Erneute Blasphemie-Fälle in Pakistan

Die pakistanischen Behörden ignorieren weiterhin die Aufforderung von verschiedensten Menschenrechtsorganisationen, die Gesetze zur Gotteslästerung abzuschaffen. Dies unterstützt die sogenannten Bürgerwehren und legitimiert mindestens indirekt eine Lynchjustiz, die nun auch die Vereinten Nationen auf den Plan ruft. Mehrere aktuelle Fälle zeigen eindrücklich das Ausmaß der Misere.

Immer wieder kommt es in Pakistan zu Anklagen und drakonischen Strafen wegen Blasphemie. Menschenrechtsgruppen monieren das Missbrauchspotenzial der Anti-Gotteslästerungsparagrafen, um unliebsame Menschen wegzusperren sowie die daraus resultierenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Laut Amnesty International wird die diesbezügliche Gesetzgebung in Pakistan dazu verwendet, um bei Kindern, Menschen mit geistigen Behinderungen, Anhänger*innen religiöser Minderheiten und ärmeren Menschen das Recht auf Religionsfreiheit sowie freie Meinungsäußerung zu beschränken. Die jüngsten Vorfälle weisen außerdem darauf hin, dass zunehmend auch Künstler*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und Journalist*innen in den Fokus der Behörden geraten.

Laut David Griffiths, dem Direktor des Büros des Generalsekretärs von Amnesty International, werden die Blasphemiegesetze benutzt, um falsche Anschuldigungen zu erheben, die zu Morden und sogar zu Angriffen auf ganze Gemeinden samt Niederbrennung ihrer Häuser geführt haben. In welch großer Gefahr sich Menschen wegen harmloser Tätigkeiten befinden, veranschaulichen die folgenden Beispiele aus diesem Sommer:

In einem Hochsicherheitskomplex direkt neben dem Obersten Gerichtshof in Peshawar wurde am 29. Juli ein Mann mit einer geistigen Behinderung erschossen. Angeklagt war dieser, weil er angeblich vorgab, ein Prophet zu sein und damit den aktuell gültigen pakistanischen Straftatbestand der Gotteslästerung erfüllte.

Am 13. August reichte die pakistanische Polizei ein Verfahren gegen die Schauspielerin Saba Qamar und den Sänger Bilal Saeed ein, weil diese ein Musikvideo in einer Moschee gedreht hatten. Nach Veröffentlichung des Clips kam es in Lahore, der zweitgrößten Stadt Pakistans, zu Ausschreitungen, in deren Zuge sich die Führer der religiösen TLP-Partei ("Tehreek-e-Labbaik Pakistan") genötigt sahen, "Rache an den Künstlern" zu versprechen. Auch mehrere religiöse Student*innenorganisationen haben zu Protesten aufgerufen und gefordert, dass die beiden bestraft werden. Seither befinden sich der Künstler und die Künstlerin in Lebensgefahr.

Für einen Tweet vom 22. August wurde die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Marvi Sirmed auf Grundlage der Blasphemiegesetze angeklagt. Darin hatte sie sich auf satirische Art und Weise mit dem Verschwindenlassen von Menschenrechtsverteidiger*innen und Regierungskritiker*innen in der Provinz Belutschistan auseinandergesetzt. Daraufhin wurde ihr vorgeworfen, gotteslästerliche Inhalte verbreitet zu haben. Online sah sie sich einer Reihe von Anfeindungen ausgesetzt, darunter zahlreiche Mord- und Vergewaltigungsandrohungen.

Ende August wurde ein Christ in Nowshera festgenommen, da er den "heiligen Koran" entweiht haben soll. Die Verhaftung erfolgte wenige Tage nachdem in den sozialen Netzwerken ein Video viral ging, in welchem zu sehen ist, wie mehrere Seiten des Korans im Abfluss liegen. Mehrere Muslime vor Ort hatten sich darüber beschwert und letztendlich die Polizei alarmiert. Der Ersteller des Videos gestand und fügte gemäß des entsprechenden Berichts hinzu, dass er dies tat, "um Hexerei zu praktizieren".

Die zunehmenden Fälle von Anklagen aufgrund der Blasphemiegesetze fallen auch den Vereinten Nationen ins Auge. Deren Menschenrechtskommission nannte in der vergangenen Woche den Anstieg der entsprechenden Klagen sowie die Aufrufe zur Gewalt gegen Journalist*innen, Menschenrechtler*innen, Frauen und Minderheiten "besorgniserregend". Inwiefern nun jedoch mehr Druck aufgebaut oder Verhandlungen geführt werden sollen, bleibt bislang offen.

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