Mia San Mia – das Kruzifix bleibt da, wo es ist

Das Kruzifix hängt falsch, sagt das Gericht. Das Kruzifix bleibt da hängen, wo es ist, sagen die Verwaltung und die Politik. Das ist die Kurzfassung einer Geschichte über einen Fall nicht funktionierender Gewaltenteilung, den die rechtlich erfolgreiche, tatsächlich aber erfolglose Klägerin jetzt in einer verbitterten Stellungnahme kommentiert. Doch der Bund für Geistesfreiheit Bayern lässt nicht locker.

Der hpd hatte hier und hier über den Fall des Kruzifix' in einer bayerischen Schule berichtet. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, das höchste Verwaltungsgericht im Freistaat, hatte im Juli entschieden, dass das Hallertau-Gymnasium im oberbayerischen Wolnzach zwei ehemalige Schülerinnen in ihrer negativen Religionsfreiheit verletzt hat. Diese hatten mit Unterstützung des Bundes für Geistesfreiheit Augsburg geklagt. Die Schule hätte das 1,50 Meter hohe Kreuz mit einer 30 Zentimeter hohen und 25 Zentimeter breiten Darstellung des gekreuzigten Christus im Haupteingangsbereich der Schule abhängen müssen. Die Weigerung, das zu tun, war rechtswidrig, so die Richter. Doch das Kruzifix hängt immer noch in der Schule. Ermuntert von hochrangigen bayerischen Politikern reagiert die Schule nicht auf das Urteil.

Ehemalige Schülerin veröffentlicht verbitterte Stellungnahme

Zur Verbitterung der beiden Klägerinnen. Eine von ihnen hat jetzt eine siebenseitige Stellungnahme verfasst, die im Wortlaut an diesen Artikel angehängt ist. Die ehemalige Schülerin, die nach jahrelangem, aufreibendem Kampf um das Thema anonym bleiben will, schreibt:

"Eine Demokratie beruht auf mehreren Säulen. Eine davon ist die Gewaltenteilung, das heißt, ein Gerichtsurteil muss respektiert werden. Man darf nicht so lange daran herumschrauben, bis nichts mehr davon übrig ist. Eine andere Säule ist die Pluralität. Konfessionsfreie Menschen und Kinder in Bayern müssen angstfrei leben können, ihre Rechte müssen geachtet und geschützt werden. (...) Ohne Gewaltenteilung und ohne Pluralität kann es keine Demokratie geben, denn diese sind ihre Grundvoraussetzungen. Der Umgang und die Reaktionen der Menschen, der Schulleitung und der Politik entscheiden jetzt also darüber, ob wir am Ende tatsächlich in einem Rechtsstaat sind oder nicht."

Das rechtliche Dilemma

Aber wie kann das sein, dass ein Gericht entscheidet, dass die Rechte der Ex-Schülerinnen verletzt wurden, aber der Zustand, der genau dazu führte, unverändert bleibt? Formal scheinen die Schulleitung und die sie zum Nichtstun ermunternde bayerische Politik im Recht zu sein. Was daran liegt, dass die beiden Klägerinnen jetzt ja nicht mehr an der Schule sind und das Kruzifix nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Entsprechend hatte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ja auch in seiner Pressemitteilung vom 9. Juli zu dem Urteil formuliert:

"Die Weigerung der Schule, das Kruzifix zu Schulzeiten der Klägerinnen zu entfernen, war rechtswidrig. (...) Die Schule wäre verpflichtet gewesen, das Kruzifix zu entfernen. Die Klägerinnen waren wegen der Schulpflicht zwangsweise und immer wiederkehrend sowie im Hinblick auf dessen Positionierung ohne (zumutbare) Ausweichmöglichkeit mit dem Kruzifix konfrontiert."

Man muss die richterliche Anordnung also schon genau lesen: Die Verpflichtung der Schule, das Kreuz abzuhängen, bezieht sich auf die Vergangenheit. Es handelte sich hier um eine sogenannte "Fortsetzungsfestellungklage". Ein Rechtsmittel, das einem Kläger oder einer Klägerin die Möglichkeit eröffnet, auch im Nachhinein – wenn sich eine Belastung erledigt hat – gerichtlich feststellen zu lassen, dass das Verwaltungshandeln rechtswidrig war. Da die Klägerinnen nicht mehr an der Schule sind, sind ihre Rechte (negative Religionsfreiheit) nicht mehr betroffen. Wohl aber war das in der Vergangenheit so, hat das Gericht festgestellt. Am tatsächlichen Zustand könnte sich nur dann etwas ändern, wenn die Schulleitung selbst aktiv würde und das Kruzifix abhängt. Oder wenn Schüler, die aktuell an der Schule sind, ihrerseits unter Bezugnahme auf ihre negative Religionsfreiheit eine weitere Klage erheben. Gegebenenfalls verbunden mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, um auch schnell zum Ziel zu kommen.

Das Nichtstun der Behörden

Das bayerische Kultusministerium jedenfalls sieht keinen Handlungsbedarf. Auf Anfrage des hpd sagte eine Sprecherin des Ministeriums:

"Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu einem Kruzifix im Eingangsbereich eines staatlichen Gymnasiums betraf eine bestimmte Situation der Kreuzesdarstellung an einer Schule und die individuelle Wirkung des Kruzifixes auf die beiden Klägerinnen, die mittlerweile das Abitur erfolgreich abgelegt haben. Es handelte sich um eine Einzelfallentscheidung in Bezug auf die beiden Klägerinnen, die zur Zeit der Klageerhebung Schülerinnen der Schule waren, aber jetzt keine Schülerinnen der Schule mehr sind. Eine unmittelbare Reaktion vor Ort oder an anderen staatlichen Schulen ist nicht geboten."

Und der ranghöchste Bayer in Berlin, Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), plädierte gegenüber der Tageszeitung Die Welt ungeachtet der richterlichen Entscheidung dafür, in bayerischen Schulen christliche Kreuze nicht abzuhängen. "Allen denjenigen, die sagen, man soll die Kreuze abhängen, denen sagen wir: Wir wollen diese Kreuze aufhängen." Er riet aber zu einem pragmatischen Umgang damit, dass das Gericht das Kreuz im Eingangsbereich der betreffenden Schule verboten hatte: "Dann hängt das halt über einen anderen Eingang." Dann könnten sich Gerichte doch erneut damit befassen.

Solcherart Wurschtigkeit erinnert an die FC Bayern-Hymne "Mia San Mia". Wie es aussieht, demonstrieren auch die bayerische Politik und Verwaltung die in dieser Parole zum Ausdruck kommende Arroganz.

Was der Anwalt der Klägerinnen sagt

Eberhard Reinecke
Eberhard Reinecke, Foto: © Andrea González

Eberhard Reinecke hat die Schülerinnen in ihrem Rechtsstreit vertreten. Auf die Frage des hpd, ob es denn keine Möglichkeit gebe, das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes zu vollstrecken, sagt auch der Rechtsanwalt:

"Leider gibt es keine Vollstreckungsmöglichkeiten. Da die Klägerinnen nicht mehr an der Schule waren, konnten wir auch nicht beantragen, dass (ihretwegen) das Kruzifix abgehängt wird, sondern wir konnten lediglich beantragen, dass es rechtswidrig war, dass es früher nicht abgehängt wurde. Das liegt letztlich im Rechtssystem, das nur in wenigen Fällen eine sogenannte Popularklage zulässt. Damit gemeint ist eine Klage gegen einen rechtswidrigen Zustand, obwohl man selbst davon nicht mehr betroffen ist."

Und in seinem Blog schreibt Rechtsanwalt Reinecke:

"Die Missachtung der Rechtslage, wie sie durch Gerichte festgestellt wird, gehört mittlerweile zum guten Ton der Exekutive, wobei es formal natürlich um einen Einzelfall geht. Das ändert aber nichts daran, dass das Kruzifix in dieser, aber auch vielleicht weiteren Schulen rechtswidrig ist und abgehängt werden müsste. Da dies aber nicht von irgendjemandem verlangt werden kann, bedarf es einer weiteren mutigen Schüler*in, die jetzt noch an der Schule ist und unter Berufung auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes die Entfernung des Kruzifixes verlangt."

Gern hätte der hpd auch die Sicht des Gymnasiums dargestellt. Doch die Schulleitung war nicht an einer Stellungnahme interessiert. Schließlich hat sie für das Ignorieren des Urteils ja die Rückendeckung aus dem Kultusministerium.

Ex-Schülerin: Es braucht Sensibilisierung der Lehrkräfte

Die Ex-Schülerin, die das Urteil erstritten hat, empfindet die Umgangsweise damit zynisch. In ihrer Stellungnahme schreibt sie:

"Wir wissen, bereits ganz konkret, dass auch im nächsten Schuljahr konfessionsfreie Schüler die Schule besuchen möchten. (...) Die Hälfte der Menschen in Deutschland gehört keiner Konfession mehr an. Es ist inzwischen also wahrscheinlicher, dass eine Person vom Kreuz in ihren Grundrechten beschnitten wird, als dass sie es nicht wird. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist eine Auseinandersetzung und Sensibilisierung der Lehrkräfte und der ganzen Gesellschaft mit der Thematik erforderlich. Konfessionsfreie Menschen sind nicht Niemand, sondern sie haben Werte und Rechte."

Bund für Geistesfreiheit Bayern legt nach

Der Bund für Geistesfreiheit Bayern will die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Dessen Vorsitzender Frank Riegler hat jetzt einen neuen Anlauf unternommen und einen (dem hpd vorliegenden) Brief an die bayerische Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) geschrieben. Ihr Ministerium für Unterricht und Kultus sei jetzt gefordert, für die Schulleitungen Rechtssicherheit herzustellen. Um die negative Religionsfreiheit zu garantieren, sollten deshalb die Kruzifixe im Eingangsbereich aller staatlich betriebenen Schulen entfernt werden. Das gebiete Toleranz und Respekt gegenüber Schülerinnen und Schülern, die keiner christlichen Kirche angehören.

Riegler betont: "In dem jetzt entschiedenen Fall waren die Schülerinnen einem erheblichen sozialen Druck ausgesetzt. Es ist davon auszugehen, dass das auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann. Im Rahmen der Fürsorgepflicht ist es deshalb ein Gebot der Stunde, diesen Druck von den einzelnen Schülerinnen und Schüler, beziehungsweise deren Eltern zu nehmen."

Die Konsequenz aus dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs könne nur sein, dass das Kruzifix im Eingangsbereich und in allen Unterrichtsräumen des Gymnasiums abgehängt wird. Riegler mahnt:

"Wenn die Schulleitung dennoch an dem Kruzifix im Eingangsbereich festhalten würde, obwohl sie spätestens jetzt um die Grundrechtsverletzung Kenntnis hat, dann würde das klar eine Verletzung der Rechte von Eltern und Schülerinnen und Schülern bedeuten. Staatliche Institutionen sind in besonderem Maße gefordert, die für Alle geltenden Gesetze einzuhalten und zu schützen. Wir bitten Sie sicherzustellen, dass das Urteil nicht nur am Hallertau-Gymnasium umgesetzt wird, sondern an allen bayerischen Schulen."

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