In Polen passierte in erster Lesung ein Gesetz den Sejm, nach dem die Abtreibung generell verboten werden soll. Dabei hat das Land seit 1993 bereits die restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas. Gegen die nochmalige Verschärfung dieser Regelungen gingen in Polen mehrere 10.000 Menschen auf die Straße. Auch in anderen europäischen Ländern protestierten Frauen und Männer.
An diesem Tag, dem "Schwarzen Montag" ("Czarny protest"), fanden zudem in ganz Polen Frauen-Streiks statt: Eine eintägige Frauen-Abwesendheits-Aktion. Die Frauen gingen weder zur Arbeit noch zur Schule oder Universität, sie kamen auch ihren Pflichten zu Hause nicht nach.
Als Anlass gilt ein in erster Lesung am 23. September im Parlament angenommener Gesetzesentwurf, der Abtreibungen auch im Fall einer schweren Behinderung des ungeborenen Kindes oder einer Vergewaltigung illegalisieren würde. Haftstrafen sind für die abtreibende Frau wie auch die Ärzte vorgesehen. Die Women‘s International League for Peace and Freedom (WILPF) sieht dies als "eine fundamentale Attacke gegen Frauenrechte durch eine konservative regierende Elite, in enger Kooperation mit der katholische Kirche. Wir sehen Polen auf dem Weg, nicht nur die Europäischen und Internationalen Standards zu brechen, sondern auch die Errungenschaften in der Geschichte der Frauen."
In einem Flyer, der bei der Berliner Kundgebung verteilt wurde, heißt es: "Seit dem Einführung des restriktiven Abtreibungsgesetzes 1993 versuchen jährlich 80 bis 200 Tausend Frauen ihre Schwangerschaften selbst abzubrechen - illegal und unter gefährlichen Bedigungen. Sie sind Stress, Demütigung, extremen Gesundheitsrisiken und sogar Lebensgefahr ausgesetzt. Der sogenannte "Kompromiss" der "herrschenden Klasse" (so formuliert es der Flyer) rettet keine Leben, im Gegenteil, er macht Frauen das Leben zur Hölle und bringt es in Gefahr." (Übersetzung: Laura Wartschinski und Sara Nowak)
Die Frauen fordern deshalb die Möglichkeit einer legalen, sicheren und freien Abtreibung auf Wunsch der Frauen. Zudem eine freie und zuverlässige Gesundheitsversorgung und qualifizierte Beratung.
Um die Zahl der ungewollten Schwangerschaften zu reduzieren wollen sie einen allgemeinen Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln und anstelle religiöser Indoktrination in den Schulen eine obligatorische Sexualerziehung.
Darüberhinaus wird für alle Frauen mit Kinderwunsch die finanzielle Unterstützung für in-vitro-Befruchtung gefordert sowie darüber hinaus ein garantierter Platz für jedes Kind in kostenlosen öffentlichen Krippen und Kindergärten.
Die Idee eines eintägigen Frauen-Abwesenheits-Streiks am Montag kam von der herausragenden Schauspielerin Krystyna Janda. Sie hat auf Ihrer Facebook-Fanpage zu einem bundesweiten Protest aufgerufen, ähnlich dem des so genannte "Schwarzen Donnerstag" in Island im Jahr 1975. Damals kam es zu einem ersten Frauenstreik – 95 Prozent isländischen Frauen nahmen an dem Streik für die Gleichberechtigung teil und legten das Land lahm. Heute ist Island bei der Gleichberechtigung weltweit Nummer eins.
"Wir, unsere Partner, unsere Töchter und Söhne brauchen Aufklärung und Wissen, wir brauchen erschwingliche Empfängnisverhütung und weise Ärzte statt Verbote. Wir brauchen soziale Programme, Kinderbetreuungseinrichtungen, Hilfe für allein erziehende Mütter, Strafverfolgung für nicht geleistete Unterhaltszahlungen und Freundlichkeit der Behörden", so heisst es in dem Aufruf zum Berliner Solidaritätsprotest. Und weiter: "Wir sind nicht einverstanden mit dem Mangel an Respekt für unsere Rechte und unseren Körper. Wir wollen selbst über unser Leben und unsere Gesundheit entscheiden."
30 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Leider kann ich an einem Frauen-Streik nicht teilnehmen.
Frank Nicolai am Permanenter Link
ich war auch bei der Demo ;-)
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Demo ist ja kein Problem. Doch wie soll ich als Frau streiken? :-)
Andrzej Wendryc... am Permanenter Link
Danke Frank. Ich war auch bei den beiden Protesten in Warschau dabei.
Kay Krause am Permanenter Link
Na, sehen Sie, B.K., es geht doch!
Kay Krause am Permanenter Link
Warum nicht, lieber Bernd Kammermeier? Nicht aufgeben, immer wieder neue Versuche starten! Irgendwann wird's schon klappen.
Ilse Ermen am Permanenter Link
Letzte Möglichkeit wäre ja, sich als transsexuell zu erklären, aber, Scherz beiseite – warum nicht eine Männersolidaritätsbewegung ins Leben rufen?
David am Permanenter Link
wenn dadurch Frauenrechte massiv eingeschränkt werden, warum treten Frauen dann nicht aus den Kirchen aus. wenn mir als Mann etwas verboten wird, trete ich auch aus. also mir ist das schleierhaft...
Kay Krause am Permanenter Link
Lieber David, das ist in Polen nicht so ganz einfach. Die katholische Kirche ist hier ein Teil des selbstverständlichen Lebens. Und Sie können das nicht mit deutschen Verhältnissen vergleichen.
und nur wenige Menschen trauen sich, den althergebrachten Traditionen zu entsagen.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Erstens: Dass das Abtreibungsrecht meistens als Frauenrecht gesehen wird, möchte ich hinterfragen. Nach meinen Erfahrungen sind es öfter die Väter als die Mütter, die zuerst eine Abtreibung wollen.
Zweitens: Slogans wie "Meine Vagina = meine Entscheidung" sind wenig hilfreich. Zugegeben: Ein seriöses Argument passt nicht auf einen Pappkarton. Aber jede ernsthafte Diskussion zum Thema Abtreibung endet bei den schwierigen Fragen: Was ist Leben? Was ist ein Lebewesen? Was macht einen Menschen aus? Woher (wenn überhaupt) hat der Mensch ein Recht auf Leben? Denn: Wenn ein Embryo ein Mensch mit Menschenrechten ist, dann darf er selbstverständlich nicht getötet werden, ganz egal, ob er sich in einem Uterus befindet oder in einem Brutkasten.
Die meisten Abtreibungsdiskussionen werden ausschließlich auf emotionaler Ebene geführt. Das ist als Entscheidungskriterium, wenn es um das Leben von Millionen (Menschen / Nochnichtmenschen / Zellhaufen / Kaulquappen) geht, wenig hilfreich. Ich sage das, obwohl ich bei diesem Thema selbst sehr emotional werde.
Meine Position ist einfach: Im Zweifelsfall für das menschliche Leben. Dazu brauche ich übrigens keinerlei religiöses Argument.
libertador am Permanenter Link
Ein Embryo ist ein potentiell menschliches Leben, aber er ist noch kein menschliches Leben. Er hat auch noch keine eigenen Empfindungen (je nach Stand der Schwangerschaft).
Mit welchem (nicht-religiösen Argument) darf man den Embryo Ihrer Meinung nach nicht töten? Ich habe bei Ihnen keines gefunden. Sie schreiben nur Ihre Position.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Sie haben recht - ich habe tatsächlich nur meine Position geschrieben und darüber hinaus Fragen gestellt.
Die Begründung meiner Position:
Der Mensch verändert sich ständig (in Hinblick auf seine atomare Zusammensetzung, seine neuronalen Verbindungen, seine Wahrnehmung u.s.w.), bleibt aber dennoch immer derselbe (nicht der gleiche). Das bedeutet: Beim Kind handelt es sich um dasselbe Lebewesen wie beim erwachsenen und beim alten Menschen. Es gibt keinen Grund, im Embryo vor vorhinein etwas anderes zu sehen als im geborenen Menschen, nur weil er (atomar oder neuronal) anders ist. Ich war als Embryo derselbe wie heute und werde als Greis noch immer derselbe sein, selbst wenn sich viele Akzidenzien geändert haben werden - das ist zunächst eine instinktive Aussage und noch kein wissenschaftliches Argument. Aber: wer anders denkt, muss es widerlegen.
Sie haben einige Gegenargumente gebracht (sehr sachlich, so wie ich mir das von einer Diskussion wünsche).
Als erstes: die Empfindungen. Solche hat ein Embryo in den ersten zwei Monaten wahrscheinlich noch nicht, im dritten Monat hat er sicher schon welche. Aber was sagt das über die Menschlichkeit? Ein ohnmächtiger oder sogar komatöser Mensch wird auch gemeinhin als Mensch betrachtet, selbst wenn er momentan keine Empfindungen hat. Er wird voraussichtlich (hoffentlich) später wieder welche haben - dasselbe gilt für den Embryo.
Als zweites: die personale Identität und die Erlebnisposition. Die ändert sich im Laufe des Lebens. Aber, wie ich am Anfang geschrieben habe: auch wenn ein Mensch reift und hoffentlich immer weiser wird, so bleibt er doch derselbe. Ich habe bis jetzt viel erlebt und werde hoffentlich noch viel mehr erleben. Meine Erlebnisse haben schon vor langer Zeit angefangen - bei Erfahrungen, an die ich mich nicht erinnern kann, die ich gar nicht bewusst wahrgenommen habe, die aber doch mein weiteres Leben geprägt haben. In der frühen Kindheit können das Erlebnisse sein, die Neuronenverknüpfungen bewirken. Im Embryonalstadium können das Erlebnisse sein, die bestimmte Hormone ausstossen oder Gene ein- oder ausschalten. Ich sehe da keinen prinzipiellen Unterschied bezüglich "Erlebnisposition".
Zu den Genen: Das Gene belegen immerhin, dass ein Embryo nicht der Körperteil einer Frau ist. Was Sie erfreulicherweise auch nicht behauptet haben. Aber das billige "Mein Bauch gehört mir" kann durch das Genargument entschärft werden.
Warum ich gegen die Tötung von Embryonen bin? Weil ich sie für Menschen halte. Weil das Entscheidende am Menschen nicht sein momentanes Bewusstsein ist, schon gar nicht sein Schmerzempfinden. Sondern (abgesehen von theologischen Erwägungen) seine Fähigkeit, sich zu entwickeln, sich selbst und seine Umwelt zu gestalten, sich zu wandeln, seine anatomischen Grenzen zu sprengen und etwas Neues zu werden. All diese Fähigkeiten sind im Embryo schon angelegt, manche kommen im 2. oder 3. Monat schon zur Geltung.
Im Vollsinn wird der Mensch diese Fähigkeiten erst ab seiner Jugend erwerben. Manche Ethiker halten deshalb die Tötung von Säuglingen auch für weniger verwerflich als die Tötung Erwachsener. Das ist dann zwar konsequent gedacht, aber widerspricht meiner Auffassung einer menschlichen Solidargemeinschaft diametral.
Ich empfehle als Gradmesser bei Argumenten für ein Recht auf Abtreibung: Könnte ich dasselbe Argument auch verwenden, um Säuglinge oder geistig schwer Behinderte zu töten? Oft wird die erschreckende Antwort lauten: Ja. Dann muss man entweder konsequent sein und Säuglingen und geistig Behinderten das Lebensrecht absprechen oder das Argument fallenlassen.
Dieser letzte Absatz war jetzt aber, zugegeben, von mir nicht mehr sachlich sondern emotional.
libertador am Permanenter Link
1. Nur weil es das gleiche Lebewesen ist, muss es nicht die gleichen Rechte haben. Auch bei Identität können sich die Rechte, um die es hier geht ändern.
3. Der Embryo hat noch keine Erlebnisposition, sondern wird eine bekommen und dann sollte man ihn auch mehr berücksichtigen.
4. "Mein Bauch gehört mir" bringt meine Meinung nach die politische Komponente herein, die bei dem politischen Umgang mit Abtreibung zentral ist. Ob Abtreibung moralisch legitim ist, darüber kann man diskutieren. Ein Verbot von Abtreibung hat aber zu viele negative Konsequenzen, die ebend auf den Frauen abgeladen werden. Ein Verbot der Abtreibung hat massive Konsequenzen für die Lebensfreiheit und medizinische Sicherheit von Frauen.
Im Gegensatz zu Säuglingen kann diese Verantwortung durch die Frau auch nicht an die Solidargemeinschaft abgegeben werden, im Gegensatz zu späteren Stadien nach der Geburt. Eine Schwangerschaft ist zwar hierzulande sicher, aber trotzdem mit medizinischen Risiken und Einschränkungen (zum Beispiel bei der Wahl von Medikamenten) verbunden.
5. Die Fähigkeit des Embryos sich zu Entwickeln kann Möglichkeiten der Frau Ihre Umwelt zu gestalten widersprechen. Der Embryo hat aber (noch) keine Vorstellung dieser Möglichkeiten und spürt nichts davon im Gegensatz zu der Frau.
6. Säuglinge und geistig schwer Behinderte legen nicht Einzelpersonen direkt eine Last auf, sondern einer Gemeinschaft. Im Konfliktfall kann einer Einzelperson die gesamte Verantwortung und verbundene Risiken abgenommen werden. Belastungen dadurch müssen nicht gegen Ansprüche und Ziele Einzelner abgewogen werden. Außerdem erleben diese in der Regel etwas, zum Beispiel Schmerzen und damit haben sie auch direkte Interessen, im Gegensatz zu einem Embryo.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
1. Das Recht auf Leben ist aber fundamental.
2. Warum aber sollen frühere Empfindugen oder Zukunftspläne mehr Recht auf Leben verleihen als zukünftige Empfindungen oder Zukunftspläne? Übrigens haben Embryos im dritten Monat längst Empfindungen (zwar nicht Zukunftspläne, aber Tastsinn)
3. siehe zwei: Warum ist die Vergangenheit mehr wert als die Zukunft?
4. Eine Schwangerschaft kann die Solidargemeinschaft einer Frau tatsächlich nicht abnehmen. Aber man kann viel unternehmen, um schwangeren Frauen auf dem Weg zur Geburt zu helfen. Das Kind zu töten ist oft genug nur das Ergebnis einer fehlenden Information über praktische materielle Hilfe.
Zum schönen (das ist ernst gemeint!) Wort "Solidargemeinschaft": Zu meiner Solidargemeinschaft gehören auch die Embryos.
Dass bei Schwangerschaften die Last fast zur Gänze bei den Frauen liegt, trifft zu. Eine Tötung aus purer Verzweiflung bleibt aber eine Tötung, die man nicht erlauben darf. Wenn eine überforderte Alleinerzieherin in Deutschland, die ohne Hilfe mit vier Kindern dasteht, diese tötet, dann ist das traurig und auch die Frau hat mein Mitleid. Aber ich würde nicht sagen "Das war ihr gutes Recht".
5. Rechte enden immer an den Rechten anderer.
Auch unbekannte (und "ungespürte") Rechte bleiben unantastbar. Oder darf man einen Menschen bestehlen, wenn er es nicht merkt? Darf man ihm z.B. unbemerkt einen Lottogewinn vorenthalten? Oder macht es einen Unterschied, ob man einen Menschen schmerzlos im Schlaf tötet oder ihn nach Ankündigung von vorne erschießt?
6. siehe 5. und 4.
Wenn man von einem Menschen die Fähigkeiten der Schmerzempfindung und der Lebensplanung für die Dauer von neun Monaten abzieht - ist es dann wirklich kein Mensch mehr?
Wenn ein Mensch im Koma liegt, und man weiß, dass er nach seinem Aufwachen keinerlei Erinnerung mehr haben wird, aber sonst wird er ganz gesund sein - dann entspricht er ziemlich genau einem Embryo. Darf man ihn töten?
Der Unterschied zur Schwangerschaft besteht darin, dass - wie Sie dargelegt haben - für den Embryo und den Fötus die Frau (fast) ganz alleine zu sorgen hat, rund um die Uhr. Ob das zumutbar ist und ein größeres Übel als die Tötung eines Menschen (wenn es ein Mensch ist), bleibt abzuwägen.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Wie würde ein Abtreibungsgesetz aussehen, wenn bei der Gesetzgebung ausschließlich die Betroffenen (also nur Frauen) mitreden dürften und nicht AUCH diejenigen, die mit mit Kinderkriegen NIX zu tun haben, z.B.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Obwohl ich keine Frau bin, betrachte ich mich sehr wohl als betroffen. Ich war nämlich einmal ein Embryo und bin deshalb mit den jetzigen Embryos solidarisch.
Jetzt lässt sich sehr trefflich diskutieren, ob meine obige Hypothese stimmt. War ich wirklich einmal ein Embryo? Die DNA war dieselbe, die Moleküle großteils nicht. Kann ein Embro überhaupt ein "Ich" sein? Einerseits war ich damals sehr anders als heute - ich dachte auch später als Kind sehr anders als heute - , andererseits haben die Umwelteinflüsse seit meiner Empfängnis mich erst zu dem gemacht, was ich heute bin. Viele offene Fragen!
Wenn Embryos Menschen sind, dann verdienen sie eine Lobby, so wie auch Schimpansen oder Kindersklaven oder Schwerstbehinderte eine Lobby verdienen - gerade weil sie sich nicht selbst lautstark artikulieren können.
OB Embryos Menschen sind - das ist die anspruchsvolle Frage, die einer seriösen Diskussion bedarf. Beiträge von Medizinern, Anthropologen, Juristen, Philosophen und Biologen der verschiedenen Fachrichtungen werden erhofft. Mit theologischen Beiträgen will ich mich diesmal zurückhalten, um streng bei diesem wichtigen Thema zu bleiben.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
IMHO Embryos sind noch keine Menschen. Sie sind eine Zellenansammlung mit dem Potential Menschen zu werden.
Die Frage, ab wieviel Zellen oder ab welchem Entwicklungszustand das Fötus als Mensch betrachtet werden muss, lasse ich auch offen. Es wäre natürlich sehr schön, wenn diese Frage einmal und eindeutig geklärt wäre.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
S.g. Herr Schiemert!
Auch Sie und ich sind Zellenansammlungen. Wir sind halt größer und komplexer organisiert als Embryos. Aber auch ein Embryo zu Beginn des dritten Monats ist ein Wunderwerk, das alle Ingenieurskunst in den Schatten stellt (genaugenommen gilt das schon für den Einzeller).
Genau Ihre Feststellung "ab wieviel Zellen oder ab welchem Entwicklungszustand das Fötus als Mensch betrachtet werden muss, lasse ich auch offen" ist für mich das Hauptargument gegen Abtreibung: Im Zweifelsfall wird man sich gegen eine Tötung entscheiden.
Wenn man aber eine Grenze zieht, und sei es eine der Art "vor der dritten Woche sicher kein Mensch, dann wissen wir es nicht genau, ab dem siebenten Monat sicher ein Mensch" (Zahlen variabel) - dann muss man vorher Kriterien aufstellen, was das Mensch-Sein ausmacht. Und genau das ist überraschend schwierig.
Ein Genetiker wird z.B. einen anderen Zugang haben als ein Mediziner, vom Juristen ganz zu schweigen.
Aber eine Klärung oder zumindest eine Konvention ist dringend notwendig. Immerhin geht es um Menschenleben. Hunderte jeden Tag alleine in Deutschland.
Bis dahin sollte man vorsichtig sein und im Zweifel einen Mord vermeiden.
Petra Pausch am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Schönecker,
allein Ihre Wortwahl verrät Sie: Wer Abtreibung meint und von "Mord" spricht, wertet. Und verrät seinen weltanschaulichen Hintergrund.
Es ist allein das Recht der Mutter (woher wollen hier einige immer nur wissen, dass es die Männer sind, die eine Schwangerschaftunterbrechung fordern?), zu entscheiden, was in und mit ihrem Körper geschieht. So wie das jeder Mensch entscheiden darf. (Selbstverständlich sollten die männlichen Erzeuger befragt werden.=
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Sehr geehrte Frau Pausch!
Natürlich werte ich. Die vorsätzliche Tötung eines Menschen ist Mord. Und das werte ich als Verbrechen.
Die Rechte eines Menschen enden immer an den Rechten anderer Menschen. Und im Fall eines Embryos ist dieser Mensch nun einmal im Körper seiner Mutter - und dort enden dann auch die Rechte der Mutter.
Wieder: Deshalb ist es mir so wichtig zu klären, ob ein Embryo ein Mensch ist.
Da ich die Ansicht vertrete, dass der Embryo sehr wohl ein Mensch ist, halte ich Abtreibung also für Mord - so lange die Schwangerschaft ohne akute Lebensgefahr der Mutter verläuft.
Bewiesen ist diese meine Annahme aber keineswegs. Deshalb suche ich immer nach Argumenten in beide Richtungen. Das habe ich, glaube ich, oft genug geschrieben.
Mein weltanschaulicher Hintergrund spielt dabei keine Rolle.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Hallo Herr Schönecker,
IMHO es ist wichtig zugeben, dass so eine Grenze zwischen der Zellsammlung und Mensch EXISTIERT. Wo diese Grenze liegt ist nur die nächste Frage und ich bin leider nicht vom Fach um was Kluges darüber zu sagen. Schön wäre hier ein allgemein akzeptierter, wissenschaftlich gut nachvollziehbarer Konsens, aber das ist eher nur ein Traum. Egal wie viele Wissenschaftler das gleiche sagen würden, es wird immer ein einflussreicher Religionsführer (oder ähnlicher) geben, der alles besser weißt.
Und, wie schon hier fast alle sagen, bei einer Abtreibung muss die potentielle Mutter das letzte Wort haben. Das ist auch Zeichen für die Wertschätzung aller Frauen. :-)
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Schiemert!
Ich persönlich glaube nicht, dass eine solche Grenze zwischen der Zellsammlung und Mensch existiert. Ich kann meine Meinung aber auch nicht beweisen - schon allein deshalb nicht, weil die Definition für "Mensch" fehlt. Deshalb reite ich ja auch so auf den Grundsatzfragen herum. Erst nach der Klärung, ob ein Embryo ein Mensch ist und ein Recht auf Leben hat (die nächste Grundsatzfrage), kann man dieses Recht gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau abwägen. Vorher ist ein Abwägen mangels geeichten Gewichtes nicht möglich.
Ein Genetiker kann eindeutig sagen, dass es sich beim Embryo um ein menschliches Genom handelt. Dann stellt sich für den Biologen die Frage: Kann man den Embryo schon als fertiges Lebewesen bezeichnen?
Eine Analogie, bei der die Wissenschaften umgedreht sind, bietet die Frühgeschichte: Der erwachsene Homo habilis (z.B.) war ganz sicher ein fertiges Lebewesen. Dafür kann der Genetiker nicht mit Sicherheit feststellen, ob er ihn als Menschen bezeichnen soll. Hier gibt es sicher fließende Grenzen - eine Grenzziehung ist nicht möglich. Vielleicht ist es beim Embryo auch so - aber eben nur vielleicht. Mir fehlen dazu die Daten und die Argumente.
Jede Grenzziehung erscheint mir willkürlich. Aber juristisch gesehen ist sie notwendig. Nur: Welches Kriterium wird angewendet? Leidensfähigkeit? Wahrnehmungsfähigkeit? Fähigkeit zum Leben außerhalb der Mutter? Sprachfähigkeit? Bewusstsein seiner selbst? Entstehung des eigenen Genoms? Herzschlag? Hirnströme? - Das führt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen!
All die genannten Dinge (und noch viele mehr) zusammen führen zum Menschen in der Vollform. Ein Recht auf Leben aber kann man nicht langsam, sich entwickelnd erwerben, das ist juristisch nicht möglich. Hier liegt das Problem.
Wenn man das Recht auf Leben als fundamentales Menschenrecht sieht, dann muss man damit aber sehr, sehr sorgfältig umgehen. Ein "Wir gestehen es Ungeborenen erst ab der dreizehnten Woche zu", ohne irgendeine Begründung anzuführen - nein, das halte ich nicht für sorgfältig.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Hallo Herr Schönecker,
die Grenze, worüber ich gesprochen habe, ist eher eine Grauzone, in der man nicht weiß, ob die Zellsammlung bereits ein Mensch ist oder nicht. Aber diese Grauzone fängt mit Sicherheit nicht bei Befruchtung einer Eizelle an, sondern Tage, Wochen oder Monaten später und endet mit Sicherheit noch vor der Geburt. (Bin immer noch kein Fachmann).
Konrad Schiemert
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Schiemert!
Wir sind offenbar beide keine Fachleute, und es haben sich hier auch bislang keine gemeldet. Warum auch. Fachleute haben wahrscheinlich Besseres zu tun, als im Internet zu posten (das war jetzt überhaupt nicht zynisch, sondern ganz ehrlich gemeint).
Was Sie über die Grauzone geschrieben haben, entspricht genau dem, was ich am 6.10. um 19:30 geschrieben habe. Wie es bei der Evolution des Menschen einen langsamen Übergang vom Nicht-Menschen zum Menschen (vielleicht) gegeben hat, so könnte es auch beim Embryo sein.
Aber auch dann braucht man irgendwelche Maßstäbe. Ohne Maßstäbe kann man auch nicht die Behauptung aufstellen, dass diese Grauzone "mit Sicherheit nicht bei der Befruchtung einer Eizelle" anfängt. Warum denn nicht?
Oder auch: Warum endet sie mit Sicherheit noch vor der Geburt? Es gibt auch Menschen, die dieses bestreiten.
Solange ich keine stichhaltigen Argumente dafür habe, dass der Mensch (oder, um genau zu sein, dessen Recht auf Leben) erst später beginnt, wähle ich als Zeitpunkt sicherheitshalber den frühestmöglichen: die Befruchtung. Vorher sind Ei- und Samenzelle, rein genetisch, Körperteile von Mutter bzw. Vater. Nachher nicht mehr.
Alles Gute, und Danke für das geduldige Lesen und Ihre stets höflichen Antworten!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Da sich die Bibelautoren die Entstehung des Lebens nicht erklären konnten (mit der Entstehung des Lebens an sich haben viele bis heute auch noch ein Problem), hilft die Theologie bei der Frage der Abtreibung genauso w
Schön, wenn Sie das Geschwurbel aus der Bronzezeit mal beiseite lassen.
Wenn ich Ihre Beiträge zu diesem hochkomplexen und an ethische Grenzen vorstoßenden Themas lese, dann fällt mir eines auf: Die Rechte der Frau scheinen für Sie nicht die geringste Rolle zu spielen. Geradeso, als sei es das Pech der Frau, schwanger zu werden. Ab da - egal welche Umstände zu den anderen Umständen führten, egal, was die Medizin zu dem entstehenden Kind sagt, die Frau muss tapferer sein, als eine Nonne, die sich diesen emotionalen Stress von vorneherein erspart.
Wann ist ein Mensch ein Mensch? ist nicht die entscheidende Frage. Die Frau - diese Frage ist nämlich längst beantwortet - ist definitiv ein Mensch. In den meisten Fällen mag die Erkenntnis der Schwangerschaft mit Freude aufgenommen werden, mit Vorfreude auf das Elternwerden (entweder mit Mann oder mit Frau, wenn die werdende Mutter eine lesbische Beziehung lebt). Vielleicht freut sie sich auch als alleinerziehende Mutter. Wie auch immer...
Aber was ist, wenn sich keine Freude einstellen mag? Wenn das Kind aus einer Vergewaltigung stammt, wenn Ärzte zweifelsfrei diagnostizieren, dass das Kind nur ein kurzes Leben unter Qualen haben wird?
Haben wir das Recht, die Rechte der Frau völlig auszuhebeln und sie dazu zu zwingen, quasi als Gefäß für werdendes Leben zu fungieren, das zwar für seine Entstehung oder Gendefekte nichts kann, aber trotzdem darunter leiden wird. Was, wenn die Mutter dieses Kind zur Adoption freigibt? Was, wenn sie im Laufe der Schwangerschaft eine emotionale Beziehung zu dem Kind aufgebaut hat und nun entweder darunter leidet, das Kind zu behalten oder es wegzugeben. Cholera oder Pest?
Wir Menschen können sehr aufopferungsvoll sein. Früher gab es Mütter, die haben sich für zehn oder zwölf Kinder aufgerieben, haben kein eigenes Leben gehabt in einer Weise, die heute selbstverständlich geworden ist.
Und das ist gut so. Es gibt viel zu viele Menschen auf unserer begrenzten Welt. Wenn unser Ziel ist, dass eines Tages alle Menschen gleiche Chancen und gleiche Versorgung haben, dann müssen wir die Zahl der Menschen verringern. Daher war die Entdeckung des eigenen Lebens eine der wichtigsten Errungenschaften des Menschen. Wir sind nicht nur Samenzellenlieferanten oder Geburtsgefäße für die nächste Generation, die wir so lange aufpäppeln, bis sie die übernächste Generation zeugen, gebären und aufpäppeln kann.
Moderne Medizin und Hygiene haben diesen Kreislauf durchbrochen. Frauen haben Heim und Herd verlassen, um eigenständig zu leben. Daher dürfen sie sich auf Kinder freuen, sie dürfen aber auch geschockt sein, wenn sie nach einer Vergewaltigung schwanger sind und sie dürfen einen Embryo aus purstem Mitleid (Sie würden sagen: aus Nächstenliebe) auch sterben lassen, wenn sicher feststeht, dass er nie ein unbeschwertes Leben haben kann, dass er aber eines Tages - vielleicht noch als Kind - mit dem Wissen seines baldigen Todes in einem Kinderhospiz sterben wird.
Der Embryo weiß nichts um seine eigene Existenz. Eine "Seele" hat er sowieso nicht (und selbst hier sähe die Religion noch eine "seelenlose" Karenzzeit). Ist dies nicht eine höchst humane Entscheidung, dieses Wesen nie Kind mit sicherer Todeserwartung werden zu lassen? Ist es nicht besser, wenn die Frau dann noch einmal schwanger werden kann, um einem gesunden Kind eine glückliche Zukunft zu ermöglichen? Eine Zukunft, in der Mutter UND Kind ihr Leben leben können?
Früher hat uns die Natur dieses Entscheidungen abgenommen. Kranke Kinder, Frühchen sind gnadenlos aussortiert worden (in Ihrer Welt ist "Gott" der Verantwortliche). Aber das war früher gut und richtig - so grausam es im Einzelfall erscheinen mag. Dies hat die Evolution so gehandhabt, seit die chemische in die biologische Evolution überging. So wurden schwache oder schlechte (= lebensunfähige) Gene aussortiert.
Aus diesem Grund mussten Frauen früher ihr Leben lang Kinder gebären - unter Schmerzen gebären, wie ihr lieber "Gott" die Frauen vor den Toren des Paradieses verfluchte. Wie gesagt: heutige Medizin macht diese Massenproduktion mit extrem hohem Ausschuss überflüssig. Die Zahl der heute durch Abtreibung getöteten Embryonen ist klein im Vergleich zur Kindersterblichkeit im vorletzten Jahrhundert - noch kleiner, als die ebenfalls deutlich geringere Zahl von Geburten. Und trotzdem ist die Bevölkerung nicht vom Aussterben bedroht.
Das hat der Mensch erreicht, nachdem er die Fesseln der Religion weitgehend überwunden hatte, die einerseits zur Massenvervielfältigung aufrief und andererseits im Mittelalter Frauen mit medizinischen Kenntnissen als Hexen verbrannte.
Unter dem Strich bleibt festzuhalten: In "religiösen Zeiten" mussten Frauen auf Teufel komm raus Kinder gebären, oft mit dem Ergebnis ihres eigenen frühen Todes im Wochenbett, Empfängnisverhütung durch die Weisen Frauen wurde mit dem Tod bestraft, Masturbation als Todsünde geächtet (was machen eigentlich katholische Priester?).
Seit sich die moderne Gesellschaft entwickeln konnte, ist die Geburtenrate drastisch gesunken, d.h. wesentlich mehr Kinder haben die Chance, ein glückliches Leben zu führen, als in "religiösen Zeiten". Jetzt gibt es noch einige Zweifelsfälle (die früher aus technischen Gründen nicht existierten), bei denen wir aus empathischen Gründen einem im Entstehen begriffenen Menschen ein Leben in Qual ersparen können - oder einer Mutter unendliche Gewissenkonflikte (wobei auch ein Schwangerschaftsabbruch wahrhaftig kein Zuckerschlecken ist). Doch wenn wir es schaffen, beide Interessen - die des Kindes UND die der Mutter - gegeneinander fair abzuwägen (und mal für einen Moment die "auf-Teufel-komm-raus-Kinder-krieg-Mentalität" der Religionen außer Acht lassen), dann wird diese Gesellschaft noch besser Hilfe denen zugute kommen lassen, wir im Laufe ihres Leben erkranken oder verunfallen.
Denn auch das darf nie vergessen werden: Kinder, die krank auf die Welt kommen und nie mehr gesund werden, kosten die Solidargemeinschaft der Krankenkassenbeitragszahler trotzdem Geld, das nun (inklusive der Ärztekapazität) anderen Hilfsbedürftigen nicht zugute kommen kann.
Es gibt also durchaus eine Menge Punkte, die mich gerade unter dem schwülstigen Begriff der "Nächstenliebe" zu dem Ergebnis kommen lassen, dass Abtreibungen (die sowieso nie die Chance haben, zum Volkssport für Frauen zu werden) ein nützliches Werkzeug sind, das Frauen als Option unbedingt erhalten bleiben muss.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Kammermeier!
Auf Ihre diversen Provokationen aus Religion und Kirchengeschichte gehe ich diesmal nicht ein. Es geht mir nämlich wirklich um das Menschenrecht auf Leben. Für alle Menschen.
Sexualmoral, Geld, Volkstümelei oder historische Diskussionen müssen hintanstehen, wenn es um das Leben von Menschen geht.
Neun beschwerliche Schwangerschaftsmonate müssen auch hintanstehen, wenn es um das Leben eines Menschen geht. Selbst die Gefährdung eines Studienabschlusses rechtfertigt keine vorsätzliche Tötung eines Menschen.
Bei fast allen Abtreibungen geht es in der Praxis darum, dass die Mutter (oder, wahrscheinlich sogar häufiger, der Vater) im Leben gerade etwas anderes geplant hat. Es geht um Geld; um Zeit; um die Freiheit, vielleicht doch demnächst den Partner/die Partnerin zu wechseln. Das mag wichtig sein. Aber so wichtig, dass man dafür einen Menschen tötet, ist es nicht.
Dann gibt es die echten Härtefälle:
) schwere Behinderung
In der Praxis ist die - bislang - sehr selten in den ersten fünf Schwangerschaftsmonaten nachzuweisen. Das würde aber auch keinen Unterschied machen. Denn: Sollte man es erlauben, neugeborene, jugendliche oder erwachsene Behinderte zu töten? Hätte ein sensibler Mensch jemals die Frechheit, in einem Behindertenheim zu fragen: "Sagt mal, findet ihr nicht auch, dass euer Leben nichts wert ist? Wäret ihr nicht lieber abgetrieben worden?"
Ich habe in einem Heim für schwerstbehinderte Jugendliche Zivildienst geleistet. Ich kann allen Menschen versichern: Die Jugendlichen dort hatten viel Lebensfreude! Sie zu töten wäre purer Mord gewesen, keine Erlösung.
) Vergewaltigung
Es erscheint mir Paradox, dass bei uns das Leben der Vergewaltiger geschützt wird, das Leben der dadurch gezeugten Kinder nicht. (Ich finde, beides gehört geschützt).
Am stärksten erscheint mir Ihr Argument: Die Frau baut instinktiv eine innige Beziehung zum Kind auf, welches ihr andererseits ständig das Verbrechen vor Augen führt und evtl. das Trauma verlängert (ich hoffe, ich habe Sie richtig verstanden).
Ein Gegenargument wäre: Ein Gewaltakt im Intimbereich der Frau kann unmöglich durch einen weiteren Gewaltakt im Intimbereich der Frau geheilt werden.
Ich würde Frauen (und allen Menschen allgemein) empfehlen, den Hass durch Liebe und Vergebung zu besiegen.
Im speziellen Fall einer Schwangerschaft durch Vergewaltigung hieße das: die perfekte Bewältigung besteht darin, dass die Frau das Kind als ihr Kind annimmt und es liebt - genau das Kind, das durch einen Akt von rohester Gewalt und Lieblosigkeit entstanden ist. Zu lieben, dort wo Hass herrscht, ist der Gipfel der Menschlichkeit.
Wie gesagt, das wäre perfekt. Perfektion kann man nicht verordnen. In den meisten Fällen werden solche Kinder zur Adoption freigegeben oder in einem Heim aufwachsen.
(Falls jetzt kommt: "Aber Heimkinder haben schlechtere Chancen im späteren Leben!" - Stimmt. Aber rechtfertigt das, Heimkinder zu töten? Warum dann Embryos, die vielleicht später in ein Heim kommen?)
Ich gestehe einfach Embryos dasselbe Lebensrecht zu wie Kindern und Erwachsenen. Deshalb ist eine Tötung des Embryos nur in einem einzigen Fall legitim: Wenn das Überleben der Mutter AKUT gefährdet ist.
Dass die Frauen die Mühen (und hoffentlich auch Freuden) der Schwangerschaft haben, kann ich nicht ändern. Aber ich bin jederzeit bereit, mich dafür einzusetzen, dass Väter sich an der Kinderbetreuung mehr beteiligen. Davon hätten alle etwas: Kinder, Mütter und die Väter selbst.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Lieber Herr Schönecker,
"Bei fast allen Abtreibungen geht es in der Praxis darum, dass die Mutter (oder, wahrscheinlich sogar häufiger, der Vater) im Leben gerade etwas anderes geplant hat. Es geht um Geld; um Zeit; um die Freiheit, vielleicht doch demnächst den Partner/die Partnerin zu wechseln. Das mag wichtig sein. Aber so wichtig, dass man dafür einen Menschen tötet, ist es nicht."
Sie wollen nicht verstehen, dass aus einem Zellklumpen erst ein Mensch wird, so wie ich Menschsein definiere: eine Lebewesen, dass sich seiner bewusst ist. Denn wäre Ihre Gleichung "embryonaler Zellklumpen = erwachsener Zellklumpen" richtig (mit dem Ergebnis "schützenswert", weil aus Ersterem einmal Letzteres wird), dann wäre auch die Gleichung "lebendiger Zellklumpen = toter Zellklumpen" richtig, denn aus einem lebenden Zellklumpen wird einmal unvermeidbar ein toter Zellklumpen.
So müsste in Ihrer Verstellung jeder Zellklumpen mit menschlichen Genen geschützt werden, während nach meiner logisch identischen Gleichung der menschliche Zellklumpen getötet werden dürfte, weil er sowieso eines Tages stirbt. Beides ist natürlich Unsinn.
Aber das sagt uns, dass die Zellen eines Menschen verschiedene Stadien durchlaufen, die unterschiedliche Ausformungen des Menschen hervorrufen (ungezeugt, gezeugt, erwachsen, tot). Wir gehen also mit den Zellen der Zellklumpen durchaus unterschiedlich um, bis hin zum Verscharren in der Erde oder Verbrennen in einem Krematorium.
"Dann gibt es die echten Härtefälle:"
Es ist schön, dass Sie nach Ihren oben geschilderten "Jux-und-Tollerei-Abtreibungen" (ich interpretiere Sie mal etwas salopp) auch Härtefälle sehen.
") schwere Behinderung
In der Praxis ist die - bislang - sehr selten in den ersten fünf Schwangerschaftsmonaten nachzuweisen. Das würde aber auch keinen Unterschied machen. Denn: Sollte man es erlauben, neugeborene, jugendliche oder erwachsene Behinderte zu töten?"
Ich weiß, dass gerade die katholische Kirche sich vehement sträubt, dass sogar Menschen, die FREIWILLIG aus dem Leben scheiden wollen, entsprechende Hilfen dabei bekommen. "Gott" muss ja alles irgendwie "wegatmen", sonst ist das sündhaft. Religion ist Leiden!
Mutter Teresa hätte sicher ihre schiere Freude daran gehabt, möglichst viele behinderte und schwer leidende Kinder aufzupäppeln. Vielleicht würde sie die als ihre "Jesus-Kinder" bezeichnet haben, weil sie so wunderbar die Passion durchleiden.
Ein ethischer Mensch denkt jedoch nicht in diesen Dimensionen. Ihm geht es um Leidminderung. Und das kann sein, einem Menschen einen würdevollen selbst bestimmten Tod zu erlauben, aber auch einem noch nicht empfindungsfähigen Zellklumpen mit menschlichen Genen solches Leid von vorneherein zu ersparen. Mir persönlich wäre vollkommen egal gewesen, wenn ich in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten abgetrieben worden wäre, weil ich mir nie Gedanken darüber hätte machen können. Auch den Fehlgeburten ist das egal und die lässt Ihr "Gott" ja auch zu.
"Hätte ein sensibler Mensch jemals die Frechheit, in einem Behindertenheim zu fragen: "Sagt mal, findet ihr nicht auch, dass euer Leben nichts wert ist? Wäret ihr nicht lieber abgetrieben worden?""
Die einzige Frechheit - polemische Frechheit! -, die ich hier lese, ist ihre Frage. Warum sollte jemand diese Frage stellen? Ich stelle einmal eine ebenso schlimme Frage zurück: Hat jemals ein Arzt in eine Vagina gerufen: "He, da drinnen, willst du abgetrieben werden? Keine Antwort werte ich als Zustimmung!"?
"Ich habe in einem Heim für schwerstbehinderte Jugendliche Zivildienst geleistet. Ich kann allen Menschen versichern: Die Jugendlichen dort hatten viel Lebensfreude! Sie zu töten wäre purer Mord gewesen, keine Erlösung."
Sie wollen es nicht verstehen. Was Ihrem Verständnis im Wege steht, wissen wir beide.
") Vergewaltigung
Es erscheint mir Paradox, dass bei uns das Leben der Vergewaltiger geschützt wird, das Leben der dadurch gezeugten Kinder nicht. (Ich finde, beides gehört geschützt)."
Der Vergewaltiger spielt in einer ethischen Debatte über Abtreibung überhaupt keine Rolle. Er ist ein Straftäter der nach rechtsstaatlichen Prinzipien verurteilt wird. Es geht einzig um die vergewaltigte Frau und das ungeborene Leben.
"Am stärksten erscheint mir Ihr Argument: Die Frau baut instinktiv eine innige Beziehung zum Kind auf, welches ihr andererseits ständig das Verbrechen vor Augen führt und evtl. das Trauma verlängert (ich hoffe, ich habe Sie richtig verstanden)."
Ja, das haben Sie.
"Ein Gegenargument wäre: Ein Gewaltakt im Intimbereich der Frau kann unmöglich durch einen weiteren Gewaltakt im Intimbereich der Frau geheilt werden."
Reine Polemik, die völlig an den Fakten vorbeizielt.
"Ich würde Frauen (und allen Menschen allgemein) empfehlen, den Hass durch Liebe und Vergebung zu besiegen."
Jetzt bin ich auch mal polemisch: Warum haben das die christlichen Kirchen in ihrer langen Geschichte nicht hinbekommen, ihren Hass auf praktisch alle, die nicht so wie sie getickt haben, durch Liebe und Vergebung zu besiegen?
"Im speziellen Fall einer Schwangerschaft durch Vergewaltigung hieße das: die perfekte Bewältigung besteht darin, dass die Frau das Kind als ihr Kind annimmt und es liebt - genau das Kind, das durch einen Akt von rohester Gewalt und Lieblosigkeit entstanden ist. Zu lieben, dort wo Hass herrscht, ist der Gipfel der Menschlichkeit."
Wie gesagt: Nicht einmal die christlichen Kirchen sind dazu imstande. Sie erwarten Übermenschliches.
"Wie gesagt, das wäre perfekt. Perfektion kann man nicht verordnen. In den meisten Fällen werden solche Kinder zur Adoption freigegeben oder in einem Heim aufwachsen."
Eine schöne Einsicht, von der aus Sie weiterdenken sollten.
"(Falls jetzt kommt: "Aber Heimkinder haben schlechtere Chancen im späteren Leben!" - Stimmt. Aber rechtfertigt das, Heimkinder zu töten? Warum dann Embryos, die vielleicht später in ein Heim kommen?)"
Erneute Polemik des immer gleichen billigen Zuschnitts. Nebelkerzen, die in der schwierigen Diskussion kein Stück weiterhelfen.
"Ich gestehe einfach Embryos dasselbe Lebensrecht zu wie Kindern und Erwachsenen. Deshalb ist eine Tötung des Embryos nur in einem einzigen Fall legitim: Wenn das Überleben der Mutter AKUT gefährdet ist."
Da sind Sie schon weiter, als andere, die auch diese Abtreibung unter Strafe stellen, gestellt haben bzw. unter Strafe stellen wollen. Und es sind oft genug Katholiken, die solches fordern.
"Dass die Frauen die Mühen (und hoffentlich auch Freuden) der Schwangerschaft haben, kann ich nicht ändern. Aber ich bin jederzeit bereit, mich dafür einzusetzen, dass Väter sich an der Kinderbetreuung mehr beteiligen. Davon hätten alle etwas: Kinder, Mütter und die Väter selbst."
Ein in der säkularen Welt völlig selbstverständlicher Gedanke, der aber rein gar nichts mit dem Thema zu tun hat. Aber da Sie ja einen so guten Draht nach oben haben: Legen Sie für die Frauen doch mal ein gutes Wort bei Ihrem Chef ein, dass er die Leiden wenigstens ein bisschen lindert. Sein Sohn ist doch genau dafür gestorben. Soll das alles umsonst gewesen sein?
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Kammermeier!
Sie sind offenbar nicht in der Lage, ein Thema rein ethisch oder wissenschaftlich, ohne Religion oder Kirchenpolitik, zu diskutieren.
Ich schon.
Vom Anfang dieses Forums an habe ich auf die entscheidenden Fragen gedrängt:
Was ist Leben?
Was ist ein Lebewesen?
Was macht einen Menschen aus?
Woher hat der Mensch ein Recht auf Leben (wenn überhaupt)?
Auf diese Fragen sind Sie in Ihren ersten drei Absätzen eingegangen. Genau genommen gibt es bei Ihnen eine Kernthese, nämlich:
"ein Lebewesen, das sich seiner bewusst ist."
So definieren Sie einen Menschen, und offenbar hängt Ihrer Meinung nach daran auch das Recht auf Leben.
Ähnlich argumentiert auch Peter Singer. Deshalb gesteht er auch konsequenterweise einem erwachsenen Schimpansen mehr Lebensrecht zu als einen neugeborenen Baby. Dessen Schutzwürdigkeit leitet er eher von den Gefühlen der Mutter ab.
Fairerweise sei ergänzt, dass er primär die Schimpansen aufwerten will. Das finde ich dann ja wieder schön.
Aber immerhin: Ein Säugling hat, wenn man das Selbst-Bewusstsein als Maßstab nimmt, weniger Lebensrecht als ein erwachsener Mensch. Ich weiß nicht, ob Sie diese Meinung teilen. Wenn nicht, dann sollten Sie Ihre Grundannahme überdenken.
Man müsste auch als nächstes darüber nachdenken, wie es mit dem Selbst-Bewusstsein von geistig Behinderten (je nach Art der Behinderung) oder Senilen steht. Ist deren Leben weniger schützenswert als das von gesunden Erwachsenen? Ihr Selbst-Bewusstsein ist da doch eingeschränkt.
Warum gerade das Selbst-Bewusstsein der Maßatab für die menschliche Natur sein soll, müsste auch erst argumentiert werden. Immerhin gibt es auch Tiere (besonders, aber nicht nur, Primaten), die das auch können.
Zu sagen: "Wir wählen das Selbst-Bewusstsein als Merkmal für menschliches Leben" erscheint mir etwas willkürlich. Warum nicht die Sprachfähigkeit? Oder den Herzschlag? Oder das einzigartige Genom?
Etwas später stellen Sie noch das Leid als Maßstab für den Wert des Lebens auf. Sie haben geschrieben:
"Es geht (dem ethischen Menschen) um Leidminderung. Und das kann sein, (...) einem noch nicht empfindungsfähigen Zellklumpen mit menschlichen Genen solches Leid von vorneherein zu ersparen."
Man kann zwar nicht den konkret Betroffenen fragen. Aber man kann allgemein Betroffene fragen - nämlich Behinderte, denen dieses Leid nicht von vornherein erspart worden ist: nämlich lebende Behinderte. Deshalb war meine Aufforderung zwar polemisch überspitzt, aber inhaltlich ernst gemeint: zum Thema "Sollen Behinderte abgetrieben werden dürfen?" sollte man am besten Behinderte fragen. Die können am besten beurteilen, ob ihr Leben lebenswert ist.
Meine Begründung dafür, dass ich Embryos die selbe Menschlichkeit und das selbe Lebensrecht einräume wie geborenen Menschen:
Der Wert eines Menschen liegt darin, dass er werden kann, dass er sich entwickeln kann. Die von Ihnen genannte Fähigkeit, sich seiner selbst bewusst zu sein, gehört dazu.
Wenn ich alles Transzendente weglasse, dann bleiben in der Entwicklung des Menschen (damit meine ich seine Persönlichkeit) die Verschaltung seiner Gene, das Ausschütten von Hormonen, neuronale Verbindungen, ... Das beginnt bei der Befruchtung, geht bei der Einnistung weiter und endet beim Tod. Das ist EINE durchgehende Entwicklung ein und desselben Lebewesens. Jede Grenzziehung wäre willkürlich. Und es widerspräche auch jeder gängigen Ethik, zu sagen, dass ein alter Mensch (mit mehr Erfahrungen und Entwicklung) mehr Mensch wäre als ein Teenager.
Meine Selbsterfahrung sagt mir: Ich war nie etwas anderes als ein Mensch, und werde nie etwas anderes sein.
Ihr Argument pränataler - geborener - toter Mensch ist durchaus spannend. Deshalb habe ich auch als erste Fragen gestellt "Was ist Leben" und "Was ist ein Lebewesen"? Was ist denn nun der Unterschied zwischen einem lebenden und einem toten Menschen? Das waren alles keine Suggestivfragen - die sind ernst gemeint. Todernst.
Was Rechte betrifft ist es aber recht einfach: Ein toter Mensch kann keine Rechte mehr ausüben. Ein Embryo schon - nämlich das Recht auf Leben. Wenn er es denn hat.
Andrea Diederich am Permanenter Link
Polen war und ist immer von einem reaktionären Katholizismus geprägt.
Dort herrscht auch immer noch ein christlich geprägter Antisemitismus.
Wolfgang am Permanenter Link
Stellen wir uns doch einmal vor, Männer müssten Kinder kriegen, gewaltfrei oder nach einer Vergewaltigung. Wie schnell würden dann Abtreibungen florieren. Leider nur ein "schöner Gedanke"!