Eine große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland (71 Prozent) ist der Meinung, dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollten, damit die Interessen von Kindern bei politischen Entscheidungen stärker als bisher berücksichtigt werden. 72 Prozent sind der Ansicht, dass die Interessen von Kindern in der Corona-Pandemie nur unzureichend berücksichtigt wurden und werden.
In Bezug auf die Bildungschancen von Kindern sind 76 Prozent der Befragten der Ansicht, dass diese aufgrund der Corona-Krise im Allgemeinen gesunken sind, in Bezug auf die Bildungschancen von Kindern aus armen Haushalten meinen das sogar 81 Prozent. Das sind zentrale Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Politik- und Sozialforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes zum Weltkindertag am kommenden Sonntag.
"Die Umfrage zeigt deutlich, dass die Bevölkerung in Deutschland hinter unserer Forderung steht, endlich Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Dazu sollte zügig ein Gesetzentwurf im Bundeskabinett verabschiedet werden und im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft stattfinden, damit neben politischen Erwägungen auch die in den letzten Jahren erarbeiteten fachlichen Standards zu einer umfassenden Absicherung von Kinderrechten angemessen Berücksichtigung finden. Gerade die Verankerung des Kindeswohlvorrangs im Grundgesetz ist unabdingbar, damit beispielsweise Behörden und Gerichte den Interessen von Kindern in Zukunft bei der Rechtsdurchsetzung hinreichend Gewicht verleihen. Das bedeutet, dass die Interessen von Kindern bei allen sie betreffenden Entscheidungen mit besonderem Gewicht in die Abwägung einbezogen werden müssen. Zudem bestünde in diesem Fall eine besondere Begründungspflicht, wenn ausnahmsweise andere Rechtsgüter von Verfassungsrang dem Kindeswohl vorgehen", betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
Kinderrechte ins Grundgesetz
Eine große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland (71 Prozent) ist der Meinung, dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollten, damit die Interessen von Kindern bei politischen Entscheidungen stärker als bisher berücksichtigt werden. Frauen (77 Prozent) meinen häufiger als Männer (65 Prozent) und Befragte unter 45 Jahren (75 Prozent der 18- bis 29-Jährigen und 77 Prozent der 30- bis 44-Jährigen) häufiger als ältere Befragte (66 Prozent der 45- bis 59-Jährigen und 69 Prozent der über 60-Jährigen), dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollten. Auch Befragte mit einem höheren Haushaltsnettoeinkommen (74 Prozent) sowie Anhängerinnen und Anhänger der Grünen (86 Prozent), Linken und der SPD (jeweils 81 Prozent) meinen häufiger als Befragte mit geringem Einkommen (65 Prozent) und die Anhängerinnen und Anhänger anderer Parteien (CDU/CSU 70 Prozent, FDP 62 Prozent), dass die Interessen von Kindern bei politischen Entscheidungen durch eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz stärker berücksichtigt werden sollten. Insbesondere die Anhängerinnen und Anhänger der AfD (44 Prozent) meinen deutlich seltener als der Durchschnitt, dass die Rechte von Kindern ins Grundgesetz gehören. Ob im Haushalt Kinder leben oder nicht, hat kaum einen Einfluss auf diese Frage.
Kinderinteressen in der Corona-Krise
72 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass die Interessen von Kindern im Rahmen der während der Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen nicht so stark (58 Prozent) oder sogar gar nicht (14 Prozent) berücksichtigt wurden. Befragte aus Ostdeutschland (85 Prozent) meinen noch häufiger als west-deutsche Befragte (70 Prozent), dass die Interessen von Kindern in der Pandemie bislang nicht so stark beziehungsweise gar nicht berücksichtigt wurden und werden. Etwa ein Viertel (24 Prozent) meint, dass die Interessen von Kindern seit Beginn der Corona-Krise eher starke (21 Prozent) oder sogar sehr starke (3 Prozent) Berücksichtigung finden. Befragte unter 30 Jahren (34 Prozent), Anhängerinnen und Anhänger der CDU/CSU (37 Prozent) und Befragte mit einer formal niedrigen Bildung (36 Prozent) glauben häufiger als der Durchschnitt der Befragten, dass die Interessen von Kindern bei den ergriffenen Maßnahmen Berücksichtigung finden.
"Wir sehen an vielen Stellen, dass sich Politik und Verwaltungen bemühen, in der Corona-Pandemie den Kinderinteressen gerecht zu werden. Zugleich erleben wir aber auch eine grundlegende Geringschätzung gegenüber den Bedürfnissen von Kindern. Sie sind oftmals einfach nur Regelungsgegenstand von Politik. Hier zeigt sich ein wiederkehrendes Muster: Wenn es um Entscheidungen mit Tragweite geht, werden die Interessen und die Meinungen der Kinder und Jugendlichen nicht berücksichtigt. Ihr Beteiligungsrecht an den politischen Entscheidungen wird derzeit vielfach schlichtweg übergangen", so Krüger weiter.
Auswirkungen der Corona-Krise auf Kinder
In Bezug auf die Bildungschancen von Kindern ist eine Mehrheit der Befragten (76 Prozent) der Ansicht, dass diese aufgrund der Corona-Krise im Allgemeinen etwas (55 Prozent) beziehungsweise sogar stark (21 Prozent) gesunken sind. 16 Prozent denken, dass die allgemeinen Bildungschancen in etwa gleich geblieben sind. Dass diese gestiegen sind, glauben nur sehr wenige Befragte (5 Prozent). In Bezug auf die Bildungschancen von sozial benachteiligten Kindern meinen sogar 81 Prozent, dass diese etwas (28 Prozent) beziehungsweise stark (53 Prozent) gesunken sind. Für 8 Prozent sind sie gleich geblieben und für 9 Prozent gestiegen.
Beim Thema Kinderarmut sind etwa zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) der Ansicht, dass diese während der Corona-Krise bislang etwas (43 Prozent) beziehungsweise sogar stark (21 Prozent) gestiegen ist. Für jeden Fünften (22 Prozent) verharrt die Kinderarmut auf dem Niveau wie vor der Pandemie. Dass die Kinderarmut während der Corona-Krise gesunken ist, denkt jeder zehnte Befragte (10 Prozent).
Am eindeutigsten sind die Aussagen zum Thema Gewalt gegen Kinder: Etwa acht von zehn Befragten (79 Prozent) sind überzeugt, dass im Rahmen der Corona-Pandemie Gewalt gegen Kinder etwas (50 Prozent) beziehungsweise stark (29 Prozent) gestiegen ist. Etwa jeder Zehnte (11 Prozent) meint, sie sei gleich geblieben. Dass Gewalt gegen Kinder in der Pandemie gesunken sei, meint fast keiner der Befragten (3 Prozent).
"Insbesondere Kinder mit besonderen Förderbedarfen dürfen jetzt nach Öffnung der Schulen nicht aus dem Blick verloren werden. Das betrifft etwa Kinder aus armen Familien, die oftmals nicht über die technische Ausstattung oder andere Lernunterstützungsmöglichkeiten verfügen. Nachholbedarfe müssen genau beobachtet und passgenaue, stigmatisierungsfreie Angebote zur Lernunterstützung gemacht werden. Zudem sollten weitere längerfristige Schulschließungen unter allen Umständen vermieden werden. Angesichts der Folgen der Corona-Krise ist damit zu rechnen, dass die Zahl der von Armut betroffenen Kinder und Familien weiter ansteigen wird. Es ist deshalb an der Zeit, die Bekämpfung der Kinderarmut strukturell und umfassend über eine Gesamtstrategie anzugehen. Auch das Deutsche Kinderhilfswerk geht wie die Befragten davon aus, dass aufgrund der erhöhten Konflikt- und Stresssituationen in den Familien die Gewalt gegen Kinder in der Corona-Krise zugenommen hat, aufgrund fehlender Kontrollinstanzen wie Erziehern und Lehrerinnen oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kinder- und Jugendhilfe, die ohnehin schon hohe Dunkelziffer weiter gestiegen ist. Die letzten Monate haben gezeigt wie wichtig Zugangswege für Kinder zu Hilfsangeboten sind. Deshalb müssen Angebote von Telefon-Hotlines und digitale Hilfeplattformen weiter gestärkt werden", so Krüger abschließend.
Für die repräsentative Umfrage zum Weltkindertag 2020 wurden vom Politik- und Sozialforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes deutschlandweit 1.015 deutschsprachige Personen ab 18 Jahren befragt. Die statistische Fehlertoleranz liegt bei +/- drei Prozentpunkten. Eine Zusammenfassung der Umfrage mit ausgewählten Grafiken findet sich unter www.dkhw.de/umfrage-weltkindertag2020.de.
4 Kommentare
Kommentare
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Sicherlich eine finstere Erscheinung in unserer Gesellschaft ist der immer noch zu häufige rüde, menschenverachtende, kriminelle Umgang mit Kindern.
Aber ich denke, wenn auch viele dafür sind, ist eine Änderung unseres Grundgesetzes nicht erforderlich, weil die Artikel das Wohl aller Menschen berücksichtigen, auch der Kinder. Viel wichtiger ist es, dass in der Ausbildung von Vormundschafts- und Familienrichtern Themen Kinderpsychologie und ähnliche Themen obligatorisch beinhalten, überhaupt alle Personen die in der Kindersozialhilfe tätig sind, eine umfassende pädiatrische Ausbildung bekommen. Die speziellen Gesetze, die sich mit den Kindern befassen, sind ausreichend, man muss sie nur konsequent anwenden, und dort wo sie nicht ausreichen, entsprechend im Gesetzgebungsverfahren verbessern.
Warum muss die Verfassung überhaupt geändert werden, wenn alles schon drin steht, auch die Rechte, vor allem der Schutz der Kinder vor häuslicher Gewalt. In dem Artikel vom Deutschen Kinderhilfswerk vermisse ich daher die Auflistung der entsprechenden Artikel des GG und die Begründung, warum diese Artikel angeblich nicht reichen.
Wenn die Sozialhilfestellen mit unqualifiziertem Personal besetzt sind, dann passieren all die schrecklichen Dinge wie z.B. in Lüttge. Also, immer ran an den Kern des Problems, vor allem der Ausbildung guten Personals. Geld ist für Vieles da, auch zur Lösung dieses schweren und wichtigen Problems. Die Lösung hilft nicht nur den Kindern, sondern stärkt den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft!
Ich will hier ausdrücklich die Arbeit des Kinderschutzbundes loben, die Welt für die Kinder sähe sehr viel schlimmer aus, wenn es die aufopferungsvolle Arbeit des Deutschen Kinderhilfswerks nicht gäbe.
Bernd Neves am Permanenter Link
In Ihrem Kommentar vermisse ich meinerseits die Auflistung der entsprechenden Artikel des GG und die Begründung, warum diese Artikel angeblich reichen.
Eine kurze Internetrecherche dazu hat nichts ergeben. Hätten Sie vielleicht den einen oder anderen Link?
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Lieber Herr Neves,
Art. 1 und Art 2 geht es um die Würde des Menschen, Kinder sind Menschen, damit ist der Schutz der Kinder selbstredend mit inbegriffen. Nun kommen wir zu Art. 6 Ehe, Familie, nichteheliche Kinder (mein Beck GG Text ist aus dem Jahre 1972): Interessant ist hier der Absatz 3: "Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen".
Als Frau von der Leyen gerade Familienministerin wurde, wollte sie genau diesen Passus ins GG aufnehmen, als etliche schlimme Sachen aus einigen Familien in der Öffentlichkeit bekannt wurden. Dabei war zu ihrer Zeit der Passus längst im GG. Also sie hat die Verfassung damals nicht gelesen, und trotzdem ein Eid darauf geschworen. Aber das wäre jetzt noch ein anderes spannendes Thema.
Absatz 4. "Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft". Ich denke solch ein Schutz kommt den Kindern direkt zugute.
Ich denke das reicht für eine Verfassung. Die Einzelheiten sind ja in den diversen Parargraphen des Strafrechts und Zivilrechts verankert. Wie schon gesagt, man muss die vorhandenen Gesetze umsetzen, das kostet zwar auch Geld, aber davon ist genug da, es fehlt nur am Willen!
Bernd Kockrick am Permanenter Link
Dann wird hoffentlich auch die Beschneidung aus religiösen Gründen bald wieder verboten.