In der aktuellen Diskussion um eine mögliche Einführung einer Widerspruchs-Lösung bei der Organspende verweist DGHS-Präsident Professor Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher auf das eigentliche Haupthindernis, weswegen nur geringe Mengen von transplantationsfähigen Organen zur Verfügung stehen: Die geringe Bereitschaft deutscher Kliniken, potenzielle Organspender/-innen zu melden.
Ein gravierender Faktor sind die institutionellen Hindernisse. Der DGHS-Präsident zieht dafür den Vergleich zu Spanien: "Die Transplantationsbeauftragen der Krankenhäuser sind in Spanien, dem Land mit der höchsten Zahl an Organspenden pro Kopf, Intensivmediziner, die für ihre Tätigkeit eigens freigestellt werden. Die finanziellen Anreize für die Krankenhäuser, Organspenden vorzunehmen, sind durchweg höher als in Deutschland, wo die Belastungen, die eine Organentnahme für die Logistik eines Krankenhauses bedeutet (etwa die Entnahme in den Nachtstunden) unvollständig finanziell abgedeckt sind."
Nicht zuletzt wirkt sich aus, dass in Deutschland sehr viel mehr Krankenhäuser an der Entnahmepraxis beteiligt sind als in Spanien, wo es nur 186 Entnahmekliniken gibt, im Gegensatz zu 1.326 in Deutschland. "Die Folge ist, dass in einem durchschnittlichen Krankenhaus Organentnahmen nur selten vorkommen und dann eher als Störungen des Routinebetriebs empfunden werden – einer der Gründe dafür, dass potenzielle Spender häufig nicht gemeldet werden, obwohl die Kliniken nach § 9 Abs. 2 TPG gesetzlich dazu verpflichtet sind. So hatten sich im Jahr 2005 nur 45 Prozent der deutschen Krankenhäuser mit Intensivstationen an der Organspende beteiligt."
Birnbacher führt zum geltenden Organspende-Verfahren in Deutschland aus: "Die gegenwärtig geltende 'Erklärungsregelung' ist m. E. allerdings auch erheblich selbstbestimmungswidrig – sogar noch selbstbestimmungswidriger als die Widerspruchsregelung, da diese lediglich Maßnahmen nach dem Lebensende betrifft, von denen der Erklärende subjektiv nicht mehr betroffen ist. Sie erwartet nämlich von jedermann, dass er sich mit der Problematik auseinandersetzt. Das dürfte von vielen als Zumutung empfunden werden, auch wenn sie sich nicht zwangsweise entscheiden müssen."
Bei der Einführung der "Erklärungsregelung" ist darauf Wert gelegt worden, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zu respektieren. Erstens soll die Information über die Organspende-Möglichkeit ergebnisoffen sein. Zweitens soll niemand zu einer Entscheidung verpflichtet werden. "Indem ihm freigestellt wird, sich zu entscheiden oder nicht zu entscheiden, wird nicht nur darauf verzichtet, ihm eine Entscheidung aufzuzwingen; ihm wird auch keine Überlegung im Vorfeld einer Entscheidung aufgezwungen, d. h. er kann die Information auch ignorieren und davon Abstand nehmen, sich auf den Gedanken an seinen eigenen Tod einzulassen. Unvermeidlich ist dennoch, dass von der bloßen Tatsache, dass er auf die Möglichkeiten einer Organspende angesprochen wird, ein moralischer Druck ausgeht, vergleichbar dem, der von Spenden-Bittbriefen für andere gute Zwecke ausgeht. In diesem Fall ist der Druck sogar um einiges ausgeprägter, da für die Organspende nicht nur von bestimmten Bürgergruppen und Organisationen geworben wird, sondern sich auch staatliche Instanzen und nachgeordnete Behörden wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mehr oder weniger eindeutig hinter den Aufruf zur Organspende gestellt haben."
"Der Empfänger der Information weiß, dass die Informationsaktion nicht unternommen worden ist, um ihm eine Verweigerung der Organspende zu ermöglichen, sondern um das Aufkommen an Spenderorganen zu erhöhen. Deshalb wird seine Reaktion auf diese Information häufig ambivalent ausfallen. Da er die Absicht spürt, ist er nicht nur möglicherweise verstimmt (sofern er sich nicht bereits als Spender erklärt hat), sondern wird vielfach auch mit psychischem Widerstand gegen das Ansinnen reagieren und das Informationsmaterial – um sich die Beschämung einer Verweigerung oder Manifestation von Gleichgültigkeit zu ersparen – dem Papierkorb überantworten. Aufforderungen zum Altruismus bergen psychologisch stets die Gefahr der emotionalen Abwehr."
Birnbacher bringt es so auf den Punkt: "Man möchte gut sein, aber nicht dazu aufgefordert werden."
12 Kommentare
Kommentare
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Bei der Widerspruchslösung wird auch "darauf verzichtet, ihm eine Entscheidung aufzuzwingen; ihm wird auch keine Überlegung im Vorfeld einer Entscheidung aufgezwungen, d. h.
Wo liegt der Unterschied, außer dass bei dieser Version jede Menge Organe zur Verfügung stünden von Menschen, denen es völlig egal sein sollte, was nach ihrem Tod mit ihren Organen geschieht?
Helga Lüttgen am Permanenter Link
Bei Ihrer Interpretation kann die logische Folgerung sein, dass alle Menschen automatisch zu Organspendern erklärt werden.!! Nur dann wird ihnen keine Entscheidung aufgezwungen!
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Doch,
egal am Permanenter Link
Sie unterliegen einem logischen Fehlschluss, der zwar eine (Ihre) Tatsachenbehauptung plackatiert aber schon auf der Begründungsebene zweifach in die Irre führt.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Worin liegt mein Fehlschluss?
Die Widerspruchslösung erlaubt mir (für den Fall, dass ich widerspreche) ein für alle Mal zu bestimmen, dass keinerlei Organe von mir nach meinem Tod transplantiert werden.
David See am Permanenter Link
ich spende keine Organe. vor dem Tod wird man unnötigen (übertherapie) Operationen zur Gewinnmaximierung ausgesetzt, danach sollen dann noch die Organe rausgenommen werden um damit Kasse zu machen.
wenn ich so sterben darf wie ich das möchte kann man über Organe reden
Harald Freunbichler am Permanenter Link
Ganz einfach:
Wer nicht spendet / das verbietet, der bekommt auch kein Organ.
Derderzweimaltransplantiertlebt
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Das ist wohl problematisch. Schließlich kann man niemanden dafür bestrafen, eine bestimmte gesetzmäßige Entscheidung getroffen zu haben. Aber das wird auch nicht nötig sein.
Harald Freunbichler am Permanenter Link
Wenn man das Transplantationsregime als Lebensversichungsgemeinschaft ansieht, der man beitritt oder nicht - selbstverständlich müssten Unmündige automatisch inkludiert sein - dann wäre das keine "Bestrafung für
Dass soetwas "nicht nötig" wäre, ist mir als Österreicher und Betroffener selbstredend bewusst.
Politisch durchsetzbar ist es selbstverständlich nicht.
Es ist lediglich meine "biblische" Gerechtigkeitsauffassung, seltsam für einen Atheisten, zugegebenermaßen.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
In diesem Fall hätten Sie wirklich einen Zwang, den keiner will.
Harald Freunbichler am Permanenter Link
Schade, dass ich Ihnen nicht folgen kann, bzw. Sie nicht verstehe. Ggf. wäre das eine interessante persönliche Diskussion. Danke für den Versuch.
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin,
jedem Kommentator dürfte klar sein, das mit jeder politischen Wahl, das Selbstbestimmungsrecht
auf entsprechende Politiker übertragen wird. So viel vorab.
Mit dem angestrebten Verfahren zur Steigerung der Organe für die Transplantation werden
die Forschungsanstrengungen zur Heilung kranker Organe stark reduziert.
Das angestrebte Verfahren unterstützt die Symptombehandlung und fördert nicht die Ursachenbekämpfung.
Die Krankenkassenmitglieder müssen letztlich die Symptombehandlung bezahlen.
Viele Grüße
Arno Gebauer