In der türkischen Stadt Kütahya sollen junge Ehepaare über "Ehe und Familienleben" informiert werden. Die Stadtverwaltung gibt Hinweise wie den, dass Frauen, die während des Geschlechtsaktes reden, stotternde Kinder zur Welt bringen.
Einmal abgesehen davon, dass der Autor der Broschüre davon auszugehen scheint, dass jeder Sex zu einem Kind führt, ist es eine Unverschämtheit, dass er glaubt, unter die Bettdecken der Jungverheirateten schauen zu müssen. Doch gut, wenn junge, nicht aufgeklärte (weil gläubig erzogene) Menschen das erste mal "dürfen", dann mag Aufklärung angemessen sein.
Doch das, was die Stadtverwaltung von Kütahya den jungen Eheleuten rät, brachte das ganze Land auf. So gibt es für den (immerhin bereits verheirateten Mann) den Rat, sich doch bitteschön eine "gebärfreudige, liebenswürdige" Frau auszusuchen, aber sie soll Jungfrau sein. Schwierig, das einzuschätzen, wenn man noch nie Sex hatte und die Frau auch erst bei der Hochzeitsfeier kennenlernte.
Der Frau wird mitgeteilt: "Wenn du als Ehefrau beim Sex sprichst, wird dein Kind stottern." Das ist nicht nur völliger Blödsinn, das sagt vor allem etwas über das Frauenbild des Verfassers aus. Hier liest man, was hierzulande seit einen knappen halben Jahrhundert durch die (sexuelle) Aufklärung nur noch Lachanfälle auslösen würde (es sei denn, man ist Mitglied einer ebenso fundamentalistischen Sekte).
Das wird fortgeführt in dem Rat, dass sich der Mann – wenn sich die Frau nicht unterwerfen will – eine zweite nehmen solle, die die erste zur Räson bringen soll. Appelliert wird dabei auch an die innermännliche Solidarität: Denn es "sollte der Mann sich nicht sofort scheiden lassen, damit diese Frau nicht auch noch zum Verhängnis für einen anderen Mann wird."
Wenn das auch nicht hilft – so das rosafarbene Heft, das mit einer Rose und einem Herzen auf dem Cover geschmückt ist – dann sollte man die Ehefrau schlagen. "Manchmal sind ein, zwei Schläge ganz nützlich, das wirkt wie Medizin. Der Ehefrau wird so in Erinnerung gerufen, wer das Sagen im Haus hat." Selbstverständlich auch, dass die Frau keinesfalls arbeiten gehen dürfe: Sie könne ja einen anderen Mann kennenlernen (und vielleicht lernen, dass Prügel und Unterdrückung in einer Ehe nicht zwingend sind).
Verfasser der Schrift, die sich auch für aufgeklärte Türken wie eine Satire liest, ist der ehemalige Mitarbeiter des Amtes für Religionsangelegenheiten (Diyanet), Hasan Caliskan. Das Amt für Religionsangelegenheiten (Diyanet) ist im Übrigen auch die Einrichtung, bei der die Imame des Islamverbandes Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) ausgebildet werden, die dann islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen lehren.
4 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Das sind die bekannten Schwierigkeiten einer Gesellschaft, die sich religiös definiert und nun zwischen dem Auftrag der Religion (Sexualkontrolle) und modernen Lebensentwürfen (sexuelle Selbstbestimmung) steht.
Deshalb wird für Erdogan der tieferwerdende ideologische Graben nach Europa wie eine Berliner Mauer wirken, die weiteren schädlichen Einfluss auf das Türkentum verhindert, während viele Türken darunter leiden. Hoffentlich tun es bei den nächsten Wahlen so viele, dass sie die Konsequenzen daraus ziehen und die religiösen Fundis in die Wüste schicken. Erst dann wird die Türkei reif für einen Beitritt zur EU.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich könnte tatsächlich einen Lachanfall bekommen, wenn die Thematik nicht so bodenlos rückständig, peinlich und traurig wäre.
fherb am Permanenter Link
Ich würde sehr gern ein Original dieser Schrift haben wollen. Kann man diese irgendwo anfragen? Manche Sachen gehören einfach für die Nachwelt erhalten.
Chr. Nentwig am Permanenter Link
Jetzt warte ich nur noch auf die Nachricht, wann die ersten Lehrer auf deutschen Schulen Hassmails bekommen, weil sie Biologie und Sexualkunde unterrichten.
Diese Probleme bekommt man, wenn man Gesetze erläßt, die erlauben, aus religiotischen Gründen wehrlose Menschen zu verstümmeln und Tiere ohne Grund beim Schlachten sadistisch gequält werden.
Christian Nentwig