Sterbehilfeanhörung im Rechtsausschuss des Bundestags

"Es ist entschieden!"

Am Montag tagte der Rechtsausschuss des Bundestages zum Thema "Sterbebegleitung/Suizidprävention". Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im Jahr 2020 ein bahnbrechendes Urteil gefällt, als es den Strafrechtsparagrafen 217 für verfassungswidrig erklärte. Damit hatte es auch einen Rechtsrahmen vorgegeben, in dem Suizidhilfe stattfinden kann. Der Bundestag will nun zum zweiten Mal wie bereits 2015 die Suizidhilfe gesetzlich regeln.

Drei Gesetzentwürfe und ein Antrag zur Stärkung der Suizidprävention liegen dem Rechtsausschuss vor. Dreizehn Sachverständige waren am Montag dieser Woche zu einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss eingeladen. Im ersten und deutlich längeren Teil wurde über die drei vorliegenden Gesetzentwürfe beraten; im zweiten Teil ging es um den Antrag zur Suizidprävention.

Wer seit Längerem die Diskussionen um die Suizidhilfe in Deutschland verfolgt, konnte am Montag ein Déjà-vu-Erlebnis haben. Ein Großteil der vertretenen Positionen wurde bereits 2015 vor der Verabschiedung des "Sterbehilfeverhinderungsgesetzes" diskutiert. Hier sollen nun zwei zentrale Punkte, die bei der Diskussion um die vorliegenden Gesetzentwürfe deutlich wurden, herausgestellt werden. Einmal geht es um den Dissens, ob assistierter Suizid ethisch legitim ist oder nicht. Zum anderen geht es um die Verquickung von Suizidprävention und Suizidhilfe bei der gesetzlichen Regelung der Suizidassistenz.

Vier der fünf juristischen Sachverständigen positionierten sich bei der Anhörung am Montag gegen eine Regelung der Suizidhilfe im Strafrecht. Die Sachverständigen aus dem Kreis der Palliativmedizin, Hospizarbeit und Psychiatrie argumentierten mit zahlreichen Argumenten für eine strafrechtliche Lösung und für den Einbezug von Psychiater:innen in ein Begutachtungsverfahren. Dieselben Argumente gegen den assistierten Suizid wurden bereits 2015 von diesen Berufsgruppen ins Feld geführt. Viele dieser Gedanken wurden bei der Anhörung wiederholt vorgetragen. Schließlich sorgte die Medizinethikerin und Ärztin Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert von der Universität Münster für Klarheit in der Debatte. Es gibt einen ethischen Dissens, so ihre Erläuterung, der auch in den Ausführungen der Sachverständigen und in den Fragen der Abgeordneten immer wieder auftaucht. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die einen assistierten Suizid durch freiverantwortlich handelnde Menschen als legitim ansehen. Für sie ist es in Ordnung, wenn dabei Hilfe geleistet werden darf. Auf der anderen Seite steht die Gruppe derjenigen, die den assistierten Suizid nicht gutheißen, Leben unbedingt schützen wollen. Schöne-Seifert bezeichnet diese beiden Seiten als Pro- und Kontra-Seite. Nun kämpft die Pro-Seite für die Möglichkeit von assistierten Suiziden, während die Kontra-Seite diese kritisiert und missbilligt. Diesen Dissens könne man nicht auflösen, so Schöne-Seifert. Aus ihrer Sicht bestünde ein sinnvoller Umgang mit dieser Situation darin, dass beide Seiten sich gegenseitig respektieren und tolerieren. Da es sich bei einer Suizidhilfe um eine individuelle Entscheidung handle, müsse das jeder nach seiner "Fasson" entscheiden. Es sei die Entscheidung der Sterbewilligen, ob sie ihrem Leben selbst ein Ende setzen wollen. Genauso sei es die individuelle Entscheidung von Ärztinnen und Ärzten, ob sie zur Hilfe bereit sind. Die Kontra-Seite sei durch das Urteil überhaupt nicht betroffen. Niemand sei gezwungen, von seinem Recht auf Suizidhilfe Gebrauch zu machen und kein Arzt, keine Ärztin könne gezwungen werden, beim Suizid zu assistieren. Für die Kontra-Seite ändere das Urteil nichts. Die Pro-Seite müsse dagegen für einen legalen Zugang kämpfen.

Schöne-Seiferts Ausführungen zu diesem ethischen Dissens, der in den Diskussionen immer wieder deutlich wurde, unterstützte schließlich auch Rechtsanwältin Dr. Gina Greeve vom Deutschen Anwaltsverein. Ihre leidenschaftlichen Ausführungen mündeten in dem Satz: "Es ist entschieden!" Das Bundesverfassungsgericht hat die Legitimität des assistierten Suizids in seinem Urteil 2020 bestätigt. Für diejenigen, die einen assistierten Suizid für legitim halten, hat das Bundesverfassungsgericht 2020 den Weg wieder frei gemacht, nachdem er durch den verfassungswidrigen § 217 StGB verschlossen worden war.

Schon im Titel, mit dem die Anhörung angekündigt wurde, fällt eine veränderte Wortwahl auf. War zunächst von einer gesetzlichen Neuregelung der Suizidhilfe die Rede, sprach man bei der ersten Lesung im Bundestag von Sterbehilfe und schließlich wählte der Rechtsausschuss für die Ankündigung der Anhörung den Titel "Sterbebegleitung/Suizidprävention". Der Begriff "Sterbebegleitung" wird von der Palliativmedizin und in der Hospizarbeit verwendet und meint den Beistand und Trost für Sterbende. Er ist auch eine bewusste Abgrenzung zur Sterbehilfe und zur Suizidassistenz. Vor diesem Hintergrund überraschte die Ankündigung nicht nur, sondern wird viele auch verstört haben.

Zu einer Verquickung von Suizidhilfe und Suizidprävention haben sich die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) und der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) bereits im Vorfeld der Ausschusssitzung kritisch geäußert. Auch hier war es Schöne-Seifert, die in der Anhörung auf den manipulativen Charakter der Wortwahl und der Verknüpfung der beiden Themen hinwies. Sie äußerte die Befürchtung, dass der Gesetzentwurf und der Antrag zur Suizidprävention als Doppelpack wahrgenommen werden. Sie sieht darin die Gefahr, dass dieser Antrag als "trojanisches Pferd" dienen könnte. Dies allerdings sei bedauernswert, da der Antrag zur Suizidprävention unbedingt zu begrüßen sei. Sie möchte ihn aber getrennt vom Gesetzesantrag zur Suizidhilfe sehen. Auch der Jurist Prof. Dr. Helmut Frister hatte darauf hingewiesen, dass es zwei getrennte Ziele gibt. Einmal geht es darum, möglichst viele nicht freiverantwortliche Suizide zu verhindern. Dies ist bei der Mehrheit der Suizide und Suizidversuche der Fall und nur für diesen Kontext steht der Begriff "Suizidprävention". Andererseits dürfe man freiverantwortliche Suizide nicht "sabotieren", so Schöne-Seifert. Vielmehr müssten diese ermöglicht werden, und zwar so, dass sie auf humane und sanfte Weise erfolgen können. Diese unterschiedlichen Ziele, Suizidprävention und Ermöglichung von freiverantwortlichen Suiziden, dürften unter keinen Umständen verrechnet oder zusammengeführt werden. Während das Präventionsziel im ersten Fall von nicht freiverantwortlichen Suiziden "unstrittig gut" sei, sei das Ziel der Verhinderung oder Behinderung von freiverantwortlichen Suiziden nicht gutzuheißen. Der gute Begriff Suizidprävention könne so "gekapert werden für Suizidsabotage". Im Gegensatz zur Suizidprävention könne sich bei den freiverantwortlichen Suiziden das Resultat einer gesetzlichen Reglung nicht daran messen lassen, wie viele freiverantwortliche Suizide dadurch verhindert werden. Damit widerspricht sie den Aussagen, dass die steigenden Zahlen an assistieren Suiziden in anderen Ländern ein Signal für Gefahren seien, die von der Suizidhilfe ausgehen könnten. Die steigenden Zahlen seien nicht erstaunlich. Wenn man ein liberales Suizidhilfegesetz verabschiedet, sei eine steigende Zahl von Suizidassistenzen die natürliche Folge. Dies könne man aber nicht als Versagen eines liberalen Gesetzes ansehen. "Es werden mehr Suizide werden", so ihre Prognose. Man müsse auch bedenken, dass das Angebot der Suizidhilfe in Deutschland entstanden sei, weil Menschen es sich nicht länger verbieten lassen wollen, einem langen Leiden oder Siechtum durch einen begleiteten Suizid zu entkommen. Bürgerinnen und Bürger wollen dafür nicht mehr in die Schweiz fahren müssen.

Bisher haben sich erst 254 Abgeordnete zu den Gesetzentwürfen positioniert. 122 haben den Entwurf der Gruppe um Lars Castellucci unterzeichnet, 82 Unterstützer entschieden sich für den Entwurf der Gruppe um Katrin Helling-Plahr und 50 für die Gruppe um Renate Künast. Vielleicht auch deshalb, weil keiner der Entwürfe überzeugt?

Wer sich umfassend über die Stellungnahmen der Sachverständigen informieren möchte, findet auf der Webseite des Rechtsausschusses alle Dokumente, die Gesetzentwürfe und die Stellungnahmen der Sachverständigen als Download. Ebenso kann man sich dort eine Aufzeichnung der über fünf Stunden dauernden Anhörung ansehen. Demnächst ist dort auch das genaue Wortprotokoll zu finden.

Der Zentralrat der Konfessionsfreien hat am Montag ebenfalls eine Initiativstellungnahme an den Rechtsausschuss geschickt. Darin mahnt er alle Abgeordneten, die Autonomie zu schützen und führt dies in zwölf Punkten für die Selbstbestimmung am Lebensende aus.

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