Zum Tag der Arbeit am 1. Mai

Kampf dem kirchlichen Arbeitsrecht

ver.di läuft seit Jahren Sturm. Das kirchliche Arbeitsrecht diskriminiert über eine Million Angestellte, die bei Diakonie und Caritas beschäftigt sind. Doch die Bundesregierung will kirchliche Sonderrechte nun einschränken – in Zusammenarbeit mit den Kirchen. Zum Tag der Arbeit hat der hpd bei den religionspolitischen Sprechern von SPD und Grünen sowie der Sprecherin der Kampagne Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz – GerDiA nachgefragt.

Über eine Million Arbeitnehmer sind in den sozialen Einrichtungen von Diakonie und Caritas beschäftigt. Doch die Beschäftigten arbeiten dort zu Bedingungen, die weit hinter denen zurückstehen, die für alle anderen Angestellten in der Bundesrepublik gelten. Darüber informiert die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Grund ist das kirchliche Arbeitsrecht, das als sogenannter Dritter Weg bezeichnet wird. Es verwehrt den Kirchenangestellten ein grundsätzliches Streikrecht. Tarifverträge, Gewerkschaften und Betriebsräte gibt es für sie nicht. Letztere sind ersetzt durch Mitarbeitervertretungen, die unter anderem auch keinen Zugang zu Arbeitsgerichten gestatten. Das heißt, dass es bei Rechtsverstößen durch den kirchlichen Arbeitgeber kaum möglich ist, diesen zu sanktionieren.

Hinzu kommt die missionarische Übergriffigkeit auf das Privatleben der Beschäftigten, die ebenfalls durch das kirchliche Arbeitsrecht legitimiert wird. So können Arbeitnehmer insbesondere bei katholischen Trägern benachteiligt oder sogar entlassen werden, wenn sie geschieden sind, wieder heiraten oder ohne Eheschließung mit ihrem Partner leben. Dasselbe gilt für Beschäftigte mit sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten, die nicht dem Menschenbild der Kirche entsprechen.

Zwar treten jedes Jahr rund eine halbe Million Menschen in Deutschland aus den Kirchen aus, doch die Anzahl kirchlicher Einrichtungen wächst in einigen Bereichen. Auswertungen der Veröffentlichungen des Statistik-Dienstes statista sowie der EKD zeigen, dass Diakonie und Caritas 2018 zusammen 18.233 Kitas betrieben, während es im Jahr 2021 rund 400 mehr waren. Doch gerade in den Leitungsebenen dieser Kitas wird von Sozialpädagog:innen noch immer die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche verlangt.

Aufgrund des Fachkräftemangels und vor dem Hintergrund einer multikultureller werdenden Gesellschaft stellen die kirchlichen Sozialträger inzwischen jedoch auch Fachkräfte unterhalb von Leitungsebenen ein, die einer anderen oder gar keiner Religion angehören. Doch was sich zunächst als vernünftig erweist, birgt auf lange Sicht neues Diskriminierungspotenzial; denn die Kirchenmitgliedschaft ist später auch bei Weiterbildungsmaßnahmen und bei Beförderungen ausschlaggebend. Das kirchliche Arbeitsrecht schafft hier etwas, das in weltlichen Einrichtungen aufgrund allgemeiner Gesetze undenkbar wäre: Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit.

Ohne öffentlichen Druck tut sich wenig

Die Bundesregierung hat angekündigt, kirchliche Sonderrechte einschränken zu wollen – in Zusammenarbeit mit den Kirchen: "Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündigungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen", heißt es im 2021 beschlossenen Koalitionsvertrag.

"Das kirchliche Arbeitsrecht ist nicht mehr zeitgemäß", erläutert dazu der Bundestagsabgeordnete und religionspolitische Sprecher der SPD Lars Castellucci auf hpd-Nachfrage. "Grundsätzlich muss gelten: Gleiches Recht für alle, also auch gleiche Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, egal ob sie in einer kirchlichen oder staatlichen Einrichtung arbeiten. […] Es äußern sich ja sogar erste Bischöfe in diesem Sinne." Gleichzeitig achte man als SPD aber das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. "Es ist verfassungsrechtlich geschützt. Unser Ziel ist es daher, notwendige Reformen im Dialog mit den Kirchen voranzutreiben."

Ähnlich sieht es der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz. Der kirchenpolitische Sprecher der Grünen erklärt: "Wir wollen das kirchliche Arbeitsrecht reformieren, um es auf die Höhe der gesellschaftlichen Realitäten und Lebensverhältnisse zu bringen." Dazu wolle die Ampel-Koalition mit den Kirchen in einen intensiven Dialog eintreten. Für ihn und die Regierung sei klar: "Die Reform muss dem besonderen Verhältnis von Staat und Kirche umfassend Rechnung tragen und das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in einen angemessenen Ausgleich mit den berechtigten Interessen der Beschäftigten bringen."

Ingrid Matthäus-Maier, Sprecherin der Kampagne Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz – GerDiA, widerspricht Castellucci und von Notz hinsichtlich ihrer Grundannahme eines kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in arbeitsrechtlichen Dingen. "Die Kirchen berufen sich bezüglich ihres vermeintlichen Selbstbestimmungsrechts auf § 137 der Weimarer Reichsverfassung, der in Artikel 140 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland übernommen wurde. Dort steht aber ausdrücklich 'Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes'. Von einem Selbstbestimmungsrecht ist also keine Rede, lediglich von einem Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht und zwar – das ist wichtig – innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes." Auch was die von Castellucci und von Notz angekündigte Zusammenarbeit mit den Kirchen hinsichtlich einer Reform des kirchlichen Arbeitsrechts betrifft, ist die Juristin und ehemalige langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Matthäus-Maier skeptisch: "Ich sehe das sehr kritisch. Wenn die Kirchen in diese Reform einbezogen werden, ist schon jetzt klar, dass in diesem Bereich nicht das juristisch Notwendige geschehen wird. Die Kirchen wollen weiterhin selbst darüber bestimmen, was in ihrem Rechtskreis geschieht, sie haben nie von sich aus auf etwas verzichtet – warum also sollten sie es jetzt tun?"

Nachfragen beim kirchenpolitischen Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, zeigten, dass die politischen Vorstellungen in Hinblick auf eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts noch keine sonderliche Detailschärfe aufweisen. Auf die Frage, wann denn der Dialog beginnen solle, korrigiert er sich dahingehend, dass man in einem ständigen Dialog mit den Kirchen stünde. Auf die Nachfrage, wo denn der verkündigungsnahe Bereich für ihn beginne, macht er keine genauen Angaben und weist lediglich darauf hin, dass angesichts des Grundgesetzes eine Trennung zwischen verkündigungsferner und verkündigungsnaher Tätigkeit erforderlich sei.

So scheinen einige der Vertreter der Bundesregierung, die in Verantwortung für die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts stehen, sich zwar der Bedeutung einer solchen Reform bewusst zu sein, doch die Änderungen werden wohl in einem Tauziehen zwischen weltlichen und kirchlichen Einflüssen entschieden werden. Willkommen im Arbeitskampf.

Der Autor will im Namen der Humanistischen Initiative Schleswig-Holstein (humini) einen Trägerverein gründen, der sofort einspringen kann, wenn die Kirchen ihr Engagement nicht in die Schranken des für alle geltenden Gesetzes stellt, wozu sie nach Paragraph 140 GG verpflichtet sind. Dafür sucht er Unterstützer.

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Ergänzung: Aufgrund eines Kommentars korrigiert der Autor: 
Von Notz ist "Beauftragter für Religion und Weltanschauungen bis 2021 und stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestages." Das steht auf seiner Internetseite "von Notz".Außerdem hat er über die "Lebensführungspflichten im evangelischen Kirchenrecht" (Verlag Peter Lang) ausführlich publiziert.