Christ sein und Kapitalist sein? Kein Problem, sagen 35 Wirtschaftsbosse

Macht euch also keine Sorgen

Mit Waffenherstellern kooperieren? Geht schon mal. Ein Buch mit 35 Porträts von Unternehmern, die sich als evangelische Christen sehen, zeigt vor allem, wie biegsam der Glaube sein kann.

Kürzlich ist mir ein zugegebenermaßen schon etwas älteres Buch (von 2016) in die Hände gefallen, doch da es von Werten und ewigen Dingen handelt, ist es natürlich nie zu spät hineinzulesen. "Evangelisch. Erfolgreich. Wirtschaften." hebt an mit einem neuen Höhepunkt der Werbesprech-Betitelung, die ihre Einfallslosigkeit durch Überinterpunktion kaschieren möchte und also jedes Wort durch einen hinten drangesetzten Punkt irgendwie zu betonen versucht. In diesem Fall deuten die Punkte sogar einen verborgenen Sinn an. Denn wie soll das um Himmels Willen zusammengehen, "evangelisch" und "erfolgreich" bzw. "wirtschaften"? Jesus, dessen angeblich gesprochenes Wort ja wohl für den Protestanten zählen soll, ist kaum als Wirtschaftstheoretiker in Erscheinung getreten. Kramt man als Ungebildeter ein wenig in den Erinnerungen aus der Konfirmandenzeit, so drängt sich nur das Bild eines Heilands in Rage auf, der die Vertreter von Handel und Kreditwesen, eine Geißel schwingend, mit üblen Beschimpfungen überzieht und, wenn ich recht entsinne, ihre Tische umschmeißt. Händler haben im Tempel nichts zu suchen, so die Botschaft, die Sphären des Glaubens und Wirtschaftens sind strikt zu trennen, was ja vielleicht sogar in der Natur der Sache liegt.

Nichtsdestotrotz strotzt das vorliegende Buch nur so von Unternehmern, die es auf je eigene Weise schaffen, ihr berufliches Tun als christlich motiviert erscheinen zu lassen. So ist sich etwa Werner Michael Bahlsen, dessen Großvater, wie es heißt, "den Keks erfunden hat", ganz sicher: "Die Soziale Marktwirtschaft ist die Gesellschaftsordnung, die dem christlichen Menschenbild am besten entspricht." Stolpert man hier über die tückische Gleichsetzung von Wirtschaft und Gesellschaft, so wird man durch die nachfolgende Erklärung in weitere Verwirrung versetzt: "Der Glaube lehrt uns, dass alle Menschen Abbild Gottes sind. Und Gott ist Schöpfer. Menschsein im christlichen Sinn bedeutet die Freiheit und auch die Verpflichtung, die Welt zu gestalten."

Da geht ja nun alles durcheinander. Erstens behauptet der Glaube seine Inhalte ja eher als dass er im engeren Sinne etwas lehren, also auf nachvollziehbarem Wege erworbene und überprüfte Erkenntnisse weiterreichen würde. Zweitens kann der Mensch, so sehr man das Hirn auch benebeln oder verrenken mag, nicht das Abbild des Christengottes sein, der ja allmächtig sowie einsam ist und also für jedwede Gesellschaftsordnung das wohl ungeeignetste Individuum. Drittens wird aus den bekannt gewordenen Eigenschaften der Gottheit nicht etwa seine Allmacht, seine Vernichtungswut, sein Sexismus, sein Narzissmus herausgegriffen. Sondern eben, dass er Schöpfer sei. Und damit ungefähr dieselbe Rolle spielt wie der Erfinder des Kekses. Die Welt gestalten, einem Gott gleich – ja, das klingt schön. Und das übersieht vollkommen, dass in der sogenannt "sozialen" Marktwirtschaft eben nicht jeder die Möglichkeit hat, gestalterisch einzugreifen, wie es der Erbe eines Familienunternehmens kann.

Cover

So zieht es sich durchs Buch. Das Buch enthält 35 Porträts von Menschen, die sich als evangelisch-christlich motivierte Unternehmer betrachten, und, ja, es sind gerade einmal vier Frauen darunter. Wie die alle sich als in der Wolle gefärbte Christen begreifen, das ist schon lesenswert, denn es erhellt einmal mehr deutlich, wie biegbar und letztlich nichtssagend religiöse Bekenntnisse in den allermeisten Fällen doch sind. Schon die Kapitelüberschriften sorgen für die Komik des Selbstwiderspruchs: "Mit der Bergpredigt erfolgreich wirtschaften" sagt jemand, der mit seiner Beratungsgesellschaft "Unternehmenskäufe und Restrukturierungen begleitet" und vermutlich die zu entlassenden Menschen mit den Worten des Wanderpredigers tröstet: "Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen?"

Die Bertelsmann-Gesellschafterin Brigitte Mohn glaubt "Ohne Glauben werden wir keine Gesellschaft weiterentwickeln", ganz als ob der Glaube an unsichtbare Götter sich in den letzten Jahrhunderten irgendwo als progressive Triebkraft ins Gespräch gebracht hätte. Werber Bernhard Fischer-Appelt tritt auf unter dem sagenhaften Motto "Ich finde es gut, wenn der gefühlte Glaube durch den Kopf geht", es ist seine Weise zu sagen, was hier eigentlich alle sagen: "Mein Glaube an einen großen unsichtbaren Allmächtigen, der voll auf meiner Seite steht, ist eine schöne Sache, mindestens ebenso wie die vollkommen privilegierten Lebensumstände, aus denen heraus ich hier gerade argumentiere. Das Tollste an meinem Glauben aber, den ich hier gern darlege, damit in einem Buch ein nettes Porträt über mich erscheint, das Tollste an meinem Glauben ist: Mit ein bisschen Nachdenken kann ich ihn immer so hinbiegen, dass er mit meiner Tätigkeit konveniert."

Fischer-Appelt zeigt seine Nähe zu Gott schon, indem er seine Werbertätigkeit konsequent "Kommunikation" nennt, somit das Kommunikationsmodell des biblischen Gottes übernehmend: Hört her, hört gut zu, schluckt alles, was ich sage, dann kriegen wir keine Probleme miteinander. "Kommunikation", bevor die Werber sie unterpflügten, bedeutete ja einmal einen Austausch von Meinungen und Erfahrungen, aber geschenkt. Fischer-Appelt denkt da nicht so eingeschränkt, er sagt auch, für Kernkraft oder Waffenhersteller zu werben, sei ihm durchaus möglich: "Als Kommunikationsberater ist es nicht mein Job, über die Sache des Kunden moralisch zu richten." Man stelle sich vor, wie Jesus Christus diesen Satz in seine Bergpredigt integriert hätte.

So zieht es sich durch. Eher weniger scheint der Gott oder Christus irgendeine Form von moralischem Leitfaden bereitzustellen, mit dem sich innerhalb des derzeitigen kapitalistischen Systems erfolgreich wirtschaften ließe – ist ja auch nur schwer vorstellbar, da Letzteres den Wettkampf aller gegen alle betont, also eine Absage an alles solidarische Denken darstellt. Dennoch wird der Gott gerne genommen, und er scheint, ganz egal, was die Wirtschaftsbosse hier sagen,  eher eine Art Verstärker der eigenen Selbstgewissheit und Potenz zu sein, von der reiche, erfolgreiche Menschen erfüllt sind.

Zudem stellt er wohl eine Art Ablass bereit: Bete ich zu Gott, so wird schon irgendwie okay sein, was ich mache. Irgendeine Auslegung, die mein Treiben als christlich erscheinen lässt, wird sich schon finden. Etwa schafft es Peter Barrenstein, Vorsitzender des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer, der berüchtigten Beratungsfirma McKinsey ein "christlich fundiertes Regelwerk" anzudichten. Moment mal, Barre, ernsthaft? Was genau ist hier das Christliche? "Die Guiding Principles der McKinsey-Mission besagen zum Beispiel, dass ich die Wahrheit sagen muss." Mit Verlaub: Mission, Pflicht zu Wahrheit – das klingt erst mal nach einer ziemlich schrägen Sekte. 1993, so erfahren wir, hat Barrenstein sich, direkt nach seiner Wahl zum McKinsey-Direktor, kirchlich zu engagieren begonnen. Ob er wohl den Rat seiner Gottheit und des guten Herrn Jesus gesucht – oder eher Entlastung seines Gewissens gesucht hat?

Wo man das Buch auch aufschlägt, nirgends scheint die Hinwendung zur Gottheit für einen klaren Blick auf die Welt zu sorgen: Wieso denn, Prof. Dr. Edeltraud Günther, soll mir die Natur auf dem Planeten Erde erst dann als schützenswert erscheinen, so ich sie als "Schöpfung" eines großen unsichtbaren Mannes begreife? Die Natur müsste ich doch schon aus Selbstschutz, aber auch aus einer mir eingeborenen Liebe zu ihr sowie aus einem Erkenntnisinteresse als schützenswert begreifen? Wenn wir sie kaputtkriegen und es einen Schöpfergott gibt, kann er sich ja dann eine neue machen.

So könnte man jetzt die 31 Unternehmerherren und vier Frauen vor ihrem Gott immer weiter befragen, und immer wieder wird man erstaunt feststellen, dass der Glaube weniger ein Orientierung bietet als die Lizenz zum blumigen Daherreden: Da werden brutale turbokapitalistische Forderungen, wonach der Mensch immer arbeiten müsse, ins religiöse Kleidchen verpackt – ganz so als ob Jesus und seine Hippiekommune da die leuchtenden Vorbilder gewesen wären. Da bleibt von der ganzen Gottesausrichtung letztlich ein bisschen teutschromantisch inspirierte Wellness: "einsame Waldspaziergänge oder das Hören auf Musik", die bei der Orientierung helfen. Auch dem vollkruden Aberglauben ist man nicht abhold, wenn zunächst ein Unfall überlebt worden ist und dann, auf den Tag genau fünfzehn Jahre später!, die Zwillinge zur Welt kommen. Herrje, was hätte der Gott denn damit sagen wollen? Hat er solche Spielchen nötig?

Davon abgesehen, scheint die mildtätige, verständnisvolle, gütige Schöpfergottheit, die zwar in der Bibel nicht, dafür aber in der evangelischen Propaganda umso häufiger vorkommt, doch sehr, sehr viel Verständnis für alle zu haben, in deren Morgengebet sie auftaucht. Da kann jemand die Privatversicherer als solidarisches Modell anpreisen, kann jemand als Banker genau das tun, was den Heiland im Tempel zur Weißglut brachte, da kann jemand Fracking gut finden und den Chemieriesen BASF als ökologisches Unternehmen sehen – schon okay. Alles ist gut. Denn da ist ja Gott. Gott aber hat diese Männer (und ein paar Frauen) als sein Abbild geschaffen, und indem sie ihn lieb haben, haben sie sich selbst ganz doll lieb und erzeugen gleichzeitig massiven himmlischen Zuspruch zu sich, eine Wertschöpfung ist das! Damit kann man es schon gut aushalten auf dieser Erde, ganz egal, was man beruflich so treibt.

Evangelisch. Erfolgreich. Wirtschaften. – Protestantische Führungskräfte sprechen über ihren Glauben, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2016, ISBN 978-3-96038-006-1, 24,90 Euro