Kommentar

Wir schreiben das Jahr 2100 – Der letzte Mensch der Welt stirbt

Die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels sind schon jetzt in vielen Teilen der Welt spürbar. Doch wie wird es in naher Zukunft aussehen? Welche Herausforderungen kommen damit auf die Menschheit zu? Constantin Huber denkt über zwei mögliche Szenarien nach.

Wir haben nicht mehr viele Jahre, in denen wir unseren Netto-CO2 Ausstoß auf null zurückfahren müssten. Andernfalls wird das 1,5-°C-Ziel verfehlt und anschließend in absehbarer Zeit auch der 2- und 2,5-°C-Grenzwert überschritten.

Aktuell sieht es so aus, als würden nicht einmal die reichen Industrienationen mit qualitativ hochwertiger und flächendeckender Bildung dazu in der Lage sein, sich Politiker*innen in die Regierung zu wählen, die tatsächlich bereit sind, etwas zugunsten des Klimaschutzes weitreichend und nachhaltig zu verändern. Wo sollten dann Schwellenländer respektive gar jene Länder, die von fragwürdigen Regimen bis hin zu waschechten Diktatoren geführt werden, den Anreiz hernehmen, sich deutlich mehr für den Klimaschutz einzusetzen? Wir können nicht so tun als wüssten wir es nicht besser. Denn das tun wir. Seit Jahrzehnten kommen sämtliche einschlägigen Forschungsinstitute zu demselben Ergebnis. Seit Jahrzehnten geben diese Warnungen, Zukunftsaussichten und Lösungsansätze heraus. Doch getan wird bisher viel zu wenig.

Daher erscheint es sinnvoll, zwei Szenarien zu durchdenken und zu überlegen wie wir mit den jeweiligen Situationen umgehen sollten. Das eine Szenario kann als Optimum, das andere als Pessimum angesehen werden.

Szenario 1 

Wir schreiben das Jahr 2030 – die Durchschnittstemperatur hat sich um 1 °C erhöht. Trockene Regionen werden immer trockener, feuchte immer feuchter. Der Meeresspiegel steigt, wodurch Hurrikans regelmäßig viel größere Flächen verwüsten. Einige Flüsse versiegen und Dürreperioden halten länger an. Die Ernteerträge sinken, während die Weltbevölkerung anwächst.

Wir schreiben das Jahr 2050 – die Durchschnittstemperatur hat sich um 1,5 °C erhöht. Hitzewellen machen ganze Landstriche unbewohnbar. Doch aufgrund der Tatsache, dass supranationale Katastrophenverträge abgeschlossen wurden, müssen keine Millionen Flüchtlinge Hunger leiden und auch nicht dauerhaft in entwürdigenden Auffanglagern leben.

Wir schreiben das Jahr 2080 – die Durchschnittstemperatur erhöht sich nicht weiter. Die Menschen gewöhnen sich langsam an die sehr regelmäßig auftretenden Extremwetterlagen und lernen, damit umzugehen. Die vielen ausgestorben Tierarten können zwar nicht zurückgebracht werden, aber es sterben aufgrund staatlicher und zivilgesellschaftlicher Initiativen kaum noch weitere aus.

Wir schreiben das Jahr 2100 – die Durchschnittstemperatur hat sich aufgrund neuer Technologien um 0,2 °C verringert. Da das Klima nicht irreversibel beschädigt wurde, kommen die meisten Wissenschaftler*innen zu der Ansicht, dass wir durch global angelegte Projekte in den nächsten Jahrzehnten sogar wieder auf den CO2-Stand aus dem Jahr 2020 kommen können.

Szenario 2

Wir schreiben das Jahr 2030 – die Durchschnittstemperatur hat sich um 1,5 °C erhöht. Hitzewellen machen ganze Landstriche unbewohnbar. Millionen Menschen werden zu Flüchtlingen. Die meisten Länder schotten sich ab. New Orleans wird nach der dritten Zerstörung durch Überschwemmungen nicht wieder aufgebaut. Warnungen, dass bei weiterhin ansteigenden Temperaturen unter anderem das Grönlandeis und die Permafrostböden in Sibirien schmelzen können, wodurch folgenschwere Rückkopplungseffekte eintreten und das Klima unumkehrbar kippt, werden immer lauter.

Wir schreiben das Jahr 2050 – die Durchschnittstemperatur hat sich um 2 °C erhöht. Riesige Mengen Treibhausgase gelangen durch die sich erwärmenden Methanhydrate auf dem Meeresboden und die aufgetauten Permafrostböden in die Atmosphäre. Egal, welche Maßnahmen ergriffen werden: der Treibhauseffekt in Kombination mit dem fehlenden Eis, das nicht mehr hinreichend viel Sonnenstrahlung reflektiert, heizt die Erde immer weiter auf. Das globale Klima wurde irreversibel beschädigt. Aufgrund von Ernteausfällen müssen Nahrungsmittel in vielen Ländern rationiert werden.

Wir schreiben das Jahr 2080 – die Durchschnittstemperatur hat sich um 3 °C erhöht. Die Hälfte aller Arten auf dem Planeten sind ausgestorben, die Ökosysteme weitestgehend zerstört. Der Golfstrom versiegt, was zu massiven Temperaturveränderungen führt. Die Ackerflächen reichen nicht mehr aus, um alle noch lebenden Menschen satt zu machen. Die letzten großen Wälder brennen mit jeder Dürre weiter ab. Die 9. Welthungerkatastrophe rafft weitere 400 Millionen Menschen dahin. Ärmere Länder greifen mit ihren letzten Mitteln die reicheren an, um an Nahrung und Trinkwasser zu gelangen.

Wir schreiben das Jahr 2100 – die Durchschnittstemperatur hat sich um 3,5 °C erhöht. Wer es nicht über sich bekommt, seine letzten Haustiere, Ratten und Ungeziefer zu essen, muss sterben. Missgunst, Hass und Krieg greift um sich. Nukleare Vergeltungsschläge zerstören die menschlichen Lebensgrundlagen des Planeten endgültig. Der letzte Mensch der Welt stirbt.

Auf Nummer sicher gehen

Beide Szenarien zeigen eines sehr deutlich: Weder die Engstirnigkeit der letzten Jahrzehnte (wie zum Beispiel so ziemlich jede Verschwörungstheorie oder esoterische Quacksalberei), noch die Kleingeisterei der vergangenen Jahrhunderte (wie zum Beispiel Nationalismus oder Protektionismus) oder die Jahrtausende alten Moralvorstellungen der Abschottung und Xenophobie (wie sie zum Beispiel in fast jeder Religion vorzufinden sind), wird uns bei der Lösung potenziell anstehender Konflikte helfen können.

Was wir brauchen ist eine Ethik, die den entsprechenden Anforderungen gerecht werden kann. Eine davon lässt sich aus dem evolutionären Humanismus ableiten. Dieser kann in Kombination mit dem Pochen auf Wissenschaftlichkeit – auf Basis des kritischen Rationalismus in der Methodik und dem Naturalismus als epistemologische Grundlage – die Grundpfeiler legen, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten, die aufgrund verfehlter Klimaschutzziele auch vor sehr heftige Herausforderungen gestellt wird.

Auch wenn Szenario 2 überzeichnet sein mag und es noch eine ganze Bandbreite möglicher Szenarien dazwischen gibt – ganz ehrlich: lasst uns so oder so für Szenario 1 streiten! Das sind wir den kommenden Generationen und uns selbst schuldig. Es gibt kein logisch kohärentes Argument, das dagegen spräche. Oder, um es in den Worten von Marc-Uwe Kling auszudrücken:

"Ja, wir könnten jetzt was gegen den Klimawandel tun, aber wenn wir dann in fünfzig Jahren feststellen würden, dass sich alle Wissenschaftler doch vertan haben und es gar keine Klimaerwärmung gibt, dann hätten wir völlig ohne Grund dafür gesorgt, dass man selbst in den Städten die Luft wieder atmen kann, dass die Flüsse nicht mehr giftig sind, dass Autos weder Krach machen noch stinken und dass wir nicht mehr abhängig sind von Diktatoren und deren Ölvorkommen. Da würden wir uns schön ärgern."