Am 3. September 2019 hat die Nordkirche eine Großkampagne für den konfessionsgebundenen Religionsunterricht in Norddeutschland gestartet. Das Motto lautet: "Raum für Fragen. Mein Religionsunterricht". Die Veranstaltung zieht mit einem aufblasbaren Kuppelzelt und viel Technik in 12 Städte, so dass alle drei Sprengel im Norden bedient werden können.
Auf der Website der Aktion werden die Gründe für die Kampagne aufgeführt. Die Mehrheit der Schüler fände den Unterricht gut, aber Eltern und Entscheidungsträger im Schulsystem seien kritischer. Man wolle deshalb erreichen, dass sich zukünftig Eltern mehr für den Unterricht interessierten, weil dies ein echter Gewinn aus der Perspektive der Schüler sei.
Der eigentliche Grund für diese sehr aufwändige Kampagne wurde in der Anmoderation der Aktion im Rahmen des Besuches in der Hansestadt Lübeck am 5. September, der ersten Station, verdeutlicht. Die Mitarbeiterin der Kampagne wies darauf hin, dass immer wieder politische Parteien auf die Idee kämen, den Religionsunterricht abzuschaffen. Tatsächlich hat der Landesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen am 24.03.2019 die Einführung eines Pflichtfaches "Philosophie und Religionskunde" für alle Kinder beschlossen. Der Beschluss enthält viele Forderungen der säkularen Organisationen wie der Giordano-Bruno-Stiftung und des IBKA. Sieht man hier langsam, aber sicher, seine Felle davon schwimmen?
Der Religionsunterricht spielt bei der Verbreitung des christlichen Glaubens eine entscheidende Rolle. Nur noch 53 Prozent der Bevölkerung sind Mitglied einer Kirche, wobei lediglich 12 Prozent als echte Gläubige bezeichnet werden können, die regelmäßig Messen besuchen und die zentralen Glaubensvorstellungen teilen. Die Tendenz ist deutlich fallend. Immer weniger Kinder kommen im Elternhaus noch mit Religion in Kontakt. Diese Rolle soll nun verstärkt der Religionsunterricht einnehmen. Mindestens für viele konfessionsfreie Menschen stellt dies ein großes Ärgernis dar, da sie für die Kosten mit aufzukommen haben. Das Theologiestudium an öffentlichen Hochschulen, die Ausbildung der Religionslehrer und der Unterricht selbst verursachen jährlich Kosten in Milliardenhöhe, die die Allgemeinheit finanzieren muss.
Die Nordkirche will mit ihrer Aktion nun auch Religionslehrer benutzen, um den Missionsauftrag umzusetzen. So wird bei jedem Besuch in einer Stadt auch ein 90-minütiges Schulungsprogramm speziell für Religionslehrer angeboten. Eine knapp 250-seitige Broschüre "Raum für Fragen – Arbeitseinheiten für Schule und Gemeinde zur Kampagne für den Religionsunterricht" wird dabei ausgegeben und beispielhaft eine Arbeitseinheit geschult. In Lübeck wurden die Lehrer nach ihrer Tätigkeit an Grund- und weiterführenden Schulen aufgeteilt. Alle Beteuerungen, dass der konfessionsgebunde Religionsunterricht doch so neutral sei und von Mission keine Rede sein könne, werden bereits mit der ersten Arbeitseinheit ad absurdum geführt. Unter dem Titel "Wir reden mal über Gott" sollen die Kinder lernen, was es ihnen bringt, wenn sie glauben.
Zur ausgewogenen Darstellung der Veranstaltung gehört es, darauf hinzuweisen, dass die Arbeitseinheit, die den Lehrern der Sekundarstufe I nähergebracht wurde, zunächst keine Bezüge zum christlichen Glauben enthielt. Es ging im Wesentlichen um Übungen zur Stärkung des Selbstbewusstseins. Zum Abschluss wurde ein Gedicht von Dietrich Bonhoeffer verteilt, das nicht frei von religiösen Formulierungen war. Dietrich Bonhoeffer war ein lutherischer Theologe, der – im Gegensatz zur evangelischen Kirche insgesamt – Widerstand gegen die Nazidiktatur leistete und deshalb hingerichtet wurde.
Aus Gesprächen mit Religionslehrern ist zu entnehmen, dass vielen die Problematik des Faches durchaus bewusst ist. Deshalb sei allen Lesern, die in der Nähe der Veranstaltungsorte wohnen, empfohlen, die Veranstaltungen der Kampagne zu besuchen und kritische Fragen zu stellen. In Lübeck beispielsweise diskutierte die Grundschulgruppe über Schüler, die in der dritten Klasse klar formulierten, dass es doch gar keinen Gott gebe, und damit die Stunde aufmischten.
Im Übrigen stellt sich die Frage nach der Finanzierung dieser Propagandakampagne. Nach Aussage einer Mitarbeiterin der Kampagne werden alle Kosten aus Kirchensteuermitteln bezahlt. Sollte das stimmen, so kann man dies als weiteren Hinweis darauf sehen, wie zentral der Religionsunterricht für die Kirchenkonzerne ist. Man ist sogar bereit, eigene Haushaltsmittel dafür zu verwenden, was ansonsten eher selten vorkommt.
11 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Die beiden Kirchen lassen nichts unversucht um ihren verlogenen Schwachsinn weiter unter das Volk zu bringen, ich hoffe das sind die letzten Zuckungen einer sterbenden Weltanschauung.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Sieht man hier ... seine Felle davon schwimmen?"
So isses, Ingo; das vorletzte Aufbäumen...
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"... diskutierte die Grundschulgruppe über Schüler, die in der dritten Klasse klar formulierten, dass es doch gar keinen Gott gebe, ..."
Welch armes Land, in dem Drittklässler erwachsenen Menschen erklären müssen, dass es keinen "Gott" gibt.
Welch reiches Land, das solche Schüler hat...
Klarsicht(ig) am Permanenter Link
Wird der Intellekt und die Gefühlswelt von Kindern und Jugendlichen durch die Infektion mit der „christlichen und islamischen Ideologie“ gewissermaßen „vergewaltigt“ ?
Die sogenannte Religionsfreiheit erfüllt den Zweck, den Interessen der „Glaubens-Infizierten“ und denen zu dienen, die es noch werden wollen. Gleichzeitig entfaltet(e) sie implizit die Wirkung, dass sie den nicht uneigennützigen Geschäftsinteressen insbesondere der beiden großen „Glaubenskonzerne“ und anderen „Glaubensinstitutionen“ dient(e).
Über viele Jahrhunderte hin wurden fast alle Mitglieder der Generation, die jeweils existierte, bis in die Gegenwart hinein mit den Methoden, die in den jeweiligen Epochen üblich und als erlaubt betrachtet wurden, durch die „Glaubensinstitutionen“ und oft mit Unterstützung der „Autoritäten“, die jeweils herrschten, mit der „christlichen Ideologie“ infiziert. Daraus ergab sich für diese „Institutionen“ zu allen Zeiten der Vorteil, dass „Glaubens-Infizierte“, die entsprechend hohe Entscheidungskompetenzen erworben hatten, dafür sorgten, dass die genannten „Institutionen“ in unserer und anderen Gesellschaft(en) und deren Rechtsordnung(en) mit vielen Privilegien ausgestattet wurden, von denen säkulare Geschäftsinteressenten nur träumen konnten.
Deswegen waren und sind besonders die beiden großen „Glaubenskonzerne“ befugt, ihre mit der „christlichen Ideologie“ ausgebildeten Vertreter in viele Kindergärten, Schulen und sonstige, dem Kindeswohl dienende, öffentliche Einrichtungen zu schicken, die ihnen ihre Türen öffnen müssen, damit sie den Kindern und Jugendlichen die „Luftnummern“ ihrer kirchlichen Auftraggeber aufdrängen können. Die Kinder und Jugendlichen müssen das dulden, ohne dass sie gefragt wurden und ohne dass sie selbst darum gebeten hatten.
Ich denke, in unserer Gesellschaft ist im Umgang mit Kindern und Jugendlichen viel zu oft eine Denk- und Handlungshärte, ein rudimentäres Einfühlungsvermögen und auch eine emotionale Kälte anzutreffen. Und gerade bei der Vermittlung von Religiosität bei Kindern und Jugendlichen scheint zumindest partiell Unsensibilität gegeben zu sein, wie es die „Beschneidungsdebatte“ exemplarisch gezeigt hat.
Viele Kleriker und Erwachsene haben ganz offensichtlich wenig Skrupel, einen gesunden, reinen, verletzlichen Intellekt und das ungeschützte, ungetrübte Gefühlsleben wehr- und argloser Kinder mit ihren wahnhaften theistischen Schrift- und Verbalaussagen, abstrusen Vorstellungen und Annahmen zu infiltrieren.
Ebenso scheint es bei vielen Klerikern und Erwachsenen nur eine geringe Hemmschwelle dabei zu geben, diese so zerbrechlichen kleinen und größeren Wesen schon mit den Forderungen zu traktieren, dass sie den archaischen, theistischen und imaginären Monokraten des „Alten“ und „Neuen Testamentes“ lieben, verehren, verherrlichen, ihm sklavisch ergeben sein, gehorchen und auch die Parteiversammlungen (genannt Gottesdienste - Monokratendienste) der „christlich-monokratischen Parteien“ (Amtskirchen) regelmäßig besuchen müssen.
Was viele Kleriker und Erwachsene in scheinbar gedankenloser Art und Weise verhaltenslenkend auf wehrlose Kinder und Jugendliche einstürmen lassen, sind durchaus nicht alles ethisch wertvolle und pädagogisch wünschenswerte Eindrücke, Einflüsse, Schrift- und Verbalaussagen, sondern auch solche archaisch-inhumaner, gewalttätig-strafender und Angst erzeugender Art 1.
Wenn Kleriker und Erwachsene, die scheinbar partiell krank und / oder dumm sind, mit ihrer Krankheit oder Dummheit planmäßig Kinder infizieren, so stellt sich die Frage, wieso eine derartige Handlungsweise in unserer Gesellschaft immer noch als moralisch hochstehend und tugendhaft gilt, und das nur, weil diese Krankheit und/oder Dummheit „theistisch-monokratische Symptome“ aufweist ?
Bei der Infektion wehrloser Kinder und Jugendlicher mit der „christlichen und islamischen Ideologie“ steht ihnen eine unfair-große, erdrückende und bedrückende Phalanx gegenüber, die aus Vertretern der „theistisch-monokratischen Parteien“ (Amtskirchen), Imamen, Moscheen, „Gottesdiensten“, Eltern, Verwandten, Kindergärten und Schulen besteht.
Wenigstens jeder empfindsame und sensible Mensch sollte sich angesichts dieser Fakten- und Sachlage die Frage stellen, ob es sich hier nicht um einen kollektiven Vertrauensbruch, eine heimtückische Form von Kindesmissbrauch und um Gewaltausübung handelt. Denn man führt hier den noch nicht voll ausgereiften Intellekt und das Gefühlsleben von arglosen Kindern und Jugendlichen letztlich in die Knechtschaft eines völlig nebulösen Monokraten, wo sich die Mitglieder der genannten Phalanx sicher ganz oder teilweise bereits befinden.
Bei dieser Sozialisierungsart von Kindern und Jugendlichen zielt man bewusst oder unbewusst auf die Freisetzung des in ihnen schlummernden schädlichen Angstpotentials ab.
Solche Machenschaften könnten auch eine Menschenrechtsverletzung darstellen, die den Verantwortlichen nur noch nicht bewusst geworden ist.
Es ist widerlich, mit solchen Machenschaften die Unwissenheit, die noch nicht ausgebildete Kritikfähigkeit und das Vertrauen von Kindern zu missbrauchen, zumal diese ja gezwungen sind, alles aus der Erwachsenenwelt kommende auszuhalten, zu glauben, gut und richtig zu finden, solange sie noch über kein genügendes eigenes Wissen und nur über einen geringen Erfahrungsschatz verfügen. Im übrigen sollte hier auch die in der Gehirnforschung gewonnene Erkenntnis beachtet werden, dass der präfrontale und insbesondere orbitofrontale Cortex (Ratio und Vernunft) erst in der Pubertät richtig gereift ist.
Verweis:
1) Herbert Fritsch probt die Apokalypse in Oberhausen:
http://www.derwesten.de/kultur/Herbert-F...-id3297185.html
Bemerkung: Die Leserkommentare hat man leider irgendwann entfernt. Warum wohl ?
Gruß von
Klarsicht(ig)
A.S. am Permanenter Link
Ohne Zwangs-Mission in den Schulen wäre es mit den Kirchen schnell vorbei. Gläubigen Politikern würde die Öffentlichkeit mit dem gut begründeten Verdacht begegnen, Kirchen-Handlanger vor sich zu haben.
Mario Lichtenheldt am Permanenter Link
„In Lübeck beispielsweise diskutierte die Grundschulgruppe über Schüler, die in der dritten Klasse klar formulierten, dass es doch gar keinen Gott gebe, und damit die Stunde aufmischten.“
Moment. Verstehe ich das richtig: Die Grundschulgruppe diskutiert über die Schüler, die nicht an den Mann in den Wolken glauben und ihre Meinung klar formulieren?
Da zweifelt ein 9- oder 10-jähriger an der Existenz Gottes? Woher die Zweifel? In der Schule kann er das nicht gelernt haben – es sei denn, er gehört zu den Evo-Kids…
Werner Koch am Permanenter Link
Früher war die Bürgerschaft von Hamburg, „Freie und Hansestadt Hamburg“, einmal selbstbewusst gegenüber der Kirche.
Im Festsaal des Hamburger Rathauses befinden sich riesige Wandgemälde die die Geschichte Hamburgs erzählen: die Urlandschaft vor der Besiedelung, die ersten Bauern und Fischer an Elbe und Alster, die Christianisierung und schließlich der Hamburger Hafen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Spannend ist vor allem die Geschichte der Darstellung der Christianisierung. Hugo Vogel musste die ersten Entwürfe überarbeiten, da vor dem Bischof zuerst ein Mann kniend dargestellt war. Aber ein Hamburger, befanden die stolzen Hanseaten, solle vor niemandem in die Knie gehen.
Hamburg bezahlt auch (fast) keine Staatsleistungen an die Kirchen.
Das Lob der Hamburger Bürgerschaft muss man für die letzten Regierungen einschränken. Sie haben nicht nur Staatsverträge mit islamischen Gemeinschaften abgeschlossen, sie haben auch einen "Religionsunterricht für Alle" - unter Leitung durch die Evangelische Kirche (!) eingeführt. Und das in einem Stadtstaat, der zu über 60% konfessionsfrei ist.
In Hamburg plakatiert die Nordkirche (ev.) zur Zeit Werbung für den Religionsunterricht in den Stationen der U-Bahn. Bildtext: „Bin ich mehr als die Summe meiner Likes? #RaumfürFragen Mein Religionsunterricht. Mitfragen, mitreden, mitdiskutieren: mein-reli.de.“
Hamburg hat – ein „Vorreiter“ in Deutschland? – einen „Religionsunterricht für Alle“ eingeführt und die (evangelischen) Nordkirche mit der Durchführung beauftragt. Dass dabei missioniert wird und die Interessen der konfessionsfreien Schüler keine Rolle spielen, ist eine belegte Nebenwirkung wie man auf dem Humanistentag 2019 von der gbs Hamburg erfahren konnte. Auch wird anscheinend bewusst nicht aufgeklärt, dass man sich von diesem Religionsunterricht abmelden kann. Konfessionsfreien wird auch jede Mitwirkung bei den Inhalten dieses Religionsunterrichts verwehrt – lediglich islamische Verbände werden beteiligt.
Der Anteil der Mitglieder christlicher Kirchen beträgt in Hamburg weniger als 60%, d.h. konfessionsfreie und sonstige machen über 60% der Bevölkerung aus. Bei diesen Bevölkerungsmehrheiten könnte man in Hamburg erwarten, dass das Parlament beschließt, dass öffentliche Schulen „bekenntnisfreie Schulen“ werden – vorausgesetzt, das Parlament repräsentiert die Bevölkerung und vertritt nicht zuvorderst die Interessen der Kirchen und der christlichen Minderheit. Bekenntnisfreie Schulen einzuführen ist Ländersache – Hamburgs Bevölkerung wäre sicher bereit dazu, bei den Politikern könnte noch Aufklärungsarbeit nötig sein.
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Dass dieser arme allmächtige Gott nicht selbst sagen kann, was er diesen Kindern und uns (angeblich) mitteilen will.
Matthias Freyberg am Permanenter Link
Hallo Ingo,
danke für diesen außerordentlich aufschlußreichen Artikel.
Die Empfehlung, bei den Veranstaltungen aufzukreuzen und kritisch zu intervenieren ist natürlich richtig.
Im übrigen sollten "wir" aber schauen, was wir dieser raffinierten Strategie der Kirchen, für die man sich offensichtlich zusammengetan und auch Marketing- und Kommunikationsexperten beigezogen hat, auf strategischer und praktischer Ebene entgegen setzen können. Wie wir alle wissen erweist es sich als schwierig, die Bevölkerung "abzuholen". Hier sind m.E. neue Ideen gefragt, die nicht so ohne Weiteres aus dem Ärmel zu schütteln sind.
Herzliche Grüße
Matthias
Klaus am Permanenter Link
Moin Matthias,
Karl Lörre am Permanenter Link
Wer wird Religionslehrer(in), wer studiert Theologie? Die Religionspsychologin Victoria Rationi meint in ihrem aktuellen Buch "Das Religionsparadox": Menschen, die eine verdrängte Vatersehnsucht haben ...
K. Lörre