Rezension

Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit

Der schweizerisch-israelische Philosoph und Psychologe Carlo Strenger hat ein neues Buch vorgelegt. In "Abenteuer Freiheit – Ein Wegweiser für unsichere Zeiten" analysiert er die Krise westlicher Gesellschaften und plädiert für einen desillusionierten Blick auf die menschliche Existenz.

In seinem Buch "Zivilisierte Verachtung" diagnostierte Carlo Strenger bereits eine mangelnde Wehrhaftigkeit liberaler Gesellschaften bei der Verteidigung ihrer fundamentalen Werte und Errungenschaften, die durch autoritäre Bewegungen unterschiedlicher Couleur bedroht werden. Seine vielbeachtete Zeitdiagnose vertieft der linksliberale Denker nun in dem neuen Buch "Abenteuer Freiheit", das sich der subjektiven Seite dieser gesellschaftlichen Verunsicherung zuwendet. Strenger problematisiert dafür aus philosophischer, psychologischer und ideenhistorischer Perspektive den aktuellen Zeitgeist, der von naiven Auffassungen und einer illusionären Verdrängungsmentalität geprägt sei. 

In der Tradition existenzialistischer Denker geht Strenger davon aus, "dass die menschliche Existenz grundsätzlich tragisch ist". Denn der Mensch sei ein "unmögliches Tier, ein leibliches, verletzliches Wesen, das altert und irgendwann stirbt." Anders als andere Tiere, seien wir unserer Freiheit und Endlichkeit zwar bewusst, können mit diesem Bewusstsein aber nur schwer leben.

Freiheit und Glück sind für Strenger keine Selbstverständlichkeiten, sondern setzen große Anstrengungen voraus. Die Vorstellung einer "Glücksberechtigung", die davon ausgeht, dass es für alle Probleme und Schwierigkeiten eine Lösung gibt, sei dementsprechend ein Mythos. Dennoch sei weithin die Vorstellung verbreitet, dass es eine Garantie oder gar ein natürliches Recht auf müheloses Glück gebe, das uns "die Gesellschaft", "die Eltern", "die Politik" oder "der Staat" schuldig sei. 

Strenger nimmt dagegen den einzelnen in Verantwortung und betont das Ideal des autonomen Menschen, der den Schmerz und die Risiken der Freiheit auszuhalten vermag. Damit verbunden ist eine politische Dimension: "Der Westen, wie wir ihn kennen, wird nicht überleben, wenn seine Bewohner glauben, die freiheitliche Ordnung sei ein unumstößliches Naturgesetz wie die Schwerkraft", betont Strenger. Daher müssten die nachfolgenden Generationen so erzogen werden, "dass sie bereit sind, für liberale Grundwerte zu kämpfen."

Fazit

"Abenteuer Freiheit" ist eine lesenswerte Gegenwartsdiagnose mit ideenhistorischem Tiefgang. Zugleich ist das Buch ein leidenschaftliches Plädoyer für die Wehrhaftigkeit der offenen Gesellschaft, die sich selbstbewusster als zuvor auf die Prinzipien der Aufklärung berufen sollte und dabei nicht vergisst, dass die Freiheit eine Zumutung ist, für die es sich zu kämpfen lohnt.