"1000-Kreuze-Marsch" Münster 2017

Christlicher Gebetsmarsch gegen Abtreibung

Im deutschsprachigen Raum findet der alljährliche Auftakt der sogenannten "Lebensschützer"-Märsche traditionell im März in Münster/Westfalen statt. Wie in jedem Jahr säumten auch am vergangenen Samstag wieder zahlreiche Gegendemonstranten den Weg des christlichen Marsches.  

Mit rund ein Meter großen weißen Kreuzen ziehen sie singend und betend durch die Stadt. Jedes dieser Kreuze soll hierbei eines von 1000 Kindern symbolisieren, welche nach Auffassung der sogenannten Lebensschützer täglich in Deutschland abgetrieben werden.

Der von der überkonfessionellen christlichen "Lebensschützer"-Vereinigung EuroProLife organisierte 1000-Kreuze-Marsch durch Münster findet seit über zehn Jahren statt. EuroProLife ist nach eigenen Angaben eine "europäische, überkonfessionelle Vereinigung der Lebensschutzorganisationen" mit "Vertretern von Lebensschutzgruppen aus 15 Europäischen Ländern". Der Gebetszug durch die konservative westfälische Metropole ist in jedem Jahr traditionell der erste "Lebensschützer"-Marsch in Deutschland. Ihm folgen Märsche verschiedener christlicher Organisatoren in diversen Großstädten wie beispielsweise der "Marsch für das Leben" in Berlin.

Da sich die "Lebensschützer" gegen das Recht auf Abtreibung aussprechen und für konservativ-christliche Geschlechtervorstellungen und Familienmodelle stehen, finden sich seit einigen Jahren in Münster am Tag des Marsches auch Gegendemonstranten unter dem Motto "Gegen 1000 Kreuze" zusammen, um gegen christlichen Fundamentalismus zu demonstrieren.

Sowohl bei den "Lebensschützern" als auch bei den Gegendemonstranten gab es in diesem Jahr weniger Teilnehmer als im Jahr zuvor - möglicherweise, weil die Wetterdienste Dauerregen angesagt hatten und zudem an diesem Tag in Nordrhein-Westfalen zahlreiche andere Demonstrationen stattfanden. Bei der zentralen Gegenveranstaltung in der Stubengasse, einem Platz in der Innenstadt von Münster, trafen sich um 12 Uhr rund 150 Gegendemonstranten, die sich für das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und gegen christlichen Fundamentalismus aussprachen. Im Vorjahr waren es rund 200 Gegendemonstranten. Um 14:30 Uhr versammelten sich dann auf dem von der Polizei hermetisch abgeriegelten Vorplatz der Aegidiikirche die christlichen Abtreibungsgegner zur Kreuzausgabe. Wie in jedem Jahr wurde der 1000-Kreuze-Marsch auch diesmal seinem Namen nicht gerecht, denn für den Marsch fanden sich nur rund 80 "Lebensschützer" ein – im Vorjahr waren es knapp 100 gewesen. Unter den christlichen Marschteilnehmern ist seit Jahren eine steigende Zahl junger Männer und Frauen zu beobachten. Viele der jungen "Lebensschützer" in diesem Jahr gehörten nach eigener Aussage einem NRW-weiten katholischen Gebetskreis für Menschen mit polnischen Wurzeln an.

Als sich der 1000-Kreuze-Marsch mit Holzkreuzen, Bildern von Föten sowie einem Marienbildnis an der Spitze schließlich Richtung Innenstadt in Bewegung setzte, säumten Gegendemonstranten mit Transparenten, Trillerpfeifen und Sprechchören den Weg der "Lebensschützer", die christliche Lieder intonierten. Dass mit Widerstand zu rechnen sein würde, war aufgrund der Gegendemonstrationen in den Vorjahren kein Geheimnis. Um die Gegendemonstranten daran zu hindern, den Marsch der Abtreibungsgegner zu stören, waren deshalb Einsatzzüge mehrerer Polizei-Hundertschaften aus Nordrhein-Westfalen vor Ort – deutlich mehr Polizisten als Abtreibungsgegner. Doch auch das massive Polizeiaufgebot konnte den lautstarken Protest und sowie einige kreative Aktionen der Gegendemonstranten nicht vollständig verhindern. Aus einigen Häusern auf der Marschroute bewarfen Gegendemonstranten die Abtreibungsgegner beispielsweise mit Konfetti und aufgeblasenen Kondomen. Anderen war es gelungen, sich - mit ‚braver’ Kleidung als Lebensschützer getarnt – zur Kreuzausgabe und damit in den 1000-Kreuze-Marsch zu schmuggeln. Einige von ihnen beklebten die weißen Kreuze mit "Gottlos glücklich" und "218 abschaffen"-Aufklebern und marschierten damit in den Reihen der Lebensschützer, bis sie von der Polizei herausgezogen wurden. Andere warfen ihre Kreuze während des Marsches lautstark zu Boden. Lediglich in einem Fall kam es zu einer Handgreiflichkeit, als ein Gegendemonstrant versuchte, einem Lebensschützer sein Kreuz zu entreißen.

Gottlos glücklich
Gottlos glücklich - Gegendemonstrantin im 1000-Kreuze-Marsch (Foto: Daniela Wakonigg)

Bei einem Gebets-Stopp, bei dem traditionellerweise Rosen für abgetriebene Föten ins Wasser geworfen wurden, betonte Wolfgang Hering, Versammlungsleiter und Vorsitzender der "Lebensschützer"-Organisation EuroProLife, noch einmal, worum es bei der Veranstaltung geht. Man wolle die Öffentlichkeit betend auf die Abtreibungen hinweisen, "damit das Töten in den Mutterschößen ein Ende nimmt". 

Kurz danach endete der 1000-Kreuze-Marsch beim Kardinal-von-Galen-Denkmal auf dem Domplatz von Münster. Kardinal von Galen wird von den christlichen "Lebensschützern" besonders verehrt, da er sich als Bischof von Münster während des Dritten Reichs für den Schutz des sogenannten "unwerten Lebens" und damit gegen die vom NS-Regime angeordnete Tötung von Kranken und Behinderten aussprach. Außerhalb konservativer christlicher Kreise ist Galen aufgrund weiterer Äußerungen hingegen nicht unumstritten. Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion lobte er beispielsweise ausdrücklich als Kampf gegen den gottlosen Bolschewismus. Die ehemalige Theologieprofessorin Uta Ranke-Heinemann sieht in der Person des Kardinals von Galen die Bündelung der "Lebenslüge des deutschen Nachkriegskatholizismus". 

Die im Vergleich zum Vorjahr beiderseits wesentlich entspanntere Stimmung zwischen Polizei und Gegendemonstranten drohte gegen Ende der Veranstaltung kurzzeitig zu kippen, als die Polizei versuchte, eine Gruppe von Gegendemonstranten daran zu hindern, in der Nähe des Galen-Denkmals lautstark gegen die Abtreibungsgegner zu protestieren. Ansonsten verlief die Veranstaltung aus Sicht der Polizei friedlich. Lediglich gegen einen Gegendemonstranten wurde Anzeige erstattet – weil er einer Polizistin mit der Trillerpfeife ins Ohr gepfiffen hatte. Im Vorjahr lagen fünf Anzeigen gegen Gegendemonstranten vor.