STUTTGART. (hpd) Keita ist 19 Jahre alt, kommt aus Guinea und lebt seit gut einem Jahr als Asylbewerber im Niederrheinischen Kevelaer. Ich hatte und habe die Gelegenheit diesen Asylbewerber auf seinem schwierigen Weg zu begleiten. Ich stellte ihm viele Fragen und hatte auf einige seiner Fragen zunächst keine schlüssigen Antworten.
Weltweit sind Millionen Menschen irgendwie, irgendwohin auf der Flucht vor Krieg, Vertreibung, Hunger und unhaltbaren Zuständen in ihren Heimatländern. Einige dieser Menschen kommen nach Europa und nach Deutschland und ein Teil der Öffentlichkeit glaubt (oder schließt sich Stimmungsmachern an), dass wir von Asylsuchenden überschwemmt werden, die es ausschließlich auf unser soziales Netz abgesehen haben. Dass es auch unter den Asylbewerbern Leute gibt, die sich fallen lassen und hoffen, dass es in Deutschland ganz von alleine geht, kann nicht von der Hand gewiesen werden.
Vergessen oder unter den Tisch gekehrt wird häufig, dass wir lange nicht so viele Flüchtlinge aufnehmen wie Länder, die selbst von wirtschaftlich - sozialen Schwierigkeiten gezeichnet sind. Nach Deutschland, einem Land mit ca. 80 Millionen Einwohnern, kamen 2014 rund 200.000 Menschen , die um Asyl ersucht haben. Die angebliche Flut von Asylbewerbern macht also 0,25% der Bevölkerung aus.
Hinter diesen nackten statistischen Angaben stehen 200.000 Einzelschicksale, die der Mehrheit der Bevölkerung weitgehend unbekannt bleiben, weil Asylanten nicht selten weit weg vom so genannten bürgerlichen Leben untergebracht werden.
Keita, der junge Mann aus Guinea, der vor der Perspektivlosigkeit in seiner Heimat nach Europa geflohen ist, hatte nie die Absicht, die sozialen Netze auszunutzen. Keita hat ein Ziel, wie er selbst in Deutsch mit starkem französischen Akzent sagt: “Ich will arbeiten, eine Ausbildung machen und irgendwann in einer eigenen Wohnung leben.”
Ziele, die wahrscheinlich viele Asylbewerber haben, aber nicht jeder hat die Kraft gegen alle Widrigkeiten hart an diesem Ziel zu arbeiten. In seinem kleinen Zimmer, in dem nur vier Betten und ein verbeulter Blechspind stehen, büffelt er tagtäglich für die Schule, die er seit knapp einem Jahr besucht. Seine Deutschkenntnisse sind so gut, dass man problemlos ein Gespräch mit ihm führen kann. Er ärgert sich immer, wenn es in der Klasse Schüler gibt, die besser sind als er, auch wenn es oft nur um ein/ zwei Punkte bei Leistungstests geht.
Keita lernt Gitarre spielen, fragt viel und spielt Fussball in der A – Jugend Mannschaft des Kevelaerer SV. Kürzlich berichtete die lokale Presse über das große Engagement vieler Vereinsmitglieder, die sich auch auf den Rückhalt des Vorstandes verlassen können. Kürzlich erzählte Keita, dass ihn ein Fussballer aus seiner Mannschaft zum Filme schauen zu sich nach Hause eingeladen hat.
Dieser Sportverein ist für Keita und einen weiteren Jungen aus Guinea eine Art von Familie. Den Jungs wird geholfen, wo immer es nötig ist, man organisiert Spenden oder gibt, was man hat, wenn es den jungen Männern das Leben etwas erleichtert. Wer - wie Keita - nach den täglichen Schulstunden in einem Heim “wohnt”, in dem es keinerlei Möglichkeiten gibt, sich zu beschäftigen oder abzulenken, kann sich schon fast glücklich schätzen, Menschen zu haben, die sich für Asylbewerber ins Zeug legen, denen es in der Heimat nicht gut ergangen ist und denen auch hier in Deutschland das Leben nicht leicht gemacht wird.
Bei den Recherchen war ich erstaunt, wie kompliziert das Asylrecht gestrickt, wie schwer es selbst für Einheimische zu verstehen ist. Ein Asylant ist dem ganzen Paragraphendschungel meist hilflos ausgesetzt. Eigeninitiative wird meistens im Keim erstickt, was bleibt ist das Warten auf neue Bescheide. Es ist verboten in einem bestimmten Zeitraum einer Arbeit nachzugehen, Praktika sind schwierigzu bekommen, weil es um den Versicherungsschutz geht und, und, und.
Ich habe den jungen Mann zu einem Gespräch bei einer Integrationsstelle begleitet, bei dem er seine Fragen und Probleme loswerden konnte. Dort hat sich gezeigt, dass es eine große Zahl von Zuständigkeiten gibt, die zu begreifen einen tieferen Einblick in die Verwaltungsstruktur erfordert. Wieder ist der Sportverein, der helfend in die Bresche springt. So hat der Jugendtrainer bereits ein Praktikum für Keita festmachen können.
In Kevelaer hat man über den Sportverein hinaus reagiert und einen runden Tisch ins Leben gerufen, der sich der Asylanten annimmt und sie in Zukunft ins öffentliche Leben, soweit das möglich und von diesen Menschen gewollt ist, einbeziehen will. Keita hat die Chance ergriffen und war zusammen mit seinem Trainer Tobias H. beim letzten Treffen des runden Tisches anwesend, um über seine persönlichen Erfahrungen zu berichten.
Bei allem Engagement seinerseits, den Hilfen und Förderungen bleibt die Angst, dass man ihn trotz guter Integration in das gesellschaftliche Leben wieder in sein - von Korruption, Armut und inzwischen auch von Ebola gezeichnetes Land - zurückschicken könnte. Diese Angst werden wir Keita nicht ganz nehmen können. Aber wir können ihm und denjenigen helfen, die bereit sind, ihr Leben in einer völlig neuen Gesellschaft, fremden kulturellem Umfeld und einer anderen Sprache in die eigenen Hände zu nehmen. Es ist unbestritten, dass man Trittbrettfahrer notfalls auch zurückschicken muss. Eine Beurteilung und eventuelle Ausweisung nach Aktenlage, das Entscheiden vom Schreibtisch aus ist jedoch ein zu tiefst inhumaner Akt staatlicher Willkür und stärkt nur die gesellschaftlichen Kräfte, die da skandieren: “Ausländer raus!”
Menschen, die den jeweiligen “Fall”, also den Asylbewerber kennen, sollten bei der Bewertung hinzugezogen werden. Im Falle von Keita sind das nicht wenige.
Wenn sich ein Mensch, der mit 18 Jahren seine Heimat verlassen hat, seit einem Jahr in Angst vor Abschiebung in einem Heim lebt, in dem die anderen ausschließlich arabisch sprechen, sich derart ins Zeug legt, dann hat er eine Chance verdient.
Nicht nur der Fussballverein in Kevelaer, der Trainer und alle, die den drahtigen, Jungen aus Guinea kennen wünschen sich, dass ihm zugestanden wird, in Deutschland zu bleiben, um zu beweisen, dass er es kann.
PS: Punktsieg für den SV – Kevalaer, so viel Zeit muss sein.
5 Kommentare
Kommentare
Olaf Sander am Permanenter Link
Vielen Dank für den Artikel. Endlich mal ein Text, der nicht immer nur Angstszenarien zeichnet und jammert, sondern mit einer Hoffnung machenden Geschichte aufwartet.
"Stell dir vor, du bist aus einem Krisengebiet nach Deutschland geflüchtet und kennst die Sprache nicht. Nun sollst du umfangreiche Anträge in Amtsdeutsch ausfüllen, von denen deine weitere Existenz abhängt. Unterkunft, Lebensunterhalt, Aufenthaltsstatus, Arbeitsmöglichkeiten, Wohnungssuche, Beschulung der Kinder - all das und noch viel mehr muss organisiert werden. Das Ausfüllen von Anträgen und Formularen deutscher Ämter ist bei alledem eine riesige Hürde für Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten ohne deutsche Sprachkenntnisse. ------------
Kaum ein Formular ist in die wichtigsten Sprachen übersetzt, meist gibt es nur deutsche Fassungen. Auch Beratende stoßen schnell an die Grenzen ihrer Kapazitäten, wenn sie beim Ausfüllen helfen sollen. Es müssten jedes Mal Sprachkundige der jeweiligen Sprache dazu geholt werden, die sich auch im Übersetzen schwer verständlichen Verwaltungsdeutschs auskennen müssen - ein schier nicht zu schaffender Aufwand. ------------
Im Projekt "Formulare verstehbar machen" arbeiten wir daran, diesen Missstand zu ändern! Wichtige Behördenformulare werden übersetzt und erläutert - zumindest in die hauptsächlich nachgefragten Sprachen. Seit dem Start des Projekts im April 2014 versammeln wir ehrenamtliche Übersetzerinnen und Übersetzer aus aller Welt, die in kollaborativen Arbeitsstrukturen Anträge und ihre vielen Anlagen übersetzen. ------------
Die übersetzten Formulare bzw. Ausfüllhilfen werden auf dem mittlerweile aktiven Projektblog zur Verfügung gestellt - für ALLE, die sie benötigen, für Geflüchtete, Migranten und alle, die ihnen beim Ausfüllen helfen. Ein ausführlicher Zwischenbericht aus dem Herbst steht unter den "News". Über den aktuellen Stand der Dinge berichten wir im Projektblog (http://www.kub-berlin.org/formularprojekt/), wo auch schon erste Übersetzungen bereit stehen. ------------
Für die Koordination und Betreuung der Übersetzer/innen und die Aufbereitung der Ergebnisse braucht es - allermindestens! - die Projektkoordinations-Stelle, die durch Eure Spenden seit April auf Basis eines Minijobs eingerichtet ist. Inkl. Verwaltungs/Büro-Anteil ergibt sich so ein Finanzbedarf von 750,- Euro pro Monat = 9000 Euro/Jahr. Alle weiteren Zuarbeiten wie der Betrieb des Projektblogs, die Öffentlichkeitsarbeit und die Übersetzungsarbeiten selbst werden ehrenamtlich geleistet. ------------
Hilf mit deiner Spende, dieses neuartige Projekt fortzusetzen!
"Formulare übersetzen" mag etwas langweilig klingen, doch braucht eine "Kultur des Willkommens" mehr als Kleiderspenden und Begrüßungsfeste - mit deiner Unterstützung packen wir's an!" ------------
86% sind bereits finanziert und es braucht nur noch 2046 Euro, um die Arbeit im Jahr 2015 zu finanzieren. Es wäre mehr als schön, wenn die Leser vom HPD ein paar ihrer sauer verdienten Euro locker machen könnten, um Claudia Klinger und ihre Freiwilligen zu unterstützen. ------------
( https://www.betterplace.org/de/projects/16145-formulare-verstehbar-machen-ein-ubersetzungsprojekt/news )
Mehr von Claudia Klinger:
( http://www.claudia-klinger.de/digidiary/ )
Thomas Häntsch am Permanenter Link
Hallo Olaf Sander,
ich habe in der Zeit, die ich mit Keita verbracht habe, einiges gelernt über unsere derzeitige "Unwillkommenskultur". Im Moment ist eine eher eine Verwaltung von Asylfällen, Aktenzeichen etc. Ich bin vorher nie in einer Unterkunft für Asylbewerber gewesen, der erste Besuch war ein einprägsames Erlebnis - eher negativ eingefärbt. Aus diesen Eindrücken entstand auch bei mir das Bedürfnis, dem Jungen, der wirklich voller Energie steckt, zu helfen. Der Wunsch, das Ganze dann auch zu veröffentlichen, entstand erst später. Aber ich denke, es ist wichtig. Danke Ihnen für den Kommentar. Beste Grüße Thomas Häntsch.
Angelika Richter am Permanenter Link
Meine syrische Schwägerin ist mit Mann und drei z. T. bereits volljährigen Kindern u. a. auch aufgrund des nur rudimentären Integrationsangebots nicht nach Deutschland, sondern gleich nach Dänemark geflüchtet.
Dort begann der Dänischunterricht 2 Wochen nach Ankunft, und zwar nicht wie hierzulande wöchentlich 2 Stunden von (hochachtenswerten) ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern organisiert, sondern wertags von 9 - 14/16h, und wochenends organisierte Freizeitangebote wie z.B. Legoland.
Bereits nach 4 Monaten konnten sie aus der Sammelunterkunft in separate Wohnungen umziehen (was für sie allerdings eine Enttäuschung darstellte, denn sie hatten erwartet, gemeinsam in ein Haus einquartiert zu werden).
Seitdem gehen sie 3 mal wöchentlich zum Sprachunterricht und an zwei Tagen zur Sozialarbeit, haben also die Gelegenheit, den "dänischen way of life" etwas kennenzulernen und etwas zurückzugeben- für sie alle eine große Umstellung und Herausforderung.
Die Nichtintegration ("Für die neue Sprache sind wir doch eigentlich schon zu alt...") wird nicht geduldet - wer zwei Tage ohne triftigen Grund fehlt bei dem Programm, bekommt vom Staat kein Geld mehr.
Nachahmenswert.
Lukas am Permanenter Link
Hallo,
danke für den Artikel.
was mich allerdings stört, ist das wort "asylant" ich finde es nicht mehr zeitgemäß und ich bin der meinung, dass es negativ konnotiert und stigmatisiert! warum nicht lieber asylbewerber oder flüchtling oder migrant verwenden?
mit den besten grüßen
Thomas Häntsch am Permanenter Link
Hallo Lukas, ich habe den Begriff "Asylant" bewusst gewählt. Weil Keita sich genau in diesem Status befindet. Das ist ein Zustand, der fast schon "Stigma" ist.