KONSTANZ. (hpd) Wiederkehrend sind die Klarstellungen: Die Bibel definiert die "praktizierte Homosexualität" als verwerfliches Fehlverhalten! Erst dieser Tage hat beispielsweise die einflussreiche Beratungsorganisation "Weißes Kreuz" eine neuerliche Stellungnahme veröffentlich und formuliert unter der Überschrift "Homosexualität und Schriftverständnis" die Sichtweise des Vorstandes der Fachgesellschaft des Diakonischen Werkes für sexualethische Fragestellungen nochmals nachdrücklich, wonach biblische Texte genau diese angewendete Homosexualität als Sünde einstuften.
Jene offenbare Tatsache wird kontinuierlich in den Raum geworfen, ohne, dass für solch eine Behauptung überhaupt exegetische Belege geliefert würden. Wo ist denn nun der Nachweis für die Verwerflichkeit solch einer "praktizierten Homosexualität" in der Bibel? Ich kann ihn jedenfalls nicht finden – und beginne bei der oftmals zitierten Stelle aus Levitikus (18 und 20), aus der ich viel lese, aber nichts von "Homosexualität". Neben einem Knaben solle man nicht liegen wie neben einer Frau, heißt es in den hebräischen Ursprungstexten. Und betrachtet man den Kontext, weist dieser schließlich darauf hin, um welches berechtigte Verbot es sich hier dreht: es richtet sich nicht gegen gleichgeschlechtlichen Sex unter Männern, sondern gegen ausgelebte Pädophilie.
Hangelt man sich weiter zu Genesis 19, zur Erzählung von Sodom und Gomorrha, dann lernen wir dort aus Vers 5, dass es um den Vorwurf einer Vergewaltigung geht, in gemeinschaftlicher Absicht. Von einvernehmlichem Sex unter homo- oder heterosexuellen Menschen ist hier keine Rede, viel eher von Verführung und Sodomie. Wer behauptet, darin das gewöhnliche schwul-lesbische Sexualverhalten des Mannes oder der Frau ablesen zu können, betreibt kein "Schriftverständnis", sondern willkürliche Diskriminierung der übelsten Art und Weise. Auch in Richter 19 wird eindeutig von einer "Schandtat" erzählt, die einer Person angetan werden soll. Wieder ist es der Übergriff gegenüber einem Wehrlosen, der für Aufsehen sorgt. Und wer gar auf 1. und 2. Samuel abzielt, findet viel eher die Fürsprache für Natürlichkeit einer Liebe unter Männern – zwischen David und "seinem" Jonathan.
Auch das Neue Testament bleibt im Blick auf "Beweise" für eine Missachtung der "praktizierten Homosexualität" wenig aussagekräftig. Markus 7 spricht – wie viele andere Bibelstellen – generell von der "Unzucht", geht aber keineswegs auf die gleichgeschlechtliche Sexualität ein. Markus 10 verurteilt die Untreue im Blick auf das Eheversprechen und das anschließende Umgehen desgleichen. Bei Matthäus 5 fokussiert der Autor die Versuchung, im Anklang an das paradiesische Geschehen, allerdings eher im Blick auf die sexuelle Hingabe. Im 8. Kapitel widmet sich das Evangelium wiederum eindeutig und völlig interpretationsleer der Päderastie. Und eine generelle Ausbeutung und Schändung von Menschen wird im 1. Korintherbrief thematisiert, wiederum exemplarisch gegenüber den (männlichen) Kindern.
Weit und breit fehlt es also an den stets vielbesagten Textbelegen. Wer also praktizierte Homosexualität mithilfe der Bibel als Sünde verurteilt, der rückt Schwule und Lesben in die Nähe von Übergriffigen, von Straftätern und von Wollüstigen. Und das ist nichts Anderes als Hetze. Das ist das Bedienen von Vorurteilen, billig und polemisch zugleich. Denn dass die "Heilige Schrift" zu Recht eine ausufernde Sexualpraxis kritisiert, ein gewaltsames Vereinnahmen eines Menschen für die eigenen sexuellen Triebe, ist vollkommen losgelöst von der Art der homo- oder heteroerotischen Beziehung. Rücksichtslose Befriedigung, das Herabwürdigen des Gegenübers zum Objekt ist sündhaft – egal, ob ich Mann oder Frau, mein "Partner" männlich oder weiblich ist.
Wenn sich eifrige Christen an der Sexuallehre der Bibel abarbeiten möchten, dann wäre zu wünschen, dass sie öfter einmal ihre Stimme zu diesen Fehlentwicklungen erheben würden: Nicht die praktizierte Homosexualität ist das "Problem" unserer Zeit, es ist vielmehr eine Schande, dass sowohl katholische wie protestantische Kreise jeglicher Couleur lieber Schwule und Lesben pauschal in eine bestimmte Ecke rücken, statt die allgemeine Verrohung und Sexualisierung in unserer Gesellschaft zum zentralen Thema zu machen. Es braucht keine "Gnade" gegenüber angeblich "sündigen" Homosexuellen, die nichts Anderes wollen, als sich zu lieben. Viel eher bedarf es mahnender Worte gegenüber allen Menschen, die ihr sexuelles Leben nicht mehr verantwortlich, sondern rücksichtslos "praktizieren".
20 Kommentare
Kommentare
Stefan am Permanenter Link
Ich kann dem Schluss in dieser Form nicht zustimmen. Ich denke nicht, dass in den letzten Jahren eine Verrohung der Sexualitaet gegeben hat.
Marvin am Permanenter Link
Was gemeint ist mit der "allgemeinen Verrohung und Sexualisierung in unserer Gesellschaft" bleibt mir auch unklar. Klingt wie aus einer Demo der Bildungsplan-Gegner.
Dennis Riehle am Permanenter Link
Darf man Meinungen nicht mehr äußern, weil sie möglicherweise auch auf solch einer „Demo“ propagiert werden? Ich wünsche mir da etwas mehr Ehrlichkeit auch im Blick auf unsere Gesellschaft.
Thomas am Permanenter Link
Leider kann ich aus Ihren Worten nur die rein gefühlsmäßige Ablehnung eines weitestgehend restriktionsbefreiten Umgangs mit Sexualität herauslesen, wie ich sie schon von meiner christlich-verklemmten Mutter kenne.
theol. bodo liefeldt am Permanenter Link
www.glbt-news.israel-live.de/religion/tanakh.htm ........ Jesus als SOHN DAVIDS nach sach.4,14 sogar 2 gesalbte Singles !
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Warum praktizieren Theologen seit zwei Jahrtausenden nicht diese Exegese? Weil man sich auch andere Bibelstellen anschauen muss, in denen die Familie definiert wird.
Dafür aber kommen alle Arten von Vergewaltigungen im Namen Gottes vor. Frauen darf man sich nehmen, sofern sie aus einem unterjochten Volk stammen. Wobei "Volk" eher "Stamm" meint, also letztlich die Nachbarsippe.
Auch Inzest kommt in der Bibel sehr oft vor. Die vor dem Mob geschützten Töchter Lots (beide minderjährige Jungfrauen), werden später von ihrem Vater geschwängert. Und der Mob von Sodom wird eindeutig als homosexuell bezeichnet, weil er gerne die beiden (männlichen) Engel zur Vergewaltigung gehabt hätte. Hier ging es nicht darum, die Vergewaltigung an sich zu brandmarken (schließlich bot Lot seine Töchter dem Mob ja zur Massenvergewaltigung an), sondern dass es - neben dem Schutz des Gastrechts - um eine homosexuelle Vergewaltigung ging. Die Übertragung von Sodom auf die Sodomie (Tiervergewaltigung) steht so auch nicht in der Bibel. Der Eindruck, der hier eindeutig entsteht, ist der einer zumindest teilweise schwulen oder lesbischen Gesellschaft, die deswegen auf "Gottes" Missfallen stieß.
Bei Noach finden wir sogar - zwischen den Exegeten umstritten - den Fall einer homosexuellen Vergewaltigung des betrunken Noach durch seinen Sohn Ham, der daraufhin verstoßen und zum Urvater aller Sklaven wird.
Natürlich wird Homosexualität in der Bibel immer als Vergewaltigung, Unzucht oder Exzess geschildert, weil dies ja nach religiöser Vorstellung widernatürlich ist. Noch heute beschuldigen religiöse Eiferer schwule Männer, Knaben zu verführen, um bei ihren zu liegen, wie ein Mann bei einem Weib. Homosexuelle Männer stehen also unter dem Generalverdacht, pädophil zu sein. Warum hätte dies in der Antike (die ja entsprechende Lebensweisen z.B. aus Griechenland kannte) anders sein sollen?
Es geht m.M.n. nicht um den Gegensatz zwischen "rücksichtlos praktiziertem Sexualleben" und "verantwortlichem Sexualleben", sondern um "frei bestimmtes Sexualleben" gegen "unterdrückte Sexualität mit dem ausschließlichen Ziel der Vermehrung der eigenen Gemeinde".
Allein die Szene im Paradies, nach dem Sündenfall, zeigt deutlich, was der Monotheismus von Sexualität hält. "Gott" hexte den Menschen die Sexualität an, als er sie aus dem Garten Eden vertrieb. Doch er sagte nicht zu Adam: "Mit viel Spaß wirst du künftig deine Nachkommen zeugen", sondern er sprach zu Eva: "Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber wird über dich herrschen." (Gen 3,16)
Es geht um Schmerzen, Verlangen und Herrschen. Sexualität ist für alle Monotheismen eine qualvolle Angelegenheit, eine Strafe "Gottes". Und die zwischen Männern oder Knaben ist sogar sinnlos, weil unfruchtbar.
Marvin am Permanenter Link
Sehr gut zusammengefasst, vielen Dank! So zeichnet sich eben ein ganz anderes Bild, aber wenn alles nur im Einzelnen mit Scheuklappen betrachtet wird kann es ja schließlich auch nichts werden.
Thomas am Permanenter Link
Das Problem ist doch nicht, was in irgendwelchen "heiligen" Schriften steht und ob es "richtig" oder "falsch" verstanden wird, sondern daß Menschen ÜBERHAUPT so dumm und verantwortungslos
Johannes am Permanenter Link
Volle Zustimmung!
Harald Stadler am Permanenter Link
Dieses dauernde Gefasel, dass dieser Apostel jenes und ein anderer Prophet was anderes in der Bibel zum Thema Homosexualität von sich gibt, ist sowas von pervers.
gequält, gefoltert, ausgegrenzt und auf abscheulichste Weise ermordet hat.
Die Religionen - und zwar ausnahmslos alle - haben sich aus dem Leben der Menschen heraus zu halten! Und vor allem natürlich auch aus der Politik! Punkt um!
Ich bin schwul und ich pfeiff auf die Zustimmung von einem 2000 Jahre alten Schinken zu meinem Sexualleben!
Kay Krause am Permanenter Link
Gut gebrüllt, Löwe! Klasse, Harald, gefällt mir!!!
Du bist schwul, o.k., wen geht das was an? Wenn es ein Problem ist, dann doch wohl nur Deines.
Harald Stadler am Permanenter Link
Nur zur Info: ich bin seit meinem 16. Lebensjahr geoutet, meine Eltern haben mich deswegen damals rausgeworfen.
Ich bin seit vielen Jahren in der Schwulenbewegung aktiv.
Im Gegenteil: immer waren diese Organisationen an unserer Verfolgung und
Unterdrückung massgeblich beteiligt!
Dafür gibt es keine Entschuldigung!
Daher ist diese gekünstelte Suche nach 'homofreundlichen' Bibelstellen einfach zum Kotzen!
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Ich finde das ständige Heranziehen der Hl. Schriften zum Kotzen. Was geht mich dieses ständige Kaffeesudlesen an? Auch wer an die Hl.
Marvin am Permanenter Link
Das ist schon ein krasses Stück, wer die Bibel für die offenkundige Schwulenfeindlichkeit kritisiert ist laut Riehle im Grunde selbst Homophob.
Selbstverständlich wird ein bestimmtes Bild in der Bibel über Schwulen gezeichnet, so wie die Nazis ein bestimmtes Bild über Juden zeichneten, deswegen ist aber jemand der den Antisemitismus im Nationalsozialismus erkennt kein Judenfeind nur weil man Ihrer Meinung nach damit das verbreite Klischee des Juden bejahen würde. Ich kritisiere eben auch und vor allem ja das Stereotype. So wie es auch heute für viele klar zu seien scheint sieht es auch Bibel, ein Schwuler ist im Grunde ein Knabenvergewaltiger. Und so wird dann eben auch die Sprache verwendet, so wie es halt immer passiert wenn eine Gruppe negative charakterisiert werden soll.
Sascha am Permanenter Link
Es wäre schon zumindest ein kleines bisschen, wenn die christlichen Kirchen davon absehen würden, für ihre Verurteilung der Homosexualität Zitate aus der jüdischen Tora zu benutzen, da es keine ernstzunehmenden Strömu
Klaus Bernd am Permanenter Link
Wo steht das in der Bibel ?
Stefan Wagner am Permanenter Link
Für eine Irritation sorgt es zwar auch bei mir immer, wenn Atheisten die Orthodoxen über die Auslegung ihrer religiösen Schriften belehren wollen, aber ich halte es für unverzichtbar.
Man macht ja so aufmerksam auf die Willkür, die meist in den Religionen herrscht, bei der Interpretation, und die den Anhängern oft gar nicht bewusst ist.
Man verdeutlicht die Widersprüche zwischen proklamierter, ewiger Wahrheit dort und vernünftiger Ethik hier.
Und man verstellt sich so nicht den Weg heilige Schriften per se abzulehnen.
Nein, man bringt die Kritisierten in die Bredouille, dass diese, die ihre Vorurteile und Abneigungen ja in die Bibel hineinlesen, dazu, dass sie selbst ihre Schrift in Frage stellen müssen, um an ihren Vorurteilen festhalten zu können oder alternativ ihre Vorurteile. Das ist Aufklärung im besten Sinne.
Kay Krause am Permanenter Link
Wenn Atheisten, Agnostiker und Freidenker die machtausübenden Religionen nicht sachlich kritisieren und deren Glaubensargumente zerpflücken, wer bitte dann?
Olaf Sander am Permanenter Link
Das habe ich auch gedacht. Wenn man Ärzte, Politiker oder Polizisten kritisiert kommt ja auch keiner auf die Idee zu sagen, dass das nicht o.k. ist, nur weil man selbst beruflich etwas anderes gelernt hat.
Hans Zimmer am Permanenter Link
Ich konnte die Stellungnahme des "weissen Kreuz" leider nicht finden, wo steht es denn genau?