Darwinischer Amtskirchen-Kreationismus

BERLIN. (hpd) In der letzten Woche ist in den USA ein Buch erscheinen, das sich mit dem weltweiten Erstarken des Kreationismus beschäftigt. Der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Ulrich Kutschera hat jenes Kapitel geschrieben, welches sich mit der Situation in Deutschland befasst. Der hpd sprach mit dem Vorsitzenden des Arbeitskreises (AK) Evolutionsbiologie über dieses neue Buch.

hpd: Sehr geehrter Herr Prof. Kutschera, bei John Hopkins University Press ist kürzlich die Monographie “Creationism in Europe” erscheinen, zu der Sie das “Chapter 6: Germany” beigesteuert haben. Gibt es denn Wichtiges über den Kreationismus in Deutschland zu sagen?

U. Kutschera: Leider ja. Im “Darwin 100-Jahr 1959” ist ein erstes Kreationisten-Werk erschienen, gefolgt von den geschickt initiierten Aktivitäten des in der Schweiz angesiedelten britischen Chemikers Arthur E. Wilder-Smith (1915–1995), der letztendlich Anfang der 1970er Jahre den Junge-Erde-Kreationismus aus den USA nach Deutschland importiert hat. Mit der Gründung der evangelikalen “Studiengemeinschaft Wort und Wissen” (Sg. W+W) im Jahr 1979 haben wir hier in Deutschland die europaweit am besten organisierte Kreationisten-Vereinigung mit exzellenter Internet-Präsenz.

 

Deshalb also dieses Buch?

U. Kutschera: Meine Beiträge der letzten Jahre, u. a. publiziert in Nature, waren in der Tat eine Motivation für die Herausgeber Stefaan Blancke et al., zunächst in Gent, Belgien, ein Symposium zum Thema “Kreationismus in Europa” zu veranstalten. Aus diesem Meeting ist die gerade erschienene Monographie hervorgegangen, zu der Ronald L. Numbers das Vorwort verfasst hat. Es werden die Länder Frankreich, Spanien/Portugal, UK, Belgien/Niederlande, Skandinavien, Polen, Griechenland, Russland, die Türkei und Deutschland behandelt. Die Autoren stellen die Organisationsstrukturen dar und deren Einfluss, insbesondere auf den Schulunterricht.

 

Mir ist zum Beispiel hier in Deutschland neben der Sg. W+W auch bekannt, dass die Zeugen Jehovas kräftig missionieren. Gibt es noch andere derartige Gruppierungen?

U. Kutschera: Obwohl die Sg. W+W sich als evangelikale Vereinigung definiert, gibt es auch gemeinsame Projekte mit Vertretern der kreationistischen Endzeit-Sekte Zeugen Jehovas (z. B. Video- bzw. DVD-Filme). Weiterhin muss man leider auch die Evangelische Kirche von Deutschland (EKD) beschuldigen, hier unterstützend mitzuwirken: Sogenannte “Evangelische Bekenntnisschulen” aus dem fundamentalistisch/evangelikalen Lager verbreiten, unter Verwendung des Begriffs “evangelisch”, den von der Sg. W+W propagierten kreationistischen Hokuspokus – eine völlig unakzeptable Vermischung biologischer Fakten mit biblischen Mythen, die von mir als “Theo-Biologie” bezeichnet worden ist.

 

Es ist ja außerdem kein Geheimnis, dass in den USA und zum Teil auch in der Türkei der Kreationismus weit verbreitet ist. Wie sieht es denn insgesamt damit in Europa aus?

U. Kutschera: In der angesprochenen Monographie ist insbesondere das “Chapter 10: Turkey”, verfasst von Martin Riexinger, von Bedeutung. Der Autor beschreibt die Verbreitung kreationistischer Thesen in einem am Rande Europas liegenden Land – dort sind nach einer Umfrage 2011 über 60 Prozent der Bürger Kreationisten, während die Tatsache der biologischen Evolution nur von einer Minderheit der Türken akzeptiert wird. In anderen europäischen Ländern sind die Probleme geringer, obwohl als traurige Schlusslichter neben den Niederlanden und Polen (Katholizismus), auch Deutschland genannt werden sollte.

 

Prof. Dr. Ulrich Kutschera (Foto © Evelin Frerk)

Prof. Dr. Ulrich Kutschera (Foto © Evelin Frerk)

In Ihrem Beitrag zum Buch gehen Sie u. a. auf den “Weltanschaungsbeauftragten” der EKD ein, der sich gegen die Kreationisten der Sg. W+W ausspricht, aber selbst von “Schöpfung” im Zusammenhang mit Darwin spricht. Wie verträgt sich das ihrer Meinung nach miteinander?

U. Kutschera: Die beiden großen deutschen Amtskirchen betonen in ihren Propagandaschriften immer wieder, sie würden sich klar und deutlich vom Kreationismus distanzieren. Die Realität sieht aber anders aus. Das von den deutschen Katholiken und der EKD vertretene Hybrid-Modell einer “Theistischen Evolution”, bei dem man einerseits die biologischen Fakten anerkennt, andererseits aber hinter dieses Geschehen das Wirken eines biblischen Schöpfer-Designer-Gottes stellt, der alles zum Guten regelt, ist eine Pervertierung des logischen Denkens: Faktenwissen und mystischer Bibelglaube passen nicht zusammen. In meinem Buchkapitel habe ich unter Verweis auf den o. g. “Weltanschauungsbeauftragten” der EKD den Begriff “soft creationism” geprägt.

 

Kann somit auch von christlich-fundamentalistischen Strömungen in den deutschen Amtskirchen ausgegangen werden? Wie verbinden diese ihren Bibelglauben mit der Evolution?

U. Kutschera: Auf Grundlage der Analysen im Sammelband “Creationism in Europe” kann von einem “Darwinischen Amtskirchen-Kreationismus” gesprochen werden. Diese “sanfte Theo-Biologie” kommt beispielhaft in einem Buch zum Vorschein, das 2009 unter dem Titel “Und Gott schuf Darwins Welt” veröffentlicht worden ist und dessen Verfasser ein EKD-Bediensteter ist. Der von unseren Amtskirchen verbreitete “Soft-Creationism” basiert auf einer willkürlichen Zurechtbiegung von Bibel-Inhalten, bis diese zu den Erkenntnissen der Biologie passen sollen. Dieses ungenießbare Gemisch wird dann im Religionsunterricht unseren Kindern verabreicht. Fakt ist, dass sich religiöse Mythen und naturwissenschaftliche Erkenntnisse widersprechen – eine Vermischung derselben ist unakzeptabel.

 

Das Gespräch führte Frank Nicolai für den hpd.

 


Prof. Dr. Ulrich Kutschera ist Inhaber des Lehrstuhls für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie an der Universität Kassel und Visiting Professor in Stanford (USA). Er hat ca. 250 wiss. Publikationen und zehn Bücher verfasst.

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