BERLIN. (hpd) Die aktuellen Enthüllungen um Edward Snowdens Enthüllungen über die NSA und den britischen Geheimdienst GCHQ haben noch immer nicht alle Menschen erreicht. Allerdings gingen am Sonnabend geschätzte 14.000 auf die Berliner Strasse, um gegen Überwachung, Spionage und für die Freiheit zu protestieren.
Während die Polizei vor Ort von etwa 4.600 Demonstranten sprach, gab der Veranstalter die Zahl von 20.000 an. Die Angaben der Polizei übernahm keines der Medien, die über die Demo berichteten; doch auch deren Zahlen schwanken zwischen zehn- und zwanzigtausend. Doch selbst den beiden großen Nachrichtensendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ARD und ZDF, war die Demo in den Zentralen Nachrichten eine Meldung wert.
Das zeigt, dass dieses Thema keines ist, dass nur eine Minderheit der Menschen in Deutschland interessieren sollte. Auch wenn sich vielleicht nicht alle 80 Millionen Deutsche durch die Demonstranten vertreten sehen - wie es Pandeluun in seiner Rede formulierte -, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches und nicht nur um ein von Parteienkalkül getragenes Thema handelt, zeigte die Breite des Bündnisses, das in diesem Jahr zu der Demonstration aufgerufen hat.
Darunter waren der Chaos Computer Club (CCC), der AK Vorratsdatenspeicherung, Attac, Campact, die Piratenpartei, die Grünen und die LINKEN, die jungen Liberalen und die AIDS-Hilfe Deutschland; der Bundesverband der Verbraucherzentralen, Ärzte, die gegen die Einführung der Gesundheitskarte protestieren, Amnesty International, die Gewerkschaft ver.di und viele andere mehr. Und - natürlich - der Verein "Digitalcourage" (ehem. Foebud), in deren Händen auch in diesem Jahr die Vorbereitung der Demo lag.
Auffällig viele Nicht-Mehr-Ganz-So-Junge waren dieses mal dabei. Die Angst vor einer lückenlose Überwachung hat offenbar nicht nur die "Generation Internet" erfasst. Ebenso auffällig (und erstaunlich) allerdings war, dass sich aus den vermutlich am meisten Betroffenen Gruppen niemand an der Kundgebung und Demo beteiligte: Unternehmen, deren Daten ebenfalls ausgespäht werden und die das größte Interesse daran haben sollten, dieser Industriespionage den Riegel vorzuschieben.
Jacob Appelbaum, ein bekannter Internet-Aktivist aus den USA, wurde bejubelt, als er in seiner Rede davon sprach, dass Deutschland das am stärksten überwachte Land der Welt ist und Vorreiter des Datenschutzes. Appelbaum lief bei den Demonstranten offene Türen ein, als er den Schutz des Whistleblowers Edward Snowden, dessen Konterfei allgegenwärtig in der Masse war, forderte. Auch an Chelsea Manning wurde erinnert.
Wie immer bei solchen Gelegenheiten zeigten sich die Demonstranten auf ihren Transparenten und Plakaten kreativ. Regelrecht vorgeführt wurde Kanzerlamtsminister Pofalla, der die NSA-Affaire öffentlich "für erledigt" erklärt hat. Als Pappkamerad zog er im Demonstrationszug mit und erklärte auch diesen permanent "für beendet".
Christopher Bautz von Campact warf der Bundesregierung vor, trotz all der Enthüllungen noch immer so zu tun, als wäre nichts passiert und forderte zum zivilen Widerstand auf: "Wir brauchen nicht einen Edward Snowden wir brauchen viele Edward Snowdens." Die Freiheit müsse nicht am Hindukusch verteidigt werden: "Die Freiheit müssen wir alle gemeinsam hier verteidigen. Gegen die Schlapphüte von Pullach und Berlin."
In Ihrer bereits als Video vorliegenden Rede sagte Anne Roth: "Wir lesen jeden Tag von neuen Leaks und fast jedes davon reicht für einen handfesten Skandal. Der Job der Bundesregierung wäre eigentlich, dafür zu sorgen, dass die Grundrechte geschützt werden. Eigentlich müsste jedes Mal, wenn der Innenminister erklärt, das sei alles ganz normal, jemand aufstehen und ihn anschreien, dass ihm das niemand glaubt. - Der Kaiser ist nackt." Den Tag der ersten einschlägigen Veröffentlichung, den 6. Juni 2013, bezeichnete sie als einschneidendes Datum; so wichtig für die Welt wie der 11. September.
Parker Higgins von der Electronic Frontier Foundation forderte die "Rückeroberung des Netzwerkes" Denn das Internet sei lange eine Kraft für Frieden, Verständigung und Kooperation gewesen. Die Geheimdienste, allen voran NSA, GCHQ und auch der deutsche BND zerstören bewusst das Vertrauen in diese Kommunikationsstruktur.
Der Redner der "Reporter ohne Grenzen", Michael Rediske, mahnte an, dass westliche Demokratien, in denen die Bürger "hemmungslos überwacht" würden, gegenüber Diktaturen nicht länger glaubwürdig für Kontrolle und Gewaltenteilung eintreten können.
Katharina Nocun, politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, trat in einem Brautkleid auf. "Ja, ich will! Freiheit statt Angst" war auf ihrem Plakat zu lesen. "Der heutige Tag ist ein starkes Zeichen in Richtung Regierungskoalition und parlamentarische Opposition: Dieser Skandal kann nicht ausgesessen werden! Wir brauchen eine fundamentale Kehrtwende in der Politik der inneren Sicherheit, sonst laufen wir Gefahr, unsere Demokratie zu verlieren. Denn dieses Fundament eines globalen Überwachungsstaaten-Verbundes greift die Grundwerte unserer offenen Gesellschaft an" sagte sie im Anschluss an die Kundgebung. Die Piratenpartei zeigten kurz vor der Bundestagswahl kräftig Flagge; berührt doch das Thema des Tages sie in ihrer Kernkompetenz.
Auch wenn vielleicht nicht ganz so viele Menschen an der Demonstration teilgenommen haben, wie es sich die Veranstalter wünschten: von Berlins Alexanderplatz ging am Samstag ein deutliches Signal aus in Richtung Regierungsviertel, dass es allerhöchste Zeit ist, den Bürgern die Wahrheit über die Spionageaffaire zu sagen und lückenlos aufzuklären.
F.N.
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