An Weihnachten feiert die Christenheit weltweit das Fest der Geburt des Erlösers Jesus Christus, und zwar das eigentliche kirchliche Fest am 25. Dezember bzw. in der Nacht zum 25. Dezember, in den orthodoxen Kirchen jedoch am 6. Januar. An diesem Tag (Epiphanie: Erscheinung des Herrn) wurde das Geburtsfest Jesu ursprünglich allgemein gefeiert. Das Wort Weihnachten ist vorchristlichen Ursprungs und bezeichnet die geweihten Nächte um die Wintersonnenwende.
Wenn bei all dem Unglauben, der in Europa heute vorherrscht, das christlich überzuckerte Weihnachts- und Familienfest mit seiner immer durchschimmernden Sehnsucht nach Frieden, Harmonie und innerer Freude zu einem einmalig hohen Kirchenbesuch im Jahreszyklus führt, so ist das ein Beweis für seelische Bedürfnisse. Das ändert nichts daran, dass die Weihnachtsgeschichte den meisten Menschen als Legende erscheint. Wenn dennoch Kirchenoffizielle nicht ohne Weiteres von Legende sprechen, sondern so tun, als handele es sich zumindest im Kern um wahre Begebenheiten, stärkt das nicht ihre Glaubwürdigkeit.
Historische Aspekte
Es gibt keinen auch nur halbwegs ernsthaften Anhaltspunkt für ein Datum von Jesu Geburt, obwohl man schon seit frühchristlicher Zeit vielfältige Datierungsversuche unternommen hat. Belegt ist, dass Jesu Geburt spätestens seit dem Jahr 336 unserer Zeitrechnung am 25. Dezember gefeiert wurde. Ab 274 wurde gemäß Verfügung Kaiser Aurelians im Zug eines neuen Staatskults der 25. Dezember als Geburtstag des Sonnen- und Reichsgottes "Sol Invictus" gefeiert. Darin zeigte sich eine Tendenz zur Theokratie.
Schon zuvor hatten die Anhänger des Mithraskultes an diesem Tag den Geburtstag ihres Gottes Mithras gefeiert. Diesen ursprünglich persischen Gott haben später die Griechen mit ihrem Sonnengott Helios identifiziert. Die Römer importierten ihn im 1. Jh. Daher zeigen römische Darstellungen Mithras nicht mehr nur als Stiertöter, sondern auch als Lenker des Sonnenwagens. Mit der Feier von Christi Geburtstag am 25. Dezember konnte man den Sieg der "wahren Sonne" über den heidnischen Kult begehen. Weihnachten als Menschwerdung Gottes eignete sich auch zur Abwehr der arianischen "Häresie", die Jesu Göttlichkeit ablehnte. Erstmals war die Feier der Geburt Jesu im 2. Jh. in Ägypten aufgekommen und auf den 6. Januar gelegt worden, der als Geburtstag des Gottes Osiris gegolten hatte. In Deutschland setzte sich das christliche Weihnachtsfest im 7. und 8. Jh. durch.
Biblische Fragen
Das älteste der Evangelien, das Markusevangelium, sowie das Johannesevangelium kennen keine Weihnachtsgeschichte. Die Evangelien von Matthäus (Mt) und Lukas (Lk), 50–60 Jahre nach Jesu Tod verfasst, tragen in der Weihnachtserzählung jeweils deutliche Anzeichen einer Wundergeschichte. Überhaupt zeigen Mt und Lk, entstehungsgeschichtlich in dieser Reihenfolge, das zunehmende Bestreben, Jesus zu überhöhen und zu vergöttlichen, eine Tendenz, die im Johannesevangelium gipfelte. Das war ohne den Auferstehungsglauben nicht sinnvoll. Denn: "Wurde Christus nicht auferweckt, so ist Euer Glaube nichtig", sagt Paulus, der älteste Schriftsteller des Neuen Testaments (1 Kor 15,17). Ohne Auferstehung hängen die ganzen Geschichten von Engelverkündigung, Jungfrauengeburt usw. in der Luft, sie sind überflüssig. Paulus erwähnt nirgendwo eine jungfräuliche Geburt.
Die jungfräuliche Geburt, damals in religiösen Erzählungen nicht Ungewöhnliches, ist für das Neue Testament wichtig. Viele antike Göttinnen waren Jungfrauen (etwa Artemis, Athene, Nike, Nemesis). Sündlose Erlöser mussten übernatürlicher Herkunft sein. Wie die Juden glaubten aber auch die ursprünglichen Judenchristen nicht an eine jungfräuliche Geburt. Das Christentum als Erlöserreligion bedurfte der Jungfrauengeburt, denn auch in den außerjüdischen Religionen waren es Jungfrauen, die göttliche Erlöser gebaren. Da man die Jungfrauengeburt längst nicht mehr als physische Realität verkaufen kann, hüllen Theologen die Jungfrauengeburt "in wohldosierte Metaphernnebel". Das zeigt, dass der Glaube daran und die entsprechende Behauptung vom Unglauben "angenagt" sind (Christoph Türcke). Der weltweit ersten katholischen Theologieprofessorin Uta Ranke-Heinemann wurde aber, weil sie die Jungfrauengeburt klar ablehnte, 1987 die Lehrbefugnis entzogen. Die geistlichen Herren können dennoch, so Türcke, die Jungfrauengeburt nicht fallen lassen, denn sie wissen: "Wenn die Jungfrauengeburt Metapher ist, dann ist das ganze Heilswerk Christi Metapher, und das Dogma sinkt in sich zusammen. Wer also das Dogma in der modernen Welt aufrechterhalten will, ist zum Lavieren verdammt."
Einige neutestamentliche Einzelheiten: Die beiden Geburtslegenden weichen erheblich voneinander ab. Die Volkszählung des Kaisers Augustus, von der nur in der bekannten Erzählung bei Lukas die Rede ist, hat es nicht gegeben. Zwar fanden in den Provinzen nach Bedarf Volkszählungen aus Steuergründen statt. Aber die Steuererklärungen mussten am Wohnort bzw. am Ort des Grundbesitzes abgegeben werden. Ein Befehl, die Geburtsorte aufzusuchen, wäre steuer- und staatspolitisch unsinnig gewesen. Noch zur Regierungszeit des Königs Herodes (so aber Mt 2) gab es überhaupt keine Volkszählung. Auch eine reichsweite Schätzung unter Augustus hat es nicht gegeben. Für eine Geburt Jesu in Bethlehem fehlen jegliche rationale Anhaltspunkte. Von einem herodianischen Kindermord (so Mt 2,16 ff.) kann historisch keine Rede sein, und von seiner Existenz wollen heutige Theologen auch kaum noch etwas wissen. Der Stern von Bethlehem, Engel und Magier: Das sind Fiktionen einer wundergläubigen Zeit, mit denen die Bedeutung Jesu als Messias betont werden sollte. Dem diente auch die Ortswahl Bethlehem als der "Stadt Davids" (aus der nach verbreiteter Meinung der Messias kommen sollte) und der Stammbaum Jesu in Mt 1, wonach Jesus von Abraham und König David abstammt. Die Abstammung wird dabei ausschließlich durch die Männer vermittelt. Merkwürdigerweise soll Josef als Mann der Maria zwar davidischer Abkunft sein, konnte diese aber als Nicht-Vater (göttliche Zeugung!) gar nicht an Jesus weitergeben. Dass Lukas die Maria nur als Josefs Verlobte ausgibt, passt nicht zur behaupteten Reise nach Bethlehem. Denn nur als Ehefrau hätte sie mitreisen dürfen. Als Verlobte hätte sie noch zur Familie ihres Vaters gehört. Die Erzählung von den Hirten auf dem Felde belegt zwar nicht direkt die göttliche Herkunft, passt aber zu dem schon etablierten Glauben an einen Erlösergott, der sich zu den Menschen herabgelassen und sich so erniedrigt hat. Auch nahmen Hirten in orientalischen und griechischen Sagen (im Gegensatz zum Judentum) eine herausgehobene, gottgefällige Stellung ein.
Dass die Geburtserzählungen vollkommen legendär sind, ergibt sich auch aus dem Vergleich mit anderen Erzählungen. Geburtserzählungen mit Kindswindeln, Jungfrauengeburt, Hirten, himmlischen Heeren waren z. T. sogar in der Wortwahl aus dem Mithras- und Dionysos-Kult und anderen bekannt und der vorchristlichen Welt recht vertraut. Die Jungfrauengeburt war ein religionsgeschichtlich weit verbreitetes Motiv, auch die Ankündigung durch Engel und auch der Kindermord.
Bräuche
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Weihnachtsbäume, Geschenke, Mistelzweige, Kerzen, Lieder usw. ursprünglich sämtlich heidnisch waren (z. B. Julfeiern, Saturnalien). Aus diesem Grund versuchten im 17. Jh. in Massachusetts Puritaner sogar, das Weihnachtsfest abzuschaffen. Im Mittelalter wurde das Weihnachtsfest teilweise aufwendig begangen, besonders üppig in England. Der Weihnachtsbaum, ein besonders wichtiges Symbol des Weihnachtsfests, ist deutschen Ursprungs. Der schon vorchristliche Brauch, Tannenzweige zu schmücken, wurde im 19. Jh. zum christlichen Weihnachtsbaum. Die Übernahme dieses Brauchs durch die englische Königsfamilie führte zu einem weltweiten Trend. Auch Weihnachtsmärkte, Adventskränze und Holzspielzeug kamen zuerst in Deutschland auf.
Literaturhinweis:
Ranke-Heinemann, Ute: Nein und Amen. Anleitung zum Glaubenszweifel. Hamburg 1992. Als ergänzte TB-Ausgabe (Knaur) 2002 mit dem Untertitel "Mein Abschied vom traditionellen Christentum" [insb. die ersten drei Kapitel].
Türcke, Christoph: Kassensturz. Zur Lage der Theologie. Frankfurt 1992 (Fischer-TB); als Broschur zuletzt zu Klampen 2011 [Kapitel zur Jungfrauengeburt].






