DIE LINKE und die Religion

Privilegien für die religiöse Rechte

Das aktuelle Bundestagswahlprogramm der Partei Die Linke enthält zahlreiche Punkte, die auch von den säkularen Verbänden seit langem gefordert werden. Für Irritation sorgte hingegen ein Rückholungsantrag auf dem letzten Parteitag, der eine bereits beschlossene Forderung nach Kündigung bestehender Kirchenverträge wieder kippte. Maßgeblich beteiligt an dieser Entscheidung war die religionspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Christine Buchholz.

Nachdem am späten Abend ein Antrag, die Staatsverträge mit den Kirchen zu kündigen, eine Mehrheit gefunden hatte, setzte die Parteitagsregie am nächsten Morgen alles daran, die Entscheidung zu revidieren. Wie andere Parteiprominenz auch – Klaus Lederer, Petra Pau oder Claudia Haydt – kritisierte Buchholz in einer "Persönlichen Erklärung" das Abstimmungsergebnis und verwies auf "fatale" Folgen. Die Intervention war letztlich erfolgreich, zu den Kirchenverträgen findet sich nun nichts Grundsätzliches im Wahlprogramm der Linken.

Tatsächlich ließe sich über den Antrag diskutieren, eine exaktere Formulierung und eine ausführlichere Begründung hätte dem Anliegen nicht geschadet. Aber zumindest für Christine Buchholz lag das Problem nicht darin begründet: Sie ist grundsätzlich der Meinung, dass die Privilegierung von Religionsgemeinschaften gegenüber anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren im Kern erhalten bleiben muss.

Ausweitung kirchlicher Privilegien

Verbal bekennt sich die religionspolitische Sprecherin zwar zur Trennung von Staat und Kirche, sie versteht darunter aber nicht eine laizistische, sondern die in Deutschland vorherrschende kirchenfreundliche Interpretation ("Hinkende Trennung") und will bestehende Instrumente der Zusammenarbeit beibehalten. Als "Weiterentwicklung" der religionspolitischen Forderungen der Linken sieht sie die Ausweitung der kirchlichen Privilegien auf "Minderheitenreligionen" und auch Weltanschauungsgemeinschaften (explizit genannt wird der Humanistische Verband). Lediglich die obskursten alten Zöpfe wie die staatlich verfasste Militärseelsorge, die sog. Staatsleistungen als Entschädigung für Jahrhunderte zurückliegende Enteignungen oder die Diskriminierung durch das kirchliche Arbeitsrecht sollen abgeschnitten werden.

Beispielbild
Christine Buchholz, MdB DIE LINKE. (Foto: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde)

Den Religionsunterricht möchte sie dagegen beibehalten. In der (Religionsgemeinschaften vorbehaltenen) Möglichkeit, Kindern und Jugendlichen in der Schule die eigenen Vorstellungen näherzubringen und einen solchen Unterricht aus öffentlichen Mitteln finanziert zu bekommen, sieht sie kein Privileg, sondern eine "Selbstverständlichkeit". Ebenso fordert sie immer wieder, vor allem islamischen Verbänden bzw. muslimischen Gemeinden den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuzuerkennen. Dass Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht nur einen würdevollen Rahmen für Frömmigkeitsübungen ihrer Mitglieder zur Verfügung stellen, sondern in der Regel auch gesellschaftspolitische Vorstellungen haben, muss dabei unter den Teppich gekehrt werden. Denn sonst ließe sich die Bevorzugung religiöser Organisationen vor anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren nur schwer rechtfertigen.

Religionsfreiheit = Gleichbehandlung der Organisationen

Dass die religionspolitische Sprecherin der Partei Die Linke Positionen vertritt, die nicht allen Linken links erscheinen dürften, liegt an zwei Grundannahmen, die beide für sich schon problematisch sind und im Zusammenspiel dazu führen, dass ihre Forderungen die Anliegen der religiösen Rechten bedienen.

Denn wenn es um Religionsfreiheit geht, ist für Buchholz nicht das Individuum das Maß der Dinge, ausschlaggebend sind die religiösen Organisationen. Sie stehen in den meisten ihrer religionspolitischen Verlautbarungen im Vordergrund (ihre Gruppenfixierung schlägt teilweise bis auf die sprachliche Ebene durch, etwa wenn Buchholz schreibt, dass Minderheitenreligionen eine etwaige Kündigung der Staatsverträge mit den Kirchen als Problem "empfinden" würden).

Diese Herangehensweise ist aber gerade im Hinblick auf den muslimischen Bevölkerungsteil fragwürdig. Denn zumindest der sunnitische Islam ist nicht kirchlich organisiert, das Verhältnis der Gläubigen zu ihrem Gott bedarf keiner vermittelnden Instanz (wie etwa den Klerus). So repräsentieren die Islamverbände auch nur eine Minderheit der in Deutschland lebenden Muslime und selbst eine formelle Mitgliedschaft in einer Moscheegemeinde existiert in der Regel nicht. Die Beziehungen von Staat und Kirche hierzulande sind hingegen historisch gewachsenen und dementsprechend auf die Organisationsform der christlichen Kirchen zugeschnitten. Dass eine "Integration des Islams" ins bestehende System ohne Einschnitte ins religiöse Selbstverständnis zahlreicher Gläubigen kaum möglich sein wird, liegt auf der Hand; dass dies wiederum aus der Perspektive der individuellen Religionsfreiheit problematisch ist, ebenfalls.

Wer es mit der Religionsfreiheit nicht der Verbände sondern der Menschen ernst meint, muss dann auch den islamischen Religionsunterricht kritisch sehen. Sobald er eingeführt ist, stehen muslimische Schulkinder (oder solche, die vom Staat dafür gehalten werden) unter Bekenntnis- und Konformitätsdruck. War es bisher ohne großen Aufwand möglich, Dissidenz oder Apostasie zu verbergen, ist nun ein öffentlich sichtbares Bekenntnis gefordert. Wer das nicht will, muss gute Miene zum bösen Spiel machen, in den Religionsunterricht gehen und seine tatsächlichen Ansichten verschweigen.

Es sagt viel über das Politikverständnis von Christine Buchholz aus, wenn sie sich unter Hinweis auf die individuelle Religionsfreiheit dafür einsetzt, dass Frauen "immer und überall"  (auch als Lehrerin, Richterin usw.) den Schleier tragen dürfen. Damit stellt sie sich auf die Seite derer, die ihre Freiheit darin finden, sich dem orthodoxen Islam bzw. seiner konservativen Interpretation unterzuordnen. An jene, die von diesen Normen abweichen möchten, verschwendet sie keinen Gedanken.

"Flüchtlinge und Muslime"

Wer ihre Auffassung von Religionsfreiheit nicht teilt und etwa der Meinung ist, dass Religionen (und damit auch der Islam) eine Gesellschaft durchaus vor Probleme stellen können, könnte sich schnell mit dem Rassismusvorwurf konfrontiert sehen. Ihre Argumentation ist dabei bedrückend einfach: Wer sich kritisch zum Islam äußert (zu einzelnen Aussagen des Korans, bestimmten Organisationen, aus dem islamischen Recht begründeten gesellschaftlichen Forderungen usw.), tut dasselbe oder zumindest etwas Ähnliches wie die Alternative für Deutschland (AfD) und unterstützt damit deren rassistische Ansichten. Da nicht anzunehmen ist, dass eine Person, die seit Jahren als religionspolitische Sprecherin einer Bundestagsfraktion fungiert, den Unterschied zwischen Laizismus (keine Privilegien und in der Folge Gleichbehandlung aller) und Rassismus (Sonderbehandlung einer Glaubensrichtung mit dem kaum verhohlenen Ziel, einen homogenen Nationalstaat wiederherzustellen) nicht kennt, darf unterstellt werden, dass Buchholz diese Rhetorik gezielt einsetzt, um Andersdenkende zu diffamieren.

Vielleicht will Christine Buchholz durch derlei aggressive Töne aber auch von einer zentralen Schwäche ihrer eigenen Argumentation ablenken. Für sie ist der Islam die Religion der Flüchtlinge, der Eingewanderten, der unterdrückten Minderheit. Statistisch gesehen ist diese Annahme nicht falsch, wer sie aber zur Grundlage seiner Gesellschaftsanalyse macht, ist den Identitären auf den Leim gegangen.

Denn längst sind Muslime nicht mehr nur Eingewanderte und auch die aus "muslimischen" Ländern zu uns gekommenen Menschen bekennen sich nicht alle zum Islam. Wie viele Muslime im Alltag Diskriminierung erfahren, weil sie als Muslime wahrgenommen werden, und wie viele, weil sie als "Ausländer" angesehen werden, wäre in diesem Zusammenhang eine lohnende Frage. Ebenso interessant wäre, ob ungläubige Türkinnen oder Iraner grundsätzlich andere Erfahrungen machen. Dass sich aber durch die Verleihung des Körperschaftsstatus an eine DITIB-Moscheegemeinde irgendetwas an der Lebenssituation der Betroffenen ändern würde, wage ich zu bezweifeln.

Doch Christine Buchholz geht es, wie gesagt, nicht um die Individuen. Sie denkt in Kategorien wie "Minderheitenreligion" und folgt der falschen (und letztlich identitären) Logik, dass Kritik an der "Minderheitenreligion" Islam sich zwangsläufig gegen die Minderheit der Flüchtlinge und Eingewanderten richtet. Und ihre religionspolitischen Vorschläge erschöpfen sich darin, die AfD-Forderungen umzukehren: Privilegierung statt Diskriminierung. Gefangen in ihrem Schwarz-Weiß-Denken muss sie auf eine kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Islamverbände verzichten; dass abgesehen von den alevitischen Vereinen alle weitestgehend konservativ dominiert sind, blendet Buchholz aus.

Sie übersieht, dass "der Islam" in Deutschland keine homogene Gemeinschaft darstellt, die durch eine oder auch eine Handvoll Organisationen angemessen repräsentiert wäre. Sie übersieht, dass "der Islam" längst nicht mehr die Religion der Eingewanderten ist, wie es Marx21 und die AfD gerne hätten. Und sie übersieht, dass ihr Rezept der deutschnationalen Rechten dadurch zu begegnen, die religiöse Rechte durch die Einbindung ins Privilegiensystem mit finanziellen Mitteln und politischen Möglichkeiten auszustatten, nur der religiösen Rechten nutzt. Nicht der Gesellschaft. Nicht den Muslimen in Deutschland. Nicht der Partei Die Linke.


Der Text ist eine stark erweiterte Fassung eines Artikels, der im Rahmen des Schwerpunktes zu den Bundestagswahlprogrammen der Parteien in MIZ 2/17 erschienen ist.