Kriminalwissenschaftliches Kolloquium in Münster

Zum Verhältnis von Religion und Gewalt

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Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide und der Religionssoziologe Detlef Pollack diskutieren über das Verhältnis von Religion und Gewalt
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Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack ist Sprecher des Exzellenzclusters "Religion und Politik" an der Universität Münster
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Prof. Dr. Mouhanad Khorchide ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster
Prof. Dr. Mouhanad Khorchide

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Kriminologe Prof. Dr. Klaus Boers moderierte die Veranstaltung
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Rund 100 Interessierte nahmen an dem kriminalwissenschaftlichen Kolloquium über das Verhältnis von Religion und Gewalt im Auditorium Maximum der Universität Münster teil
Audimax Münster

MÜNSTER. (hpd) Am Mittwoch lud das Institut für Kriminalwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zu einem Kolloquium über das Verhältnis von Religion und Gewalt. Da in der Öffentlichkeit aktuell besonders das Verhältnis des Islam zur Gewalt diskutiert wird, legte auch das Kolloquium hierauf seinen Schwerpunkt.

Unter der Moderation des Kriminologen Prof. Dr. Klaus Boers beleuchteten Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster, sowie Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack, Sprecher des Exzellenzclusters "Religion und Politik", das Verhältnis von Religion und Gewalt aus theologischer und soziologischer Perspektive.

Khorchide stellte mit erstaunlicher Offenheit fest, dass es bei den monotheistischen Religionen ein Gewaltpotential gibt. Die Frage sei jedoch, woher dieses Gewaltpotential stamme und ob Religionen tatsächlich die Ursachen für gewalttätige Konflikte seien oder ob diese nicht eher ein multifaktorielles Problem darstellten. Auch wenn Letzteres sicherlich der Fall sei und insbesondere hinsichtlich der Radikalisierung junger Europäer für den IS das Phänomen der "ausgehöhlten Identität" durch die Arbeitermigration eine Rolle spiele, zeige sich jedoch, dass die monotheistischen Religionen Merkmale hätten, die für eine Radikalisierung missbraucht werden könnten.

Allerdings, so Khorchide, würden nicht nur die Anhänger von Religionen zur Gewalttätigkeit neigen. Dies zeigten die großen atheistischen politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts. – Eine bekanntermaßen problematische Verkürzung von Nationalsozialismus und Stalinismus, da diese ihre Verbrechen eben nicht im Namen des Unglaubens, sondern im Namen ihrer jeweiligen Ideologie begingen, die selbst wieder quasi-religiösen Charakter hatte. Bedauerlich an diesem Teil von Khorchides Ausführungen ist vor allem, dass es dieses ins Leere treffenden Schlags gegen den Atheismus überhaupt nicht bedurft hätte, um die simple Tatsache darzustellen, dass religiöse Menschen manchmal gewalttätig sind, manchmal aber auch nicht, und dass manchmal auch nicht-religiöse Menschen zu Gewalt neigen.

Was das Potential vor allem monotheistischer Religionen zum Schüren der Gewalttätigkeit ihrer Anhänger betrifft, sah Khorchide das Problem in der Möglichkeit einer exklusivistischen Interpretation dieser Religionen durch ihre Funktionäre und Anhänger. Das Problem, so Khorchide, sei das falsche Gottesbild, das hier den Gläubigen vermittelt würde – teilweise gezielt, um Religion als Mittel für den Machterhalt zu missbrauchen. Wer Gott als "Anti-Humanisten" zeichne, der nur jene liebe, die genau ihn verehren – und dies noch dazu in der richtigen Weise –, der erzeuge eine künstliche Spannung zwischen Gott und der Menschlichkeit. Außerdem werde so die Grundlage für eine religiös begründete Hierarchie geschaffen. Wenn Gott Andersgläubige bestraft, so Khorchide, warum soll dann nicht auch ein Fundamentalist in seinem Namen Strafen vollziehen?

Khorchide sieht die Lösung der Gewaltproblematik in Hinblick auf die monotheistischen Religionen im Allgemeinen und den Islam im Besonderen daher in der Durchsetzung eines anderen Gottesbildes. Als islamischer Theologe vertritt er die Auffassung, dass die Gott-Mensch-Beziehung als Liebe interpretiert werden müsse und dass Gott "ein humanistischer Gott" sei. Durch die Ausbildung von Islam-Lehrern am Zentrum für Islamische Theologie in Münster und andernorts hofft Khorchide, seine theologische Auffassung unter kommenden Generationen von Muslimen verbreiten zu können. In Anbetracht der überwältigenden Mehrheit von Muslimen, die doch eher einer exklusivistischen Interpretation ihrer Religion anhängt, ein hehres Ziel. Ganz abgesehen von der üblichen Problematik jeder Theologie, dass der Wahrheitsgehalt einer Theorie über das Wesen Gottes in Ermangelung eines fassbaren göttlichen Subjekts nicht überprüfbar ist.

Religionssoziologe Detlef Pollack, obwohl selbst gelernter Theologe, umschiffte die Untiefen der Gottestheorien und konzentrierte sich in seinen Ausführungen auf empirisch belegbare soziologische Aspekte des Verhältnisses von Religion und Gewalt.

Deutlich sei, so schickte Pollack seinem Impuls-Vortrag voraus, dass sich in Deutschland die Beurteilung von Religion während der vergangenen Jahre und Jahrzehnte dramatisch gewandelt habe. Während früher Religion mehrheitlich als friedensfördernder Faktor wahrgenommen wurde, werde Religion von einer Mehrheit der Deutschen heute als Brandbeschleuniger betrachtet. In der Tat, so Pollack, böte Religion beide Möglichkeiten, da sie eine Art plastischer Stoff sei, der von verschiedenen Seiten verformt werden könne.

Eine Religion wird laut Pollack in der deutschen Bevölkerung besonders stark als Bedrohung wahrgenommen: der Islam. Zur Frage, ob dieses Bedrohungsempfinden gerechtfertigt ist, ob also Muslime tatsächlich ein erhöhtes Gewaltpotential und einen Hang zum Fundamentalismus haben, verwies Pollack auf eine aktuelle Emnid-Umfrage über Integration und Religiosität unter Türkeistämmigen in Deutschland. Die Ergebnisse dieser Umfrage, die im Auftrag des Exzellenzclusters "Religion und Politik" durchgeführt wurde, wird Pollack am kommenden Donnerstag in Berlin öffentlich vorstellen.

Grundsätzlich, so hielt Pollack fest, hänge das Friedenspotential einer Religion von ihrer Fähigkeit zur Selbstkritik ab sowie ihrer Befähigung, ein kritisches Verhältnis zur eigenen Tradition einzunehmen. Diese Kritik funktioniere jedoch nur, wenn sie sich innerreligiös und freiwillig vollzöge. Als positives Beispiel für die Entwicklung einer solchen Selbstkritik nannte Pollack die Katholische Kirche und das Zweite Vatikanische Konzil.

Unwirksam sei es hingegen, einer Religion die Selbstkritik von außen zu verordnen. Insbesondere hinsichtlich des Islam sei der diesbezüglich ausgeübte Druck der westlichen Welt kontraproduktiv, da die Kolonialismus-Erfahrung in der Selbstwahrnehmung vieler Muslime noch immer eine große Rolle spiele und zu einem Gefühl des Verletzseins führe. In gewisser Weise müssten Terrorakte daher auch als Form der Kommunikation verstanden werden: Nehmt uns ernst! Versucht nicht, uns zu kolonialisieren!

Abschließend unterstützte Pollack Khorchides These, dass die großen aktuellen gewalttätigen Konflikte sicherlich mehrere Ursachen hätten, dass es jedoch falsch sei zu sagen, sie hätten nichts mit Religion zu tun. Vielmehr wirke Religion bei diesen Konflikten, in denen es um ethnische und politische Interesse gehe, als dynamisierende Kraft.