Kommentar

Der Papst, die Gewalt und der Glaube

Jorge Bergoglio, von vielen verehrt als Papst Franziskus, sprach sich auf seinem Rückflug vom Weltjugendtag in Krakau gegen die Gleichsetzung von Islam und Gewalt aus. Löblich, findet hpd-Kommentator Falko Pietsch. Allerdings unterschlägt der Papst – für sein Metier nicht ganz unerwartet – dass Gewalt auch im Namen der Religion begangen wird.

Keine Gleichsetzung von Islam und Gewalt - eine solche Überschrift liest sich erst mal zustimmungsfähig. Pauschalurteile und Sippenhaft gegenüber Weltanschauungen verbieten sich. In einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Spalter und menschenfeindlichen Hetzer laut und viele sind und mancher versucht, Kulturkampf-Fronten mit dem Lineal an konfessionellen Grenzen zu ziehen, sind solche Worte wichtig.

Es ist dabei auch nicht schlimm, wenn einer wie Bergoglio, dessen Wort weltweit von Millionen von Menschen Gewicht beigemessen wird, das Offensichtliche noch einmal wiederholt: Bei weitem nicht alle Muslime sind gewaltbereit, nicht jeder Muslim ist ein potenzieller Terrorist und es sind auch keineswegs alle Terroristen Muslime.

Seltsam mutet es hingegen an, wenn Bergoglio anmerkt, er rede nicht gern über muslimische Gewalt: "Wenn ich über islamische Gewalt spreche, dann muss ich auch über christliche Gewalt sprechen".

Das klingt ein wenig danach, als würde er über dieses Thema lieber schweigen. Denn ohne Zweifel muss es mit Scham einhergehen, wenn man als Vertreter der "Religion der Nächstenliebe" konstatieren muss, dass unter den eigenen Gläubigen nur allzu viele sind, die selbst mit dem simplen Gebot "Du sollst nicht töten!" ihre Schwierigkeiten haben.

Bergoglio verweist hierbei auf die Nachrichten in italienischen Zeitungen, in denen er täglich von Gewalttaten lese: "Einer hat seine Freundin getötet, der andere seine Schwiegermutter. Das sind alles getaufte Katholiken. Sie sind gewalttätig und katholisch. [...] Es gibt gewalttätige Menschen in jeder Religion. Das ist wahr."

Er hätte auch über Südamerika sprechen können, einen mehrheitlich katholischen Kontinent, dessen Länder weit überdurchschnittliche Raten an Gewalt- und Tötungsdelikten aufweisen. Die Bevölkerung beinahe aller Staaten unter den Top 20 mit den höchsten Tötungsraten sind ganz überwiegend christlich.

Es ist also fraglos richtig: In christlich geprägten Ländern gibt es trotz Religion eine besorgniserregende Rate an Gewaltverbrechen. Diese Rate ist übrigens in den weitgehend säkularisierten Staaten Nord- und Westeuropas signifikant geringer. Fast alle europäischen Staaten gehören zu den 50 gewaltärmsten Ländern der Welt. Die waffenfreundlichen und gleichzeitig noch stark christlichen USA, "god's own country", nehmen hingegen einen unrühmlichen Platz zwischen Niger und Jemen im hinteren Mittelfeld ein.

Jedoch wäre es unredlich und unfair, diese Unterschiede allein auf die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung zu schieben. Um diese hohen Kriminalitätsraten zu erklären, muss man auch andere Faktoren berücksichtigen: Armut, politische (In-)Stabilität, Bildung, Korruption, außenpolitische Konflikte, unfairer Welthandel usw. spielen ebenfalls eine Rolle.

Neben diesen Formen der Gewalt, die Menschen trotz ihres Glaubens verüben, besteht allerdings auch recht offenkundig eine andere Form von Gewalt, die wegen des Glaubens und für den Glauben verübt wird:

  • Schüsse auf Ärzte und Einrichtungen von "planned parenthood"
  • Staatliche Verfolgung von Homosexuellen in christlichen Ländern (Bsp.Uganda: 85% Christen, 42% Katholiken, Staatsmotto: "For God and my country", aber auch Russland und Ungarn)
  • Attacken und Drohungen gegen Homosexuelle auch in den westlichen Demokratien (durch Katholiken, Orthodoxe Christen, Evangelikale und Muslime gleichermaßen)
  • Christlich-abergläubische "Hexenverfolgungen" und tödliche "Exorzismen" an zehntausenden Frauen, Kindern, Albinos und Menschen mit geistigen Behinderungen in Ländern Afrikas und Asiens
  • "Klassische" Religionskriege wie etwa in der Zentralafrikanischen Republik, wo christliche Milizen und Milizen der muslimischen Minderheit seit etwa zehn Jahren blutige Fehden führen, ganze Viertel abbrennen, Andersgläubige mit Macheten hinrichten, Kindersoldaten ausbilden und Menschenhandel betreiben (Protestanten und Katholiken stellen in der Zentralafrikanischen Republik die Mehrheit der Bevölkerung)

Die dschihadistischen Ausprägungen des Islam stehen in punkto Gewalt jedenfalls nicht allein – was Bergoglio in einem Halbsatz auch anerkennt: "In jeder Religion gibt es eine kleine Gruppe von Fundamentalisten – bei uns auch." Aber diese Fundamentalisten haben nichts mit den Gewalttaten und Familiendramen zu tun, die er aus den italienischen Zeitungen zitiert. Sie verüben andere Gewalttaten. Wegen ihres Glauben und für ihren Glauben.

Eine ehrliche Selbstkritik des Papstes sollte deshalb menschenverachtende Gewalt benennen, die auch von seinen Gläubigen aus religiösen Gründen verübt wird.