Kolumne: Sitte & Anstand

Im Unterhemd der Erweckung

Das Champions-League-Finale überraschte mit einer weltanschaulichen Werbebotschaft – für den lieben Herrn Jesus. Der Bayernspieler David Alaba trug ihn auf einem T-Shirt spazieren. Oder haben wir uns da nur verguckt?

Am Abend das Champions-League-Endspiels kam es im Zuge der Jubelfeier zu einer verblüffenden Szene: Bayern-Stürmer Robert Lewandowski setzte sich von seinem Team ab, das in einheitlichen Feier-T-Shirts dastand. In einem weißen Unterhemd präsentierte er sich den Kameras der Welt, er machte eine seltsame Geste, als ob er lächelnd etwas in sich hineinlöffelte, und auf seinem Unterhemd stand: "Die guten Suppen von Knorr!"

Nicht? Sie haben die Szene ganz anders gesehen? Na gut, vielleicht ging sie auch so: Während die übrigen Bayern in ihren Feier-T-Shirts fröhlich herumhüpften, entblößte Joshua Kimmich sein weißes Unterhemd, auf dem stand: "Danke, Satan!" Er erinnerte damit an die religiöse Glaubensgemeinschaft des "Satanic Temple" mit ihrer Botschaft von Mitgefühl, Weisheit und Gerechtigkeit. Einhellig war man weltweit der Meinung, das sei doch eine schöne Geste von Joshua Kimmich gewesen.

Auch nicht? Auch diese Szene haben Sie vergessen? Na gut, wir wollen es zugeben: In Wahrheit hat sich Folgendes zugetragen: Während das Münchner Team weltanschauungsfrei feierte, wie man es im UEFA-Fußball erwarten darf, hatte der Spieler David Alaba sich ideologisch in Schale und dann auf die Knie geworfen. Während er mit den Fingern in den Sommerhimmel von Lissabon wies, verriet sein T-Shirt in großen Lettern: "Meine Kraft liegt in Jesus".

Was damit genau gemeint sein mag, können wir von hier aus nicht ergründen. Wenn die Kraft in Jesus liegt und Alaba ja aber offenbar bei voller Kraft spielen konnte, hat der Heiland dann unsichtbar mitgespielt, so wie Siegfried bei der Überlistung Brunhildens? Ebenfalls unklar: Wenn man davon ausgeht, dass Fußball ein Mannschaftssport ist, möchte man dann nicht erfahren, wo die Kraft sämtlicher siegreicher Alaba-Mitspieler liegt? Gern hätte man gelesen: "Meine Kraft liegt in Veltins (alkoholfrei)" - "Meine Kraft liegt in Schinkenspeck mit Kruste" – "Meine Kraft liegt in Mutti".

Aber nein, nur David Alaba fühlte sich vom Heiligen Geist berufen, aus der Fete eine Verkündigungsnummer zu machen. Hätten nicht Gläubige sämtlicher anwesenden Weltanschauungen ähnlich lautende Botschaften umhertragen müssen? "Meine Kraft liegt in Zoroaster (aber auch ein bisschen in den Yogaübungen von Yoga Schmitzke in Bogenhausen)" – "Meine Kraft liegt in der Erkenntnis, dass ein allmächtiges, unsichtbares Wesen, statt Fußball zu gucken, lieber mal den Nahostkonflikt friedlich auflösen sollte" – "Allah wollte uns triumphieren sehen, yeah! Inschallah!". Undsoweiter. Bemerkenswert ist es, dass Alabas fußballferne Werbeattacke weithin unkritisiert blieb. Man erinnere sich mal ein paar Monate zurück, als Jürgen Klinsmann eine Handyhülle von Adidas vorzeigte, obwohl sein Team bei Nike unter Vertrag stand. War DAS ein Skandal! Aber Nike und Adidas haben eben auf dem Fußballplatz auch was zu suchen. Werbung für in den Himmel geflogene Prediger eigentlich eher nicht. Zumal Jesus/Gott bekanntlich unter allen Gottheiten als Schwalbenkönig gilt: Drei Tage tot stellen, nur um den eigenen Willen durchzusetzen – so gewinnst du keine Spiele.

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