Die Aktion Unterholz gab die Broschüre "Mama, dieser Stock auch?" zu den Protesten im Hambacher Forst heraus, worin Selbstermächtigung und ziviler Ungehorsam beschworen werden. Der Blick in den Text macht indessen deutlich, dass nicht wenige Auffassungen zumindest undurchdacht sind und auf eine Legitimation von Gewalt hinauslaufen können.
Zur Demokratie gehört auch die Existenz von Protestbewegungen, sind sie doch ein Ausdruck des Pluralismus. Gleichwohl haben diese Bewegungen auch Grenzen für ihr Handeln, wozu die Einhaltung von Gesetzen ebenso wie der Verzicht auf Gewalt gehört. Es darf daran erinnert werden, dass Protestbewegungen über keine, Regierungen aber sehr wohl über eine demokratische Legitimation verfügen. Diese Auffassungen teilen indessen die Autoren der Broschüre "'Mama, dieser Stock auch?' Von Barrikaden, WaldschützerInnen und Antikapitalismus" nicht unbedingt. Herausgegeben hat sie eine Aktion Unterholz, die damit gegen die Abholzung des Hambacher Forstes und für die Aktionen der darauf bezogenen Protestbewegung eintreten will. Darin finden sich auch überaus bedenkliche Auffassungen, die nicht näher erörtert wurden, aber sehr wohl kritisch kommentiert werden können. Vorab muss indessen betont werden, dass erstens allgemein solche Proteste legitim sind und zweitens die Protestbewegung nicht homogen ist.
Inhaltlich will man in der Broschüre die Ereignisse um die Hambacher-Forst-Proteste nacherzählen, wozu auch viele Fotos von Demonstranten und Polizisten gehören. Es geht dann um "Klimawandel von unten" und "System Change Not Climate Change", "Selbstermächtigung" und "Zivilen Ungehorsam", "Braunkohle" und "Kapitalismus", "Polizeirepression" und "Widerstand". Wovon demgegenüber nicht die Rede ist, sind eben die Einhaltung von Gesetzen und der Verzicht auf Gewalt. Dafür gibt es einseitige bis falsche Einschätzungen. So heißt es etwa: "Die Klimabewegung ist … nur antikapitalistisch denkbar, weil es im Kapitalismus keine Wirtschaftsweise geben kann, die nicht auf Wachstum und Profitsteigerung und somit auf Umweltzerstörung ausgerichtet ist" (S. 12). So einfach sollte man es sich gerade in Deutschland nicht machen, war die antikapitalistische DDR doch sicherlich kein Öko-Paradies. Und so sehr der Kapitalismus den Umweltschutz missachten mag, so sehr kamen in ihm aber auch umweltfreundliche Technologien auf.
Die Autoren der Broschüre repräsentieren nicht die ganze Protestbewegung. Sie selbst schreiben von "Bündnissen zwischen linksradikalen Gruppen und bürgerlichen Initiativen und NGOs" (S. 15) und davon, "dass es keine dogmatische Einteilung in 'gewaltfreien' und 'militanten' Aktivismus gab" (S. 42). Derartige Formulierungen machen deutlich, dass in Gewalt schon ein legitimer Handlungsstil gesehen wird, man formuliert es nur nicht deutlich genug aus, müsste so etwas dann doch über eine inhaltliche Legitimation verfügen. Ansonsten wird durch den ganzen Text hindurch immer wieder zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. Doch bleibt unklar, was darunter verstanden wird. Eigentlich meint die Bezeichnung, dass geltende Gesetze aufgrund einer persönlichen Moral gebrochen werden, dies ohne die Anwendung von Gewalt geschieht, man den bestehenden Rechtsstaat gleichwohl akzeptiert und sich von daher auch nicht der Bestrafung entzieht und eben Gesicht zeigt. Davon kann bei den gemeinten Aktivsten in Kombination miteinander nicht gesprochen werden.
Dafür beruft man sich auf das Prinzip der "Selbstermächtigung" (S. 16), ohne das damit gemeinte Verhaltensprinzip näher zu erläutern. Im Kern geht es indessen darum, dass die eigene Auffassung als Legitimation für den Gesetzesbruch gelten kann. Doch wie wird das begründet, was, wenn das alle willkürlich so machen? Man hat offenbar über die Problematik einer Verallgemeinbarkeit nicht sonderlich nachgedacht. Kurios ist auch die Einstellung zum Recht, das die Autoren ablehnen, wenn es ihnen nicht passt. Als die Baumhäuser geräumt wurden, ging die Polizei rechtmäßig vor, indessen nicht bei deren Zerschlagung. Dann beklagen die Autoren aber die "Aussetzung des Rechts als anderes Mittel der Politik" (S. 32). Derartige Doppelstandards stehen dann nicht für Glaubwürdigkeit. Die vorgetragenen Einwände richten sich übrigens nicht gegen die Protestbewegung an sich. Denn: Außerparlamentarische Aktionen können auch im gesetzlichen Rahmen erfolgen. Die Autoren wollen indessen diese Schwelle ganz bewusst überschreiten.
Aktion Unterholz (Hrsg.), "Mama, dieser Stock auch?" Von Barrikaden, WaldschützerInnen und Antikapitalismus, ohne Ort 2018, 50 S.
7 Kommentare
Kommentare
Kay Krause am Permanenter Link
Gleich nach der Wende, dem Fall der Mauer, sah ich (leider nur einmal!) an einem Auto mit "DDR"-Kennzeichen einen Aufkleber, auf dem zu lesen stand: "der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übrig
Die Finanzgier der Konzernchefs (deren Einkommen mit irgendeiner Art von "Verdienst" nichts mehr zu tun hat!
Die Staatlich gedeckten schmutzigen Geschäfte der Banken;
die staatlich gedeckten schmutzigen Geschäfte der Kirchen;
Die staatlich gedeckten Waffen-Exporte rund um den Globus, Waffen, die auf misteriösen Wegen letztlich JEDEN Staat erreichen, der sie besitzen möchte!
Die staatlich gedeckten Vergiftungen unserer Lebensmittel;
Die staatlich gedeckten Betrügereien der Auto-Industrie!
Und diese unendlich fortsetzbare Liste dient nur dazu, dass die vielen Millionen Weltbürger die bereits prall gefüllten Säckel von einigen Wenigen zum Überlaufen bringen! Dieser Brutal-Kapitalismus - wie ich ihn nenne - geht über Leichen, nimmt keine Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse, denkt und handelt nur bis heute abend, mit dem einzigen Ziel, Aus dieser Gesellschaft - solange es geht, soviel Gewinn wie möglich heraus zu holen! Kapitalismus kann durchaus funktionieren, wenn er sich seiner sozialen Verantwortung bewußt ist! Und - ich sage es nochmals:Für diese ganze Liste der weltweiten Reparatur-Bedürftigkeit müßten wir jeden Tag auf der Straße anzutreffen sein. Und - um auch auf Herrn Pfahl- Traughber einzugehen: So, wie dieser Brutal-Kapitalismus keinerlei Rücksicht nimmt auf die sozialen und menschlichen Bedürfnisse der Menschen, die ihm seinen gierigen offenen Rachen täglich mit Euro- und Dollarscheinen stopfen, so darf man sich dann nicht wundern, wenn aufgrund der Erfolglosigkeit friedlicher Demonstrationen bei etlichen Bürgern die Milch überkocht, und deren Wut sich in Gewalt-Ausschreitungen wandelt. Und dafür haben wir eine gut funktionierende Polizei, die sofort bereit ist , auf den Bürger, der ihren Lebensunterhalt finanziert, mit dem Knüppel draufzuschlagen!
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich bin absolut gegen Gewalt, gegen Krieg, Mord und Zerstörung! Andererseits sehe ich aber keinen Lichtblick am Horizont!
Dem Kapitalismus ist mit Vernunft nicht bezukommen! Zukunftsweisende Abhilfe kann hier nur die Legislative - also der Gesetzgeber schaffen Aber das ist ein langwieriger Weg.
Nur ist die von mir beschriebene Misere und deren Entwicklung seit 50 Jahren bekannt, und bereits vor 30 Jahren hätte man mit einer zukunftsweisenden, vernunftbegründeten Veränderung beginnen können.
Aber wo ist die Partei, die sich Gesundheit, Gerechtigkeit, Vernunft, Zukunfts-Denken auf die Fahne geschrieben hat? ich sehe sie nicht!
Ich sehe eine mittlerweile abgetakelte Dame, die die Hände vor dem Bauch faltet, Probleme aussitzt und eine Riege von katholischen und protestantischen Ministern um sich schart. Was ist von diesen Herrschaften zu erwarten? Mit Sicherheit nichts, was die vernunftbedingte , zukunftsorientierte Veränderung unserer Lebensumstände betrifft!
A.S. am Permanenter Link
Lieber Herr Krause, ausnahmsweise (!) erlaube ich mir, Ihnen zu widersprechen.
Ich sehe im Kapitalismus die ökonomische Variante der Evolution. Die Rolle, die der Nahrungsbedarf in der Natur bei natürlichen Evolution spielt, übernehmen im Kapitalismus der Kostendruck: In der Natur entwickeln sich an ökologische Nischen angepasste Lebensformen, im Kapitalismus an Markt-Nischen angepasste Unternehmen.
Meine Schlussfolgerung: Wer die natürliche Evolution toll findet, müsste eigentlich auch den Kapitalismus toll finden. So wie durch Evolution die Natur immer komplexer geworden ist, wird auch der Kapitalismus im Wechselspiel von Kostendruck und Innovation immer komplexer - und wächst uns über den Kopf.
Das Problem ist der Mensch, in der Natur wie im Kapitalismus. Der Mensch weiß ein wenig, was er tut, genug um maximalen Schaden anzurichten, zu wenig um achtsam die natürlichen wie ökonomischen Systeme sinnvoll zu gestalten.
Kay Krause am Permanenter Link
Lieber anonymer Herr A.S.: Ihr Widerspruch kann mich nur zum Weiterdenken anregen, hat also eine konstruktive Wirkung!
Ja, das Problem ist der Mensch, ganz klar. Nur: der Mensch ist ein (unvernünftiger) Teil der Natur, so, wie die Evolution "Natur" ist. Diese hat (im Gegensatz zum Kapitalismus) nicht den Hang, sich selbst zu zerstören!
Hans Trutnau am Permanenter Link
"So wie durch Evolution die Natur immer komplexer geworden ist ..." - nein, eben *nicht* immer.
Mario Grunert am Permanenter Link
1. Glauben Sie wirklich das es ihre Fähigkeit ökonomischer Teilhabe einschränkt wenn ein Manager / Bankenchef / [Feindbild hier einsetzen] ihrer Meinung nach zu viel Geld bekommt ?
3. Glauben Sie wirklich irgendeine staatliche Stelle deckt die willentliche / bewusste Einbringung kritischer Mengen von toxischer Substanzen in die Nahrungskette ?
Kriegswaffen sind unzureichend markiert und der Export lasch reguliert, da gebe ich ihnen Recht - der Rest ihrer "Systemkritik" scheint mir reichlich naiv-religiös.
Kay Krause am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Grunert! Ihr Kommentar zeigt mir so meine Sicht, dass Sie nichts begriffen haben, oder nichts begreifen wollen?
Als "naiv" dürfen Sie mich gerne bezeichnen, damit kann ich umgehen, auch wenn es nicht unbedingt dem Umgangston im hpd entspricht. Manchmal - sehr geehrter Herr Grunert, ist es gar nicht so verkehrt, Im Denken(Planen,Philosophieren usw.) einen Schritt zurückzu schalten, und auf einfache (naive) Gedanken-Konstruktionen zurück zu greifen! Sie gehen vielleicht mit mir konform, wenn ich sage, dass konservatives Denken( das Vertrauen auf Altbewährtes, die Furcht vor Veränderung) uns Menschen jemals weiter gebracht hat?)Genau so falsch ist es aber auch, grundsätzlich alles Neue, Moderne zu vergöttern, und vor den zerstörerischen Folgen dieser Vergötterung die Augen zu verschließen!
Und die Letzte Anmerkung zu Ihrem Kommentar: Selbstverständlich dürfen Sie Ihre Meinung haben und diese im hpd kundtun.
Ausgerechnet mich jedoch als "religiös" zu bezeichnen, sehr geehrter Herr Grunert, das verbitte ich mir in aller höflichen Form!
pk am Permanenter Link
"Es darf daran erinnert werden, dass Protestbewegungen über keine, Regierungen aber sehr wohl über eine demokratische Legitimation verfügen."
"Gleichwohl haben diese Bewegungen auch Grenzen für ihr Handeln, wozu die Einhaltung von Gesetzen ebenso wie der Verzicht auf Gewalt gehört."
Ich habe die Broschüre nicht gelesen. Ziviler Ungehorsam zielt darauf ab, mittels des eigenen Körpers Handlungen zu blockieren, zu be/verhindern. Dieses Vorgehen gilt dem Konzept nach auch als legitim, wenn sie Gesetzesverstöße bedeuten, weil es einem moralisch höheren Ziel dient. Die Gesetzesbrüche erzeugen wiederum eine kontroverses Echo bei den Mitbürger*innen und regen dazu an, sich mit Staatsgewalt, Politik und Klima/Umweltschutz auseinanderzusetzen, bzw. sich dazu zu positionieren. Wäre also eine Gesetzeseinhaltung des Brandschutzes wichtiger als die Zerstörung des Hambacher Waldes und die Befeuerung der Klimakrise durch die Fortsetzung des Abbaus und der Verstromung von Kohle durch RWE?
"So einfach sollte man es sich gerade in Deutschland nicht machen, war die antikapitalistische DDR doch sicherlich kein Öko-Paradies."
Wird denn in der Broschüre ein Automatismus angeführt, dass unter Antikapitalismus zwangsläufig ein System wie das der DDR zu verstehen ist, oder ist die Gleichsetzung hier die Meinung von Armin Pfahl-Traughber? Geht es Armin Pfahl-Traughber darum, das Image des Kapitalismus aufzubessern, indem er mit dem Verweis auf umweltfreundliche Technologien (originär und ausschließlich kapitalistisch?) eine Nebelkerze zündet?
"Doch wie wird das begründet, was, wenn das alle willkürlich so machen?"
Dann wäre womöglich der sofortige Kohlesausstieg bereits beschlossene Sache. Ach, und für Gesetzestreue bleibt immer noch die Möglichkeit, einen Fahrschein lösen, sollte es revolutionär zugehen. ;)