Was tun Humanisten zu Weihnachten?

Weihnachtsgottesdienste aus Gewohnheit und Tradition

BERLIN. (hpd) Volle Kirchen zu Weihnachten, gut besuchte Christmetten – ein Zeichen der Rückkehr der Religionen, ein Erstarken des Religiösen? Keinesfalls, folgt man den Überlegungen des Religionssoziologen Detlef Pollack vom Exzellenzcluster Münster, der sagt, dass religionssoziologisch betrachtet es “Multifunktionalität (sei), die den Weihnachtsgottesdienst so attraktiv macht”. Zur Multifunktionalität gehörten die Faktoren “Kirche”, “festliche Stimmung”, “Musik”, “Predigt”, “Nachdenken über das vergangene und das kommende Jahr” sowie auch einfach nur die “Gewohnheit”.

Eine Million Gottesdienstbesucher zählt die EKD an “normalen” Sonntagen, die Weihnachtsgottesdienste werden von etwa neunmal so vielen Menschen aufgesucht, Tendenz: steigend. Bei anderen christlichen Gemeinschaften dürfte das Verhältnis kein anderes sein. (Nebenbei: eine aktuelle EKD-Studie zeigt, dass die Anzahl der Gottesdienstbesucher am Karfreitag mit Weihnachten überhaupt nicht mithalten kann. Soviel zur Religiosität!).

Sozialstrukturell, so Pollack, handele es ich bei den BesucherInnen von Weihnachtsgottesdiensten um den Durchschnitt der Bevölkerung. Dabei seien neben den Kirchennahen die Kirchenfernen, aber auch die Kirchendistanzierten, sogar Kirchenentfremdete und Ausgetretene. Sein Fazit: weniger eine religiöse Sehnsucht, sondern vielmehr Gewohnheit und Tradition brächten die Menschen zu Weihnachten in die Kirchen!

Wie verbringen Humanisten Weihnachten, hat Dennis Riehle vor einigen Tagen im hpd gefragt. Er hat dazu kluge Überlegungen angestellt. Dazu gehört, dass man als Humanist während des ganzen Jahres über den Sinn der Weihnachtsparabeln nachdenken (und wohl auch Folgerungen daraus ziehen) könne, dass es aber guttue, eine Zäsur im Jahresverlauf zu haben, während der man sich – ohne den üblichen Alltagstrubel – mancher Dinge bewusst werden könne. Und dazu gehört noch manches andere mehr, wie er ausgeführt hat.

Was bei ihm aber nicht vorkommt, ist eine kollektive, eine gemeinschaftliche Ebene. Es bleibt bei “dem Humanisten” – im Singular. Gemeinschaft scheint es nicht zu geben. Und in der Tat gibt es eine solche – in Deutschland jedenfalls – unter HumanistInnen nicht; bis auf einige wenige Initiativen – etwa Freireligiöse Gemeinden und der Sunday Assembly in Hamburg und Berlin – gibt es eine solche Praxis nicht. Braucht Humanismus – zumal wenn er zu einer breiten Bewegung werden soll – nicht Gemeinschaft? Kann darauf verzichtet werden? Reicht (perspektivisch) eine individualistische Haltung (über den Verstand gebildet, aber ohne die Gefühlsseite, somit gewissermaßen des halben Menschen) aus, um die gesamte Gesellschaft humanistisch beeinflussen und formen zu können? Wohl kaum, hier stehen wir erst am Anfang.

Manche, die sich zu den Humanisten zählen, nehmen die Positionen ein, die Dennis Riehle am Anfang seines Artikels kritisch beschrieben hat: Weihnachtstage seien Tage wie jeder andere (kein Verständnis für die Bedeutung von Zäsuren somit), Distanzierung von christlichen Festen und Vermeiden von allerlei Brauchtum. Das hört sich nicht nur sektiererisch an, sondern zeigt auch eine geschichts- eine kulturvergessene Haltung.

Bleiben wir nur bei Weihnachten: dazu gibt es im hpd einige interessante Kommentare zu Riehles Artikel. Im Zusammenhang mit “Vergessenheit” ist der Kommentar von Roland Fakler hervorzuheben, der auf die Geschichtlichkeit des christlichen Weihnachtsfestes hinweist, darauf, dass zuvor zu dieser Jahreszeit (in Rom) das Fest des Mithras gefeiert wurde, andernorts die Wintersonnenwende (und dazu gäbe es noch viel Nichtchristliches im Dezember aus unterschiedlichen Kulturkreisen, wie ich im letzten Jahr auf der “Weihnachtsfeier” der Sunday Assembly Berlin ausgeführt habe. Weihnachten als Feier im Dezember ist nichts genuin Christliches, sondern Übernommenes und christlich “Eingemeindetes”.

Stehen Humanisten in keiner Tradition? Feiern im Dezember ist ein kulturelles Erbe der Menschheit – warum sollten Humanisten sich diesem Erbe verweigern? Roland Fakler hat hierzu eine passende Antwort gegeben: “Auch Humanisten könnten dieses Fest für sich umdeuten, als Fest der Liebe, des Friedens, der Verständigung aller Menschen, als Fest des Lichtes und der Hoffnung auf Aufklärung, als Wintersonnenwende, an dem die Tage wieder länger werden…” Und er hat dazu einen ganz praktischen Vorschlag gemacht: “… und all die schönen Melodien, die es zu den Weihnachtsliedern gibt, könnten allmählich von kreativen Humanisten mit sinnvolleren, humanistischen, zeitgemäßen Texten umgedichtet werden.”

Ja, warum eigentlich nicht. Gehören diese Melodien nicht allen? Sie entfalten auch aktuell eine große Wirkmächtigkeit, wie der Blick in die Fernseh-Programmhefte zeigt – sie bringen Quote; in Berlin erschienen vor wenigen Tagen sogar rund 30.000 Menschen zu einem Weihnachtssingen eines Berliner Fußballvereins, wie man hört, waren sogar Fans gegnerischer Fußballvereine dabei.

Nur die Humanisten singen nicht… feiern nicht… sondern treffen sich ausschließlich zu Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen? Gibt es kein humanistisches Lebensgefühl? Gibt es kein Bedürfnis nach Gemeinschaft (mit anderen Humanisten)?

Apropos neue Texte für alte Lieder: Zumindest ein Weihnachtslied ist schon umgedichtet: “Morgen, Kinder wird’s was geben”, hat Erich Kästner 1928 zu sozialkritisch “Morgen, Kinder, wird’s nichts geben” umgedichtet.