Jedes Jahr wieder ist die Aufregung groß. In China essen sie Hunde! In der Empörung bricht eine verdrängte Wahrheit heraus: Dass das millionenfache Einkerkern, Töten und Verzehren von intelligenten, sympathischen, sozial lebenden Säugetieren bei uns eine völlige Selbstverständlichkeit ist.
Ihre wurstigen, abgeflammten Körper liegen nebeneinander, übereinander auf einem Markttisch in Yulin, China. Auf den ersten Blick unterscheiden nur ihre Fangzähne sie von zu verspeisenden Jungschweinen. Aber es waren Hunde, und sie könnten noch leben! Wie kann man ihnen so etwas antun? Es ist das ungewohnte, das unseren Abscheu erregt, und es ist der empfundene Verrat, den wir an den Hunden begehen. Der Hund, unser bester Freund. Er wedelt auf uns zu, er freut sich, uns zu sehen! In China haben sie versucht, den sinkenden Absatz von Hundefleisch wieder anzukurbeln, und haben daher vor ein paar Jahren das Hundefleischfestival in Yulin ins Leben gerufen. Die weltweite Empörung ist dem Festival jedes Jahr sicher. Denn wie kann so etwas möglich sein: Hunde einzufangen, einzukerkern, durch die Gegend zu verfrachten, zu töten?
Ja, dem einigermaßen einfühlsamen Menschen erscheint das als eine Monstrosität. Und wie bei so vielen Aufregern ist das Schlimmste an ihr: Dass sie uns einen Spiegel vorhält. Dass sie uns, durch eine leichte Verschiebung, zeigt, was wir auch hier seit langer Zeit als Selbstverständlichkeit hinnehmen. Dass wir intelligente, verspielte, sozial lebende Tiere, die sich mit uns anfreunden würden, einsperren, aufpumpen, töten. In den Nudelsalat schnippeln. In Deutschland ist dieser Umgang mit Rindern und Schweinen eine millionenfache Alltäglichkeit. Schwer erträgliche Recherchen des MDR haben jetzt ergeben, dass auch ein weiterer Gefährte des Menschen, das Pferd, für die Grausamkeit der Massentierhaltung still leiden muss: In Südamerika wird trächtigen Stuten literweise Blut abgezapft, um ein Mittel zur Kontrolle der Massenhaltungsschweine zu gewinnen.
Dass der Hund zu unserem besten Freund geworden ist und in den meisten Kulturen von seinem Verzehr abgesehen wird, hat er seiner eigenen Fähigkeit zur Gewalttat zu verdanken: Als Raubtier verfügt er über wenig leckeres Eigenfleisch, aber mit seiner Wachsamkeit, Kooperationsfähigkeit und abrufbarer Aggression hat er sich stets als Kompagnon empfehlen können. Die Fangzähne und das zugehörige Verhaltensrepertoire machten ihn eher zu einem nützlichen Instrument als zu einem Nahrungsmittel. Das Schwein hingegen, das sich dem Menschen ebenso freundschaftlich anschließen kann wie der Hund, war von jeher ein viel zu friedliches Tier. So ging es ihm, wie es den Friedfertigen auf die Dauer eben ergeht: Es wurde seiner Freiheit beraubt, ihm wurde das Fell nach Lust und Laune über die Ohren gezogen. Man kann das Schwein gut essen, und man kann es gut auch beschießen: Das Fleisch und die Haut des Schweins sind den unseren relativ ähnlich, so dass man sie auch für militärische Versuche nutzbar macht.
Millionenfache Grausamkeit hier wie dort. Das Hundefleischfestival von Yulin rollte kürzlich, wie jedes Jahr, routinemäßig durch die Schlagzeilen. Dieses Jahr gab es sogar Gerüchte von einem Verbot, aber daraus wurde natürlich nichts, und so bleibt es dabei: In China sterben jährlich bis zu 20 Millionen Hunde, traurig schauen sie uns aus ihren Käfigen heraus an. Allgemeine Empörung in der aufgeklärten Westwelt ist ihrem Schicksal gewiss. Wie aber geht es den Schweinen, tauchen auch sie in den Schlagzeilen auf?
Für gewöhnlich haben wir sie an den Rand unserer Wahrnehmung gedrängt. Abermillionen von ihnen leben in Deutschland, große Viecher, wir aber bekommen eher mal einen Marder zu Gesicht, der nachts zwischen parkenden Autos umherhuscht. Schweine in den Google News? Nur wenn einmal etwas Unvorhergesehenes passiert. Auf der A2 ist ein Transporter umgekippt, 775 Schweine auf vier Etagen, da kam es zu größeren Störungen im Verkehr. Vier Stunden lang war die Autobahn gesperrt. Der Lastwagen brannte und konnte gelöscht werden. Voller Mitleid schrieb die "Bild"-Zeitung: "Für 23 Schweine kam jedoch jede Hilfe zu spät". In den USA gab es einen ähnlichen Unfall, ohne Feuer, dafür aber mit einer Anzahl an Schweinen, die sich aus dem umgekippten Laster in die Freiheit hinauswagten: Es gibt einen kurzen Videoclip mit ihnen, neugierig und verspielt schauen die Tiere sich die Welt an, eines wird von ihnen wird mit Wasser besprengt, im Übrigen alle von tüchtigen Uniformierten wieder eingefangen. So können sie ihre Reise fortsetzen. Woher sie kamen? Wohin sie gingen? Das interessiert die Welt der Nachrichten nicht. Schweine, die eingekerkert und vollgestopft, mit Medikamenten eingetaktet und möglichst jung getötet, ausgeweidet und zerstückelt werden, haben keinen Nachrichtenwert. Denn sie sind das Normalste auf der Welt.
32 Kommentare
Kommentare
Claudia am Permanenter Link
Hunde und Katzen werden gehätschelt hierzulande, Rinder und Schweine geschlachtet und verzehrt. Karnismus nennt sich diese Schizophrenie.
Danke für den Aufsatz und danke an den hpd, ihn publiziert zu haben. GO VEGAN
Rudi Knoth am Permanenter Link
In Notzeiten wurden auch hier Katzen (wenn auch nicht die eigenen) und Pferde gegessen. Wer kennt nicht das Theaterstück "Der Etappenhase"?
Rainer Bolz am Permanenter Link
Es sollte ein Missionierungsverbot für Religion und Essen geben!!!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Eine kleine Korrektur: Der Hund begann seine Karriere beim Menschen auch als Fleischvorrat. Das war der Grund für seine Domestizierung.
Die Sache mit dem wechselseitigen Ekel vor dem Fleischverzehr liegt in der Kultur begründet. Was dem einen sein Hund, ist dem anderen sein Schwein, wieder anderen das Schaf oder sonstige exotische Tiere. Die Ursache für Fleischkonsum liegt in der bedauerlichen Tatsache, dass der Menschen einst primär ein Fleischfresser war und unser Verdauungstrakt mit Fleisch besser klarkommen, als mit rein pflanzlicher Nahrung.
Dies kann man ignorieren, weil wir heute Nutzpflanzen in ungeheuren Mengen produzieren können, sodass wir auch mit Weizen, Pflanzenöl und Zucker dick werden können. Mit den entsprechenden Zusatzstoffen kann man sich sogar einigermaßen gesund vegan ernähren, sodass wir mit Schweinen in Sozialverbänden leben könnten.
Ich sehe allerdings kein grundsätzliches ethisches Problem beim Fleischkonsum, da wir nun einmal nach wie vor den Verdauungstrakt eines primären Fleischfressers haben. Wie gesagt, wer darauf verzichten kann, soll es für sich so entscheiden und tun. Ein ethische Problem sehe ich in der schieren Menge der konsumierten Tierprodukte. Wären Tierprodukte zehnmal so teuer (z.B. erreichbar durch eine Tierproduktesteuer), dann würde der Konsum automatisch sinken. Reiche Menschen (die eine solche Verteuerung nicht stören würde) verspeisen sowieso weniger Tierprodukte - oder hat jemand schon mal einen dicken Milliardär gesehen?
Das Problem ist also das billige Lidl- oder Aldi-Fleisch, das Menschen in sich hineinstopfen. Wenn also durch eine entsprechende Steuer der Konsum sinkt - ideal auf 10% des heutigen Wertes -, dann könnten Bauern, weil die Einnahmen ja nicht sinken (die Tierproduktesteuer müsste eins zu eins den tiergerecht arbeitenden Höfen zugute kommen), jedem Tier den zehnfachen Platz etc. zur Verfügung stellen. D.h. keine Massentierhaltung in Ställen (was heute die Voraussetzung für die Produktion von Billigfleisch, Billigeiern etc. ist), sondern ausschließlich Freilufthaltung unter möglichst naturnahen Bedingungen.
Dort lebt das Tier in seinen üblichen Sozialverbänden (wie früher das "Hausschwein"), ist vor Fressfeinden geschützt, wird artgerecht ernährt etc. Und wenn es dann von Menschenhand getötet wird, dann kriegen wir das sicher auch humaner hin, als der Löwe, der in freier Wildbahn ein Antilope reißt.
Natürlich kann man argumentieren, dass ein Tier, das gar nicht zwecks späterer Schlachtung gezüchtet wird, überhaupt nicht leiden muss. Doch das ist zynisch, weil man dann konsequenterweise alle "Opfertiere" in freier Wildbahn töten, bzw. an der Zeugung von Nachkommen hindern müsste, da diese in aller Regel auch Fleischfressern zum Opfer fallen - oder einen qualvollen Hungertod wegen Dürre etc. erleiden müssen.
Ich kann mir unter den von mir skizzierten Bedingungen kein Argument vorstellen, was gegen den Tierproduktekonsum spricht. Und dann müsste man hinschauen, wie Hunde, Schweine oder Schafe vor ihrer Schlachtung gelebt haben. Sie nach ihrem hoffentlich schmerzfreien Tod zu verzehren kann kein ethisches Problem sein...
Merds am Permanenter Link
"[...]oder hat jemand schon mal einen dicken Milliardär gesehen?"
Man sollte sich vielleicht nicht unbedingt von seinem Namen beirren lassen, aber Carlos Slim Helú ist immerhin der viertreichste Mensch auf der Welt. Googlen Sie mal diesen Namen und Sie werden wissen was ich meine.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich habe mir Bilder von ihn angesehen. Gut, er käme als Unterwäschemodel bei Calvin Klein nicht infrage, aber als dick würde ich ihn auch nicht beschreiben. Fett auf keinen Fall.
Carlos Slim Helú könnte aufgrund seines Vermögens sicher problemlos 250 kg wiegen - und alles nur mit den teuersten Steaks angefuttert. Doch das tut er nicht. Darum ging es mir.
libertador am Permanenter Link
"Ich sehe allerdings kein grundsätzliches ethisches Problem beim Fleischkonsum, da wir nun einmal nach wie vor den Verdauungstrakt eines primären Fleischfressers haben."
"Das Problem ist also das billige Lidl- oder Aldi-Fleisch, das Menschen in sich hineinstopfen. Wenn also durch eine entsprechende Steuer der Konsum sinkt - ideal auf 10% des heutigen Wertes -, dann könnten Bauern, weil die Einnahmen ja nicht sinken (die Tierproduktesteuer müsste eins zu eins den tiergerecht arbeitenden Höfen zugute kommen), jedem Tier den zehnfachen Platz etc. zur Verfügung stellen. D.h. keine Massentierhaltung in Ställen (was heute die Voraussetzung für die Produktion von Billigfleisch, Billigeiern etc. ist), sondern ausschließlich Freilufthaltung unter möglichst naturnahen Bedingungen."
Teures Fleisch auf der zehnfachen Fläche hätte ökologische Probleme. Zum einen steigt evidenterweise der Flächenverbrauch. Zum anderen bräuchten die Tiere, wenn sie länger leben sollen als derzeit mehr Futter.
Fleisch für das Tier angenehmer zu produzieren, kann die ökologischen Probleme vergrößern.
Manuel am Permanenter Link
Das Argument gegen Tierproduktekonsum ist, dass es für Menschen in der westlichen Welt in der Regel nicht notwendig ist, sondern es tierfreie Alternativen gibt. Daraus folgt, dass Fleischkonsum hier ein Luxus ist.
Auch wenn ein Tier "naturnah" gehalten wird (was immer das bedeutet) und "schmerzfrei" geschlachtet wird, verletzt man das Bedürfnis des Tiers nach unversehrtheit. Zum einen, in dem man es zu Lebzeiten in gefangenschaft hält und zum anderen, in dem man sein Leben beendet. Es gibt da also sehr wohl eine ethische Dimension.
Opfertiere in freier Wildbahn haben damit ebenfalls nichts zu tun. Wenn eine Gazelle von einem Löwen gefressen wird, dann ist das für die Gazelle "ärgerlich" und der Löwe müsste sich, wenn er in der Lage wäre, ebenfalls dieser ethischen Frage stellen. Er würde aber sicherlich zu einem anderen Ergebnis kommen, weil für ihn Fleisch kein Luxus ist sondern zwingend notwendig. Natürlich stellt sich der Löwe in der realität diese Frage garnicht erst.
Wie auch immer, das hat nichts mit uns als dritten Beobachter zu tun. Es ist nicht "unser" ethisches Problem. Unser Problem ist es immer dann, wenn wir direkt eingreifen oder die Auslöser sind. Das gleiche gilt bei Hungertod wegen Dürre: Wenn wir verantwortlich für die Dürre sind, dann stehen wir auch vor der ethischen Implikation. Wenn "die Natur" dafür verantwortlich ist, dann ist es nicht unser Problem.
Die Antwort auf die ethische Frage, ob Fleischkonsum Luxus ist, hängt übrigends stark von den Umständen ab. Ein Naturvolk beispielsweise, welches auf Jagt oder auf Rinderzucht angewiesen ist und keine realistische Alternative hat, kommt zu einer anderen Antwort als wir in Deutschland, wo die Ladenregale mit Gemüse gefüllt sind. Wenn ich auf einer einsamen Insel strande, sieht die Situation wieder anders aus. Beides spielt aber keine Rolle für Leute, auf die diese Situationen nicht zutreffen. Ein weiteres Beispiel wären Menschen mit sehr niedrigem Einkommen. Auch hier kann die Antwort wieder anders aussehen, wenn z.B. vegetarische Alternativen zu teuer sein sollten.
Für ein jedes Lebewesen ist es ethisch vertretbar, im Zweifel sein eigenes Leben/Gesundheit und die Gesundheit der eigenen Familie (im weitesten Sinne) höher zu Bewerten als das von anderen.
Jeder muss also für sich 2 Fragen beantworten:
1) ist Fleischkonsum für mich Luxus oder Alternativlos?
2) gewichte ich meinen Luxus höher als die Unversehrtheitsbedürfnisse von Tieren.
Thomas am Permanenter Link
"Ich sehe allerdings kein grundsätzliches ethisches Problem beim Fleischkonsum, da wir nun einmal nach wie vor den Verdauungstrakt eines primären Fleischfressers haben."
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"Und dann müsste man hinschauen, wie Hunde, Schweine oder Schafe vor ihrer Schlachtung gelebt haben. Sie nach ihrem hoffentlich schmerzfreien Tod zu verzehren kann kein ethisches Problem sein..."
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«Und dann müsste man hinschauen, wie (unerwünschte oder eigens gezüchtete) menschliche Säuglinge und Kleinkinder vor ihrer Schlachtung gelebt haben. Sie nach ihrem hoffentlich schmerzfreien Tod zu verzehren, kann kein ethisches Problem sein...»
Die Essenz des Faschismus besteht in der willkürlichen Ungleichbehandlung von Wesen gleichartiger Empfindungsfähigkeit. Die spezifische Form des gegen nichtmenschliche Wesen gerichteten Faschismus nennt man Speziesismus. Alle Faschismen sind antimoralisch, da sie aus einer vorsätzlichen Mißachtung des ethischen Gleichheitsprinzips erwachsen. Soll sich die Menschheit ethisch entwickeln, muß sie faschistisches Denken und Handeln überwinden.
Zur Ergänzung: http://tr63.alfahosting.org/f/at.htm
Eberhard Duschl am Permanenter Link
Der Mensch war keineswegs primär ein Fleischfresser, allenfalls ein gelegentlicher Aasfresser.
Karottensaft ist uns zum Frühstück allemal lieber als ein Glas warmes Hühnerblut.
Markus Schiele am Permanenter Link
Lieber Bernd Kammermeier, mit Hochgenuss lese ich in der Regel Ihre spritzigen Kommentare und pflichte Ihnen im stillen Kämmerlein meist uneingeschränkt bei; hier jedoch scheinen wir verschiedene Intuitionen zu haben
"Ich sehe [...] kein grundsätzliches ethisches Problem beim Fleischkonsum, da wir nun einmal nach wie vor den Verdauungstrakt eines primären Fleischfressers haben."
Ich frage mich, inwiefern unser Verdauungstrakt mit dem ethischen Problem AN SICH zusammenhängt (abgesehen davon, dass wir den Verdauungstrakt eines Allesfressers haben und wir uns wohl von hauptsächlichen Früchtefressern über teilweise Aasfresser in unseren heutigen Zustand geschlemmt haben).
Das ethische Problem besteht meines Erachtens darin, dass wir andere Tiere (jetzt sogar einmal dahingestellt, ob sie über ein Bewusstsein ihres eigenes Selbst oder ein Bewusstsein ihrer eigenen Endlichkeit verfügen) die Freude und Leid emfinden können, töten, nur um unsere eigenen Gelüste zu stillen. Wie Sie selbst schreiben, können Menschen heute meist problemlos mit rein pflanzlicher Nahrung überleben - und zwar recht gut.
Das ethische Problem würde auch dann bestehen, wenn wir uns, sagen wir einmal (analog zu gewissen knuddeligen Baumbewohnern, die sich auf den Genuss von Eukalyptusblättern spezialisiert haben) einzig von Schweinefleisch (oder vielleicht Schimpansenfleisch?) ernähren könnten. Dies wäre ein Dilemma. Dann müsste man beginnen zu erwägen, wessen Interessen schwerer wiegen, ob es Kompromisse geben könnte, etc.
Eine ethische Verpflichtung auf ein bestimmtes Handeln besteht vereinfacht gesagt doch dann, wenn zwei Faktoren zusammentreffen: 1) Das Erkennen eines Interessenkonflikts und 2) die Möglichkeit diesen aufzulösen. Beide Faktoren sollten in unserer heutigen Welt - anders als in meinem Gedankenexperiment - eigentlich für die meisten Menschen zumindest potentiell gegeben sein, mit der letzlichen Konsequenz eines weitestgehenden Verzichts auf tierische Produkte.
Dies nur als eine kleine - freundlich gemeinte - Provokation und Denkanstoß.
Mit herzlichem Gruß,
Markus Schiele
Nick am Permanenter Link
Wer beim Verzehr von tierischen Produkten kein ethisches Problem sieht hält sich entweder Augen und Ohren zu, hat sich nicht einmal mit dem Thema auseinandergesetzt oder schwört auf biblische Werte.
"Mit den entsprechenden Zusatzstoffen kann man sich sogar einigermaßen gesund vegan ernähren"
Eine ausgewogene vegane Ernährung ist immer gesünder als eine unvegane, "Zusatzstoffe" werden genauso viele benötigt wie bei einer nicht veganen Ernährung ;) B12 wird auch bei Tieren supplementiert die später geschlachtet werden ob man sie selbst supplementiert oder dem Tier verabreicht, welches dann später gegessen wird bleibt egal (Stichwort: Volkskrankheit - schockiert ??). Unabhängig davon bleiben immer Probleme wie die Verantwortung, die der Mensch als "potenziell intelligentestes Wesen" anderen Tieren gegenüber hat sowie andere Lebewesen zu töten obwohl man mit dem aktuellen Stand der Entwicklung die gesamte Weltbevölkerung ohne größere Probleme rein pflanzlich ernähren könnte und und und...
Bitte lesen Sie mal nach, man muss nun wirklich kein Veganer sein aber die ethischen Probleme hinter dem Fleischverzehr sowie gesundheitlichen Vorteile sind definitiv nicht von der Hand zu weisen.
LG ein einfacher Philosophiestudent
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Vielen Dank für die vielen Kommentare.
Ich möchte an dieser Stelle nicht auf jeden einzelnen eingehen. Nur so viel: Ich habe nichts gegen vegane Ernährung und möchte hier auch nicht auf die vielen Pros und Contras eingehen, die es auch zwischen ausgewiesenen Experten zum Thema gibt. Das endet immer im Patt.
Ich versuchte schon öfters - und hole mir jedes Mal eine verbal-blutige Nase bei überzeugten Veganern - einen ganz anderen Punkt zu machen, der offenbar schwer vermittelbar ist. Humanismus muss machbar bleiben. Er muss auch attraktiv sein, um irgendwann die religiösen Gegenkonzepte abzulösen. Das ist mit unrealistischen Maximalansätzen oder -forderungen nicht möglich.
Man wird nie mehr als eine Bevölkerungsgruppe im Bereich weniger Prozent von der völlig veganen (= völlig tierproduktefreien) Lebensweise überzeugen können. Der, der das schätzt und damit gesundheitlich klarkommt (ich kenne Personen, die aus medizinischen Gründen damit nicht klarkommen, egal welche ethische Einstellung sie zum Thema haben), soll vegan leben und wird es auch.
Doch daraus einen Zwang zu machen - und nur das wird die deutliche Mehrheit der Menschen dazu bringen, auf jegliches Tierprodukt zu verzichten - erzeugt Abwehrreaktionen, die dem Humanismus weiterhin ein Nischendasein beschweren würde.
Daher halte ich es für logisch und konsequent, wenn durch politische Lenkungsmechanismen der Tierproduktekonsum auf etwa 10% des heutigen Werte gesenkt werden könnte. Da dies nicht in der Form geschehen kann, dass jeder 100 ha Wald hat und sich darin seinen Hirschen selbst schießt (also unter völlig natürlichen Umweltbedingungen), muss es eine Form neuer Landwirtschaft geben, die Tiere unter möglichst naturnahen Bedingungen leben lässt.
Das wäre ein Weg, den die meisten akzeptieren können, auch wenn sie dann höchstens noch den berühmten Sonntagsbraten auf dem Tisch haben und nicht jeden Tag Wurst, Fleisch, Eier, Schinken und was es sonst noch gibt. Für solche Konzepte könnte man auch größere Bevölkerungsgruppen begeistern - oder sie zumindest davon sachlich überzeugen.
Die knallharte "Veganerlinie" steckt in einer Sackgasse, weil die meisten Menschen nicht völlig ohne Tierprodukte auskommen. Die Menge macht's! Aber bis zur nächsten - wie ich finde wichtigen - Diskussion über Tierethik und Veganismus verbleibe ich mit freundlichem Gruß...
Thomas am Permanenter Link
"Ich habe nichts gegen vegane Ernährung und möchte hier auch nicht auf die vielen Pros und Contras eingehen, die es auch zwischen ausgewiesenen Experten zum Thema gibt. Das endet immer im Patt."
Was für ein "Patt" soll das sein? Wie die Dinge heute liegen, ist es mindestens teilweise ausgeschlossen, tierliche Produkte zu konsumieren, ohne an quälerischer Ausbeutung, tödlicher Gewalt, menschlicher Brutalisierung, Ressourcenverschwendung, Umweltzerstörung sowie dem Fortbestand faschistischen Denkens und Verhaltens mitschuldig zu werden. Selbst eine Reduzierung all dessen um 90% würde ein gefährliches kulturelles Krebsgeschwür zurücklassen, aus dem jederzeit schwerstes vermeidbares Leid erwachsen kann. Wer kein Arschloch sein will, dem bleibt also gar nichts anderes übrig, als sich (u.v.a.) um "veganstmögliches" Verhalten zu bemühen. Je mehr Menschen das tun, umso einfacher wird es, und je einfacher es geworden ist, umso seltener stellt sich die Frage nach "akzeptablen Ausnahmen".
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"Humanismus muss machbar bleiben."
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"Humanismus" ist beliebig, und sofern seine Normatismen mit dem ethisch Erforderlichen unvereinbar sind, muß er/müssen sie von moralischen Menschen sogar bekämpft werden. Aus diesem logischen Grunde bin ich z.B. kein Humanist, sondern Moralist (http://hpd.de/artikel/meint-ihr-denn-humanismus-teil-1-12860).
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"Er muss auch attraktiv sein, um irgendwann die religiösen Gegenkonzepte abzulösen."
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Religiotie ist doch kein "Gegenkonzept" zu irgendwas, sondern irrationales und antimoralisches Denken, das ersatzlos beseitigt werden muß, um den Aufbau einer ethischen Kultur zu ermöglichen.
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"Das ist mit unrealistischen Maximalansätzen oder -forderungen nicht möglich."
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Hier scheint wiederum ein von religiös tradiertem Rigorismus geprägtes Ethikverständnis durch. Es ist nicht nur möglich und zumutbar, sondern auch im Interesse eines jeden ethischen Subjektes, seine Handlungen oder Unterlassungen so zu steuern, daß sie möglichst viel Leid verhindern und zu möglichst wenig Mitschuld an vermeidbarem Leid führen. Außerdem läßt sich moralisches Verhalten fortlaufend optimieren, indem man aus Fehlern lernt, charakterliche Schwächen abbaut und sich dem jeweiligen ethischen Ideal immer weiter annähert - so unerreichbar es vorläufig sein oder auch nur erscheinen mag. Ein Moralist darf sich mit suboptimalem Verhalten niemals zufrieden geben, aber er schöpft Freude aus jedem Beitrag zu einer leidfreieren Welt, den er zu leisten gelernt hat.
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"Man wird nie mehr als eine Bevölkerungsgruppe im Bereich weniger Prozent von der völlig veganen (= völlig tierproduktefreien) Lebensweise überzeugen können."
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Das ist eine willkürliche Behauptung und zynisch obendrein, sofern Sie mitverantwortlich dafür sind, daß die Verbreitung des Veganismus nur sehr zäh vorankommt! Die Veränderbarkeit kultureller Gesetzmäßigkeiten entspricht der Veränderbarkeit menschlichen Denkens und Verhaltens. Es gibt also keinen Grund anzunehmen, daß der Veganismus unmöglich zur gesellschaftlichen Normalität werden kann.
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"Doch daraus einen Zwang zu machen - und nur das wird die deutliche Mehrheit der Menschen dazu bringen, auf jegliches Tierprodukt zu verzichten - erzeugt Abwehrreaktionen, die dem Humanismus weiterhin ein Nischendasein beschweren würde."
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Ein "Nischendasein", das er verdient hätte, wenn seine Normatismen antimoralische Elemente enthielten! Im Übrigen hat Moralität nichts mit "Zwang" zu tun, denn sie besteht in der ethisch ausgerichteten Wahrnehmung individueller Handlungsfreiheit. Ein Moralist "zwingt" höchstens sich selbst, niemals jedoch Andere!
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"Daher halte ich es für logisch und konsequent, wenn durch politische Lenkungsmechanismen der Tierproduktekonsum auf etwa 10% des heutigen Werte gesenkt werden könnte."
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Warum auf politische Lenkung warten? Jeder Einzelne kann sofort damit beginnen, sein Leben zu 90% zu veganisieren. Wie ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern kann, werden die restlichen 10% dann auch kein unlösbares Problem mehr darstellen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Obwohl ich bei diesem unendlichen Thema mit offenbar teilweise sehr verhärteten Fronten in dieser Runde eigentlich nicht mehr kommentieren wollte, werde ich es in Anbetracht Ihrer ausführlichen Antwort doch noch mal t
Vorwegschicken möchte ich, dass ich mich nicht nur als Humanist sehe, sondern auch als Amoralist, weil Moral immer gottbezogen ist (oder auf eine andere imaginäre Institution) und nicht auf ethische Prinzipien. Moral haben uns die Religionen eingebrockt.
Zu drei Ihrer Sätze:
"Warum auf politische Lenkung warten? Jeder Einzelne kann sofort damit beginnen, sein Leben zu 90% zu veganisieren. Wie ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern kann, werden die restlichen 10% dann auch kein unlösbares Problem mehr darstellen."
Wer sagt, dass man hier auf staatliche Lenkung warten soll? Jeder ist völlig frei, von jetzt auf gleich auf jeglichen Tierproduktekonsum zu verzichten. Es ist auch jeder völlig frei, sich an jegliche existierenden Gesetze zu halten. Leider (aus meiner Sicht glücklicherweise) hat jeder seinen eigenen Kopf, was es notwendig macht, ihn von guten Ideen zu überzeugen. Scheitert dies in letzter Konsequenz, dann müssen Gesetze her und im Zweifelsfall auch staatliche Gewalt.
Doch die Realität sieht bzgl. des Veganismus eher mau aus. Mehr Erfolg haben Vegetarier, weil die nicht so verbissen vorgehen. Ich kenne auch "Teilzeit-Vegetarier", die das nach Lust und Laune machen. Ich gehöre zu dieser Gruppe. Ich muss kein Fleisch essen, ich habe morgens kein Frühstücksei und Wurst und Käse sind mir meistens Wurst.
Aber ich habe auch kein Problem damit, hin und wieder Tierprodukte zu konsumieren. Ich schätze, dass ich die 90% Verzicht seit Jahren erreicht habe, doch die letzten 10% (die meine Wahlfreiheit sind) werde ich nicht aufgeben.
Wir haben auch Hunde, die können aus rein gesundheitlichen Gründen nicht auf Fleisch verzichten. Sollten wir die lieben Hausgenossen deshalb einschläfern lassen? Alle Hunde verbieten? Auch alle Katzen? Wo soll das enden?
Aber es gibt auch Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen auf eine gewisse Menge tierischer Produkte nicht verzichten können. Wobei ich diese ganze Aufregung auch nicht nachvollziehen kann. Das Problem ist doch ganz objektiv nicht das Verzehren von Fleisch u.ä. (denn das ist dem Fleisch völlig egal), sondern es ist die Massentierhaltung, die grausame Art, wie Tiere eingepfercht sind und völlig gegen jede artgerechte Lebensweise gehalten werden.
Ein Tier, das unter natürlichen Bedingungen gehalten wird, d.h. im Freien in einer artgerechten Umgebung, in artgerechten Sozialverbänden etc., leidet während seines Leben kein bisschen. Im Gegenteil, ihm werden Fressfeinde vom Hals gehalten, es hat immer gesunde Nahrung und im Krankheitsfall kommt ein Tierarzt. Das ist besser, als es jedes Tier in freier Wildbahn erlebt.
Gut, am Ende kommt der Schlachter, aber auch den Tod des Tieres kann man schmerzfrei hinbekommen. Das alles kostet natürlich viel mehr Geld und bringt nicht annähernd den Ertrag der bisherigen Massentierhaltung. Deswegen werden Tierprodukte ca. zehnmal so teuer sein (das ist nicht nachgerechnet, aber könnte als Größenordnung richtig sein).
Da Obst und Gemüse billig bleiben, wird der Konsument, dessen Einkommen knapper bemessen ist, sich höchstens noch 10% Tierprodukte leisten können, aber trotzdem satt werden. Der isst halt sechsmal die Woche vegetarisch oder vegan und am Sonntag hat er seinen Braten. Das ist ein Konzept, das man Menschen vermitteln kann.
Aber Sie können natürlich weiterhin versuchen, ihre Umgebung von der strikt veganen Lebensweise zu überzeugen. Solange wir dabei nicht die Kinder in der Wachstumsphase vergessen und Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht auf Tierprodukte verzichten können, sowie die Haustiere wünsche ich Ihnen viel Erfolg dabei...
Dr. Franz Reinartz am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Kammermeier,
Ihre etatistisch-paternalistische Argumentation reizt mich denn dann doch zum Widerspruch.
Sie kritisieren dann in Schilderung des eigentlichen Problems einerseits den zu hohen Fleischkonsum - da folgte ich Ihnen, wenn ich denn wüsste, was Sie für zu hoch halten - täglich, paar mal die Woche oder im Monat - und andererseits die Preispolitik der einschlägigen Discounter, wobei ich anmerken mag, dass es mehr als zwei sind.
Zur Lösung dieses Problems schlagen Sie nun eine "Tierproduktsteuer" von 1.000% vor, die den Produzenten (Bauern) zukommen soll, um die entsprechende Haltung zu ermöglichen, und erwarten eine Senkung des Fleischkonsums um 90 %. Wie Sie richtig erkennen, seien Milliardäre von der Kostensteigerung nicht betroffen.
Nun impliziert Ihr Vorschlag natürlich unausgesprochen das Verbot des Gebrauchs und Verzehrs von Tierprodukten durch Zeitgenossen, die sich das dann nicht mehr leisten können. Ich denke da an Studenten, Hartz IV-Empfänger, die Mehrzahl der Rentner und überhaupt Menschen, die unterhalb des Durchschnitts verdienen oder - je nach persönlicher Lage - auch deutlich mehr.
Ich möchte das an zwei banalen Beispielen - die wie immer hinken - erläutern:
Gönne ich mir zu Hause ein Sonntagsfrühstück aus Brötchen, Butter, Schinken, Käse, Honig, Ei, Obst, Joghurt, Milch und Kaffee, beträgt der Warenwert beim Discounter meiner Wahl ca. 3,50 €. Nach Ihrem Vorschlag stiege er wegen der "Tierproduktesteuer" auf ca. 17 €. Ein einfaches Tellergericht aus Fleisch (Schweinekotelett, -schnitzel oder Hähnchenkeule), Kartoffeln und Gemüse- bzw. Salatbeilage käme dann statt auf ca. 2,50 € auf gute 12 €.
Zum Vergleich: Der Ansatz für Nahrungsmittel und nicht alkoholische Getränke für Hartz IV-Empfänger beträgt monatlich ca. 145 €, der Durchschnittsnettolohn für einen Alleinstehenden ca. 1.900 €.
Nicht betrachten will ich die globalen Implikationen: Wem soll z.B. die "Tierproduktesteuer" für ausländische Lederwaren zustehen? Dem indischem Rinderhalter, der als Hindu nicht schlachten darf, oder dem Gerber aus Bangladesch. Wer erhält die Steuer für die Wolle, wenn ich einen Wollpullover erstehe? Der australische Schafzüchter oder die Näherinnen - wieder aus Bangladesch oder auch aus Pakistan?
Ihre Argumentation weckt in mir die Assoziation mit dem, der Marie Antoinette zugeschriebenen Wort "Dann sollen sie Kuchen essen." als Antwort auf die Forderung der Armen nach Brot.
Ähnliche Argumentationsketten finden wir bei der Diskussion um Diesel: Steuern erhöhen bzw. Fahrverbote (Dann sollen sie laufen oder Fahrrad fahren bzw. ÖPNV nutzen.). Wir finden ähnliches bei fast allen aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen.
Eine ideologische Debatte wird mit quasi religiösen Scheinargumenten geführt, die in ihrer Bigotterie kaum überbietbar sind. Und jedenfalls jenen die Folgen erspart, welche die Debatte gestartet haben. Es wird ja nicht direkt verboten! Wer Geld hat, kann sich Dieselautos, Strom oder Fleisch natürlich leisten. Die anderen sollen halt was Ordentliches lernen (um ein Wort Herrn Taubers anzuwenden), dann verdienen sie auch gut.
Darüber lohnt sich nachzudenken.
Vielleicht hätte Ihre Steuer aber auch ein Gutes: Einer meiner Nachbarn würde sein Tierfutter nicht mehr zahlen wollen oder können, so dass sein "Dachhase" möglicherweise einer küchentechnischen Verwendung zugeführt werden könnte und ich mich am Amselpaar in meinem Garten und seinem Nachwuchs erfreuen könnte, ohne dass das Nest geplündert wird, wie unlängst geschehen.
Mit freundlichen Grüßen
F.Reinartz
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort.
Sie zeigt eindrucksvoll das Dilemma, indem sich die zivilisatorische Entwicklung befindet: Einerseits wollen wir dem Menschen (also uns) nichts nehmen, andererseits gibt es großen Widerspruch gegen z.B. Massentierhaltung.
Da mein Konzept den Veganern (wie hier mehrfach nachzulesen) nicht ausreicht, ich aber andererseits - wie von Ihnen ausgeführt - gegen die Interessen von finanziell nicht so üppig ausgestatteten Mitmenschen verstoße, scheine ich auf dem richtigen Weg zu sein.
Wer hat damit Probleme, sich vorzustellen, wie ein HARTZ-IV-Empfänger vor seinem TV-Empfänger sitzt und sich wegen eines Monitor-Beitrags über Massentierhaltung aufregt, während er zeitgleich sein billiges Schinkenbrötchen verzehrt?
Dabei zeigt sich doch die ganze Problematik: Als ethisch denkende und noch mehr fühlende Menschen erschrecken uns die Bilder gequälter Tiere, gleichzeitig wollen wir aber das in jeder gewünschten Menge genießen, was nur durch die kritisierte Tierquälerei möglich ist.
Die Antwort kann doch nur ein Konzept sein, das jegliche Massentierhalten überflüssig macht (nicht verbietet). Beispiel: Ein Bauer hält 100 Schweine auf Fläche x. Bekommt er zehnmal sowie Geld für seine Arbeit (10% vom Konsumenten, 90% vom Finanzamt) bei gleichzeitigen Umsatzeinbußen (auf die Fleischmenge bezogen) von 90%, dann braucht er nur noch zehn Schweine auf Fläche x, bei 100% seiner bisherigen Einnahmen.
Die Folge ist: kein Einkommensverlust beim Bauern und zehn Schweine können sich jetzt da tummeln, wo sich vorher 100 Schweine gegenseitig auf die Haxen getreten sind. Wenn das jetzt nicht in einem Stall mit Betonboden passiert, sondern in einem Freilandgehege, dann steht dem glücklichen Schwein nichts mehr im Wege.
Jetzt zu den Menschen, die ihren Tierproduktekonsum einschränken müssen: Ja, das ist wahr. Aber das ist auch durchaus im Sinne der Volksgesundheit. Ich komme mit ca. 10% des Durchschnittsfleisch(etc.)Konsums aus. Fleisch ist für mich etwas besonderes geworden, dass ich dann auch mal von einem guten Schlachter hole und entsprechend mehr bezahle. Nicht konsequent, aber hin und wieder doch.
Ich denke, dass es dem einen oder anderen Zeitgenossen durchaus gut bekommen würde, wenn er weniger Eier, Käse, Schinken und Fleisch verzehrt. Gerade reiche Menschen machen dies von sich aus und nennen es dann "gesunde Ernährung"! Das geht und tut nicht weh.
Und falls jemand wirklich so knapp sein sollte, dass er sich nicht mal einen Sonntagsbraten leisten kann, dann gibt es sicher staatliche Möglichkeiten, hier subventionierend zu helfen. Dann bekäme die Bauern nicht die ganze Tierproduktsteuer, sondern nur 98% und die restlichen 2% würden zur Hilfe für Bedürftige verwendet. Das ist doch in einem Sozialstaat alles regelbar.
Die Waren aus dem Ausland würden durch diese Steuer ebenfalls entsprechend verteuert, um Dumpingpreise von dortigen Massentierhaltern zu verhindern. Deshalb kann man die Tierproduktpreise auch nicht über den Markt regulieren. Der zertifizierte Betrieb, der einerseits nach Deutschland liefert, andererseits aber alle Auflagen zum Tierschutz einhält, wird selbstverständlich im gleichen Maß von der Steuer profitieren. Für den Staat ist das ja nur ein Durchlaufposten, ähnlich der MwSt, der die Steuer treuhänderisch einnimmt.
Das alles müsste natürlich von Spezialisten durchdacht und durchgerechnet werden. Ich sehe mich - ohne dies jetzt auf der Agenda zu haben - als jemand, der einen gangbaren Ausweg aus dem Dilemma "Tierverzehr vs. Tierschutz/Tierethik" sucht. Andere sollen dieses Konzept aufgreifen und politisch prüfen.
Weder ein "Weiter so" noch der Veganismus als gesellschaftlicher Zwang sind für mich Ansätze zur Lösung der tierethischen Fragen...
Dr. Franz Reinartz am Permanenter Link
Hallo Herr Kammermeier,
ich sehe Ihre freundliche Antwort erst heute und bedanke mich für die ergänzenden Hinweise.
Ich bedauere das sehr. Ich muss leider auch zur Kenntnis nehmen, dass Viehhaltung mittlerweile in manchen Landstrichen weniger mit der Milch-, Fleisch-, Woll- oder Lederproduktion als mehr mit dem Tourismus zu tun hat. Gegenden, wie das Allgäu, das Voralpenland, die Lüneburger Heide oder Nord- und Ostseeküsten würden ohne Viehhaltung touristisch uninteressant werden. Wer kann sich die Heide ohne Heidschnucken, die Küsten ohne Schwarzbunte bzw. die Alpen ohne Viehglockengebimmel vorstellen.
In dem Zusammenhang scheint es mir erwähnenswert, dass auf der laufenden documenta in Kassel Kunstwerke eines norwegischen Samen zu sehen sind, der die Auswirkungen des Verbots sog. Massentierhaltung am Beispiel der Rentierherden norwegischer Samen künstlerisch darstellt. Schädelkalotten gekeulter Rentiere sind auch als "Kunstwerk" nicht wirklich schön.
Ich denke, eine Debatte um das Tierwohl ist angebracht, soweit Haltungsformen und Schlachtvorgang betroffen sind - da gibt es Verbesserungsmöglichkeiten, die auch mit wenig Aufwand große Wirkung erzielen.
Was den Verzehr bzw. Gebrauch tierischer Produkte betrifft, herrscht leider m.E. ein Glaubenskrieg. Und leider gibt es in Glaubenskriegen keine rationalen Kompromisse.
Ich danke für Ihnen für Ihre Sicht, die mich zur Reflexion meiner Auffassung gebracht hat.
F. Reinartz
Arno Gebauer, ... am Permanenter Link
Moin,
wenn das Schlachten und Verspeisen von Tieren erlaubt ist, obwohl dies die Tötung von unschuldigen Lebewesen die niemandem etwas getan haben voraussetzt - dann muss die 1000 mal weniger schlimme Tötung (Hinrichtung) von überführten Schwerverbrechern, die anderen schweres Leid zugefügt haben, logischerweise erst recht erlaubt sein.
Durch das Töten und/oder das Essen von Tieren bleibt die Rohheit im Menschen wesentlich.
Das Wahnsinnsprinzip des Lebens beruht darauf, dass die Lebewesen einander auffressen müssen, um leben zu können und dass alle Lebewesen am Leben hängen.
Die Grausamkeit gehört zu den ältesten Festfreuden der Menschheit. Folglich denkt man sich auch die Götter erquickt und festlich gestimmt,wenn man ihnen den Anblick von Grausamkeit anbietet.
Viele Grüße
Arno Gebauer
Mayte am Permanenter Link
So lange es Schlachthöfe gibt,wird es Schlachtfelder geben.
Markus Schiele am Permanenter Link
"[..] wenn das Schlachten und Verspeisen von Tieren erlaubt ist, obwohl dies die Tötung von unschuldigen Lebewesen die niemandem etwas getan haben voraussetzt - dann muss die 1000 mal weniger schlimme Tötung (Hin
Ganz so einfach dürfte die Sache nicht liegen, je nachdem ob die fraglichen Tiere ein Bewusstsein ihrer Selbst und/oder ein Bewußtsein ihrer eigenen Endlichkeit haben. Letzteres muss man Ihren "überführten Schwerverbrechern" wohl zugestehen und damit ganz eigene Formen und Intensitäten von Leid angesichts eines bevorstehenden verordneten Todes. Darüber hinaus muss man noch die Fraglichkeit des Konzepts eines "freien Willens" bedenken: Kein Schwerverbrecher hat sich seine Gene, seine Eltern oder die Umstände seines Aufwachsens ausgesucht. Schon alleine aus diesen Gründen sollte die Todesstrafe prinzipiell ausgeschlossen sein und humanere Wege gefunden werden, um die Gesellschaft vor eventuellen weiteren Taten solcher "Schwerverbrecher" zu schützen.
Es grüßt ein langjähriger Vegetarier aus ethischen Gründen, der es leider noch immer nicht geschafft hat ein hunderprozentiger Veganer zu werden ...
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich habe keine Probleme mit unterschiedlichen Ernährungsformen von Lebewesen - also auch nicht von Menschen.
"wenn das Schlachten und Verspeisen von Tieren erlaubt ist, obwohl dies die Tötung von unschuldigen Lebewesen die niemandem etwas getan haben voraussetzt - dann muss die 1000 mal weniger schlimme Tötung (Hinrichtung) von überführten Schwerverbrechern, die anderen schweres Leid zugefügt haben, logischerweise erst recht erlaubt sein."
Doch bei dieser Argumentation muss ich den Kopf schütteln. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ich kann doch auch nicht sagen: "Weil das ernten und verspeisen von Pflanzen erlaubt ist, darf man Wälder sinnlos roden." Das eine hat mit dem anderen ebenfalls nichts zu tun. Es gibt ja jede Menge guter Argumente gegen die Tötung von Tieren, die der Nahrung dienen sollen. Doch dieses gehört gewiss nicht dazu.
"Durch das Töten und/oder das Essen von Tieren bleibt die Rohheit im Menschen wesentlich."
Auch das ist kein Argument. Der Mensch is(s)t wie er ist, bzw. wie die Evolution uns werden ließ. "Rohheit" ist ein Ausdruck, der auch mit der Art der Nahrungsmittel nichts zu tun hat - außer bei Rohkost. Rohheit kann ich im Umgang mit der Natur verorten - wozu auch Monokulturen gehören, um Nutzpflanzen anzubauen. Man sollte dies im Gesamten sehen.
"Das Wahnsinnsprinzip des Lebens beruht darauf, dass die Lebewesen einander auffressen müssen, um leben zu können und dass alle Lebewesen am Leben hängen."
So ist es. Ob wir dies bedauerlich finden, interessiert die Evolution nicht im Mindesten. Die interessiert nämlich gar nichts.
"Die Grausamkeit gehört zu den ältesten Festfreuden der Menschheit. Folglich denkt man sich auch die Götter erquickt und festlich gestimmt,wenn man ihnen den Anblick von Grausamkeit anbietet."
Das ist ein off-Topic-Argument. Ich ziehe mal etwas für das hiesige Thema heraus: Grausamkeit. In der Tat muss diese Verhaltensweise zivilisiert werden. D.h. die Grausamkeit im Umgang mit uns Menschen und mit der Natur (deren Teil wir sind). Dies sollte unter maximaler Leidminderung geschehen. Totale Leidvermeidung ist unmöglich, weil das Leben an sich Leid produziert. Nur ein steriler Mond kennt kein Leid.
Bereits die Geburt erzeugt Leid, Nahrungsausnahme und Verdauung können Leid produzieren. Das Wetter kann Leid erzeugen, Krankheiten, soziale Probleme und dann - nachdem all dieses Leid ertragen wurde - kommt der Tod, der auch leidvoll sein kann.
Sollen wir deshalb das Leben abschaffen und die Erde in eine sterile Welt verwandeln, um das Leid - und damit jede Grausamkeit - völlig zu vermeiden? Oder lassen wir den Menschen leben und töten nur die Wildtiere, die sich aus schierem Überlebenswillen gegenseitig grausam verfolgen, jagen, fressen? Wären dann die Zootiere die Letzten ihrer Art, weil sie beschützt und versorgt werden und friedlich sterben dürfen? Oder ist uns das auch zu grausam, weil diese Tiere ja nicht mehr das Recht haben, in freier Wildbahn zu jagen oder gejagt zu werden?
Wäre es nicht ehrlicher, wenn wir uns in unserem Verhalten wieder der Natur annähern und die Natur Natur sein lassen? Natürlich gibt es dabei Grenzen, weil der Mensch an sich auf bestimmte zivilisatorische Errungenschaften nicht mehr verzichten will. Hier gilt es einen klugen und eben nicht grausamen Ausgleich der Interessen herzustellen. Einen, der Leid auf das mögliche Minimum reduziert.
Dies geht meiner Meinung nach nicht, indem eine Gruppe von Menschen der anderen vorschreibt, was nun alle unter Leidverminderung zu verstehen haben. Es geht um die Berücksichtigung realer und realistischer Lebensumstände. Auf diesem Weg ist noch sehr viel zu tun und sehr dicke Bretter sind zu bohren - vor allem, wenn ich an Sturköpfe wie D. Trump denke.
Maximalforderungen einer kleinen Gruppe, wie z.B. Veganer - sind da kontraproduktiv...
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Wenn Sie keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier machen (was Ihr gutes Recht ist), wieso setzen Sie dann noch einen Schritt vor die Tür (Achtung Ameisen), lassen sich nicht ungerührt von Schnaken verstechen und wa
pavlovic am Permanenter Link
@Gebauer - Sie sprechen von "Wahnsinnsprinzip" und "Rohheit".
Horst Herrmann am Permanenter Link
Nachdem ich festgestellt hatte, dass sich die gängige Soziologie mit Alltagsproblemen wie Partnerschaft, Sexualität, Essen so gut wie nicht beschäftigte, habe ich immer wieder Vorlesungen zum Thema Essen und Trinken (
Karl Renz am Permanenter Link
Eine allgemeine Empörung darüber dass in China Hunde gegessen werden habe ich noch nicht bemerkt.
Man muss Tiere vor allem artgerecht halten und möglichst schonend schlachten. Ansonsten müsste man allgemeinen Vegetarismus durchsetzen. Das ist aber wie mit der Vision von der Welt ohne Nationen, eine schöne Idee, deren unduldsame Durchsetzung schlimme Konflikte schafft. Viele wollen es aber nicht abwarten und einfach ihren Beitrag leisten, sondern es auf Biegen und Brechen jetzt erzwingen.
Weyershausen am Permanenter Link
Es ist ein Trugschluss, dass der Mensch ein Fleischesser sei. Dafür ist unser Verdauungstrakt viel zu lang. Ganz im Gegenteil sind tierische Proteine schädlich für den Menschen.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Wer vor 100 Jahren vegan leben wollte, musst mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen leben.
Weyershausen am Permanenter Link
Als Veganer benötigt man in der Tat keine Chemie, um sich gesund zu ernähren. Alles, was der Körper benötigt, kann er sich aus pflanzlicher Nahrung holen.
Anne am Permanenter Link
Die Chinesen quälen Hunde vor ihrem Tod vorsätzlich.
angelika richter am Permanenter Link
Vielleicht hilft in dieser Debatte, sich klar zu machen, dass wir alle uns auf Kosten anderen Lebens ernähren - solange wir Nahrung nicht ausreichend synthetisch herstellen können.
Auch Pflanzen sind Lebenwesen, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten dagegen wehren, beschädigt bzw verzehrt zu werden.
Thomas am Permanenter Link
"Vielleicht hilft in dieser Debatte, sich klar zu machen, dass wir alle uns auf Kosten anderen Lebens ernähren"
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