In Abgrenzung oder in Opposition zu Religiosität, zu religiösem Wirken und zu religiösen (Vor-)Rechten entwickelt sich verstärkt eine "Säkulare Szene", von atheistischen Organisationen bis hin zu "Säkularen" als Gruppen in politischen Parteien. Seit einiger Zeit ist eine Neusortierung in dieser Szene zu verzeichnen. Dem mögen neben organisatorischen Fragen und vor allem politischen Zielen auch weltanschauliche Ursachen zugrunde liegen. Um letzteren Punkt diskutieren und bewerten zu können, stellt der Humanistische Verband Deutschlands in komprimierter Form sein weltanschauliches Fundament dar, in der Hoffnung, etwas mehr Klarheit und Verständnis erreichen zu können.
Humanismus ist Liebe zum Leben, ist Mitmenschlichkeit und Solidarität. Humanismus ist Aufklärung. Humanismus ist die Förderung eines guten Lebens, die Sorge um individuelles wie kollektives Wohlergehen, im "Hier und Jetzt" – in bewusster Verantwortung für nachfolgende Generationen. Humanismus ist daher auch die Bekämpfung aller inhumanen Verhältnisse. Dabei konzentriert sich Humanismus auf die Kommunikation über das Menschliche, auf menschliche Bedürfnisse, von der realen Welt ausgehend. Humanistisches Denken und Handeln geht vom Menschen aus und zielt auf den Menschen ab; in diesem Sinne ist Humanismus weltlich orientiert.
Humanismus setzt die menschliche Würde als zentralen Wert, in dem sich die gegenseitige Anerkennung als (Mit-)Mensch ausdrückt. Als begründete menschliche Setzung kann Würde im wissenschaftlichen Sinne nicht bewiesen werden und keine objektive Geltung besitzen. Es kann aber an andere Menschen appelliert werden, diese Überzeugung zu teilen und die menschliche Würde als leitendes Prinzip anzunehmen. Wird die menschliche Würde, ihre Herstellung und Verteidigung, zum leitenden Prinzip, so ergibt sich daraus auch eine Selbstverpflichtung zum praktischen Handeln. Diese Selbstverpflichtung kann als Bekenntniselement eines weltanschaulichen Humanismus angesehen werden. Auf dieser Grundlage betrachten wir im Folgenden unseren Humanismus als einen weltlichen, praktischen Humanismus.
Die verantwortungsvolle Selbstentfaltung eines Menschen besitzt in der humanistischen Lebensauffassung höchste Bedeutung – denn der Mensch kann nur selbst seinem Leben Sinn geben. Die daraus resultierende Vielfalt an Lebensentwürfen und Kulturen erachten wir als schätzenswert und förderungswürdig. Damit dieser Pluralismus gelingen kann und die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen diese Vielfalt ermöglichen und garantieren können, ist der Humanismus dem Universalismus verpflichtet, der auch bei der Formulierung eigener Partikularinteressen die anderen stets mitdenkt. Er geht davon aus, dass über die Formulierung von verbindlichen Normen für alle das Selbstbestimmungsrecht des Individuums mit seiner Verantwortung für seine Mitmenschen in Einklang gebracht werden muss. Dieser universalistische Gedanke findet zum Beispiel in den Allgemeinen Menschenrechten seinen Ausdruck.
Der Respekt vor der Würde eines jeden Menschen schließt auch den Respekt vor (individuellen) religiösen Bekenntnissen mit ein, auch wenn sie einem selbst fremd und unzugänglich oder gar absurd erscheinen. Das aus der menschlichen Würde hergeleitete Selbstbestimmungsrecht jedes Individuums beinhaltet auch dessen Recht auf religiöse Entfaltung – solange dies in sozialer Verantwortung erfolgt. Wenn Religionen und Weltanschauungen oder ihre individuelle wie kollektive Ausübung gegen Menschenrechte gerichtet sind, autoritäre Tendenzen zeigen, einen alleinigen Wahrheitsanspruch vertreten oder Menschen in ihrer freien Entwicklung einschränken, sind sie zu kritisieren.
Andererseits können Religionen – individuell wie kollektiv – Wesentliches für menschliche Bedürfnisse leisten. Davon kann sich auch unser Humanismus inspirieren lassen. Auch der Humanismus muss letztlich eine "Conditio Humana" (weiter-)entwickeln, und sich der Frage stellen: Was bedeutet Mensch-Sein in dieser Welt? Er muss ein positives Verhältnis zu den sogenannten "letzten Fragen" und zu den Unzugänglichkeiten des menschlichen Lebens entwickeln: Womit und wie spricht unser Humanismus die Emotionen der Menschen an? Wie gehen nichtreligiöse Humanist*innen mit Endlichkeit um – ihrer eigenen und der der Anderen? Wie kommunizieren sie ihre inneren Gefühle (zum Beispiel in der Natur oder beim Musikhören)? Wie beschreiben sie das Staunen über die Welt und welche Bedeutung hat es für sie? Wie werden Bereiche des Geistigen wie Selbstversenkung und Kontemplation beschrieben und benannt? Und wie reden Humanist*innen schließlich über Selbstwahrnehmung oder über Würde als Grundlage menschlicher Beziehungen?
Wenn sich der Humanismus diesen Fragen öffnet und in den Dialog tritt, kann er sein Versprechen auf Halt und Orientierung auch umfassend erfüllen und den "ganzen Menschen" erreichen und begleiten. Die Bedeutung dieses Aspektes wird nicht nur bei Ausnahmesituationen wie Sterbebegleitung oder "seelsorgerischer" Begleitung in akuten Notlagen deutlich, sondern auch bei der Feierkultur, der Beratung zur Patientenverfügung oder dem Humanistischen Lebenskundeunterricht.
Dieser Aspekt, den Menschen in all seinen Facetten erreichen, berühren und begleiten zu können, ist wichtig für unseren Humanismus, sei es als weltanschauliche Kulturpflege durch Feste und Feiern vermittelt oder in der praktischen sozialen Arbeit. Humanismus ohne praktizierte Humanität reduziert sich auf eine Behauptung ohne praktische Relevanz. Humanismus bedarf der humanitären Praxis, um seine Ansprüche, sein Menschenbild bezüglich Gleichheit und Gerechtigkeit, Menschenliebe und Barmherzigkeit belegen zu können. Andernfalls würde sein Kernanliegen, die Formulierung der spezifischen Idee eines guten menschlichen Lebens, ein reines Gedankenspiel bleiben.
In seiner Praxis zielt er auf die Humanisierung des einzelnen Menschen wie der Gesellschaft ab, um für seine Lebensauffassung zu werben und seinen Werten Geltung verschaffen zu können. Auf gesellschaftspolitischer Ebene leistet Humanismus ethische Orientierung und bietet Begründungen für oder gegen eine humanitäre Praxis im Interesse von Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung. Beispiele hierfür sind unsere Haltung zum Humanen Sterben oder zum Schwangerschaftsabbruch. Auf diese Weise leistet Humanismus, leisten humanistische Verbände, die Humanismus organisieren und pflegen, einen wesentlichen Beitrag für die offene, demokratische Gesellschaft. Damit dieser Beitrag in angemessener Form ausgearbeitet und eingebracht werden kann, ist eine breite Förderung und Unterstützung, auch von staatlicher Seite, ebenso sinnvoll wie willkommen.
Erstveröffentlichung auf der Webseite des Humanistischen Verbands Deutschlands.
10 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Genau so sehe ich Humanismus und genau so habe ich diesen auch in meinen Büchern beschrieben.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Der letze Satz in dem Artikel macht mich etwas stutzig, was der HVD da fordert klingt nach einer Ersatzreligion.
Roland Fakler am Permanenter Link
Im Großen Ganzen sind wir uns doch einig, weil sich Humanismus anders als die Religionen nicht an fantastischen Dogmen und Märchen orientiert, sondern an der praktischen und vernünftigen Menschlichkeit im Hier und Jet
http://rolandfakler.de/was-humanisten-glauben/
Andreas Leber am Permanenter Link
Ich kann dem allem zustimmen, soweit denn der allerletzte Nebensatz, "..., auch von staatlicher Seite, ..." nicht aus dem HVD am Ende doch die "Humanistenkirche" macht, welche sich wie die religiös
Weltanschaung (religiös oder nicht) ist nicht Staat. Das gehört getrennt. Staatliche Finanzierung muss direkt an übernommene Aufgaben und nicht an weltanschauliche Organisationen gebunden sein. Organisationen haben Funktionäre, die wiederum eigene Interessen haben und unter der Hand verfolgen. So entsteht Filz zwischen Staat und (religiöser oder weltlicher) Kirche.
Ob der Staat in seinen Gesetzen z. B. die Menschenrechte verbindlich macht, und aus welchen Motiven heraus seine Organe (Parlamente, Abgeordnete, ...) dies tun, sind getrennt zu betrachten. Wenn christliche Abgeordnete aus Irrtum über ihre eigene Religion die Menschenrechte (eigtl. doch "Eine Anmaßung des Menschen ggüb. dem Herrn!") mit unterstützen, dann soll mir das Recht sein: Hauptsache, sie unterstützen sie! Im Staat sollen nicht Organisationen gegeneinander kämpfen, sondern Ideen.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Ich stimme den Ausführungen vollinhaltlich zu. Werde ich aber von einem religiösen Menschen aufgefordert, meine Position zu erläutern, dann bleibt eine mehr philosophische Beschreibung zu abstrakt.
Einem naturalistischen Weltbild, einem säkularen Wertesystem und einer strikten Diesseitsorientierung.
Erstens: Ich betrachte das, was die heutigen Naturwissenschaften, die Wissenschaften von der Wirklichkeit, als derzeit gesicherte Erkenntnis ansehen, für mich zunächst einmal als maßgebend für alle weiteren Überlegungen. Vor allem ist es die rationale, logische und systematische Denkweise der heutigen Naturwissenschaften und ihre empirische Verankerung, die ich mir zum Vorbild genommen habe. Nach meiner Überzeugung bilden rational-logisches Denken und naturwissenschaftlich erarbeitetes Wissen die sicherste und intellektuell befriedigendste Basis für unser Denken und Handeln.
Denn worüber man nichts Begründetes sagen kann, kann man allenfalls spekulieren. Sich seines Denkvermögens zu bedienen, heißt deshalb für mich, nichts zu »glauben«, was dem Verstand und wissenschaftlicher Erkenntnis eindeutig widerspricht. Ich bin höchst skeptisch allem gegenüber, was für sich Gültigkeit, ja Wahrheit beansprucht, ohne dafür wenigstens plausible Gründe angeben zu können. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass Wissenschaft heute noch vieles nicht erklären kann, und dass unser Wissen vielleicht niemals vollständig sein wird.
Zweitens: Ein säkulares Wertesystem kennt statt einer göttlich gestifteten Moral eine vernunftbasierte Ethik. Die Jahrtausende alte Regel »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu« stellt eigentlich schon ein umfassendes Gebot friedlichen Zusammenlebens dar. Es gilt vor allem, deswegen Gutes zu tun, weil es gut ist, nicht weil eine Gottheit ganz hoch oben Belohnung verspricht. Ein säkulares Wertesystem orientiert seine Normen und Regeln an den fundamentalen Bedürfnissen und Interessen der Menschen. Der Mensch setzt also die Norm, nicht eine unsichtbare Gottheit über uns. Dieses säkulare Wertesystem hat evolutionär entstandene Wurzeln und artikuliert sich heute in humanistischen Grundsätzen und allgemein anerkannten Menschenrechten wie Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, wohlüberlegte Toleranz, zum Beispiel gegenüber einem privat gelebten Glauben. Im Zentrum meines humanistischen Konzepts steht jedenfalls die Aussage, die in den Ohren gottgläubiger Menschen wie eine Provokation klingen mag, dass letztlich Menschen vereinbaren und festlegen, was gut oder schlecht, was erstrebenswert oder abzulehnen sei. Da Menschen naturgemäß unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen haben, sollte das Prinzip des fairen Interessenausgleichs gelten. Das bedeutet, dass man sich um der Gerechtigkeit und des sozialen Friedens willen immer zu fragen hat: Was ist gleichermaßen gut und akzeptabel für alle Betroffenen.
Und drittens: Meine strikte Diesseitsorientierung basiert auf der Einsicht, dass ich höchstwahrscheinlich nur dieses eine Leben habe. Folglich sollte ich versuchen, das Bestmögliche aus meinem Leben zu machen. Dieses Streben nach Erfüllung meines Lebens muss aber immer auch den Mitmenschen im Blick haben, der ebenso glücklich werden will. Deshalb gelingt ein erfülltes Leben vermutlich am besten dadurch, dass man sich gesellschaftlich engagiert, sei es im politischen, im humanitären, vielleicht im künstlerischen Bereich. Und schließlich: Wer sich bemüht hat und wem es gelungen ist, auf ein erfülltes, glückliches Leben zurückblicken zu können, dem wird es leichter fallen, von dieser Lebensbühne wieder abzutreten.
Mehr und Ausführlicheres in dem zufällig rechts neben obigen HVD-Beitrag stehenden Buch.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Hallo Herr Lehnert, ihr Buch ist eines von vielen Büchern in meinem Buchregal welches sich mit dem Themenkreis Humanität versus Religion befasst.
<Die Gottespest> aus dem Jahr 1887 welches die Absurdität eines existierenden Gottes
gründlich in Frage stellt.
Ihr heutiger Kommentar ist gut verständlich und ausführlich verfasst und bestärkt mich in meiner Meinung zum Humanismus und zu den Religionen gemeinhin.
A.S. am Permanenter Link
Weitgehend einverstanden, aber zwei sehr kritische Anmerkungen/Rückfragen von mir:
1.) Was ist Religion aus Sicht des HVD?
2.) Begründet die humanistische Weltsicht/Ideologie einen globalen Interventionismus?
Mein Verständnis von Religion ist ein Politisches: Religion dient der Herrschaft der Priester und deren Wohlstand. Dabei ist Religion eine Mischung aus Aberglauben, Selbstbetrug, Fremdbetrug, Massenmanipulation und dient der Legitimation von Verbrechen, die der Priesterherrschaft nutzen. Religion arbeitet mit Mitteln des physischen Zwangs, des psychologischen Zwangs und der Indoktrination.
Kurz: Religion ist antihuman und damit abzulehnen.
Jeder Interventionismus, jeder Weltverbesserungsanspruch, egal ob religiös oder ideologisch begründet, kollidiert früher oder später mit den Selbstbestimmungsrechten anderer Menschen. Das ist ein sehr kompliziertes Feld. Der christliche?/humanistische? Interventionismus ist in Afghanisten beispielsweise gerade gescheitert.
Was meiner Meinung nach mit dem falschen Religionsverständnis der Christen und Humanisten zu tun hat. Dass die Christen ein falsches Religionsverständnis haben ist klar, sonst wären es keine Christen. Sobald Christen kapieren, dass die "frohe Botschaft" nur Betrug ist, hat es sich mit dem Christsein.
Das Religionsverständnis des HVD, so scheint mir, entspricht weitgehend dem christlichen Verständnis. Nur dass Religion nicht für "wahr" gehalten wird. Wenn aber Religion nicht "wahr" ist, was ist Religion dann? Ist Religion "Irrtum" oder ist Religion "vorsätzliche Täuschung", vulgo "Betrug"?
Religion dient NICHT der guten Lebensführung. Religion dient der Macht religiöser Führer. "Gut" im religiösen Sinne ist, was den Interessen der religiösen Führer nutzt. Das kann auch Mord an Kritikern sein, oder gewaltsame Mission, oder die Unterdrückung der Frauen.
H. Lambert am Permanenter Link
Klingt alles gut, auch die Offenheit für Spirituelles. Es kommt aber zu kurz, dass Grundlage dieser Weltanschauung der Verstand und nicht so sehr das Gefühl ist. Aufklärung kommt nur am Anfang vor.
Manfred H. am Permanenter Link
Kurz gesagt: Dem HVD geht es primär um Humanität, Säkularität spielt eher keine Rolle.
Hans-Joachim Horn am Permanenter Link
Interessanter Satz: "Wenn Religionen und Weltanschauungen oder ihre individuelle wie kollektive Ausübung gegen Menschenrechte gerichtet sind, autoritäre Tendenzen zeigen, einen alleinigen Wahrheitsanspruch vertre
Kann der HVD dann auch erklären, welche Religion er somit NICHT kritisiert? Das mit dem alleinigen Wahrheitsanspruch ist ja allen religiösen Systemen gemein. JEDE Religion ist doch in den Augen ihrer Führer und ihrer Anhänger die einzig richtige bzw. die endgültig richtige.