In der letzten Ausgabe der Zeitschrift "Materialien und Informationen zur Zeit" (MIZ) erschien ein Beitrag von Horst Groschopp. Der ehemalige Präsident des HVD beklagt darin die "grundsätzliche Distanz derjenigen, die sich als Atheisten organisieren", gegenüber dem Humanismus. Im Atheismus sieht der Autor des Buches "Pro Humanismus" keine Weltanschauung, doch für die politischen Herausforderungen unserer Zeit hält er eine "ordentliche Weltanschauung" für die beste Grundlage, diese erfolgreich zu bestehen.
2016 erschienen zwei wichtige Bücher, das von Hubert Cancik, Horst Groschopp und Frieder Otto Wolf herausgegebene Handbuch "Humanismus: Grundbegriffe" (Berlin/Boston) und die Studie von Horst Groschopp "Pro Humanismus" (Aschaffenburg). Das Handbuch stellt wissenschaftliche Befunde zu den Grundkategorien des Humanismus zusammen. "Humanismus" wird umfassend bestimmt, als eine kulturelle Bewegung, ein Bildungsprogramm, eine Epoche (Renaissance), eine Tradition ("klassisches Erbe"), eine Weltanschauung, eine Form von praktischer Philosophie, eine politische Grundhaltung, welche für die Durchsetzung der Menschenrechte, und als ein Konzept von Barmherzigkeit, das für humanitäre Praxis eintritt.
Relevanz für Akteure in der "Szene" gewinnt der Band dadurch, dass Grundkonzepte rund um den Humanismusbegriff für religionsfrei erklärt und damit die im wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs häufig als selbstverständlich angenommen "Erbansprüche" sowohl religiöser wie nichtreligiöser Akteure auf diese Konzepte massiv in Frage gestellt werden. Über die Folgen ist unbedingt zu diskutieren, etwa, dass "Humanismus" zu seiner Begründung der Säkularisierungsthese nicht bedarf.
Groschopp behandelt in seinem Buch die Frage, wie der Humanismus in Deutschland zu den Freidenkern (in einem weiten Sinne) kam und was daraus wurde, wie etwa der Humanistische Verband damit umging. Die Monographie ist die erste umfängliche Kulturstudie zum Humanismus in der "säkularen Szene" überhaupt. Mit zum Teil provokanten Positionen werden die Diskussionen des letzten Vierteljahrhunderts am Beispiel einiger Streitfragen wie Säkularisierung, Weltanschauung, Bekenntnis, Freidenkertradition, Ethik, "Konfessionalität", Demokratie, Pazifismus und Verbandspolitik vorgestellt. Der Band enthält zudem eine umfängliche Dokumentation.
Wir baten Anfang 2017 Horst Groschopp um fünf Thesen zur "Lage".
1. Inzwischen beziehen sich alle "säkularen Verbände" irgendwie auf Humanismus. Das war in der ersten Hälfte der 1990er Jahre noch ganz anders. Da standen der HVD und die HU ziemlich allein da. Es gibt derzeit aber leider keine richtige Debatte darüber, was das nun bedeutet. Einige nehmen an, das mit dem Humanismus sei doch identisch mit der Aufklärung und das habe man schon immer vertreten. Eine große Gruppe bringt Humanismus in direkte Verbindungen mit der Evolution. Dabei ist genau diese Schnittstelle zwischen den naturwissenschaftlichen und den kulturwissenschaftlichen Erklärungen der Welt die weitgehend unerforschteste. Man kann auch sagen, hier haben Spekulationen den meisten Raum. Wohl deshalb tummeln sich hier transhumanistische Ausdenkungen.
Daraus die These 1: Es ist innerhalb wie besonders außerhalb der "Szene" nicht nachvollziehbar, wer hier warum für welchen Humanismus eintritt und wie sich dieser eigene Humanismus zu dem in der Gesellschaft verhält.
2. Noch problematischer wird die Beschäftigung mit Humanismus, wenn wir das Feld der Gesellschaftspolitik betreten. Da denken viele in der Szene noch immer, sie seien wie Kevin, nämlich allein zu Hause. Die Welt ist aber anders.
Ein besonders deutliches Signal dafür war die Erklärung, die die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel aus Anlass der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten abgab. Die in der DDR sozialisierte evangelische Pfarrerstochter und gläubige Christin sandte eine durch und durch humanistische Botschaft: Deutschland und die USA seien durch gemeinsame Werte verbunden. Sie nannte Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung.
Wer die Theologiegeschichte und die Historie der beiden ehemaligen "Volkskirchen" der letzten hundert Jahre verfolgt, kann ermessen, was es bedeutet, dass eine führende Repräsentantin Deutschlands sich so dezidiert zu den Menschenrechten bekennt. Ohne dass der Begriff "Humanismus" im öffentlichen oder gar wissenschaftlichen Leben eine große Rolle spielt, hat er sich – vor allem im Verständnis von "Humanität" – kulturell etabliert und "wirkt".
Daraus die These 2: Die Akteure in der "Szene" brauchen dringend ein realistisches Bild vom Humanismus in der Gesellschaft, vom "Volks-" bis zum "Elitenhumanismus", gerade weil das Wort unüblich, aber sein Inhalt geläufig ist.
3. Diese Abschottung ist selbstgemacht und zum großen Teil ein Relikt der uralten, stereotypen Forderung, endlich die Staat-Kirche-Trennung zu vollziehen. Letztlich geht es bei "säkular" immer irgendwie darum, etwas aus dem Besitz der Kirchen zu nehmen. Wohin aber wird es gegeben?
Jede laizistische Mini-Regung an irgendeinem Rand in irgendeiner Partei, jede Kirchenschließung, jeder Austritt verleitet zu Euphorie, seit über hundert Jahren. Dabei wird nicht einmal begründet, warum dies für welchen Humanismus gut sein soll. Neue Mitglieder bringt das auch nicht die Masse. Wir sind in Etwa genau so viele wie wir 1914 waren. Das stimmt doch aber nur, wenn wir unsere eigenen Mitglieder zählen.
Das ganze Missverständnis, mit dem wir es hier zu tun haben, fängt schon bei der Bezeichnung "säkulares Spektrum" an. Was ist für unsereins nicht säkular? Die Kirchen sind es doch auch. Göttliche Weihen sind kulturelle Zuschreibungen. Ich beschreibe in meinem Buch, wann und warum dieser seltsame Name (nach meinem Archiv vom Unitarier Helmut Kramer 2000) erfunden und eingeführt wurde. Seitdem geistert er um uns herum.
Es werden Plätze für "Säkulare" in diesen oder jenen Gremien gefordert, als ob Gewerkschaften, Parteien usw. nicht "säkular" wären. "Säkulare" (manchmal in der 1920er Form "weltliche") Dienste sollen Trauerfeiern ausrichten, Krankenhäuser und Kindereinrichtungen betreiben usw. Ich kann hier vor Ort als Kunde nicht grundsätzliche Unterschiede in der Humanität zwischen "Diakonie" und "Volkssolidarität" erkennen.
Daraus die These 3: Selbst, wenn alles "säkular" gemacht worden wäre, täte sich doch weiterhin das wirkliche Problem auf, die Frage nach den Inhalten. Dann wird freilich die Sache mit den Religionen und Weltanschauungen relevant, nämlich, woraus die praktische Humanität begründet wird und was daraus jeweils konkret folgt. Eine säkulare Kita ist doch nicht per se humanistisch.
4. Atheismus ist keine Weltanschauung, sondern eine philosophische Position gegen Theismen und ihre Theologien. Auf dieser Basis der Verneinung einer Überperson oder eines Über-Prinzips sind mehrere Weltanschauungen möglich mit diversen politischen und praktischen Folgerungen zwischen ultralinks bis ganz rechts. Es ergibt sich hier ein ähnliches Problem wie bei "säkular". Es gibt konservative, kommunistische, völkische und viele andre Atheismen.
In einer vergangenen Zeit, als Thron und Altar noch engstens verbunden waren und Staatspolitik eine göttliche Begründung hatte, war jeder Atheismus zugleich ein radikaler Angriff auf die konkrete Herrschaftsform; und als es noch üblich war, Religion und Wissenschaft gegenüberzustellen (bis sie sich in den letzten hundert Jahren endgültig trennten und sich nicht mehr viel zu sagen haben), war Atheismus Teil jeder wissenschaftlichen Wahrheit. Noch gibt es einige Überbleibsel, aber im Großen und Ganzen ist die historische Rolle des Atheismus – sagen wir es freundlich – arg zurückgegangen, zumindest hierzulande (aber hier lebe ich).
Terrorismus (z.B.) kann zwar theistisch begründet, aber nicht atheistisch erklärt werden. Solche Sachen sind viel zu komplex.
Damit zur These 4: Es gibt eine fortwirkende, zu überwindende, aufzuklärende, intellektuelle Abstinenz und grundsätzliche Distanz derjenigen, die sich als Atheisten organisieren, gegenüber dem Humanismus, dem organisierten besonders. Solcherart Urteile stehen in direkter Kontinuität zu Fritz Mauthner, dem wir die großartige vierbändige Geschichte des Atheismus im Abendland verdanken. Von seinem Urteil sollte man sich trennen, wonach die Humanisten "einen sehr schlechten Ruf" haben. Sie "galten für eitel, eigensinnig, bestechlich, unordentlich, unzüchtig, ketzerisch", "aller Schimpf und aller Klatsch wurde gegen sie verwertet".
5. "Postfaktisch" ist das Wort des Jahres 2016 und "Volksverräter" das Unwort. Beide hängen unmittelbar zusammen und sind ebenso Ausdruck des Zeitgeistes wie die "gefühlte Wahrheit", für deren Berechtigung gestritten wird. Es ist leicht, aber wenig ergiebig, sich intellektuell über die angeblichen Realitätsverächter zu erheben. Denn was ist die Realität? Sie ist Gegenstand unserer Interpretation.
Tatsache ist jedenfalls, Trumps Wahlsieg ist dafür ein direkter Beleg, eine neue Zeit der Weltanschauungen bricht an. Bringt dies auch eine neue Zeit für Freidenker, deren unmittelbare Erfindung das Denken in Weltanschauungen im 19. Jahrhundert war? Mauthner meinte zu seiner Zeit, es wäre der ein armer Tropf, der nicht seine eigene Weltanschauung habe. Adorno ergänzte später, das Problem von Weltanschauungen sei die zum System erhobene Meinung, die das Versprechen kolportiere, "die geistige Welt und schließlich auch die reale eben doch aus dem Bewußtsein einzurichten".
Gegen "Poetenphilosophien" (ein schöner Begriff des Freidenkers Kalthoff) helfen keine philosophischen Traktate. Wer liest schon so etwas im "Volk", wenn er oder sie Angst hat vor dem oder jenem, vor allem vor dem möglichen sozialen Abstieg, vor Überschichtung und gefakten Twitterbotschaften. Wenn der Satz von Max Weber gilt, dass "‘Weltanschauungen‘ niemals Produkt fortschreitenden Erfahrungswissens sein können, und daß also die höchsten Ideale, die uns am mächtigsten bewegen, für alle Zeit nur im Kampf mit anderen Idealen sich auswirken, die anderen ebenso heilig sind, wie uns die unseren" – dann hat nur eine ordentliche Weltanschauung möglicherweise Erfolg. Da stehen nicht so viele zur Verfügung. Antikirchlicher oder gegenreligiöser Affront hilft hier wenig. Das bindet nicht in Zeiten der Konfessionsfreiheit und trennt von den Gleichgesinnten, etwa den Antivölkischen oder den Sozialreformern im religiösen Lager.
Damit zur These 5: Wie wäre es denn mit Humanismus? Die Wahrheit auszusprechen bedeutet, sich zu bekennen. Und Barmherzigkeit ist das erste und oberste humanistische Gebot. Sie bedeutet Anteilnahme, Gnade, Milde, Mitgefühl, Nachsicht und Wohltätigkeit. Erst humanitäres Handeln übersetzt Sorge in konkrete Leistungen, in denen sich Solidarität beweist und Humanitarismus ausdrückt. Ohne praktizierte Humanität ist Humanismus nicht möglich, reduzieren sich seine Ziele hinsichtlich der Menschenrechte, der Menschenwürde, der Menschengleichheit, von Gerechtigkeit, Liebe, Freundschaft und Glück auf bloße Behauptungen.
33 Kommentare
Kommentare
Thomas am Permanenter Link
"Denn was ist die Realität?"
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"Sie ist Gegenstand unserer Interpretation."
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Sie ist Gegenstand unserer ERKENNTNIS! Nur AUSSAGEN über die Realität können "interpretiert" werden (z.B. wenn sie nicht klar genug formuliert sind).
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"Und Barmherzigkeit ist das erste und oberste humanistische Gebot."
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NOCH ein Gebot??? Warum sollte man das befolgen, wie erzeugt man "auf Knopfdruck" eine bestimmte Emotion, und was ist überhaupt erstrebenswert an einer Grundhaltung der Folgsamkeit oder gar des Gehorsams? Auch Humanisten scheinen sich partout nicht von dem Gedanken trennen zu wollen, daß etwas von außen auf Menschen einwirken muß, damit sie bestimmte Verhaltensweisen zeigen. Wer sich die gesamte Tragweite seines Interesses bewußt gemacht hat, keinem vermeidbaren Leid ausgesetzt und berechtigt sein zu wollen, eigene oder auch fremde Interessenverletzungen zu beanstanden, braucht keine Gebote. Er verhält sich ganz selbstverständlich leidvermeidend nach dem Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleicher Interessen, und das gegenüber ALLEN empfindungsfähigen Wesen - nicht nur solchen, denen eine speziesbezogene "Würde" angedichtet und speziesbezogene Sonderrechte gewährt worden sind.
Norbert Schönecker am Permanenter Link
S.g. Thomas!
Weder im Humanismus noch im Christentum ist Barmherzigkeit eine reine Emotion. Sie ist wesentlich auch ein Willensakt und wird gestaltet von der Vernunft.
Thomas am Permanenter Link
"Ohne Empathiefähigkeit ist ethisches Verhalten schwieriger zu erlernen als mit Empathiefähigkeit."
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Norbert Schönecker am Permanenter Link
Dann sind wir uns ja einig. Deshalb habe ich ja geschrieben "schwieriger", und nicht unmöglich.
Andere brauchen wiederum Stärkung der Willenskraft, andere ethische Reflexion, und wieder andere die Erarbeitung von Strategien, um Kriminalität (oder auch anderes unnötiges Leid) zu vermeiden.
Thomas am Permanenter Link
"Im Gefängnis, wo ich arbeite, sind Empathietrainigsgruppen ein beliebtes Instrument, um Straftäter auf ein deliktfreies Leben vorzubereiten."
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Christoph Nienaber am Permanenter Link
Die wohl systematischste und sowohl konzeptionell wie über Jahrhunderte durch praktische Übung und Anwendung am besten fundierte Methodik zur Kultivierung von Barmherzigkeit sowohl in ihren Aspekten als Willensakt, al
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Ohne mich als Experte für den Buddhismus aufspielen zu wollen, neige ich dazu, Ihnen recht zu geben.
Vor allem, was die Aspekte Willensakt und Ideal betrifft.
Mit Emotionen tut sich der Buddhismus ja nicht immer so leicht; aber der Bodhisattva-Mythos lässt sich durchaus so deuten, dass der erleuchtete Mensch spontan, also ohne Umweg über die Vernunft, mit leidenden Kreaturen mitleidet. Das wäre dann emotional. Obwohl eigentlich der erleuchtete Mensch, wenn ich den Buddismus richtig verstanden habe, keine Emotionen mehr verspüren sollte.
Dass auch Christen, Humanisten und andere Menschen guten Willens einiges vom Buddhismus lernen können, ohne selbst Buddhisten im Vollsinn werden zu müssen, halte ich für unbestreitbar. 2600 Jahre Erfahrung mit der Frage "Wie kann ich Leid vermeiden?" sind nicht zu verachten.
Horst Groschopp am Permanenter Link
"Wer sich die gesamte Tragweite seines Interesses bewußt gemacht hat" ...
Wahrscheinlich können christlich sozialisierte Menschen "Gebot" nur in der religiösen Bedeutung und Überlieferung erfassen, aber kulturell gesehen gibt es in jeder Gesellschaft Gebotenes, Aus- und Vorgeführtes, Erwartbares, Normiertes, moralische Regeln etc., nicht nur in Befehlsform einer Herrschaft oder als Straßenverkehrsgebot usw., sondern weil es ethisch geboten ist, dies zu tun und jenes zu lassen oder weil es einfach üblich ist oder eben nicht, weshalb man ein "Gebot" vorschlägt in der Hoffnung, andere sehen dies auch so.
So ist auch "Gnade" in der Passage nicht als Gottesgnadentum zu lesen, sondern (dies vorbeugend gesagt) als "Begnadigung", "Gnade walten lassen", "Schonung", "Güte".
Thomas am Permanenter Link
"ich habe schon Probleme, meine Interessen zu sondieren, zu filtern und mein Leben dazu in Beziehung zu setzen, jetzt soll ich auch noch die Tragweite bewusst erfassen..."
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"Wahrscheinlich können christlich sozialisierte Menschen "Gebot" nur in der religiösen Bedeutung und Überlieferung erfassen,"
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Ge- und Verbote sind nun mal Druckmittel und nicht bloß unverbindliche Vorschläge. Moralische Menschen müssen sich solchem Druck innerlich entziehen, weil er ethisches Reflektieren stört und zu fehlerhaftem Verhalten führen kann.
Achim am Permanenter Link
"Wer sich die gesamte Tragweite seines Interesses bewußt gemacht hat, keinem vermeidbaren Leid ausgesetzt und berechtigt sein zu wollen, eigene oder auch fremde Interessenverletzungen zu beanstanden, braucht kein
Wie soll aus purem Eigeninteresse ableitbar sein, dass ich die Interessen einer einzelnen Feldmaus berücksichtige? Dass ich sonst deren Verhalten mir gegenüber nicht beanstanden könnte, scheint ein geringer Ausgleich und es ist selbst eine Verhaltensnorm.
Thomas am Permanenter Link
"Wie soll aus purem Eigeninteresse ableitbar sein, dass ich die Interessen einer einzelnen Feldmaus berücksichtige?"
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"Dass ich sonst deren Verhalten mir gegenüber nicht beanstanden könnte, scheint ein geringer Ausgleich und es ist selbst eine Verhaltensnorm."
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Alle leidensfähigen Wesen (incl. Feldmäuse, menschliche Säuglinge und geistig Behinderte) sind ethische OBjekte, aber nur die moralisch handlungsfähigen unter ihnen sind auch ethische SUBjekte (nach heutigem Kenntnisstand ausschließlich Menschen jenseits einer bestimmten Entwicklungsstufe). Nur letztere sind in der Lage, eigene oder fremde Interessen aktiv und umfassend zu vertreten. Ethik ist also ein von vornherein asymmetrisches Unternehmen. Im Übrigen ist moralisches Verhalten keine Leistung oder gar Zumutung, die des "Ausgleichs" bedarf, denn die Interessen des ethischen Subjektes dürfen und sollen (adäquat gewichtet und unter Anwendung des Gleichheitsprinzips) in jede seiner Verhaltensentscheidungen einfließen.
Achim am Permanenter Link
Als Grundlage von Ethik ist diese Interessenabwägung ja durchaus verständlich, aber: Anzunehmen, dass ethisches Verhalten meinerseits nur auf meinem eigenen (wohlverstandenen) Interesse basiere, ist eine zusätzliche A
Das ist insbesondere gegenüber ethischen Objekten, die selbst keine ethischen Subjekte sein können, nicht selbstverständlich: Dass ich "nicht berechtigt" sei, die Würdigung meiner Interessen einzufordern, nützt nur etwas gegenüber anderen ethischen Subjekten (von Nicht-Subjekten kann ich ja nichts fordern). Wenn diese ethischen Subjekte Ihr Gebot, nicht moralisch handlungsfähige Wesen in die Interessenabwägung einzubeziehen, nicht teilen, dann ist das subjektive Urteil keine allgemeine Norm.
Damit möchte ich Ihre Ethik nicht in Frage stellen. Allerdings ist die Aussage, aus der Bewusstheit meines Eigeninteresses folge direkt ohne weitere "Gebote" eine Verhaltensanweisung, wie Sie sie beschreiben, für mich nicht nachvollziehbar; vielmehr scheint es mir, dass Sie lediglich ein alternatives Gebot formulieren. Vielleicht ist es sogar praktisch das selbe, das Horst Groschopp Barmherzigkeit nennt?
Thomas am Permanenter Link
"um diese Interessenabwägung zu internalisieren, muss Ethik ja erst Teil meines Interesses oder meiner Präferenzen sein"
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"Das ist insbesondere gegenüber ethischen Objekten, die selbst keine ethischen Subjekte sein können, nicht selbstverständlich:"
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Oh doch, denn kein ethisches SUBjekt zu sein, relativiert ethische OBjekthaftigkeit in keiner Weise! Nicht erst das Dritte Reich hat offenbart, wohin es führt, willkürlich bestimmten empfindungsfähigen Wesen die Anerkennung ihrer ethischen Objekthaftigkeit ganz oder teilweise zu verweigern. Das Denken der Menschen (incl. ihrer Ethikvorstellungen) ist nach wie vor tief durchdrungen von faschistischen Strukturen - mit entsprechenden Folgen für die leidensfähigen Bewohner der Erde. Da ausnahmslos jeder von ihnen Opfer solcher Denkweisen werden kann, ist es auch im Interesse eines jeden ethischen Subjektes, sie abzulegen und zu bekämpfen.
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"Dass ich "nicht berechtigt" sei, die Würdigung meiner Interessen einzufordern, nützt nur etwas gegenüber anderen ethischen Subjekten"
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Kommt darauf an, wie diese anderen ethischen Subjekte das Beispiel Ihres doppelten Standards aufnehmen. Da die meisten von ihnen keine moralischen Menschen sind, könnten sie sich angeregt fühlen, z.B. Ihr Baby oder Ihr Haustier zu mißhandeln. Schließlich können sie die Würdigung ihrer Interessen nicht einfordern, und Ihre Berechtigung dazu wäre insofern kompromittiert, als auch Sie nicht alle leidensfähigen Wesen als ethische
Objekte anerkennen.
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"Damit möchte ich Ihre Ethik nicht in Frage stellen. Allerdings ist die Aussage, aus der Bewusstheit meines Eigeninteresses folge direkt ohne weitere "Gebote" eine Verhaltensanweisung, wie Sie sie beschreiben, für mich nicht nachvollziehbar; vielmehr scheint es mir, dass Sie lediglich ein alternatives Gebot formulieren."
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"Meine" Ethik vermeidet die strukturellen Hauptschwächen aller anderen (mir bekannten) Ethikvorstellungen, indem sie von einer beobachtbaren Tatsache ausgeht (nämlich dem nicht-leiden-Wollen empfindungsfähiger Wesen) und daraus eine wenn-dann-Konstruktion ableitet: WENN du nicht vermeidbarerweise leiden und die Verletzung eigener oder fremder Interessen beanstanden dürfen willst, DANN mußt du dich auch deinerseits leidvermeidend verhalten. Menschen, denen ihr eigenes Wohlergehen (aus welchen Gründen auch immer) gleichgültig ist und die keine emotionalen Bindungen zu anderen empfindungsfähigen Wesen haben, sind also moralunfähig. Sie müssen (leider!) mit strafbewehrten Gesetzen oder anderen Maßnahmen zu unschädlichem Verhalten erpreßt oder von der Gesellschaft abgesondert werden.
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"Vielleicht ist es sogar praktisch das selbe, das Horst Groschopp Barmherzigkeit nennt?"
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Keineswegs, denn moralisches Verhalten muß unabhängig von kaum beeinflußbaren emotionalen Zuständen gewährleistet werden können. Solche Zustände dürfen und sollen durchaus Gegenstand ethischer Überlegungen sein, niemals jedoch Element ethischer Methodik. Es kommt nur darauf an, was jemand moralischerweise tut oder unterläßt, nicht auf das, was er/sie dabei empfindet.
Roland Fakler am Permanenter Link
Atheismus: Wer möchte sich schon einem Haufen anschließen, der sich dadurch definiert, dass er „ohne“ ist: ohne Gott, ohne Gemeinschaft, ohne Rituale, ohne Führung, ohne Trost: Das klingt ziemlich armselig!
Gargamel am Permanenter Link
Roland Fakler
Atheismus bezeichnet den Nicht-Glauben an Gottheiten; das ist auch schon alles.
Was Sie noch dazu interpretieren, erinnert mich an klerikales Geschwurbel.
Ein ziemlich schwacher Humanismus.
Horst Groschopp am Permanenter Link
Noch mal zur Wiederholung: Humanismus ist eine kulturelle Bewegung, ein Bildungsprogramm, eine Epoche (Renaissance), eine Tradition ("klassisches Erbe"), eine Weltanschauung, eine Form von praktischer Philos
Roland Fakler am Permanenter Link
Darum geht es ja: Der säkulare Humanismus sollte nicht Ersatzreligion sein, sondern die überzeugende Weltsicht unserer Kultur. Allerdings ohne Hierarchie, ohne Dogmen, ohne Glaubenszwang, nur aus Überzeugung.
Doris am Permanenter Link
Nun, es ist ja nicht die Weltanschauung, die Stellung zu allen Themen bezieht, sondern einzelne Menschen. Da kann beim Humanismus noch demokratisch jeder seine Ansichten und Erkenntnisse kund tun.
Roland Fakler am Permanenter Link
Humanisten sollten einiges besser machen als totalitäre Weltanschauungen.
…Und warum soll einer nicht an einen unerkennbaren „Ursprung allen Seins“ glauben dürfen? Wir sind nicht allwissend! Das sollte klar sein.
Der beste Rahmen für eine gerechte und friedliche Welt, in der solche Diskussionen ohne Risiko stattfinden können, ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung, darüber sollten wir uns einig sein!
Thomas am Permanenter Link
"Und warum soll einer nicht an einen unerkennbaren „Ursprung allen Seins“ glauben dürfen?"
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Roland Fakler am Permanenter Link
Ich denke ja auch so, aber ich kenne eben viele Leute, denen ein diffuses Gehirnbrummen das gute Gefühl gibt, mit dem Weltgeist in Verbindung zu stehen.
Thomas am Permanenter Link
"Ich denke ja auch so,"
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Roland Fakler am Permanenter Link
Ich hab übrigens gerade ein Buch fertig, „Falsches Denken – Falsches Handeln“, in dem ich versuche, den gefährlichsten Blödsinn zu widerlegen, aber ich glaube, das muss im Kindergarten beginnen.
Ich hab allerdings keine Hoffnung, dass die Menschen jemals alle rational handeln werden. Müssen sie auch nicht, aber die führenden Leute sollten es tun. Auch da habe ich wenig Hoffnung. Ich tue, was ich kann. Das Problem ist der Mensch - und er wird es bleiben!
Thomas am Permanenter Link
"Ich hab übrigens gerade ein Buch fertig, „Falsches Denken – Falsches Handeln“, in dem ich versuche, den gefährlichsten Blödsinn zu widerlegen, aber ich glaube, das muss im Kindergarten beginnen."
Spätestens - besser noch im Elternhaus...
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"Die Themen kannst du mal auf meiner Homepage anschauen: http://rolandfakler.de/?page_id=2334"
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Das ist ja eine ganz hinreißende Sammlung an Scheußlichkeiten! Der Kotzeimer hat vermutlich immer griffbereit neben dem Schreibtisch gestanden.
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"Ich hab allerdings keine Hoffnung, dass die Menschen jemals alle rational handeln werden. Müssen sie auch nicht,"
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Rationales Denken und Handeln muß schon ein gewisses Maß an kultureller Normalität gewinnen, wenn die Erde ein nennenswert leidfreierer Ort werden soll. Allerdings befürchte auch ich, daß sich die Menschheit eher selbst auslöschen wird, als zur Vernunft zu kommen. Jedenfalls ist sie auf dem besten Weg dorthin.
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"aber die führenden Leute sollten es tun."
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Unglücklicherweise sind sie es, die von den herrschenden Mißständen am meisten profitieren. Entsprechend wenig problemlösendes Engagement dürfte (vorläufig) von ihnen zu erwarten sein.
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"Ich tue, was ich kann."
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Das sollten "wir" alle - auch wenn es der guten Laune so gar nicht zuträglich ist.
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"Das Problem ist der Mensch - und er wird es bleiben!"
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Er ist aber auch die Lösung, denn er KANN sich leidvermeidend verhalten - sobald er es will, weil er gelernt und verstanden hat, warum er es sollte und wie es funktioniert.
Roland Fakler am Permanenter Link
Wie ein Arzt sich bei den Krankheiten auskennen muss, die er heilen will,
so ein Schriftsteller bei den Übeln, die er beseitigt sehen will!
Horst Groschopp am Permanenter Link
Humanisten sind nicht nur freie, sondern auch angestellte Individuen, etwa im HVD, immerhin über 1.000 in Berlin; da wird das dann schon etwas komplizierter mit dem freien Schweben...; und auch sonst sind wir in diver
Roland Fakler am Permanenter Link
Dann würden mich aber drei Fragen interessieren.
1. Was ist humanistisch, bzw. was nicht?
2. Wer entscheidet das?
3. Was geschieht mit den Abweichlern z.B. im HVD?
Horst Groschopp am Permanenter Link
1. Was „humanistisch“ ist, ergibt sich aus dem, wonach man/frau fragt, etwa (um es scharf zu machen): Was ist in Luthers Schriften humanistisch?
2. Jedenfalls kein Großer Rat, eher ein Diskurs derjenigen, die sich als Humanisten verstehen, denn alle Wertungen sind an Subjekte gebunden, die „schweben“ nicht. Die Urteile müssen auch historisch bestehen, denn Humanismus fängt mit Cicero an, und faktologisch. Der HVD hat sich für seine Mitglieder ein sehr allgemeines Selbstverständnis zugelegt. Wer das nicht mag, muss da nicht mitmachen. „Sorten“ von Mitgliedern gibt es auch einige. Das besagt aber nicht, wer das nicht teilt, ist kein Humanist.
3. Diese Frage verstehe ich nicht, kann mir unter einem „Abweichler“ im Humanismus nix vorstellen, kenne im HVD auch keinen derartigen Fall und ich kenne den Laden von Beginn an. Wer eine andere Auffassung vom Humanismus hat, der geht da weg. Etwas Anderes ist es, Sie fragen vielleicht nach den Angestellten, wie ich vermute, dass es Dienstvorschriften gibt. Wie jeder Betrieb, zumal wenn es ein Tendenzbetrieb ist, gibt es eine eine Identität der Korporation. Wer bei der SPD angestellt ist, kann nicht CDU-Mitglied sein. Genaueres finden Sie auf den Homepages von Berlin und Bayern, die nennenswerte Belegschaften haben. Beim HVD BB muss man nicht Mitglied sein, um dort zu arbeiten, etwa im Hospiz. Bei den 500 Lehrern, davon 250 selbst angestellten, muss man schon darauf achten, dass sie die Identität achten. Dafür gibt es einen Lehrplan und eine Stellenbeschreibung. Aber viele sind nicht Mitglied.
Karin am Permanenter Link
Um dem Humanismus auf die Spur zu kommen, war ich u.a.
Für die genannte Barmherzigkeit braucht man selbst ein halbwegs festes Fundament. Sonst kann man zwar den Orientierungslosen mitfühlen, aber keine wohltätige Lösung anbieten.
Horst Groschopp am Permanenter Link
Bei dem von Jörn Rüsen geleiteten Projekt des KWI sind Sie schon auf der richtigen Spur.
Mit Ihrer Anmerkung zur Barmherzigkeit haben Sie den Kern formuliert. Das würde aber hier zu weit führen...
Volker Mueller am Permanenter Link
Wieder ein nachdenkenswerter Beitrag von Horst Groschopp. Er fördert Diskussion in der Sache und regt zum freien Denken an. Danke!
Horst Groschopp am Permanenter Link
Danke. Das ist ein Signal, demnächst mal wieder paar Sätze von Dir zu hören/zu lesen.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Kurz: eine neue Berliner Studie zeigt auf, dass sich praktisch die meisten Konfessionsfreien als humanistisch orientiert verstehen. Wie die Christen auch. Was wäre denn "christlich"?