Plädoyer für eine radikale Modernisierung des säkularen Humanismus

Mehr "Praktischer Humanismus" erforderlich

BERLIN. (hpd) Frieder Otto Wolf, Philosoph und Politikwissenschaftler, Präsident des HVD, hat vor wenigen Tagen in einem Beitrag für die diesseits “Thesen zur geistigen Krise der Zeit und zur Krise des säkularen Humanismus” veröffentlicht.

Seine Grundaussage: Der säkulare Humanismus stecke gegenwärtig in einer strukturellen Krise, die zu einer Existenzkrise werden könne, wenn nicht Initiativen zu einer praktischen Erneuerung des Humanismus ergriffen würden. Er hält eine durchgreifende Modernisierung des säkularen Humanismus für dringend erforderlich, um Alternativen zu den gegenwärtigen Herrschaftsverhältnissen entwickeln und politisch umsetzen zu können.

Der säkulare Humanismus halte “immer noch allein an den traditionellen kulturellen Formen der diskursiven Selbstverständigung fest, die Ende des 19. Jahrhunderts den Höhepunkt ihrer Entwicklung erlebten” schreibt Wolf in der mit “Fern der Heimat” übertitelten Stellungnahme und nennt als Beispiele “populärwissenschaftlichen Vortrag”, “weltanschauliche Bildungsveranstaltung” sowie die “Veröffentlichung einschlägiger Schriften”.

Eine soziologische Analyse der humanistischen Szene zeige als “Normalmitglied” den “älteren gebildeten ‘deutschen’ Mann aus der Mittelschicht”, während “jüngere, weibliche, kulturell ’nicht-deutsche’ und auch nicht in der Mittelschicht verankerte Menschen” nach wie vor “eher ausnahmsweise” an einem weltanschaulich orientierten säkularen Humanismus beteiligt seien. Oder anders ausgedrückt: altbacken und altmännlich kommt der Humanismus in Deutschland daher – eine nur begrenzt attraktive Erscheinung.

Was aber vor allem fehlt, ist gesellschaftliche Praxis, die bislang nur wenig entwickelt ist. Frieder Otto Wolf orientiert auf eine Veränderung der Angebote des säkularen Humanismus, und zwar auf eine relevante gesellschaftliche Praxis, die Entwicklung einer säkular-humanistischen Lebenskultur, auf Präsenz in den neuen elektronischen Medien und Online-Netzwerken, aber auch auf “Formen der anerkannten Präsenz in der akademischen Öffentlichkeit, aber auch der allgemeinen Öffentlichkeit, getragen von entsprechenden Netzwerken”. Er plädiert für eine Verstärkung der vorhandenen (noch bescheidenen) Ansätze humanistischer Praxis etwa in den Bereichen Erziehung, Sozialarbeit, Feierkultur, Lebensberatung, und dafür, diese Praktiken zu reflektieren und “zunehmend in umfassendere Grundmuster für humanistische Lebensentwürfe” umzusetzen.

Als dringend notwendig sieht Wolf, wer wollte ihm da widersprechen, zudem eine Veränderung der “Normalmitgliedschaft” der säkularen Szene an, die sich denjenigen Gruppen öffnen müsse, die bisher nur “eher ausnahmsweise” beteiligt sind. Mit kleinen Debattierzirkeln lässt sich gesellschaftliche Veränderung nicht bewerkstelligen.

Wolfs Ziel: wirksames Eingreifen in die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung, um “Humanisierung” zu erreichen, konkrete Alternativen “zu den bestehenden gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen” aus praktischer Arbeit und deren Reflexion zu erarbeiten und durchzusetzen. Dabei sollten Bündnisse mit den von Wolf genannten “christlichen, mosaischen und islamischen Humanismen”, zu denen der säkulare Humanismus in Konkurrenz steht, keineswegs ausgeschlossen sein; vielmehr erscheinen sie dringend notwendig, um in Einzelbereichen emanzipatorisches Potential zu nutzen, aber auch, um gesellschaftliche Mehrheiten zu erreichen.

Walter Otte

 


Der hpd veröffentlicht die “Thesen zur geistigen Situation der Zeit und zur Krise des säkularen Humanismus” auf den Folgeseiten mit freundlicher Genehmigung von Frieder Otto Wolf.