Hundefleischfestival in China: Einmal Empörung mit Soße, bitte

In Deutschland essen sie Schweine

Jedes Jahr wieder ist die Aufregung groß. In China essen sie Hunde! In der Empörung bricht eine verdrängte Wahrheit heraus: Dass das millionenfache Einkerkern, Töten und Verzehren von intelligenten, sympathischen, sozial lebenden Säugetieren bei uns eine völlige Selbstverständlichkeit ist.

Ihre wurstigen, abgeflammten Körper liegen nebeneinander, übereinander auf einem Markttisch in Yulin, China. Auf den ersten Blick unterscheiden nur ihre Fangzähne sie von zu verspeisenden Jungschweinen. Aber es waren Hunde, und sie könnten noch leben! Wie kann man ihnen so etwas antun? Es ist das ungewohnte, das unseren Abscheu erregt, und es ist der empfundene Verrat, den wir an den Hunden begehen. Der Hund, unser bester Freund. Er wedelt auf uns zu, er freut sich, uns zu sehen! In China haben sie versucht, den sinkenden Absatz von Hundefleisch wieder anzukurbeln, und haben daher vor ein paar Jahren das Hundefleischfestival in Yulin ins Leben gerufen. Die weltweite Empörung ist dem Festival jedes Jahr sicher. Denn wie kann so etwas möglich sein: Hunde einzufangen, einzukerkern, durch die Gegend zu verfrachten, zu töten?

Ja, dem einigermaßen einfühlsamen Menschen erscheint das als eine Monstrosität. Und wie bei so vielen Aufregern ist das Schlimmste an ihr: Dass sie uns einen Spiegel vorhält. Dass sie uns, durch eine leichte Verschiebung, zeigt, was wir auch hier seit langer Zeit als Selbstverständlichkeit hinnehmen. Dass wir intelligente, verspielte, sozial lebende Tiere, die sich mit uns anfreunden würden, einsperren, aufpumpen, töten. In den Nudelsalat schnippeln. In Deutschland ist dieser Umgang mit Rindern und Schweinen eine millionenfache Alltäglichkeit. Schwer erträgliche Recherchen des MDR haben jetzt ergeben, dass auch ein weiterer Gefährte des Menschen, das Pferd, für die Grausamkeit der Massentierhaltung still leiden muss: In Südamerika wird trächtigen Stuten literweise Blut abgezapft, um ein Mittel zur Kontrolle der Massenhaltungsschweine zu gewinnen.

Dass der Hund zu unserem besten Freund geworden ist und in den meisten Kulturen von seinem Verzehr abgesehen wird, hat er seiner eigenen Fähigkeit zur Gewalttat zu verdanken: Als Raubtier verfügt er über wenig leckeres Eigenfleisch, aber mit seiner Wachsamkeit, Kooperationsfähigkeit und abrufbarer Aggression hat er sich stets als Kompagnon empfehlen können. Die Fangzähne und das zugehörige Verhaltensrepertoire machten ihn eher zu einem nützlichen Instrument als zu einem Nahrungsmittel. Das Schwein hingegen, das sich dem Menschen ebenso freundschaftlich anschließen kann wie der Hund, war von jeher ein viel zu friedliches Tier. So ging es ihm, wie es den Friedfertigen auf die Dauer eben ergeht: Es wurde seiner Freiheit beraubt, ihm wurde das Fell nach Lust und Laune über die Ohren gezogen. Man kann das Schwein gut essen, und man kann es gut auch beschießen: Das Fleisch und die Haut des Schweins sind den unseren relativ ähnlich, so dass man sie auch für militärische Versuche nutzbar macht.

Millionenfache Grausamkeit hier wie dort. Das Hundefleischfestival von Yulin rollte kürzlich, wie jedes Jahr, routinemäßig durch die Schlagzeilen. Dieses Jahr gab es sogar Gerüchte von einem Verbot, aber daraus wurde natürlich nichts, und so bleibt es dabei: In China sterben jährlich bis zu 20 Millionen Hunde, traurig schauen sie uns aus ihren Käfigen heraus an. Allgemeine Empörung in der aufgeklärten Westwelt ist ihrem Schicksal gewiss. Wie aber geht es den Schweinen, tauchen auch sie in den Schlagzeilen auf?

Für gewöhnlich haben wir sie an den Rand unserer Wahrnehmung gedrängt. Abermillionen von ihnen leben in Deutschland, große Viecher, wir aber bekommen eher mal einen Marder zu Gesicht, der nachts zwischen parkenden Autos umherhuscht. Schweine in den Google News? Nur wenn einmal etwas Unvorhergesehenes passiert. Auf der A2 ist ein Transporter umgekippt, 775 Schweine auf vier Etagen, da kam es zu größeren Störungen im Verkehr. Vier Stunden lang war die Autobahn gesperrt. Der Lastwagen brannte und konnte gelöscht werden. Voller Mitleid schrieb die "Bild"-Zeitung: "Für 23 Schweine kam jedoch jede Hilfe zu spät". In den USA gab es einen ähnlichen Unfall, ohne Feuer, dafür aber mit einer Anzahl an Schweinen, die sich aus dem umgekippten Laster in die Freiheit hinauswagten: Es gibt einen kurzen Videoclip mit ihnen, neugierig und verspielt schauen die Tiere sich die Welt an, eines wird von ihnen wird mit Wasser besprengt, im Übrigen alle von tüchtigen Uniformierten wieder eingefangen. So können sie ihre Reise fortsetzen. Woher sie kamen? Wohin sie gingen? Das interessiert die Welt der Nachrichten nicht. Schweine, die eingekerkert und vollgestopft, mit Medikamenten eingetaktet und möglichst jung getötet, ausgeweidet und zerstückelt werden, haben keinen Nachrichtenwert. Denn sie sind das Normalste auf der Welt.