Regierungsbildung in Österreich

Bedenken zur fehlenden Trennung zwischen Staat und Religion

Aufgrund des Ergebnisses der Nationalratswahlen vom 15. Oktober 2017 wurde in Österreich von ÖVP und FPÖ eine türkis-blaue Regierung gebildet. Es wird darauf zu achten sein, dass die in ihrer Legislaturperiode erlassenen Gesetze dem Erfordernis der strikten Trennung von Religion und Staat entsprechen.

Die von der Giordano Bruno Stiftung Österreich (GBRÖ) vertretenen österreichischen Agnostiker und Atheisten möchten mit diesem Beitrag auf wichtige von ihnen im Regierungsprogramm festgestellt Defizite aufmerksam machen. Vor allem möchten sie feststellen, dass es nicht im Sinne der liberalen Verfassung Österreichs gelegen ist, religiöse und ideologische Ansichten und Wertvorstellungen in einer Weise im Regierungsprogramm festzuschreiben, die Liberaldenkende als Bevormundung oder Unterjochung empfinden.

Die österreichische Verfassung ist hinsichtlich ihrer Aussage zur Rolle der Religion im Staat eindeutig:

Artikel 1. B-VG lautet:
"Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus."

Artikel 7. B.VG lautet:
"(1) Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. "

Artikel 14 StGG lautet:
"Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Jedermann gewährleistet.
Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen.
Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Theilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, in sofern er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines Anderen untersteht."

Artikel 63 Staatsvertrag von St. Germain, lautet:

"Österreich verpflichtet sich, allen Einwohnern Österreichs ohne Unterschied der Geburt, Staatsangehörigkeit, Sprache, Rasse oder Religion vollen und ganzen Schutz von Leben und Freiheit zu gewähren.
Alle Einwohner Österreichs haben das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist."

Hieraus geht hervor, dass nur eine strikte Trennung von weltanschaulichen Anschauungen und Staat verfassungskonform ist. Eine Auffassung, die die beiden neuen Regierungsparteien offenbar nicht in aller Konsequenz teilen.

Von den beiden Regierungsparteien hat nur die ÖVP auf die von der Giordano Bruno Regionalgruppe Österreich GBRÖ vor der Wahl ausgesandten Wahlprüfsteine geantwortet. Auf die Frage nach der weltanschaulichen Neutralität antwortete sie:

"Wir bekennen uns zum aufklärerischen Prinzip der Trennung zwischen Staat und Religion. Das staatliche Recht und unsere Verfassung sind zwar von unserem christlich-jüdischen Erbe inspiriert, dürfen aber durch keine religiösen Regeln ausgehebelt oder in Frage gestellt werden. Das heißt für uns aber auch nicht, unsere Tradition und unser kulturelles Erbe zu verstecken. Für uns ist klar: Das Kreuz im öffentlichen Raum sowie christliche Feiertage, Feste und Bräuche sollen weiter erhalten bleiben."

Das "neue Grundverständnis"

"Auch die Politik braucht ein neues Grundverständnis. Wir müssen wegkommen vom falschen Stil des Streits und der Uneinigkeit und einen neuen Stil des positiven Miteinanders leben. Statt Bevormundung von oben herab geht es darum, einen echten Dienst an den Österreicherinnen und Österreichern zu leben, der die Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt und sie einbindet."

So heißt es im Vorwort des Regierungsprogramms von ÖVP und FPÖ. Dieser Satz klingt schön, aber Uneinigkeit und Auseinandersetzungen gehören zum menschlichen Leben. Dabei lässt sich das Streiten oftmals nicht vermeiden. Die Taktik, dass Menschen, die andere zu dominieren beabsichtigen, ständig nur vom Gemeinsamen sprechen und Strittiges unter den Tisch kehren wollen, ist bekannt. Soweit dieser Satz ein Leitfaden für die Arbeit der Regierungsparteien ist, mag er in die richtige Richtung gehen. Es genügt aber nicht, wenn sich die beiden Regierungsparteien einig sind: Österreich besteht aus Einwohnern, von denen die meisten auch österreichische Staatsbürger sind. Um für alle ein Staat zu sein, werden viele Angelegenheiten strittig sein und bleiben. Dabei ist eine angemessene Streitkultur ehrlicher und realitätsnäher als Gleichmacherei. Denn es sind zwar 52% der Österreicher mit dem Regierungsprogramm der ÖVP/FPÖ Regierung zufrieden, 36% jedoch nicht.

Die Frage ist, wie diese Minderheit in Politik und Gesellschaft mit einbezogen werden kann. Man kann sie und ihre Anliegen ja nicht links liegen lassen.

Die Grundprinzipien des Regierungsprogramms:

Das Regierungsprogramm führt in einem eigenen Abschnitt die ihm zugrunde liegenden Grundprinzipien an. Bereits diese lassen erkennen, wie sehr das Programm von konservativen Gedankengängen beherrscht ist. Eine Stellungnahme zu den einzelnen Punkten ist kaum möglich, weil verschiedene Gesichtspunkte in einer Fragestellung vermengt werden. Man muss schon genau lesen, um vorhandene Mehrdeutigkeiten zu erkennen. Zum Beispiel:

Heimat:
"Wir wollen unsere Heimat Österreich als lebenswertes Land mit all seinen kulturellen Vorzügen bewahren. Dazu gehört auch, selbst zu entscheiden, wer als Zuwanderer bei uns leben darf und illegale Migration zu beenden."

Der erste Satz weist auf eine konservative Erhaltung "aller Vorzüge" hin. Was genau sind diese kulturellen Vorzüge? Sollen diese auch zu Lasten von notwendigen Veränderungen erhalten werden? Die im gleichen Atemzug genannte Zuwanderung und illegale Migration vernebeln die Aussagen des ersten Satzes.

Familie:
"Die Familie als Gemeinschaft von Frau und Mann mit gemeinsamen Kindern ist die natürliche Keimzelle und Klammer für eine funktionierende Gesellschaft und garantiert zusammen mit der Solidarität der Generationen unsere Zukunftsfähigkeit. Für uns stehen vor allem die Kinder im Mittelpunkt – Familie soll ein Ort sein, wo sie behütet aufwachsen können und gut auf das Leben vorbereitet werden."

Was ist mit Patchworkfamilien, Lebensgemeinschaften von Unverheirateten oder gleichgeschlechtlichen Familien und deren Kindern? Sie entsprechen zwar nicht konservativen Idealen, sind aber Wirklichkeiten, die vom Staat nicht ignoriert werden dürfen.

Nachhaltigkeit (Schöpfung):
"Unser Verständnis von Verantwortung für die Schöpfung reicht über die Gegenwart hinaus. Die Politik soll den Anforderungen und Bedürfnissen der nächsten Generation entsprechen. Der nachhaltige Umgang mit der Natur und eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung sind keine Gegensätze, sie bedingen einander."

Was soll hier das Wort "Schöpfung"?

Was bedeuten unvollständige und einseitig konservative Prinzipien, die in viele Richtungen deutbar sind? Bereits aus solchen ist ersichtlich, dass das Regierungsprogramm wenig Bindendes enthält.

Volksbegehren und Volksbefragung

Ein großer und bedeutender Wurf des Regierungsprogramms ist die stufenweise Einführung der Volksbefragung. Im ersten Schritt wird das bereits bestehende Volksbegehren weiterentwickelt. Dabei werden Erfahrungen gesammelt, die für die Einführung der Volksbefragung wichtig sind. Auf Details soll hier nicht eingegangen werden.

Ad-hoc-Gemeinschaften

Für die österreichischen Atheisten und Agnostiker sind all diese Veränderungen Chancen und Aufgabe zugleich. Jedoch nur, wenn sie lernen, politisch und nicht nur ideologisch zu agieren. Politische Bewegungen, die angenommen werden wollen, müssen immer wieder für sie gangbare Allianzen und Kompromisse schließen. Wenn wir prüfen, was vom atheistischen Standpunkt aus gesehen im Regierungsprogramm untragbar erscheint, werden wir sofort erkennen, dass auch Andersdenkende dies so sehen werden. Es geht hier nicht um eine Nivellierung von weltanschaulichen Überzeugungen, sondern um die Förderung und das Zusammenwirken von Ad-hoc-Gemeinschaften zwischen österreichischen Staatsbürgern, die über alle Grenzen hinweg, punktuell gemeinsame Ziele verfolgen. In diesen Sinn bekennt sich die GBRÖ auch öffentlich zur Solidarität mit allen jenen, die gegen den von der Regierung angestrebten Sozialabbau ankämpfen. Zu nennen sind insbesondere die einschlägigen Bemühungen der Wahlverlierer – auch wenn sie, wie die Grünen, keinen Zugang zum Parlament haben – sowie aller gesellschaftskritischen Oppositionsparteien. Wer zwischen Handeln und Motiv zum Handeln unterscheidet, wird keine Probleme damit haben, sich sogar mit weltanschaulich gebundenen Vereinigungen, wie etwa der Caritas, in einer Weise zu solidarisieren, die seine Grundüberzeugung nicht beschädigt.

Ebenfalls erscheint es wichtig, das politische Geschehen in den Bundesländern zu verfolgen. Insbesondere soll dem Landeshauptmann von Wien hier signalisiert werden, dass wir hinter seinen Bemühungen stehen, den von den Regierungsparteien beabsichtigten Sozialabbau zu mildern, und – wenn möglich – zu verhindern. Dabei geht es nicht um Parteipolitik, sondern ausschließlich um den Widerstand gegen den von der Regierung betriebenen Sozialabbau.

Sozialabbau als versteckte Besteuerung

Österreich braucht dringend ein ausgeglichenes Budget. Das sei außer Streit gestellt. Das darf jedoch nicht vorrangig durch Kürzungen im Sozialbereich erreicht werden. Der Grundsatz der Regierung, der Bevölkerung keine neuen Steuern aufzuerlegen, ist kaum erfüllbar. Der Weg, den Ärmsten der Armen die für sie notwendigen Sozialleistungen zu streichen, ist sicher der Falsche. Es ist nicht egal, ob neue Steuern eingeführt oder die armutsgefährdeten Mitbürger zur Budgetsanierung herangezogen werden. Zwar muss das Geld von irgendwo herkommen. Weil jedoch jeder nur ein einziges Leben hat, ist es Unrecht, Reiche zu schonen und Armen auch noch das letzte Bisschen zu nehmen, was sie noch haben und damit die Staatsausgaben zu decken.

Flüchtlingsfrage und politischer Islam

Die Flüchtlingsfrage und der politische Islam gehören zu den heikelsten Themen Europas. Die von beiden Regierungspartnern eingebrachten Haltungen waren für den Wahlausgang vielfach ausschlaggebend. Dass hier Ordnung geschaffen werden muss, ist klar, das Wie aber noch nicht. Es ist nur zu hoffen, dass die Bemühungen um Integration greifen, und es wird viel Wasser donauabwärts fließen, bis wirklich sachgerechte Lösungen gefunden werden. Die Bereitschaft, dabei konstruktiv mitzuwirken, ist bei den österreichischen Agnostikern und Atheisten vorhanden. Weil aber niemand zaubern kann und die Themen äußerst emotional besetzt sind, fällt das richtige Urteilen und Handeln schwer. Unabdingbar ist jedoch, dass auch Flüchtlinge und Muslime an die in unserer Verfassung festgelegten Trennung von Religion und Staat gebunden sind.

Zum Abschluss

Die neue Regierung wurde in einer freien und den Grundsätzen der Demokratie entsprechenden Wahl gewählt. Außerdem standen die für das Entstehen der Koalition Verantwortlichen in ständigem Kontakt mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Die durch die Giordano Bruno Regionalgruppe Österreich GBRÖ vertretenen österreichischen Agnostiker und Atheisten respektieren die nunmehr zustande gekommene Regierung. Das hindert sie aber nicht, deren Handlung kritisch zu beobachten. Dabei geht es ihnen nicht nur um die Trennung von Weltanschauung und Staat. Sie lehnen auch den Versuch ab, Österreich wie einen Privatbetrieb gewinnbringend zu führen und dabei die Verantwortung der Regierung für das Gemeinwohl zu vergessen. Auch die, welche ohne wirksame Hilfe der Gesellschaft nicht fähig sind, ein menschenwürdiges Leben zu führen, sind Staatsbürger, die nicht zu Gunsten anderer Interessen beiseite geschoben werden dürfen. Zusammen mit den ungelösten Fragen der Integration und des politischen Islams, ist dieser Frage eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen.