Einordnung

Der neue Ton alter Ideen

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Maximilian Krah auf einer Wahlkampfveranstaltung in Nordhausen (September 2023)
Maximilian Krah

Die AfD streicht Begriffe wie "Remigration" und "Deutsche Leitkultur" aus ihrem neuen Grundsatzpapier – ein Schritt in Richtung Mäßigung oder nur ein taktisches Manöver? Maximilian Krahs Konzept des "organischen Staates" wirft Fragen auf: Ist das pluralistische Realität oder ethnische Segregation im neuen Gewand?

Die AfD arbeitet an einem neuen Grundsatzpapier, in dem die Worte "Deutsche Leitkultur" und "Remigration" nicht mehr auftauchen sollen. Zuvor hieß es noch: "Remigration fördern, um Wohnraum für Einheimische zu schaffen" und "Deutsche Leitkultur statt Multikulti". Man könnte diese Entscheidung so interpretieren, dass sich die Partei damit auf einen Pfad der Mäßigung begibt, um einem Verbot zu entgehen. Was man wiederum so interpretieren könnte, dass man in der Partei das Streitgespräch zwischen Götz Kubitschek und Maximilian Krah aufmerksam verfolgt und sich der Position Krahs angeschlossen hat.

All das ist keineswegs sicher, aber wenn es so wäre, dann sollte man die Position Krahs nochmals unter die Lupe nehmen und sich fragen, ob sie denn wirklich so viel weniger radikal ist als die Position Kubitscheks? Zwar hatte Krah im Gespräch gesagt, dass man das Urteil des OVG Münster annehmen müsse und deshalb drei Punkte als Maßstab gelten sollten: "Gleichheit der Staatsbürger, Religionsfreiheit auch für Muslime und keine allgemeine und umfassende Staatsfeindlichkeit im Sinne eines Libertären." Womit man, so Krah, "leben könne". Wie aber stellt sich Krah darüber hinaus das Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen vor?

In dem Gespräch mit Kubitschek sagt er klipp und klar, dass er auch weiterhin möchte, dass "das deutsche ethnische Volk mit seinen kulturellen Eigenheiten bestehen bleibt". Eine Assimilation, so Krah, wolle er nicht, da die sich Assimilierenden ja auch immer etwas Eigenes mitbrächten. Eine Durchmischung ist für ihn deshalb nicht erstrebenswert. Er warnte dann nochmals in einem Tweet vom 3. Juni vor Durchmischung, in dem er sich auf den Vorschlag der Bildungsministerin Karin Prien bezog, die eine Migrantenquote in Schulen gefordert hatte.

Er sei bereit zu "akzeptieren [, dass] es unterhalb der deutschen Staatsbürgerschaft verschiedene ethnische Gruppen gibt”, aber man müsse "darauf hinwirken, dass diese Communities unter sich bleiben”, so Krah im Gespräch mit Kubitschek. Explizit schwebt ihm das Konzept des "organischen Staates" vor, wie es Edgar Julius Jung, ein Antidemokrat und Republikfeind der Weimarer Zeit, entwickelt hat, den er an dieser Stelle auch explizit benennt. Voneinander getrennte Gemeinschaften, die eine gewisse Selbstorganisation und Selbstverwaltung erhalten, wie sie auch in den Vielvölkerreichen des ausgehenden 19. Jahrhunderts existierten. Dazu sei aber eine Identitätsebene zwischen dem Staat und dem Einzelnen notwendig.

Das klingt nach einer Mischung aus dem osmanischen Millet-System, bei dem nicht-muslimische Religionsgemeinschaften zwar Anspruch auf den Schutz des Sultans hatten, aber Bürger zweiter Klasse waren, wofür sie am Ende auch noch eine Sondersteuer, die "Dschizya", zu entrichten hatten, und dem südafrikanischen Apartheid-Regime der staatlichen Rassentrennung. Letzteres kannte nach Rassengruppen getrennte Parkanlagen, Badestrände und Schwimmbäder, separate Abteile in öffentlichen Verkehrsmitteln oder eigene Schulen.

Gegen die Lesart seiner Vorstellungen als staatliche Segregation verwehrte sich Krah jedoch in einem Tweet vom 30. Juni. Bereits zwei Tage zuvor hatte er einen längeren Artikel auf X veröffentlicht, in dem er sein Konzept ebenfalls zu erläutern suchte. Darin hielt er fest, dass eine "ethnische Komposition der Bevölkerung von vor 1970" nicht wiederherzustellen sei, auch wenn man dies wünsche. Staatlichen Druck hält er aber auch nicht für nötig, da sich die Gesellschaft ohne diesen sowieso "in heterogene Teilgruppen ausdifferenzieren" werde, so dass sich "verschiedenen Migrantengruppen […] je nach Herkunftsland und -ethnie an bestimmten Orten und Straßenzügen sammeln".

Frage nach dem eigentlichen Konzept

Betrachtet man die verschiedenen Aussagen zusammen, so ergibt sich ein unklares Bild. Denn wenn es keinen staatlichen Zwang geben soll, wenn der Staat keine Segregation oder Ähnliches forcieren sollte, dann stellt sich die Frage, was eigentlich "Krahs Konzept" überhaupt sein soll. Dann klingt es schlicht nach der heutigen Realität, in der Menschen hinziehen, wo sie eben hinziehen, so dass sich zwar einerseits schon Gegenden herausbilden, wo sich gewisse Minderheiten sammeln, einfach weil es dort eine entsprechende Heimatgemeinde und eventuell Infrastruktur in Form von Läden und ähnlichem gibt, es andererseits aber eben auch jedermann frei steht als Mitglied einer Minderheit eben nicht in eine solche Gegend zu ziehen, beziehungsweise als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft in einer solchen Gegend zu wohnen, so man sich von so einer Atmosphäre angezogen fühlt. Genau das ist die heutige Realität einer pluralistischen, multikulturellen Gesellschaft in eigentlich allen deutschen Großstädten.

Was aber soll dann diese "Identitätsebene zwischen dem Staat und dem Einzelnen" sein? Ohne staatlichen Zwang und Steuerung scheint es für diese Ebene schlicht keine Funktion zu geben und mit Zwang und Steuerung dürfte sie verfassungswidrig sein. Etwas dem Millet-System oder dem Apartheid-Regime auch nur ansatzweise Vergleichbares gibt das Grundgesetz nicht her und wenn es so etwas nicht sein soll, weil Krah auf dem Boden des Grundgesetz bleiben möchte, um einem Parteiverbot zu entgehen, so landet er bei der modernen pluralistischen Gesellschaft unter Bedingungen der globalen Mobilität, in der wir heute leben. Diese will er nach eigenem Bekunden aber auch nicht haben.

Eigentlich hat Krah es ja erkannt: die Gleichheit der Staatsbürger ist der normative Kern des modernen Staates (oder "der Gründungsmythos", wie Krah sagt) und den wird dieser Staat nicht aufgeben. Der Richtungsstreit in der AfD und der Neuen Rechten wird also weitergehen und es wird sich zeigen müssen, ob die AfD lediglich Kreide gefressen hat und sich harmloser geben möchte, als sie ist, oder ob wirklich nachhaltig ein Kurs eingeschlagen wird, der die Partei wegführt von dem völkischen Gedankengut, das sie auf Kollisionskurs mit dem Grundgesetz gebracht hat.

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