BONN. (hpd) Die Islamwissenschaftlerin und Religionslehrerin Lamya Kaddor geht in ihrem Buch "Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen" mit persönlichen Berichten und Kommentaren auf das Buchthema ein. Es handelt sich um kein wissenschaftliches Werk, gleichwohl stellt die Autorin die richtigen Fragen und kommentiert aus der Perspektive einer liberalen Muslima auch mit Kritik in Richtung der muslimischen Community.
Medienberichte machen immer wieder darauf aufmerksam, dass einzelne Muslime als Dschihadisten in der Terrormiliz "Islamischer Staat" kämpfen wollen und daher aus Deutschland nach Syrien gehen. Die Sicherheitsbehörden gehen aktuell von 550 Fällen dieser "Gotteskrieger" aus. Unter ihnen findet man häufig auch Jugendliche, die mitunter vom Klassenzimmer in den Krieg ziehen. Zu ihnen gehörten fünf Schüler der Islamlehrerin Lamya Kaddor. Sie versteht sich selbst als gläubige Muslimin und wurde als Kind syrischer Eltern 1978 in Deutschland geboren.
Die studierte Islamwissenschaftlerin arbeitet als Religionslehrerin in Dinslaken-Lohberg und ist Gründungsvorsitzende des eher kleinen und noch unbekannten "Liberal-Islamischen Bundes". Demnach verfügt Kaddor in mehrfacher Hinsicht über einen interessanten personellen Hintergrund, der sie zu einer beachtenswerten Stimme in der häufig polarisierten und undifferenzierten Debatte über Islam und Muslime, Islamismus und Salafismus macht.
Ihr Buch "Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen" wurde motiviert durch die besondere persönliche Erfahrung, die eben darin bestand, dass einige ihrer früheren Schüler als "Gotteskrieger" auf der Seite des "Islamischen Staates" kämpfen wollten. Es handelt sich demnach um keine wissenschaftliche Studie, die anhand von Fallbeispielen eine repräsentative Untersuchung zu einschlägigen Bedingungsfaktoren vornehmen will. Vielmehr handelt es sich um den Ausdruck individueller Reflexionen, die sich aus der besonderen Erfahrung im erwähnten Sinne ebenso wie aus der spezifischen Perspektive einer liberalen Muslima erklären. Insofern kommt das Buch ohne Belege und Fußnoten aus, liefert aber gleichwohl wichtige Anregungen und Positionen. Denn die Autorin stellt die entscheidenden Fragen im Kontext des angesprochenen Phänomens. Und ihr Ausgangspunkt ist die Frage, warum sich ihr Arbeitsort Dinslaken-Lohberg zu einer "Hochburg" der Salafisten und einem bedeutenden Rekrutierungsfeld für Dschihadisten entwickelte.
Ein allgemeines Muster der Radikalisierung, so einer der Aussagen von Kaddor, gebe es nicht. Häufig sei die Kombination unterschiedlicher zufälliger Erfahrungen ausschlaggebend, wobei aber auch die Bedeutung einer charismatischen Person ebenso wie die Bereitschaft zur Flucht aus dem "alten Leben" betont wird. Die Autorin fragt dann: "Warum sind Jugendliche dafür anfällig mitzumachen?" und "Wie werden Jugendliche verführt und radikalisiert?"
Hier kommen bekannte Faktoren zur Sprache: Es geht um Ausgrenzungswirkungen und Gewalterfahrungen, Gruppendruck und Identitätssuche, Opferrolle und Selbstbestätigung. Sie meint auch, "dass ein religiös gebildeter Jugendlicher den Salafisten nicht so einfach in die Hände fallen würde" (S. 53). Und sie formuliert: "Angesichts des fehlenden, breiten öffentlichen Widerspruchs seitens der großen, etablierten muslimischen Gemeinden gelingt es den Salafisten umso besser, die unter ihrem Einfluss stehenden Jugendlichen … von ihrem Umfeld abzukapseln." (S. 72)
Dies ist in der Tat der besondere Gesichtspunkt des Buches, das die muslimische Community mit in der Pflicht sieht, ohne sich in den bekannten stereotypen Distanzierungsforderungen zu ergehen. So formuliert Kaddor gegen Ende auch ihr "Plädoyer für mehr innerislamische Auseinandersetzung" (S. 215), und sie sieht erste Anzeichen für eine Entwicklung in diese Richtung. Doch noch scheinen die eher konservativ ausgerichteten Dachverbände zu dominieren. Die liberalen Muslime engagieren sich noch zu wenig, was auch die organisatorische und personelle Schwäche des "Liberal-Islamischen Bundes" erklärt.
Gerade daher stellt das sehr persönliche Buch von Kaddor auch eine interessante muslimische Perspektive dar. Die Autorin nimmt übrigens nicht die nicht-muslimische Mehrheitsgesellschaft aus der Verantwortung. Gegen bedenkliche Tendenzen in ihr bemerkt sie am Ende: Man müsse sich gemeinsam gegen islamfeindliche und salafistische Tendenzen stellen, denn "Salafismus und Islamhass sind zwei Seiten einer Medaille" (S. 231).
Lamya Kaddor, Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen, München 2015 (S. Piper-Verlag), 251 S., ISBN: 978–3–492–05703–5, 14,99 Euro
2 Kommentare
Kommentare
David am Permanenter Link
"Ein allgemeines Muster der Radikalisierung, so einer der Aussagen von Kaddor, gebe es nicht. "
Hmm, Entschuldigung, aber wenn alle diejenigen, die "in den Dschihad ziehen", sich als Muslime verstehen, erscheint mir ein gewisses Muster ziemlich offensichtlich.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ein Kommentar von Frau Kaddor von 2012: "Jungenbeschneidung gehört zur Identität von Muslimen, betont die Religionspädagogin Lamya Kaddor - auch wenn christliche oder atheistische Juristen das vielleicht anders s
Es tut mir leid, so sehr ich mir alle Muslime weltweit so wünschen würde, wie Frau Kaddor, so sehr verabscheue ich Menschen, die Körperverletzung aus nichtigem Grund an Jungs goutieren. Eine Religion, die solche barbarischen Akte nicht oder noch nicht überwunden hat, braucht sich über ein entsprechendes Männer- und Frauenbild nicht zu wundern. Kinder sind dort Eigentum der Eltern, genauer des Vaters. Folglich unterdrückt er sie - in einer verdorbenen, westlichen Gesellschaft umso mehr - um sie "rechtzuleiten". Jugendliche, die sich derartigen Repressionen ausgesetzt sehen, werden Fluchttendenzen entwickeln - und dies kann eine gewaltbereite Flucht "nach vorne" bedeuten - direkt in die Fänge von Hasspredigern.
So flieht man vor dem Übervater - oder auch dem Weicheivater als Gegenfigur - in die scheinbar stabilen Strukturen des fundamentalistischen Islams. Frau Kaddor hat Unrecht, wenn sie islamisch ausgebildete Jugendliche als geschützter vor den Rattenfängern sieht. Schließlich ist die IS-Exegese des Korans durchaus nachvollziehbar - nicht nur Frau Kaddors Kuschelislam. Ich vermag auch nicht zu glauben, dass über 90% aller Muslime ihre Religion falsch verstehen und nur die moderaten Außenseiter, als die sie sich selbst sieht, sehen ihn richtig.
Die vernünftigste Lösung wäre für mich weiterhin: Kein Jugendlicher hört etwas von Religion allgemein. Dann ist die Gefahr ihres Missbrauchs am geringsten. Mit dem politischen Faschismus ist man gesellschaftlich genauso verfahren - warum also nicht auch mit dem religiösen...?