Mit Volldampf in den Weltuntergang

Das Insekten- und Vogelsterben um uns herum ist in vollem Gange, doch wir schaffen es erstaunlich gut, dies zu ignorieren. Dabei geht es um nichts Geringeres als unsere eigene Zukunft.

In den 80ern fand ich diesen "… dann werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann"-Spruch immer etwas sehr pathetisch. Muss man den Leuten wirklich erklären, wo ihre Nahrung herkommt? Nein, dachte ich, das werden die schon wissen, Menschen sind viel zu sehr auf ihr eigenes Überleben fixiert, um diesbezüglich wirklich was anbrennen zu lassen.

Heute, im Jahr 2019, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob wir nicht doch dringend mal ganz grundlegende Zusammenhänge erklären sollten, um nicht wie König Midas Gefahr zu laufen, irgendwann auf einem Haufen Gold sitzend zu verhungern. Der Insektenbestand geht laut einer Studie der Radboud University in Nijmegen (Niederlande) in Zusammenarbeit mit dem Entomologischen Verein Krefeld in deutschen Naturschutzgebieten jährlich um durchschnittlich 6,1 Prozent zurück, was kumuliert von 1989 bis 2016 einen Rückgang von über 75 Prozent bedeutet. Eine im Januar 2019 erschienene Metastudie der University of Sidney über 73 Studien bestätigt den Trend einer weltweiten Abnahme an Insekten-Biomasse und prognostiziert ein Aussterben von 40 Prozent aller Insektenspezies in den kommenden Jahrzehnten.

Laut dem European Bird Census Council ist die Zahl der Feldvögel auf dem Kulturland der EU um 56 Prozent eingebrochen – alles andere wäre aufgrund des Rückgangs der Insekten ja auch eher verwunderlich, sofern Vögel nicht spontan lernen, sich Pizza zu bestellen. Und sollten euch Vögel, Fliegen und sonstiges Gewürm zu klein und unbedeutend sein, um dem Gefühl, sich die Natur mal so richtig Untertan zu machen, nahe genug zu kommen: Wir Menschen haben jetzt endlich auch eine Säugetierspezies vom Planeten getilgt, mutmaßlich einfach nur durch das Emittieren von CO2: Der einzig bekannte Lebensraum der Mosaikschwanzratte wurde im letzten Jahrzehnt mehrfach überschwemmt, so dass das australische Umweltministerium ihre Ausrottung bekannt geben musste. Denen haben wir mal so richtig gezeigt, wer die Krone der Schöpfung ist. Menschen: 1, Mosaikschwanzratte: 0.

Als Reaktion auf die Berichterstattung dieser dystopisch anmutenden Neuigkeiten lesen wir dann in hübscher Regelmäßigkeit das typische Abwiegeln, so als ginge all das nur Hobbyfotografen von Vögeln, die Mitglieder des Mücken- und Käferfreunde Bottrop e. V. und Mosaikschwanzrattenfans etwas an. Es wird so getan, als sei die Sorge um ausgestorbene Spezies ein besonders intellektuelles Gedankenspiel sehr grün eingestellter Ökofritzen, deren höchstes Ziel es ist, mit edelmütigem Naturschutz hübsche Medaillen und Pokale zu gewinnen.

Menschen sind aber nun mal Teil der Natur, man kann das also ganz egoistisch umformulieren: Naturschutz ist in erster Linie Menschen- und Zivilisationsschutz. Das gilt für besagte Insekten, das gilt für die Qualität von Böden in der Landwirtschaft und das gilt auch für die Begrenzung von Treibhausgasemissionen. Die Natur und der Planet überleben auch einen weltweiten Temperaturanstieg von 10 Grad Celsius, eine Vernichtung von 99 Prozent der Insekten und das großflächige Absterben australischer Korallenriffe. Der Homo sapiens nicht.

Selbst aus einer rein ökonomischen Betrachtung heraus ist das mutwillige Dezimieren unserer Insektenfauna zur kurzfristigen Profitsteigerung eine irrsinnige Idee. Es mag nicht jeder eine persönliche Faszination für sechsbeinige Kreaturen empfinden, aber dass diese Tiere einen großen Teil unserer Nutzpflanzen bestäuben, sollte selbst bei Investmentbankern ein Interesse am Fortbestand dieser Tiere wecken. Wollte man die Apfelplantagen am Bodensee mit der Hand bestäuben, es würde geschätzt 382 Millionen Euro kosten – und wäre weniger effektiv als der Einsatz von Wildbienen. Für künstliche Bestäubung wurden laut einer Studie der University of Montpellier von 2009 weltweit dreistellige Milliardenbeträge geschätzt.

Man kann seine Erträge natürlich auch ganz bewusst auf Kosten der folgenden Generationen maximieren. Das Konzept kennen wir von der globalen Erwärmung: Die Menschen, die heute laut aufheulen, wenn Flüge, Fleisch oder Benzin verteuert werden sollen, werden teilweise gar nicht mehr erleben, wie die ihnen Nachfolgenden auf eigene Kosten das heute emittierte CO2 wieder aus der Luft filtern müssen, um das Schlimmste zu vermeiden. Es ist eine Art Kreditvertrag, der geschlossen wird, obwohl einer der Vertragspartner noch gar nicht geboren ist. Mutmaßlich ist der effektive Schutz von Insekten jedoch deutlich simpler als die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft.

Die Wissenschaftler hinter den oben genannten Studien führen das Phänomen auf einen großflächigen Eingriff in die Natur zurück, da der Effekt nicht lokal begrenzt ist: Stickstoffverbindungen aus Düngern, Abgasen und Fabriken, Pestizide, auf Effizienz hin ausgerichtete Monokulturen, kurz: Zu viele vom Menschen bewirtschaftete Flächen. Nun ist genau hier viel Potential vorhanden: 79 Prozent der Agrarflächen werden für die Herstellung von Tierprodukten genutzt, liefern dann aber am Ende nur 18 Prozent der Kalorien. Man könnte also große Flächen der Natur zurückgeben oder zumindest eine schonendere, weniger Ertrag generierende Anbaumethode mit Mischkulturen und weniger Pestiziden etablieren, ohne dass auch nur ein Mensch hungern müsste, wenn der Anteil der Tierprodukte in unserer Ernährung reduziert würde.

Es könnte alles so einfach sein – nur leider sehen das gewisse Parteien mit C im Namen gänzlich anders. Seltsam, "konservativ" leitet sich vom lateinischen conservare ab und deckt sich gut mit dem allgemein als christlich empfundenen Gedanken, Gottes Schöpfung zu bewahren. Dennoch sind die Christdemokraten die engsten Verbündeten des Bauernverbands, der das bayerische Volksbegehren für Artenvielfalt zum Schutz von Bienen ablehnt und einfach so weitermachen will wie bisher.

Der Bauernverband verweist darauf, dass das Artensterben auch ganz andere Ursachen hat, nämlich Klimawandel, Autoverkehr und Flugverkehr. Das stimmt auch, nur sieht es auch auf diesen Gebieten so aus, als ginge es den Unionsparteien eher um den Schutz von Bankkonten als um die "Schöpfung Gottes". In keinem dieser Bereiche wird effektiver Umweltschutz durchgesetzt, der Verkehrssektor ist in den letzten Jahren sogar noch umweltschädlicher geworden. Zudem wird nun mal fast die Hälfte der gesamten Fläche Bayerns landwirtschaftlich genutzt, es ist der entscheidende Faktor. Doch CSU und CDU sehen nur zu. Und so müssen wir davon ausgehen, dass die Biomasse der Insekten auch nächstes Jahr wieder um 6,1 Prozent geschrumpft ist.

Mit ihrer Politik hätten sich die C-Parteien die Bezeichnung "Weltuntergangssekten" redlich verdient.