Während der Beschluss des Bundestags, die "Ehe für Alle" einzuführen, in den Medien und den sozialen Netzwerken zu großem Jubel führte, wurde so gut wie übersehen, dass das Hohe Haus anschließend auch das sehr umstrittene "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" (NetzDG) durchgewunken hat. Dabei handelt es sich hier um ein Gesetz, dass die Freiheit massiv einschränken kann.
Der politische Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft, Volker Tripp, sagte dazu: "Wir bedauern, dass die Große Koalition sich dazu entschlossen hat, das hoch umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz durch den Bundestag zu bringen. Die Art und Weise, wie dieses Vorhaben allen Bedenken zum Trotz durchgesetzt wurde, hat dem Ansehen des Rechtsstaates eher geschadet als genützt." Das Ergebnis sei ein mit heißer Nadel gestricktes Regelwerk, das zudem schwerwiegende handwerkliche Mängel aufweist und außerdem gegen das Europarecht verstößt. "Auch die von dem Gesetz ausgehende Gefahr für die Meinungsfreiheit ist alles andere als gebannt, da die Unternehmen immer noch dazu verpflichtet sind, komplexe juristische Prüfungen unter gesetzlich verordnetem Zeitdruck durchzuführen. Eine echte Verbesserung für die Verfolgung von Straftaten in sozialen Netzwerken stellt lediglich die Pflicht zur Einrichtung einer Kontaktstelle im Inland dar."
Tatsächlich hat der Bundestag mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) eines der kontroversesten Vorhaben dieser Legislaturperiode verabschieden. Bereits der Referentenentwurf wurde während der laufenden Verbände-Anhörung geändert. Danach folgten immer neue Korrekturen und Nachbesserungen, bis sich die Große Koalition auf eine Fassung geeinigt hatte, welche am vergangenen Freitag beschlossen wurde. Dabei hatten schon im Vorfeld zahlreiche Gutachten – u.a. vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages – bescheinigt, dass das Gesetz gegen europäisches Recht und das Grundgesetz verstößt.
Das Gesetz verpflichtet Unternehmen dazu, "offensichtlich" rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Dabei ist jedoch in keiner Weise geklärt, wann ein Inhalt "offensichtlich rechtswidrig" ist. Somit besteht das Risiko, dass Unternehmen sich im Zweifel für die Löschung von kritischen Beiträgen entscheiden werden.
Den Unternehmen allein obliegt die alleinige Entscheidung, ob der Inhalt eines Postings rechtswidrig ist oder nicht. Das öffnet Tür und Tor für nichtnachvollziehbare und unanfechtbare Entscheidung von Privatunternehmen über das Recht auf freie Meinungsäußerung.
"Gerade bei Gesetzen, welche die für unsere Demokratie so essentielle Meinungsfreiheit berühren, muss Sorgfalt vor Eile gehen. Die Kritik und die umfangreichen Änderungswünsche des Bundesrates belegen erneut, wie unausgegoren der Entwurf für ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist" sagte Volker Tripp noch vor der Beschlussfassung. "Die Bekämpfung strafbarer Hetze ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Bewältigung nur auf Grundlage eines durchdachten, stimmigen Konzeptes und im Wege einer gemeinsamen Anstrengung von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik gelingen kann. Diese Verantwortung einseitig auf Unternehmen abzuwälzen, ist in rechtsstaatlicher Hinsicht bedenklich und darüber hinaus auch nicht zielführend."
8 Kommentare
Kommentare
Ulf am Permanenter Link
Spät, doch nicht zu spät, vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag Herr Nicolai!
Ich hoffe er hilft Augen zu öffnen.
Liebe Bundesbürger, sehr geehrte liberale Humanisten, schreiben sie ihrem Bundestagsabgeordneten, protestieren sie gegen dieses, einer wahrhaften Demokratie völlig unwürdige Gesetz! Meine Güte, sieht denn niemand, welcher Weg in Denunziation, vorauseilenden Gehorsam, Bedrohung bürgerlicher
und sozialer Existenzen bereits beschritten wird.
Islamkritiker Imad Karim auf Facebook gesperrt, Hamed Abdel Samad wird unter fadenscheinigen Gründen von Foren wieder ausgeladen, Prof. H.Rindermann, Jörg Baberowski, Werner J. Patzelt, David Berger, Necla Kelek, die Liste ließe sich fortsetzen bis hin zu ganz einfachen Menschen... Schlagwörter wie Rassismus, Hetze, Populismus, Neue Rechte, Islamophobie oder einfach nur Empörung, Empörung, Empörung erwürgen dringend notwendige gesellschaftliche Diskurse, um sich überhaupt eine allseitige Meinung zu den Themen der Zeit bilden zu können. Dafür übernehmen Diffamierung, Rundbriefe mit denunziatorischem Inhalt und Ausladungen von öffentlichen Veranstaltungen oder die Verhinderung der Ausstrahlung von Dokumentationen unliebsamen Inhaltes das Zepter.
Und zur Unterstützung dieser patriarchalisch-autoritären einseitigen Vorgabe genehmer Meinung nun auch noch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Allein der Name läßt doch bei allen noch übrigen rationalen, vernunftbasierten Mitbürgern sämtliche Alarmglocken schwingen...
Grüße
M. Berlandi am Permanenter Link
Ich kann mich an die Beiträge hier vor ein paar Monaten noch erinnern; da wurde in der ganzen Fake-News Hysterie die klare Sicht derjenigen gelobt, die diese 'Fake News' bekämpfen und von der Bundesregierung
Bitte begegnet diesen mit dem Herrn Bundesjustizminister kooperierenden NGOs mit der gebührenden Skepsis, insbesondere CORRECTIV. Auch wenn sich das auf den ersten Blick manchmal kompatibel anhört - ist es das aber nicht.
M. Berlandi am Permanenter Link
Vielen Dank Herr Nicolai. Das hier ist der eigentliche Kern der politische Debatte, zu der sich Humanisten eigentlich positionieren müssten.
Mit der Mahnung der UN an Deutschland sind wir nun endlich auf Augenhöhe mit unseren militärischen Bündnispartnern. Darf ich anregen auf dem hpd über die UN und Menschenrechte allgemein zu veröffentlichen und einfach mal aktuelle Grundpositionen mit dem geltenden internationalen Recht abzugleichen. Oder das poetische Werk von Herrn Haushofer; auch sehr empfehlenswert diese Thematik betreffend.
Hier die offizielle Beschwerde der UN an Herrn Bundesjustizminister Heiko Maas: http://www.ohchr.org/Documents/Issues/Opinion/Legislation/OL-DEU-1-2017.pdf
Hans Trutnau am Permanenter Link
Egal, ob 'heiße Nadel' oder Buch mit sieben Siegeln - ich kann schon lange nicht mehr nachvollziehen, nach welchen Grundsätzen im Bundestag entschieden wird.
CC am Permanenter Link
"...und unanfechtbare Entscheidung von Privatunternehmen..." Ist denn wirklich so klar der Rechtsweg ausgeschlossen?
Ulf am Permanenter Link
Nein, sie können schon ihren Beitrag oder ihre gesamte Profilseite zur erneuten Veröffentlichung einklagen...
Werden Rechtsschutzversicherungen überhaupt tätig, wie hoch ist der Streitwert für freie Meinung?
Vielmehr tritt eher folgendes ein, man überlegt doppelt und dreimal was man schreibt, Selbstzensur, Unterwerfung, vorauseilender Gehorsam, eben die Stille einer Despotie... Eine Schande im 21.Jhd., genau wie Paragraf 1631d BGB und 217 StGB.
Ich schäme mich fremd für diesen Bundestag und einen Großteil seiner Abgeordneten. Mal davon abgesehen, dass oft die Verfassung verletzt wird, Stichwort Artikel 38GG Absatz 1
(Mehr oder minder ausgeübter Fraktionszwang)
CC am Permanenter Link
Ich denke aber, dass das genug machen werden, um die Gerichte in die Bredouille zu bringen.
Der Aufruf sollte lauten: Tut es! Je mehr, desto besser...
Damit würde die Praxis auch zeigen, wie untauglich das "offensichtlich" ist und wie heftig eine Aussage wirklich sein muss.
So würde es in der Folge eine halbwegs akzeptable Praxis geben, sachliche Islamkritik nicht mehr gelöscht werden: Wer löscht schon was, was er später wahrscheinlich eh wieder freischalten muss? Das re teurer Aufwand.
Facebook und Co. werden nicht mehr Ressourcen einsetzen, als nötig und die sollen nur genau das löschen, was wirklich nötig ist, um keinen Ärger zu bekommen.
Sim am Permanenter Link
"Dabei hatten schon im Vorfeld zahlreiche Gutachten – u.a. vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages – bescheinigt, dass das Gesetz gegen europäisches Recht und das Grundgesetz verstößt."
Kann man dann in Anbetracht dieser Tatsachen nicht davon ausgehen, dass das Gesetz wieder gekippt wird? Wie stehen die Chancen dafür?
Ich denke auch, dass das Gesetz sehr problematisch ist. Gerade ein Wort wie "offensichtlich" hat in einem Gesetzestext nichts zu suchen. Als Mathematiker weiß ich was "offensichtlich" bedeuten kann. Unter Umständen nämlich: "kann ich nicht erklären" oder "falsch".