Er nennt sich "Christo 2.0" und verhüllt ausschließlich Kruzifixe. Und er ist einer der Unscheinbarsten in der Kunstszene, denn seine Werke werden zwar fotografisch dokumentiert, jedoch danach umgehend dekonstruiert. Der hpd sprach mit dem Künstler.
hpd: Was bezwecken Sie mit ihrer Kunst? Ist das eine Provokation für die Christenheit?
Christo 2.0: Mitnichten. Zunächst geht es mir um die Vertiefung des mystischen Empfindens, wenn wir vor dem Gekreuzigten stehen. Hier blickt uns ein brutal Gefolterter real und gleichzeitig unerträglich ins Antlitz. Die Verhüllung mildert den inneren Schmerz des Betrachters, neurologisch gesehen. Zum anderen wirft die Verfremdung Fragen auf: Wie wirklich war dieser Märtyrer in Wirklichkeit? Vielleicht doch nur eine konstruierte Kunstfigur, wie so mancher Historiker mutmaßt? Meine Aktionen möchten deshalb vorrangig tieferliegende Bewusstseinsebenen erreichen und zugleich den kritischen Geist schärfen.
Kritiker meinen allerdings auch, dass Sie bloß die Religion beleidigen wollen.
Für religiöse Gefühle hege ich zwar eine gewisse Toleranz, allerdings aber auch keinerlei falschen Respekt. Und im Übrigen ist die Ganzkörperhülle lediglich konsequente Vollendung des Faktischen.
Inwiefern? Das müssen Sie uns schon noch erklären.
Ganz einfach: Der Unterleib Jesu ist bei Kruzifixen ausnahmslos verhüllt. Was verbirgt sich tatsächlich hinter dem Lendenschurz? Genitalien? Oder doch nicht? Durch eine perfekte Komplett-Verschleierung wird dieses Geheimnis in wunderbarer Verklärung metaphysisch übersetzt und so der sexuellen Profanität entzogen. Da sollten die Kleriker aufatmen können.
Bleiben wir einmal bei dem künstlerischen Wert Ihrer Arbeit. Im Prinzip ist dies alles nichts Neues, und mit Ihrem Namen setzen Sie sich sogar dem Vorwurf aus, den weltberühmten Künstler Christo bloß zu plagiieren.
Da ich mich ausschließlich mit dem Gottessohn befasse, finde ich dieses Pseudonym eigentlich recht passend. Mein Klarname hätte mir sicher schon Morddrohungen eingebracht. Und bitte nehmen Sie zunächst einmal zur Kenntnis, dass besagter Künstler Christo selbst ein Plagiator ist: Er hat die Idee mit der Verhüllung ungeniert von Man Ray abgekupfert, denn dieser hatte nämlich schon vor hundert Jahren mit "L'enigme d'Isidor Ducasse" eine aufsehenerregende Verhüllung vorgestellt, welche die gesamte Kunstkritik vor Rätsel gestellt hat. Ich schreite lediglich beherzt zur Tat, denn Gott sei Dank gibt es sehr viele Kruzifixe, die noch auf ihre Verhüllung warten.
Dabei wünschen wir Ihnen viel Erfolg und danken für das Gespräch.
6 Kommentare
Kommentare
Helmut Bieler-Wendt am Permanenter Link
3. Mai statt 1. April....?
;-)
Thomas Spickmann am Permanenter Link
Die Abbildung einer grausamen Hinrichtung kann man getrost verhüllen. Dem Hingerichteten wäre es wahrscheinlich recht gewesen.
Thomas B. Reichert am Permanenter Link
Die Jesusfigur ist fiktional - eine Personifikation der Natur, des Lebens, der Menschheit ... Die Jesusfigur am Kreuz ist ein Symbol für uns.
Über der Jesusfigur ist ein Brett, ein Schild angebracht, dort steht übersetzt "Menschheit geborener König der Welt". Die Jesusfigur ist ein Symbol für uns, die geistig Toden - die Opfer des Opferkults "Christentum".
Traurig, dass wir selbst im Jahr 2023 immer noch nicht in der lage sind diesen Opferkult abzuschaffen und Gerechtigkeit herzustellen.
Real Human am Permanenter Link
Sollten Humanisten der Tat nicht sogar mal über symbolische Kreuzabnahmen NACHDENKEN?
David Z am Permanenter Link
Sehe hier keinen künstlerischen Wert.
Wenn er Kirchenglocken und Muezzinlautsprecher schalldicht abdecken würde, wäre ich bei ihm. Diese Lärmbelästigung nervt.
So aber sehe ich hier lediglich eine arme Person, die anscheinend nichts anderes im Leben hat, als ihren Drang zur Provokation auszuleben.
Martin am Permanenter Link
Wenn man nichts besseres zu tun hat, kann man das machen.
Mir sind religiöse Symbole, incl. Jesus am Kreuz, einfach zu unwichtig, als daß ich sie dieser übertriebenen Aufmerksamkeit würdig betrachtete.
Aber vor vierzig Jahren wäre das bestimmt eine gute Provokation gewesen!