Missbrauchsstudie

Keine Ausnahmen von der Strafverfolgung für die Kirche und ihre Priester

Die erschreckenden Befunde der Studie zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche mit hohen dokumentierten Fallzahlen fordern das auf das Legalitätsprinzip verpflichtete Strafrecht zum Handeln heraus.

Aufgrund des Forschungsberichts ist jetzt bekannt, dass es eine hohe Zahl von Missbrauchsfällen gibt, die aufgrund der durch kirchliche Vorgaben anonymisierten Behandlung in der Studie nur als Fall feststehen, aber (noch) nicht einem Täter zugeordnet werden können. Bei den nicht verjährten Fällen ist das ein klarer Fall für Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft, denn der damit begründete Anfangsverdacht nach § 152 Abs. 2 StPO liegt weit über der Voraussetzung von tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Straftat. Ermittlungsmaßnahmen zur Überführung der Täter wie Durchsuchung und Beschlagnahme der vollständigen, nicht anonymisierten Akten zur persönlichen Feststellung der Täter liegen nahe.

Es überrascht, wie zurückhaltend Staat und Öffentlichkeit mit dem alarmierenden Anfangsverdacht schwerer Verbrechen umgehen. Das basiert wohl darauf, dass vielfach eine vage und ehrfürchtige Vorstellung von der sakrosankten Eigenständigkeit der Kirche herrscht. Wie bei vielen mächtigen Institutionen wird versucht, eine Mauer des Schweigens insbesondere gegen strafrechtliche Ermittlungen aufzubauen.

Dabei ist die Rechtslage insoweit eindeutig: Es gibt keine grundsätzlichen Ausnahmen von der Strafverfolgung für die Kirche und ihre Priester wie bei der Immunität von Parlamentariern oder Diplomaten. Es gibt auch kein Recht der Kirche – etwa unter Hinweis auf das Kirchenrecht und die eigene Strafgewalt –, ihre Institution von strafrechtlichen Eingriffen frei zu halten. Unabhängig von dem eigenen kircheninternen Sanktionsverfahren gilt für Straftaten des StGB das staatliche Strafverfahren und kirchenangehörige Täter können entsprechend auch vor ordentlichen Gerichten betraft werden.

Dem staatlichen Strafverfahren in diesen kirchlichen Fällen sind daher nur die immanenten Grenzen der StPO wie bei jedem Bürger gesetzt. Dazu gehört selbstverständlich das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. Nr. 1 StPO, das speziell für Geistliche ein Schweigerecht über das vorsieht, was Ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut wurde oder bekannt geworden ist. Freilich ist das so begründete Schweigerecht als Ausnahme genau auf die spezifisch seelsorgerische Tätigkeit begrenzt. Ein generelles Ermittlungsverbot folgt daraus nicht. Die Verpflichtung zur Verfolgung von Straftaten im Rechtsstaat wird für den kirchlichen Bereich so gerade nicht allgemein ausgeschlossen.

Damit steht fest, dass alle innerkirchlichen Vorgänge ohne Bezug zur Beichte nicht darunter fallen und somit vor allem im Bereich der Verwaltung, wozu Disziplinarverfahren zählen, im Rahmen der strafprozessualen Vorgaben ermittelt werden darf. Ausgenommen von einer Beschlagnahme wären nur Aufzeichnungen eines Priesters über die Beichte und die Vernehmung des Priesters. Alle sonstigen Unterlagen und Aussagen kirchlicher Mitarbeiter könnten herangezogen werden.

Diese Position wird gestützt durch in diesem Punkt recht einheitliche Kommentierung des Zeugnisverweigerungsrechts.

Münchener Kommentar Rn 15: "Bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, dass sich das Zeugnisverweigerungsrecht nicht auf Tatsachen erstreckt, die der Geistliche lediglich bei Gelegenheit der Ausübung der Seelsorge erfahren hat, nicht aber in seiner Eigenschaft als Seelsorger. Ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht damit nicht bei lediglich karitativen, fürsorgerischen, erzieherischen oder verwaltenden Tätigkeiten des Geistlichen. … Ob es sich im Einzelfall um Seelsorge handelt, ist objektiv zu bestimmen; in Grenz- und Zweifelsfällen ist die Gewissensentscheidung des Geistlichen maßgebend."

Beck OK zu § 53 StPO Rn 10: "Vom Zeugnisverweigerungsrecht werden alle Tatsachen umfasst, die dem Geistlichen in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind …. Nicht unter § 53 fällt dagegen Wissen, das der Geistliche in ausschließlich karitativer, fürsorgerischer, erzieherischer oder verwaltender Tätigkeit erlangt hat; gleiches gilt für Tatsachen, die er nur gelegentlich der Ausübung seines Berufes erfahren hat (BGH NStZ 2007, 275). Entscheidend ist die objektive Sachlage, nicht wie die Beteiligten die Situation beurteilen, wobei die Ansicht des Geistlichen in Grenz- und Zweifelsfällen maßgeblich sein wird (BGH NStZ 2010,646)."

Damit ist auch nach der prozessualen Prüfung der Voraussetzungen von staatsanwaltschaftlichen Verfahren bei den Missbrauchsfällen dem aktuellen Beitrag der Kanzlei Schön und Reinecke beizupflichten, der sich auf der Homepage des Instituts für Weltanschauungsfragen findet.

Die trotz der klaren Ausgangslage für strafrechtliche Ermittlungen zu beobachtende staatliche und staatsanwaltschaftliche Zurückhaltung beruht wohl darauf, dass man den vorhersehbaren Konflikt bei Abgrenzungsfragen des Zeugnisverweigerungsrechts mit der Kirche vermeiden will. Dagegen steht aber das bindende Rechtsstaat- und Legalitätsprinzip. Es ist ein Skandal, dass gar nichts passiert, während (zu Recht) sexuelle Übergriffe im bürgerlichen Leben vom Strafrecht sehr ernst genommen werden!

Erstveröffentlichung: Institut für Weltanschauungsrecht