Wie Antisemiten heute reden

(hpd) Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz legen eine Auswertung von über zehntausend Einsendungen an die Israelische Botschaft und den Zentralrat der Juden vor. Dabei gelingt es ihrer qualitativen Studie, durch eine Kombination historischer, linguistischer und politologischer Methoden einen tiefen Einblick in die Manifestation des Verbal-Antisemitismus der Gegenwart zu geben.

Tagtäglich erhält die Israelische Botschaft in Berlin und der Zentralrat der Juden in Deutschland eine Fülle von Briefen und E-Mails, die mal mehr, mal weniger deutliche judenfeindliche Kommentare enthalten.

Was für die Empfänger ein Ärgernis ist, ist für die Forschung ein Glücksfall – so könnte man aus einer rein erkenntnisbezogenen Perspektive heraus formulieren. Denn die Einsendungen dokumentieren die Auffassungen des Antisemitismus der Gegenwart, welche von Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reingharz in ihrer Studie "Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert" untersucht wurden. Die Materialbasis dafür lieferten über 14.000 Einsendungen, die zwischen 2002 und 2012 an die beiden genannten Institutionen geschickt wurden. Die beiden Autoren nahmen eine textwissenschaftliche Analyse dieser Korpusdaten vor, um auf die "verbalen Charakteristika des antisemitischen Sprachgebrauchs sowie die ihnen zugrundeliegenden geistigen Kategorisierungs- und Bewertungsstrukturen" (S. 4) zu schließen.

Damit plädieren sie für eine Methodenerweiterung der bisherigen Antisemitismusforschung um bestimmte Aspekte der Sprach- und Textanalyse, wovon auch die besonderen Ausführungen zum Kontext von Judenfeindschaft und Sprache zeugen.

Vor der einschlägigen Betrachtung und Einschätzung des erwähnten Materials machen Schwarz-Friesel und Reinharz aber mittels eines Rückblicks auf die ideengeschichtliche Entwicklung des Antisemitismus noch einmal die inhaltlich vielfältigen Artikulationsweisen der Judenfeindschaft deutlich. Erst danach veranschaulichen sie anhand einer Fülle von Beispielen die aktuellen Stereotyp-Verbalisierungen von mitunter jahrhundertealten Vorurteilen. Besondere Aufmerksamkeit findet nach Ausführungen zu den Versatzstücken der NS-Sprache im judenfeindlichen Gegenwartsdiskurs dann noch der "Anti-Israelismus" als moderne Formvariante des Verbal-Antisemitismus, wobei differenziert zwischen "Anti-Israelismus" und "Israel-Kritik" als verschiedenen Sprachhandlungen unterschieden wird.

Und schließlich nehmen die Autoren noch die besondere emotionale Basis der modernen Judenfeindschaft, aber auch Argumentationsmuster und Rechtfertigungsstrategien als auch Handlungen der verbalen Gewalt ins Visier.

Bilanzierend heißt es: "Die E-mails und Briefe lesen sich mehrheitlich wie Abschriften mit geringfügigen Variationen zu einer gemeinsamen Vorlage, Inhalte und sprachliche Formen sind oft nahezu austauschbar. Es wird erkennbar, wie stark und überindividuell zum einen die judeophoben Stereotype mental präsent und einflussreich sind, zum anderen, wie der antisemitische Sprachgebrauch im 21.Jahrhundert vom Bewusstsein der Katastrophe des Holocaust geprägt ist."

Derartige Auffassungen artikulierten indessen nicht nur Personen von den politischen oder sozialen Rändern der Gesellschaft, denn: Es zeigten sich bei der Auswertung der Einsendungen auch "bei gebildeten Antisemiten aus der Mitte der Gesellschaft die für das gesamte Phänomen des Antisemitismus charakteristische obsessive Komponente" (S. 397).

Schwarz-Friesel und Reinharz legen mit ihrer Studie gleich in mehrfacher Hinsicht eine bedeutsame Forschungsleistung vor: Erstmals wurden die erwähnten Einsendungen in systematischer Weise ausgewertet, womit die Selbstartikulation der Antisemiten und nicht die Vorgaben von Sozialforschern zum Untersuchungsgegenstand wurden. Darüber hinaus wählten die Autoren einen interdisziplinären Ansatz, historische, linguistische und politologische Perspektiven bereicherten sich jeweils gegenseitig. Die Besonderheiten des sprachlich kodierten Antisemitismus fanden hier im Unterschied zu vielen Studien der bisherigen Forschung zum Thema besondere Aufmerksamkeit. Aussagen zur gesellschaftlichen Akzeptanz der judenfeindlichen Ressentiments können daraus indessen nur bedingt abgeleitet werden, handelt es sich doch um eine qualitative und nicht um eine quantitative Studie. Zur politischen Einteilung der Einsender werden zwar Daten genannt, die Orientierung spielt aber für die spätere Untersuchung leider nur eine untergeordnete Rolle.

 


Monika Schwarz-Friesel/Jehuda Reinharz, Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert, Berlin, 2013 (De Gruyter), 444 S., 79,95 €