Orangs lernen ihre Stimme mit der Hand zu modulieren

Geräuschvolles Küssen als Drohgebärde

hand_orang_utan.jpg

Hand eines Orang-Utans (aufgenommen im Berliner Zoo)
Hand eines Orang-Utans (aufgenommen im Berliner Zoo)

BERLIN. (hpd) Mit einem warnenden Schmatzlaut reagieren Orang-Utans auf Gefahren. Er soll aber auch dem potenziellen Angreifer mitteilen, dass man selbst kein Leichtgewicht ist. Junge Orangs bluffen, fanden jetzt Forscher heraus, indem sie den Ton mit vorgehaltener Hand erheblich tiefer klingen lassen, um größer und stärker zu wirken, als es wirklich der Fall ist. Sie modulieren ihre Stimme so bewusst manuell.

Tief im Regenwald Borneos und Sumatras kann man von einem vertrauten Laut überrascht werden, einem Kusslaut, fast ein lustvolles Quietschen. Doch wenn ein einsamer Orang ihn ausstößt, dann nicht aus einer romantischen Stimmung heraus, schreibt Kathrin Knight im Journal of Experimental Biology in ihrem Artikel "Orangutans use hand like soundbox to make alarm calls / Orangs verwenden Hände als Resonanzkörper": "Orangs machen diese Kuss-Schnalzer-Alarmrufe, wenn sich ihnen Menschen oder gefährliche Tiere nähern", zitiert sie Bart de Boer von der Vrije Universität Brüssel in Belgien.

Als Madlaine Hardus von der Pongo Foundation und Adriano Lameira und Serge Wich von der Universität Amsterdam, so Kathhrin Knight, zum ersten Mal diesen durchdringenden Laut hörten, bemerkten sie, dass einige Tiere, wenn sie mit ihrer Hand ihre Mundpartie umfassten, den Alarmlaut erheblich tiefer erklingen ließen. Versuchten die Primaten größer und stärker zu erscheinen, als sie waren? Im Gespräch mit den Biologen erkannte de Boer, dass er vielleicht in der Lage wäre, den Biologen herauszufinden zu helfen, ob die Tiere wirklich ihre Alarmrufe modifizierten, um einen falschen Eindruck zu erwecken. Boer erinnert sich, "ich sagte, es wäre interessant, ein Modell davon zu entwickeln, denn nur so kann man sicher sein, ob die Hand tatsächlich benutzt wird, um den Tonumfang zu ändern". So schildert Knight ihre Begegnung mit Boer.

"Schließlich musste er zwei mathematische Modelle hintereinander aufbauen - um zu verstehen, wie die Affen ihren Alarmruf tiefer machen können. Boer beschreibt das erste Modell, das die Lippen als eine dünne Röhre simuliert, als einen schmalen Kubus, der über eine ihn abschließende Scheibe geöffnet ist, die für das Gesicht steht. Dann montiert er eine zweite Scheibe in kurzer Distanz zum Gesicht, die die Affenhände repräsentiert. Durch die Ableitung einer Reihe von Gleichungen, die beschreiben, wie der Ton durch die Lippen wandert und dann durch den zwischen Hand und Gesicht entstandenen Resonanzraum vor- und zurückgelenkt wird, wurde Boer klar, dass der Affe tatsächlich die Rohrstruktur der tieferen Schnalzlaute verlängern und sie tiefer machen konnte."

Aber den Schmatzlaut einfach tiefer zu machen, ist nicht genug, um ihn klingen zu lassen, als würde er einer größeren Körperstruktur entstammen. Die Obertöne, die die Grundfrequenz begleiten und den Ton erweitern, müssen auch tiefer werden. Wenn die Orangs wirklich das Kunststück fertig bringen wollen, selbst als größer durchzugehen, müssen sie in ihrem Kuss-Quietschen auch mehr niedrige Obertöne produzieren. Um dies zu testen, verdoppelte Boer sein trickreiches Modell und maß das Frequenzspektrum der Rufe erneut. Den zweiten Kubus bildete die Orang-Hand. Boer war sehr beeindruckt zu sehen, dass tatsächlich das Spektrum der tiefen Obertöne in der Simulation erweitert wurde, wenn die Hand als zweiter Kubus eingesetzt wurde.

Doch inwieweit stimmten Boers Berechnungen mit Lameiras und Hards im Dschungel gewonnenen Tonaufnahmen überein? "Das Problem ist, dass so ein Orang nicht ruhig auf einem Zweig sitzt und seinen Lärm macht" weiß Boer. "Da singen Zikaden im Hintergrund und Blätter rascheln, und es passieren schreckliche Dinge." Nach sorgfältigem Zurücksetzen der vielstimmigen Hintergrundgeräusche war Boer jedoch sehr zufrieden, wie weit seine Simulation mit der Realität übereinstimmte. Die Töne der Orangs, die sich den Mund mit der Hand bedeckten, klangen nicht nur tiefer, sie brachten es auch fertig, die tiefen Obertöne, die sie größer erscheinen ließen, zu erweitern.

Boer ist begeistert, freut sich Knight mit dem Forscher, weil dies ein erster Hinweis dafür sein könnte, wie ein Orang lernt, seine Stimme zu modifizieren, was eine entscheidende Bedingung für den Spracherwerb ist. "Orangs sind sich vielleicht darüber im Klaren, dass sie ihre Stimme beeinflussen können" sagt er, "was ein wichtiger Schritt hin zur Sprache ist."

Soweit die neueste Forschung. Bleibt offen, ob die jungen Orangs ein genetisch mitgegebenes Potential einüben oder diese Methode von einem von ihnen erstmals erfunden wurde. Und doch: Ja, man könnte vielleicht sogar so weit gehen, die Beobachtungen dahingehend zu interpretieren, dass hier von einem erstem Umgang mit einem Toninstrument, gebildet durch die eigene Hand, die Rede sein kann.