Kommentar

CDU/CSU auf Kaffeefahrt im Gau(en)land

Nach Tagen und Nächten voller Flüche und Beschimpfungen erscheint es nun vollbracht. Die Wende der Asylpolitik soll nach Aussage der Granden beider Unionsparteien endlich geschafft sein – ebenso geschafft wie deren Akteure. Was tut man nicht alles, um die Menschen im Freistaat vor der Bayern-Wahl in Entzücken zu versetzen. Da werden sogar Altvordere wie Edmund Stoiber exhumiert, um der Kanzlerin den Schreck in die Glieder fahren zu lassen.

Wirkungleiche Internierungslager für den Landfrieden der Union

Der von der Obersten Heeresleitung der Christsozialen erschaffene Problemdruck existiert übrigens nicht einmal. Im Jahr 2017 wurden 186.644 Asylsuchende in Deutschland registriert, deutlich weniger als in den Vorjahren. So waren es im Jahr 2016 ca. 280.000 und im Jahr 2015 ca. 890.000 asylsuchende Menschen. Die aktuellen Zahlen liegen sogar deutlich unter der viel diskutierte "Obergrenze". Im laufenden Jahr wurden laut Medienberichten bis Mitte Juni 18.349 Asylsuchende in Deutschland aufgenommen, die bereits in der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac erfasst waren – also woanders schon registriert wurden. Registriert heißt aber noch nicht, dass auch ein förmlicher Asylantrag gestellt wurde. Fachleute gehen hier von einer einstelligen Zahl am Tag aus. Um ein derart gigantisch aufgeblasenes "Grundübel" voller medienwirksamer Inbrunst an der Wurzel zu packen, sollen an der Bayerisch-Österreichischen Grenze demnächst Geflüchtete in sog. "Transitzentren" (besser: Internierungslager) weggesperrt werden. Diese erogenen Zonen des (Un)Rechtsstaats sollen zwar von deutschen Behörden geleitet, aber wohl nach dem Willen von Herrn Söder - nichts Genaues weiß niemand - nicht von deutschen Gerichten kontrolliert werden. Auch die Dauer der Internierung ist ungeklärt. Die Kanzlerin spricht hier von lediglich bis zu 48 Stunden Zwangsaufenthalt, was aber wiederum – insbesondere an Wochenenden – kaum ausreicht, die mögliche Zuständigkeit anderer Länder überhaupt festzustellen. Da passt nichts zusammen.

Auf den ersten Blick ist die Analogie zum sog. "Flughafenverfahren" schlau gedacht, denn der Anspruch auf ein reguläres Asylverfahren entsteht in der Tat erst mit dem Aufenthalt im Land. So ermöglicht beispielsweise dieses Verfahren auf den internationalen Flughäfen in Deutschland beschleunigte Entscheidungen und Rückweisungen für Asylbewerber, die aus einem als sicher eingestuften Land mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen. Im "Flughafenverfahren" ist das Asylverfahren vor der Entscheidung über die Einreise durchzuführen, wie es im Asylgesetz heißt. So ähnlich soll es dann wohl künftig in den Transitzentren ablaufen.

In der Unions-Vereinbarung ist hier martialisch von "Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise" die Rede (Punkt 2 der Anlage). In der Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz heißt es dazu unter Punkt 13.2.1.1: "Der Ausländer hat eine Grenzübergangsstelle erst dann passiert, wenn er die Kontrollstationen der Grenzpolizei und des Zolls, soweit an den EU-Außengrenzen vorhanden, hinter sich gelassen hat und sich frei in Richtung Inland bewegen kann." Kommt die Person in ein Transitzentrum, so die Fiktion der allerchristlichsten Fraktions-Fiktionäre, ist sie – im juristischen Sinne – nicht eingereist, auch wenn sie körperlich die Kontrollstationen passiert hat. Das wäre dann so eine Art Himmelfahrt mit Absturzgarantie in der bayerischen Pampa.

Das "Transitzentrum" als CSU-Knast und Durchreichstation

Was in Orwell'scher Sprachverdrehung von den Unionsspitzen mit "Residenzpflicht" umschrieben wird, ist übrigens keine Bosheit von Seehofer. Der weiß nur zu genau, dass ein Geflüchteter, der aus einer solchen Endstation Sanatorium ausbüxt, jederzeit beim Landrat oder dem Bürgermeister einen Asylantrag stellen kann. Dann wäre er in jedem Fall erst einmal eingereist. Und wer sich auf deutschem Boden befindet, kann deutschen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Seehofer kann die Betroffenen dann auf gar keinen Fall mehr und schon gar nicht ohne jedes saubere Verfahren wie falsch adressierte Überseekoffer an die westlichen Mittelmehranrainer zurückschicken. Da hilft dann auch keine juristische Trickserei mehr.

Wie ein solches Verfahren im "Transitzentrum" rechtlich und praktisch funktionieren soll, steht ohnehin in den schwarz-braunen Sternen über Bayern, Österreich und Ungarn. Dummerweise findet den Fiktionen der Unionsspitzen zum Trotz nämlich doch eine "faktische Einreise" statt. Die Betroffenen können daher nicht einfach vom Grundrechtsschutz in Deutschland abgeschnitten werden. Sie haben einen Anspruch auf ein – wenngleich gestrafftes und verkürztes – anständiges Verfahren und einen gerichtlichen Rechtsschutz. Eine in den Nächten der Götzendämmerung mit langen Messern geschnitzte gesetzliche Fiktion kann diesen Schutz nicht einfach aus den Angeln heben. Es geht schlicht und einfach nicht, den Menschen Zugang zu Rechtsanwälten und Gerichten zu verwehren.

Eine Inhaftierung von Asylsuchenden in geschlossenen Transitzentren ist europarechtlich nur unter den strengen Voraussetzungen der EU-Aufnahmerichtlinie oder der Dublin-III-Verordnung möglich. Je nach Fallkonstellation bedeutet dies, dass eine Inhaftierung "nur bei Bestehen einer erheblichen individuell festgestellten Fluchtgefahr und nur für kurze Zeit" erlaubt ist.

Sollten die Transitzentren zudem auf eine dauerhafte Kontrolle angelegt sein, wären sie mit dem Schengen-Recht nicht vereinbar. Derartige Kontrollen an den Binnengrenzen dürfen nur vorübergehend sein. Würde gegen diese Regeln verstoßen, stünde nicht allein das Asylverfahren auf dem Spiel. Ein fundamentaler Grundsatz der Europäischen Union ginge verloren, die Freizügigkeit auch der EU-Bürger. Die Kontrollen würden ja nicht allein Asylsuchende betreffen.

Jenseits aller rechtlichen Fragestellungen: welcher Geflüchtete ist so blöd und läuft freiwillig an den Kontrollpunkten der bayerischen Polizei in die Arme. Statt ins Internierungslager geht doch lieber über die grüne Grenze. Erreicht er so ganz real das gelobte Land, nützen alle gesetzlichen Fiktionen nicht mehr.

Nicht einmal der Bundesinnenminister dürfte daran glauben, dass beispielsweise die italienischen Behörden künftig noch in der Eurodac-Datei registrieren, sondern werden die Betroffenen noch mehr als heute einfach Richtung Norden "durchwinken". Da ohnehin nach den Statistiken des BAMF die meisten Flüchtlinge ohne erkennbare Eurodac-Registrierung nach Deutschland kommen, dürfen künftig noch mehr Geflüchtete andere EU-Länder passieren, ohne dass sie dort registriert werden.

Sollten die deutschen Behörden nach dem Herzenswunsch der CSU doch gegen den Willen der europäischen Nachbarn einseitige Zurückweisungen an den deutschen Grenzen durchziehen, würden im Gegenzug die Länder an den EU-Außengrenzen wie Griechenland, Spanien und vor allem Italien erst recht noch weniger Flüchtlinge registrieren als heute. Im Ergebnis kämen eher mehr Menschen ohne Eurodac-Registrierung nach Deutschland als bislang. Diese Geflüchteten könnten dann auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt in andere Staaten des Dublin-Abkommens zurückgeschickt werden. So schießen sich Seehofer und Co selbst ins Knie – aber erst nach den Landtagswahlen im kommenden Oktober.

Unterm Strich werden die geplanten Zentren also weder praktisch noch rechtlich einen Vorteil gegenüber einer Durchführung der Verfahren in einer normalen Erstaufnahmeeinrichtung bringen. Es ist auch in diesen Zentren entweder ein Dublin-Verfahren mit dem zuständigen Staat notwendig oder ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung, wenn die Person keinen Schutzbedarf hat. Das lässt sich auch in den bestehenden Erstaufnahme-Einrichtungen bewerkstelligen.

Symbolpolitik zu Ehren von Gauland und Höcke

Dieser "Kompromiss" löst keine Probleme, sondern schafft nur neue. Durch eine symbolisch angepeilte innereuropäische Landverschickung ändert sich in der Praxis nichts grundlegend. Das Schauspiel dient am wenigsten den hilfsbedürftigen Menschen, sondern allein dem Machterhalt.

Was im Übrigen tun mit den Menschen, wenn Italien registrierte Geflüchtete nicht zurücknimmt? Nach Capri zu den Fischern oder zur Fischerin am Bodensee? So viel Geschlechtergerechtigkeit muss schon sein.

Die SPD in all ihrem Elend wird aus Angst vor Neuwahlen alles schlucken, was sie noch vor Jahren als gänzlich unverdaulich verschmäht hat. Frau Nahles und Herr Scholz werden sich winden und schinden, aber am Ende doch den geschlossenen Lagern ihren Segen geben – vielleicht im Gegenzug zu größeren Fenstern und frischen Landschaftstapeten. Dieses Einknicken wird den inneren Zerfall der Partei weiter beschleunigen, aber auch den Zersetzungsprozess der Unionsparteien nicht aufhalten können.

Wenn eine Regierung ein so jämmerliches Bild abgibt, darf sie sich über die öffentlichen Reaktionen nicht wundern. Aber auch die "linke" Opposition hat keinen Grund, auf den vergilbten Lorbeeren ihrer moralischen Selbsterhöhung ihr Nickerchen zu halten und die Arbeit an haltbaren Konzepten weiter zu verschleppen.

Die Kräfte des Multikulturalismus wiederum werden nicht nur hierzulande, sondern auch europaweit fühlbar schwächer. Da hat eine Reihe von Gründen. Einer davon ist die zähe und konzeptionell nicht durchdachte Fiktion offener Grenzen. Weder Frau Kipping als Chefin der LINKEN noch Frau Keller im Ornat der grünen Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament oder Juso-Boss Kühnert haben ein wirklich durchdachtes und diskursfähiges Konzept für die Flüchtlings- und Migrationspolitik.

Nötig wäre aber gerade jetzt ein solcher realistischer Plan der aufrichtig zeigt, wie Humanität und unverzichtbare Ordnungsvorstellungen miteinander versöhnt werden können. Nur mit einem solchen Konzept und dem Verzicht auf lieb geworden Illusionen lassen sich die nicht zu leugnenden Schwierigkeiten beim Umgang mit Geflüchteten bzw. Migranten in den Griff bekommen, ohne wie Seehofer in seinem "Masterplan" Geflüchtete kollektiv zu kriminalisieren und ihnen die Tür zu weisen.

Eine realistische, den Menschenrechten verpflichtete, Flüchtlings- und Migrationspolitik kann auch im demokratischen Diskurs bestehen. Führt sie allerdings aus der Sicht der Menschen zum innenpolitischen Kontrollverlust führt, ist es mit der Humanität vorbei.

Es bringt auch nichts, wenn "von links" offenkundige Wertungswidersprüche mit dem steten Hinweis auf Menschenrechte und EU-Recht abzuwürgen. Niemand versteht, wenn Kriminelle mehr oder weniger unbehelligt ihr Unwesen treiben und sich dabei auf den Flüchtlingsschutz berufen – während zugleich gut integrierte Familien außer Landes geschafft werden.

An diesen Punkten den demokratischen Diskurs abzuwürgen ist hoch gefährlich. Wer jeden Hinweis auf sichtbare Probleme mit bestimmten Migranten mit dem penetranten Verweis "das hilft nur der AfD" diskreditiert, treibt gerade die Menschen der AfD zu. Die kann sich dann ohne eigenes Zutun als Lobby der vermeintlich Lobbylosen aufspielen und Wahlen gewinnen. Wer die Menschen in der Politik nicht mitnimmt, darf sich nicht wundern, wenn er selbst auf der Strecke bleibt.

Wer hingegen den rechten Populisten die Butter vom Brot nehmen will, muss die Leidenschaft der Menschenrechtsarbeit und die Leidenschaft pragmatischer Problemlösungen in Einklang bringen, und nicht gegeneinander ausspielen. Mit einem ehrlichen und klaren Bekenntnis zu Europa und den Menschenrechten lassen sich so auch wieder Wahlen gewinnen.


Ergebnis des Krisentreffens von CDU und CSU am 2. Juli 2018 zur Asypolitik

"Wir vereinbaren zur besseren Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Sekundärmigration:

  1. Wir vereinbaren an der deutsch-österreichischen Grenze ein neues Grenzregime, das sicherstellt, dass wir Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise hindern.
  2. Wir richten dafür Transitzentren ein, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden (Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise). Dafür wollen wir nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abschließen oder das Benehmen herstellen.
  3. In den Fällen, in denen sich Länder Verwaltungsabkommen über die direkte Zurückweisung verweigern, findet die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich statt."