Die "January 6th Hearings"

Trumps Verbrechen

Donald Trump hat den US-amerikanischen Staat und seine eigenen Wähler*innen über den Tisch gezogen. Dieses Zwischenfazit zieht das aus Abgeordneten beider Parteien zusammengesetzte Komitee zur Aufarbeitung der Ausschreitungen am 6. Januar in Washington, D.C. nach den ersten drei Anhörungen. Mehr als 250 Millionen Dollar hat Trump nach der vergeigten Wahl von seinen Unterstützer*innen eingesammelt, angeblich, um das Ergebnis anzufechten. Doch der versprochene Fond existiert offenbar gar nicht.

Grift

"Grifter" ist ein Begriff, für den das Deutsche nur unzureichende Übersetzungen kennt. "Gauner", "Schwindler" oder "Scharlatan" schlagen einschlägige Wörterbücher vor, doch diese Übersetzungen werden der Ethymologie des Wortes nicht gerecht. Der Begriff lässt sich auf die niederländische Wurzel "graven" zurückführen, auf der, bezeichnenderweise, auch das Wort "grave", zu deutsch "Grab", aufbaut.

Eben dies ist also der Unterschied zwischen einem Scharlatan, einem Gauner und einem Grifter: Der Scharlatan verkauft Medizin, die nichts bringt. Der Gauner verkauft Medizin, die etwas bringt, zu Wucherpreisen. Der Grifter hingegen verkauft Kobragift als Medizin, weil er einen Deal mit einer privaten Krankenhauskette hat, die auf die Behandlung von Schlangenbissen spezialisiert ist.

Wie die Anhörungen zum 6ten Januar nun schonungslos ans Licht bringen, war Trumps mit großem Getöse beworbene "Stop The Steal"-Kampagne nichts anderes als der mutmaßlich größte Grift der US-amerikanischen Geschichte. Mehr als 250 Millionen Dollar hat Trump seit der krachend verlorenen Wahl erhalten, davon 100 Millionen allein binnen der ersten vier Wochen. Mit aggressiven Methoden wie mehreren dutzend E-Mails pro Tag und versteckten Abomodellen zog Trump vor allem Rentner*innen das Geld aus der Tasche. "Die 'Große Lüge' war eine große Abzocke", so die kalifornische Abgeordnete und Mitglied des Komitees, Zoe Lofgren.

Die Kampagne wirke wie ein "Bilderbuchbeispiel für Telekommunikationsbetrug", konstatiert auch der Anwalt Daniel Goldman. Trumps Kampagne sammelte die Gelder unter der expliziten Prämisse ein, diese für einen Legal Defense Fund [LDF, "Prozesskostenfond", Übers. d. Autors] zu benutzen. Mit den Mitteln sollten Beweise für eine gefälschte Wahl gefunden und entsprechende Klagen eingereicht werden. Doch ein LDF wurde anscheinend niemals aufgelegt und die schlussendlich vorgebrachten Beweise waren selbst der republikanischen Partei zu dünn. Fraglich sei nun, ob diese Vorgänge Trump selbst angelastet werden können oder lediglich seinen Untergebenen, so Goldman.

Staatsstreich, Inc.

Wer versucht, diesen Zahlungen zu folgen, findet sich schnell in einem Gewirr von Briefkasten- und Scheinfirmen wieder. Immer wieder taucht darin die American Made Media Consultants LLC auf, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren einziger Zweck die Verschleierung von Geldflüssen zu sein scheint. Mehr als 771 Millionen US-Dollar soll Trumps Wahlkampagne 2020 über die Firma ausgegeben haben, unter anderem für fragwürdig hohe Honorare für Familienmitglieder und Trumps engsten Kreis. Seine Schwiegertöchter Lara Trump und Kimberly Guilfoyle standen bereits seit mindestens 2019 auf der Gehaltsliste des Firmenkonvoluts und erhielten zeitweise 15.000 Dollar monatlich. Über eine andere vermeintliche Scheinfirma, Harris Sikes Media LLC, hat Trumps Kampagne bereits 2019 dubiose politische Werbeanzeigen finanziert, die eine illegale Koordination mit der National Rifle Association (NRA) vermuten lassen.

Andere Spuren führen zu einer Firma mit dem harmlos klingenden Namen Event Strategies, Incorporated. Die Genehmigung für die Demonstration am 6. Januar zeigt, dass ein Großteil der von Event Strategies für den 6. Januar eingesetzten Angestellten bis November 2020 noch auf der Gehaltsliste von Trumps Wahlkampagne stand.

Seit den Ausschreitungen arbeiten die mit Trump verbundenen Kampagnen beinahe ausschließlich mit Event Strategies. Mehr als 2,7 Millionen Dollar hat die Firma im Jahr 2022 bereits für "Veranstaltungsdienstleistungen" von Trumps Kampagne "Save America" erhalten. "Save America" allein hortet nach aktuellen Angaben noch immer mehr als 106 Millionen Dollar.

Revolution von ganz oben

Angesichts dieses verdächtig komplexen Unternehmenskonvoluts darf jedoch nicht vergessen werden, dass es nicht Trumps primäres Ziel war, die eigene Bevölkerung einfach nur auszuplündern. Sein Ziel war die offene Revolution gegen den Kongress und den Vizepräsidenten Mike Pence, um die Zertifizierung der Wahlergebnisse zu verhindern. Pence selbst widersetzte sich mehreren Evakuierungsversuchen durch den Secret Service. "Ich steige nicht in dieses Auto", soll Pence zu den Beamten gesagt haben. Einen Tag zuvor hatte sein Stabsleiter Pence darauf hingewiesen, dass ihm unter Umständen Gefahr direkt aus dem Inneren des Kapitols drohe.

Draußen skandierte der Mob derweil "Hängt Mike Pence!" und richtete den passenden Galgen auf (ab Minute 05:05). Im Laufe der dritten Anhörung fügte der kalifornische Abgeordnete Pete Aguilar hinzu, dass ein vertrauenswürdiger Informant aus dem Umfeld der Proud Boys gegenüber dem FBI angegeben habe, dass die Miliz "Pence getötet hätte, wenn sich die Chance geboten hätte".

Pences Leistung ist also, einmal in den vier Jahren seiner Amtszeit Rückgrat bewiesen zu haben, und zwar genau dann, als es darauf ankam. Das verdient Anerkennung, aber noch lange kein Lob. Ohne den selbstlosen Einsatz von Menschen wie Eugene Goodman, der die ins Kapitol stürmende Meute von der Senatskammer wegführte und den Abgeordneten so wertvolle Minuten verschaffte, hätte Pence den sechsten Januar vielleicht nicht einmal überlebt. Jamie Raskin, ebenfalls Mitglied des Komitees, fasste diese Erkenntnisse wie folgt zusammen: "Dies war kein Coup mit der Absicht, den amtierenden Präsidenten zu stürzen. Dies war ein Coup, vom amtierenden Präsidenten initiiert, mit der Absicht, den Vizepräsidenten und den Kongress zu stürzen."

Unterstützen Sie uns bei Steady!