Der Ökonom und Sozialwissenschaftler Andrew Sayer erörtert in seinem Buch "Warum wir uns die Reichen nicht leisten können" die Folgewirkungen ansteigender sozialer Ungleichheit im weltweiten Maßstab. Er kann seine diesbezüglichen Einwände anhand von einer Fülle von Daten belegen und setzt sich auch präventiv kritisch mit möglichen Einwänden auseinander, will aber auch mehr eine Analyse und weniger ein Manifest vorlegen.
Nach dem Oxfam-Bericht 2014 besitzen die reichsten 80 Menschen der Welt so viel wie die 3,5 Milliarden Menschen umfassende ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. 48 Prozent des Vermögens der Welt gehören einem Prozent der Bevölkerung. Und das Vermögen der reichsten ein Prozent der Welt beläuft sich auf 110 Billionen US-Dollar. Das ist 65 Mal mehr als das Gesamtvermögen der unteren Hälfte der Weltbevölkerung.
Diese Daten über die soziale Ungleichheit im weltweiten Maßstab sind allgemein bekannt. Doch welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Politik? Auf diese Frage geht Andrew Sayer in seinem Buch "Warum wir uns die Reichen nicht leisten können" ein. Wer hier ein Reichen-Bashing angesichts des Titels erwartet, wird enttäuscht werden. Dem Autor geht es nicht um individuelles Fehlverhalten, sondern um einen strukturellen Prozess. Die von ihm gewählte Analyseperspektive hängt denn auch mit seinem Beruf zusammen: Er ist Professor für Sozialwissenschaften und Politische Ökonomie an der Lancaster Universität.
Als Antwort auf die Frage im Titel heißt es bereits in der Einleitung:
"Ihr Reichtum beruht in erster Linie auf der Produktion von Gütern und Dienstleistungen durch andere. Abgeschöpft durch Dividenden, Kapitalgewinne, Zinsen, Mieten und andere ökonomische Renten, sind große Teile dieses Reichtums in Steueroasen versteckt. Die Reichen haben die Mittel, das Wirtschaftsleben, die Medien und die Politik ihrem Einfluss zu unterwerfen und schränken den Handlungsspielraum von Demokratien ein, indem sie ihre Sonderinteressen und Weltanschauungen durchsetzen. Sie pflegen einen maßlosen und verschwenderischen Konsum, der Ressourcen aufzehrt, die andere nicht bloß dringender bräuchten, sondern auch eher verdient hätten. Ihre CO2-Bilanz ist grotesk überhöht, und viele von ihnen haben ein handfestes Interesse an der Fortsetzung einer fossilen Energieerzeugung, die unseren Planeten bedroht" (S. 10).
Für all diese Aussagen liefert Sayers anschließend eine Fülle von Argumenten und Daten, die auch internationale Vergleiche ermöglichen.
Dabei nimmt er eine Differenzierung von verdientem und unverdientem Einkommen vor. Letzteres meint auch das Einkommen, das erst durch die Existenz eines hohen Einkommens möglich wird. Die ganze Dimension des Rentierdaseins zeigt sich hier. Indessen wirken die Ausführungen zu Wucher und Zinsen etwas schief, gehören doch einschlägige Praktiken zum modernen Wirtschaftsleben dazu. Dann geht es um die Herkunft des Wohlstandes. Der Autor macht kritisch auf den Mythos der Chancen- und Wettbewerbsgleichheit aufmerksam, wobei er dies angesichts der Bedeutung im öffentlichen Diskurs durchaus noch intensiver hätte machen können. Besonders große Aufmerksamkeit wird dem politischen Einfluss der Reichen gewidmet, ergeben sich hieraus doch einschlägige Gefahren für die Demokratie als politisches System für das ganze Volk. Und schließlich erörtert Sayer die Folgen des Geldausgebens durch die Reichen, die von ihm für die globale Erwärmung hauptverantwortlich gemacht werden. Mit der Frage nach Handlungsmöglichkeiten endet das Werk.
Der Autor beeindruckt durch die Fülle an Informationen, welche die Dimensionen der informellen Herrschaft von Wenigen deutlich machen. Dies geschieht in stringenter und systematischer Art und Weise. Man hat es nämlich nicht mit einem "Empörungsbuch" zu tun. Gleichwohl klingen mitunter Formulierungen in diese Richtung.
Sayers will seine Ausgangsthese belegen, wobei er sich aber nicht nur auf die dafür sprechenden Gesichtspunkte konzentriert. Immer wieder setzt er sich präventiv mit möglichen Einwänden auseinander, wodurch das Buch einen stark diskursiven Charakter erhält.
Es gibt aber auch einige Leerstellen in dem Werk. Das gilt einerseits für die Frage, worin die Ursachen für die soziale Ungleichheit bestehen. Denn wenn sie mit ökonomischen Grundprinzipien zu tun haben, müssten dort auch entsprechende Eingriffe erfolgen. Hier bleibt Sayers ein wenig ungenau. Dies gilt andererseits ebenfalls für sich daraus ergebende Gegenstrategien. Er betonte aber auch, dass sein Buch "kein Manifest" (S. 419) sein wolle.
Andrew Sayer, Warum wir uns die Reichen nicht leisten können, München 2017 (C. H. Beck-Verlag), 477 S., 27,95 Euro
4 Kommentare
Kommentare
Norbert Schönecker am Permanenter Link
Dazu eine kurze Stellungnahme - ganz ohne politische oder globale Zusammenhänge, bei denen ich mich ohnehin nicht auskenne:
Wenn ich in einer ganz normalen marktwirtschaftlichen Firma arbeiten würde, dann wäre ich sehr daran interessiert, dass diese Firma gut - also dauerhaft mit Gewinn - arbeitet. Damit ich meinen Job behalte. Wem die Firma gehört, wäre mir vergleichsweise egal. Auch an einem Eigentümeranteil wäre ich nicht interessiert. Ich will ja gar keine großen Marktstrategien mitentscheiden. Das sollen andere tun, die das besser können.
Fazit: Wenn der Eigentümer einer gut gehenden Firma - also wahrscheinlich ein ziemlich reicher Mensch - seine Firma gut führt, dann ist das durchaus zum Nutzen seiner Angestellten. Er wird zwar immer reicher, aber seine Angestellten haben einen guten und sicheren Job. Das ist besser, als wenn 100 Angestellte, die im Bereich Betriebsführung wenig Ahnung haben, sich die Firma teilen und sie wahrscheinlich zugrunde richten.
Problematischer sehe ich allerdings Aktionäre, die deutlich weniger Interesse am langfristigen Wohlergehen einer Firma haben als ein Alleineigentümer. Und ganz problematisch wird es bei Hedgefonds und ähnlichen Konstrukten, wo es nur noch um kurzfristigen Gewinn geht.
Ich bin übrigens so manchen reichen Menschen der Geschichte durchaus dankbar. Wir verdanken ihnen Kunstwerke, Forschungseinrichtungen, Parks, technische Innovationen, Sozialprojekte und Naturschutzgebiete. Nicht alle verwenden ihr Geld für Luxus oder Kriege.
Wolfgang von Sulecki am Permanenter Link
Tja, Herr Schönecker, solche Angestellten, die mit dem zufrieden sind was ihnen "von oben" huldvoll als Lohn für ihre Arbeit zugebilligt wird, gibt es massenhaft in unserem (und anderen 'entwickelten
Mit fast 10 Millionen prekärer Arbeitsverhältnisse hierzulande scheint mir der Gegenbeweis für ihre These erbracht: Es wird nicht im Sinne der Schaffenden gedacht wenn kein (Sach-/Gesetzes-) Zwang dahinter steht.
h.j.janoschek am Permanenter Link
Bevor ich eine fundierte Stellungnahme abgeben kann, mus ich das Buch lesen. Aber in der Tendenz bin ich schon mal mit Schönecker d´accord.
Aber vielleicht kann der Autor mich ja belehren...
Roland Weber am Permanenter Link
Diese Aussagen von Herrn Schönecker kommen allzu schlicht daher. Da sollte man z.B. mal das Buch von (aha!) Sahra Wagenknecht lesen.
Viele Einkommen, von Manager, und gerade Fussballspielern und z.B. insbesondere von Erben (leistungsloses Einkommen dazu!) sind bar jeglicher Scham- oder Eigenleistung oder Realtitätsgrenze.
Wir können uns weder die Reichen noch diese anhaltend inhumane politische Dummheit länger leisten! Die Kapitalisten machen selbst ihren Kapitalismus kaputt - das Dumme ist dabei aber nur, dass es die Armen immer tragisch härter trifft als die Verursacher.