entschied. Sie hatte ME/CFS, eine unheilbare Erkrankung, die als Folge einer Covid-Infektion auftreten kann. Ihr Fall hat das stille Leid der Betroffenen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Mit ihrer Entscheidung für den Tod steht Buckel nicht allein. Die Ansprechpartner für Sterbehilfe verzeichnen vermehrt Anfragen von ME/CFS-Betroffenen.
"Ich möchte mich kurz – schmerzlos geht nicht – öffentlich verabschieden", schrieb die 31-Jährige am 5. Juli auf X: drei Tage später, am 8. Juli, beendete sie ihr Leben.
Bereits etwa ein Jahr zuvor, im Juli 2024, hatte Sarah Buckel ihre Situation auf X mit drastischen Worten beschrieben: "Ich sterbe jeden Tag, es ist fast unmöglich, dass mein Körper das noch so mitmacht, aber ich kämpfe. Ja ich kämpfe, um zu sterben."
Ihre Erkrankung: ME/CFS, die Abkürzung steht für Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom. Mit der Pandemie ist das Krankheitsbild vermehrt in die Öffentlichkeit gerückt. Typisch sind gravierende Symptome wie "schwere Fatigue (krankhafte Erschöpfung), kognitive Störungen, ausgeprägte Schmerzen, eine Überempfindlichkeit auf Sinnesreize und eine Störung des Immunsystems sowie des autonomen Nervensystems", und bereits geringe Anstrengungen können den Zustand verschlechtern, schreibt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS. Gegenwärtig kann die Medizin nur die Symptome behandeln. Eine Therapie mit Aussicht auf Heilung oder maßgebliche Verbesserung gibt es nicht. Die Organisation geht von rund 650.000 Betroffenen in Deutschland aus; vor der Pandemie seien es nurmehr 250.000 gewesen. Auch bei Sarah Buckel begann es Anfang 2022 mit einer Covid-Infektion.
Kein Einzelfall
Ihre Entscheidung für ein selbstbestimmtes Lebensende ist offenbar kein Einzelfall bei Betroffenen von ME/CFS. Der hpd hat bei drei Organisationen in Deutschland, die mit dem Thema Sterbehilfe zu tun haben, nachgefragt. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) bestätigt einen Anstieg bei den Anfragen.
In den letzten ein bis zwei Jahren habe es eine Zunahme von Anträgen auf Vermittlung einer Suizidassistenz durch die Organisation gegeben, primär mit einer diagnostizierten ME/CFS, bei der in einigen Fällen auch Long Covid eine Rolle spielte, erklärt Dr. Christian H. Sötemann, wissenschaftlicher Referent der DGHS. Auch wenn diese Fälle weiterhin nur einen kleinen Teil aller Anfragen ausmachen würden, sei die Tendenz spürbar.
Laut Sötemann liegt beim Großteil der Antragstellenden ein fortgeschrittener Krankheitsverlauf vor. "Es wurde bereits vieles versucht, um die Beschwerden zu lindern – meist ohne nachhaltigen Erfolg." Häufig würde diese Versorgungslücke von den Betroffenen klar benannt. Der hauptsächliche Beweggrund bestehe hingegen zumeist in der Unerträglichkeit des Leidenszustandes auf längere Sicht.
Vor diesem Hintergrund fordert der Experte eine erhebliche Ausweitung der wissenschaftlichen Erforschung und einen umfangreichen Ausbau des Unterstützungsnetzes. Dies sei nach Sötemanns Einschätzung noch immer viel zu gering ausgeprägt: "Es darf nicht sein, dass Menschen mit einem solchen Ausmaß von Leidensdruck und ihre Angehörigen sich so oft nahezu alleingelassen fühlen."
An die Politik appelliert Sötemann, erheblich mehr Mittel in die Erforschung und Entwicklung von medizinischen und psychosozialen Unterstützungsangeboten zu investieren. Dabei sei nicht nur an die extrem leidenden Betroffenen selbst zu denken, sondern auch an die Angehörigen und Vertrauten, die ihrerseits Unterstützung und Entlastung benötigten.
"Betroffenen, die eine Suizidassistenz auch dann noch in Anspruch nehmen möchten, soll dieser Weg nicht versperrt werden, wenn sie die nötigen Kriterien erfüllen", so der wissenschaftliche Referent der DGHS. "Aber die Alternativen, die ein Leben mit der Krankheit und Linderung beinhalten, müssen weitaus umfassender und schneller verfügbar werden."







9 Kommentare
Kommentare
Andreas Gradert am Permanenter Link
Ein wichtiges, vernachlässigtes Thema, siehe
https://humanismus.at/reiss-dich-halt-zusammen/
https://humanismus.at/eine-menschenrechtliche-wueste/
https://humanismus.at/mecfs/
Danke für die Zusammenfassung.
Andreas
Kadda am Permanenter Link
Danke für Ihre Unterstützung und Artikel!
Ist leider eine Seltenheit...
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wer verhindert diese normativ Selbstverständlichkeit ein nicht mehr lebenswertes Leben
zu beenden? Die Antwort wissen Sie alle, es ist der selbe Verein der gegen Abtreibung
Demokratie sollte absolut für Selbstbestimmung jeglicher Art für Menschen da sein.
Anna Hill am Permanenter Link
Danke für diesen Artikel.
Insbesondere Schwerst Erkrankte erleben die Hölle auf Erden, bekommen oft keinerlei ärztliche Begleitung, nicht einmal Palliativversorgung, weil ihnen die Bettlägerigkeit nicht geglaubt wird.
So bleibt Assistierter Suizid die einzig mögliche "Behandlung"
WIR WOLLEN LEBEN!!
Wir brauchen eine breite Öffentlichkeit, Aufklärungskampagnen im Stil der AIDS-Aufklärung in den 80ern, das hat alle erreicht.
Wir brauchen Forschungsgelder in relevanter Höhe, 1 Milliarde wäre endlich ein Anfang.
Wir brauchen Aufklärung und Prävention, denn wir werden immer mehr und damit immer teurer, aktuell mit 63 Mrd. Euro pro Jahr volkswirtschaftlichem Schaden.
Wir brauchen Anerkennung (Behörden, Versicherungen, Pflegekassen).
Melanie Schleder am Permanenter Link
ME/CFS ist nicht neu.
Weitere Auslöser sind andere Viren, Schädel-Hirn-Traumata, Fluorchinolone in manchen Antibiotika, u. a.
So ist es beispielsweise nicht vorgesehen, dass die Nicht-Corona-ME/CFS-Fälle in der Off-Lable-Medikamentenliste inkludiert werden sollen. Auf diese Liste wird seit über zwei Jahren gewartet, denn sie soll den Zugang zu sog. Off-Lable-Medikamenten erleichtern, und die Abrechnung über die Kassen ermöglichen. Bisher müssen sämtliche Medikamente, die experimental genommen werden, selber gezahlt werden, da es keine zugelassenen Therapieoptionen gibt.
Was die Situation der Erkrankten auch verschlimmert, ist dass das Krankheitsbild ME/CFS nicht in den Lehrplänen verankert ist. Ärzte und Gutachter sind nicht geschult, sodass Pflegegrade und Versicherungsleistungen aus Unkenntnis verweigert werden.
Das biopsychosoziale Modell trägt hier negativ dazu bei, dass ME/CFS oftmals als Depression fehlgedeutet wird. Es folgt Fehlbehandlung.
Winkelnkemper K... am Permanenter Link
Ich bin auch schwerst betroffen. Wir werden konsequent nicht versorgt, aber sterben sollen wir auch nicht dürfen. ME/CFS ist sehr teuer, weil wir alles selbst zahlen müssen.
Jens am Permanenter Link
https://m.youtube.com/watch?v=RZdjvWzgV_g
Jens am Permanenter Link
Hier ein im März herausgekommener umfangreicher Clinical Guide den sich jeder gratis herunterladen kann zum Management von ME des Batemanhorne Centers:
https://batemanhornecenter.org/clinical-care-guide/
Es gibt sehr wohl sehr gute Forschung und ich hoffe, dass die Ärzte im deutschen Sprachraum diese auch für die Patienten zur Verfügung stellen und sich weiterbilden.
Michael Luger am Permanenter Link
Erhielt Sarah Buckel von irgendwem legale Suizidassistenz oder Hilfe zum Sterben? @Inge Hüsgen