Dramatiker Dirk Laucke im Interview

"Gewisse Dinge kannst du einfach nicht sagen"

Um die Meinungsfreiheit geht es Theater- und Hörspielautor Dirk Laucke in seinem jüngsten Werk "Die Freiheit in Abrede" – eine "radiophone Show", die Anfang Dezember im Theater Oberhausen uraufgeführt wurde. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach mit Autor Dirk Laucke über den aktuellen Stand der Meinungsfreiheit in unserer Gesellschaft.

hpd: Eine radiophone Theatershow zum Thema Meinungsfreiheit – wie bist du auf die Idee gekommen sowas auf die Bühne zu bringen?

Dirk Laucke: Es ist so, dass ich das Gefühl habe, dass im Theaterbetrieb ein postmodernes, antirassistisches Denken dominiert. Dass man zum Beispiel gewisse Dinge nicht aussprechen darf. Und dass halt immer wieder auf so eine Art Versöhnungsstrategie mit der Religion oder mit der anderen Kultur abgezielt wird. Was ja eigentlich super ist, sich mit der anderen Kultur zu versöhnen oder multikulturellen Frieden herzustellen. Aber leider ist es so –und in der radikalen Linken passiert das eigentlich schon seit Jahren – dass man sagt: Gewisse Dinge kannst du einfach nicht sagen. Also eine Religionskritik am Islam kannst du nicht ausüben, weil du dann diese Minderheit diskriminierst und die ist ja eh schon diskriminiert. Und dadurch ist tatsächlich dann die "Freiheit in Abrede". Und genau diese Debatten gibt es jetzt im Theater. Das war sozusagen der Impuls für mich zu sagen: Ok, da müsste man schon mal was reinwerfen, was nicht immer nur Minderheiten in Schutz nimmt. Ich zum Beispiel würde keine Minderheiten in Schutz nehmen, sondern Personen, Menschen. Weil im Zweifel sind ja die Minderheiten auch gefangen in ihrer Kultur. Kultur kann ja auch ein Gefängnis sein.

Dirk Laucke
Foto: © Ricarda Hinz

Deine Show zum Stand der Meinungsfreiheit spielt auf einer Bühne, die aussieht wie eine Studentenbude oder ein Partykeller aus den 70er Jahren. Zusammengewürfelt mit Kram aus allen Zeiten und Kulturen. Wie ist dieses Bühnenbild zu verstehen? Ist dieser Diskurs über die Meinungsfreiheit, der da auf der Bühne geführt wird, in gewisser Weise antiquiert?

Genau. Irgendwie ist das so, dass wir tatsächlich immer noch Diskurse führen, die von gestern sein müssten. Es ist ein altes Thema und manchmal war man sogar schon viel weiter in der Diskussion. Und jetzt ist man wieder mittendrin, in Debatten über Religionen oder über Meinungsfreiheit im politischen Sinne, weil Journalisten eingesperrt werden. Als in den 70er Jahren ein gewisser Aufklärungsimpetus in der Luft lag, da gab es schon genau die gleichen Debatten. Vielleicht haben die damals aber auch dafür gesorgt, dass wir jetzt nicht die passenden Lösungen haben. Oder anders ausgedrückt: Die sich politisch emanzipierenden Leute in den 60er, 70er Jahren, die haben angefangen, Minderheitenpflege zu betreiben, als sie aufgehört haben, Revolution zu machen. Und seitdem ist das Ganze halt quasi ein stehendes Ding.

Eine robuste Debatte muss her

Jetzt hat diese Diskussion also auch das Theater erreicht. Und das empfindest du als besonders problematisch?

Natürlich ist die Frage, was man machen darf und kann, eine, die man im Theater auch schon immer hatte. Überhaupt in der Kunst. Das ist ja auch eine Frage nach gutem Geschmack oder schlechten Geschmack. Wann ist zum Beispiel eine Zeichnung wirklich nur eine Beleidigung oder wann ist sie lustig? Und diese Balance haben wir auch im Theater. Deswegen ist für mich die Frage interessant, wann man etwas sagen darf und wann es ein Redeverbot gibt. Wenn du jetzt zum Beispiel eine Rolle schreibst für einen Rassisten, muss der ja rassistisch reden, der muss ja "Neger" sagen. Aber im Theater sagen die: Nein, das Wort darf auf der Bühne nicht fallen, weil das das N-Wort ist und das reproduziert die Diskriminierung. Und das ist wirklich eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Zumal es ja guten Zwecken dient, wenn man zeigen möchte, wie der Rassist drauf ist, um gegen ihn zu wirken. Es geht auch um die Freiheit der Kunst. Es muss noch nicht mal eine Aufklärungsabsicht dahinter stecken. Es gibt einen Rassisten und der muss auf der Bühne halt so reden. Punkt. Stattdessen zieht man sich am Theater so eine gesellschaftliche Verantwortung an, indem man sagt: Wir müssen auswählen, was wir den Leuten zumuten können. Und das ist dann so eine Art Selbstzensur. Man hat die Leute gar nicht gefragt. Das ist vorauseilender Gehorsam. Woher auch immer der kommt. Es ist schon absurd. Das ist fast so'ne Art Artenschutz. Und es ist ja Quatsch. Ich möchte ja auch nicht ständig als Ossi bezeichnet werden, nur weil ich von dort komme. Man kann sich ja emanzipieren. Es ist nicht leicht, aber es ist möglich. Und man muss das stärken. Überhaupt bin ich eigentlich nicht so für die Verbotslösung. Ich bin dann schon eher der Ansicht, es muss sich viel mehr lockern und öffnen. Eine robuste Debatte muss her.

Jede Kritik fängt zuerst mit Religionskritik an

Dirk Laucke
Foto: © Ricarda Hinz

Großen Raum nimmt in deiner Show die Rolle der Religion und der Religionskritik in Bezug auf die Diskussion um die Meinungsfreiheit ein. Warum?

Es gibt halt oft Leute – auch am Theater – die mit so einer Ringparabel wie in Lessings "Nathan der Weise" daherkommen, wo letztlich alle Religionen ihren Frieden miteinander finden. Aber es gibt keinen, der sagt: Die Religion ist kein adäquates Mittel, um Frieden zu finden. Und deswegen ist mir das recht wichtig. Denn tatsächlich sind es ja sehr oft religiöse Motive, warum etwas nicht gesagt werden darf, warum ein Redeverbot ausgesprochen wird. Wobei ich eben auch versucht habe zu zeigen, dass das auch eine Angst von mir ist, wenn man sowas wie Islamkritik betreibt, dass man dann ziemlich schnell in eine rechte Ecke gerät. Denn als ich bei meiner Recherche nach Islamkritikern gesucht habe, bin ich doch immer wieder schnell auf solche Neurechte gestoßen.

Ist es mehr die Angst, wenn du zu weit denkst, dass du tatsächlich zu so jemandem werden könntest? Oder ist es eher die Angst, zu Unrecht in diese Ecke gestellt zu werden?

Ich denke nicht, dass ich da Gefahr laufe. Dafür hab' ich mich lang genug gegen Rechte engagiert und kann mich absolut nicht mit denen identifizieren, ganz im Gegenteil. Das Problem ist, dass einfach von der anderen Seite eine progressive, starke Antwort auf diese Dinge fehlt. Und das ist Scheiße. Dabei hat ja mit Kant schon die Aufklärung an erster Stelle mit Religionskritik begonnen. Und auch bei Karl Marx war das ganz klar: Jede Kritik fängt zuerst mit Religionskritik an. Darum war's mir eben auch wichtig, nicht nur die typische Diskussion darüber zu führen, was man denn Muslimen zumuten und nicht zumuten kann, sondern auch mal zu gucken, wie ist es denn in Deutschland mit den Christen, wie schnell fühlen die sich denn religiös beleidigt?

Aus diesem Grund hast du dich bei deinen Recherchen tatsächlich auch hineingewagt in die Welt der organisierten Säkularen. War das deine erste Begegnung mit organisierten Säkularen?

Mit organisierten tatsächlich. Ich hatte da so 'ne Internetseite von der FU oder Humboldt-Universität gesehen und dachte, da treffen sich irgendwelche Studenten in so einer verrauchten Kneipe. Und dann war ich erstmal konsterniert, als ich gesehen habe, das sind eher die Dozenten der Studenten, die da zusammen sitzen. Aber ich war recht angetan. Und ich war auch sehr überrascht, dass ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte, dass es solche Treffen von organisierten Säkularen gibt.

Eine Provokation muss schon sein

Daniela Wakonigg Dirk Laucke
Daniela Wakonigg und Dirk Laucke im Interview, Foto: © Ricarda Hinz

Einige organisierte Ungläubige in Deutschland machen ja inzwischen häufiger religions- und kirchenkritische Aktionen, wie zum Beispiel den "Nackten Luther". Eine Statue, die Luther wie einen Exhibitionisten darstellt, mit geöffnetem Mantel und völlig nackt – und auf dem Mantel stehen judenfeindliche Originalzitate von Luther, die gern unter den Teppich gekehrt werden. Du hast die Aktion ja selbst mit deinem Reportgerät begleitet, als die Gruppe der Giordano-Bruno-Stiftung jüngst mit der Statue in Berlin war. Bei sowas wie dem "Nackten Luther" sagt ja schon manch einer: Okay, hier sind vielleicht die Grenzen des guten Geschmacks ein wenig überschritten. Glaubst du, dass es manchmal notwendig ist, dass man 'over the top' geht, um die Meinungs-, Kunst oder Pressefreiheit zu verteidigen?

Ich denke schon. Aber ich denke auch, dass der "Nackte Luther" nicht über der Grenze des guten Geschmacks ist. Wenn man ihn jetzt pimpernd mit irgendwem gezeigt hätte oder so, das wäre vielleicht was anderes. Aber eine Provokation muss schon sein. Übrigens hätte ich gar nicht gedacht, dass die Provokation durch die Statue so stark ist. Also emotional waren da schon einige Ausschläge und Abwehrreaktionen bei den Gläubigen zu verbuchen.

Und was sagen uns diese Abwehrreaktionen gläubiger Menschen über die Verfasstheit unserer Gesellschaft in punkto Religion?

Also, ich sag mal so: Ich habe vor einiger Zeit ein Stück geschrieben, das hieß "Zwanzig Mohammed-Witze in zwei Minuten" und es wurde aufgeführt vor dem Berliner Zoo. Das Publikum hat vom Pan Am-Gebäude drauf geguckt und das über Funk übertragen bekommen. Und der Schauspieler, der diese Sachen erzählt hat, der wurde angegriffen. Das ist bei der Luther-Statue nicht passiert. Also muss man erstmal festhalten, dass es eine andere Hausnummer ist, wo die gläubigen Protestanten emotional stehen und wann ein Moslem sich beleidigt fühlt davon, dass jemand erzählt, dass er Mohammed-Witze erzählen möchte. Mehr ist nämlich gar nicht passiert. Am irritierendsten fand ich bei der Luther-Aktion eigentlich eine Frau, die sagte: Ich bin evangelisch, ich muss das ja irgendwie aushalten. Es gab Leute, die haben sich dolle gegen die Statue gewehrt, die haben gefordert, dass man das verbieten soll. Aber krasser fand ich diese Frau, die offenbar um Luthers Antisemitismus und seine Menschenverachtung wusste, die dann aber trotzdem in ihrem Kopf quasi so 'ne Art Schere aufgemacht hat. Und dieses Doppeldenken, dieses Aushalten, das fand ich eigentlich am erschreckendsten. Das ist wie bei uns Rauchern. Im Grunde wissen wir ja, dass es schädlich ist. Und das finde ich die eigentliche Schwierigkeit. Das ist oft so bei Christen in Deutschland – ich meine die Normalbevölkerung, nicht die Kirchen – dass sie selber für sich so ein Orwellsches Doppeldenk aufmachen. Und das finde ich sehr problematisch, denn es bedeutet, dass eine sehr große Toleranz da ist, Obrigkeiten hinzunehmen oder Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten. Das ist so'n psychologisches Paradox, was ich erschreckend finde. Das ist, glaube ich, so ein typisches Problem von progressiv sich denkenden Menschen, dass die Widersprüche einfach aushalten. Genauso gehen sie nämlich auch mit den muslimischen Migranten um. Die würden ihnen nicht sagen, dass diese oder jene Sache ungerecht ist, sondern die würden diesen Widerspruch aushalten.

Was ist daran schlecht?

Das ist gut, wenn sich alle vertragen, aber nicht gut, wenn Leute drunter leiden. Dann ist es schlecht, wenn man diese Art von Toleranz aushält. Also da gibt's dann schon Grenzen von Toleranz. Und da muss man irgendwie auch mal Konsequenzen aus seinen eigenen Haltungen ziehen.