Weichenstellungen stehen bevor

Wird Sterbehilfe strafbar?

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Haltende Hände
Haltende Hände, Maik Meid, Flikr CC BY-ND 2.0

BERLIN. (hpd) Die parlamentarische Sommerpause in Berlin ist vorbei. In Kürze werden entscheidende Weichenstellungen vorgenommen: Soll Sterbehilfe in Deutschland zur Straftat erklärt, kriminalisiert werden oder bleibt es dabei, dass (passive) Sterbehilfe straflos ist.

In den nächsten Wochen werden die Bundestagsabgeordneten erörtern, welche Anträge zur Sterbehilfe für das Gesetzgebungsverfahren vorbereitet werden. Nach dem von den Koalitionsfraktionen verabredeten Parlamentsfahrplan sollen Gruppenanträge – quer durch alle Fraktionen – bereits Anfang 2015 für eine 1. Lesung im Bundestag vorliegen. Was den Inhalt dieser Anträge angeht, sind bislang nur vage Richtungen erkennbar. Allerdings sieht es bereits jetzt – nach entsprechenden Äußerungen verschiedener PolitikerInnen - danach aus, dass die Gröhe-Initiative für eine vollständige Kriminalisierung jeglicher organisierter Sterbehilfe kaum noch mit einer Mehrheit rechnen kann.

Voraussichtlich bis zu fünf Gesetzesvorschläge zur Sterbehilfe

Unklar ist derzeit aber noch, welche Gruppenanträge tatsächlich in den nächsten drei Monaten vorbereitet werden. Von möglicherweise fünf Gruppenanträgen hat der Berliner Tagesspiegel vor wenigen Tagen berichtet. Diese werden voraussichtlich die gesamte Bandbreite möglicher Regelungen zwischen einem vollständigen strafrechtlichen Verbot jeglicher organisierter Sterbehilfe (einschließlich des ärztlichen attestierten Suizids) und der Beibehaltung des jetzigen Zustandes (einer vollständigen Straflosigkeit jeglicher Beihilfe zur Selbsttötung) umfassen.

Die dazwischen liegenden Anträge werden in unterschiedlicher Weise die Beihilfe von Verwandten und engen Angehörigen sowie von Ärzten (bei Einhaltung bestimmter Prozeduren) bei grundsätzlicher Begründung einer Beihilfestrafbarkeit regeln wollen. Dabei deuten sich jedenfalls Mehrheiten für eine ausdrückliche Straflosstellung des ärztlich assistierten Suizids an.

Ärztekammerchef mit Stammtischparolen: Keine “Todesengel”

Angesichts dieser Entwicklungen hat Ärztekammerpräsident Ulrich Montgomery ein weiteres Mal seine ablehnende Haltung zu einem ärztlichen attestierten Suizid formuliert. Er muss aktuell erleben, dass seine Position “Keinerlei Sterbehilfe durch Ärzte”, für die er seit Jahren vehement streitet, durch die Gröhe-Initiative zunichte gemacht werden könnte. Ausgerechnet Gröhe als Geburtshelfer für die ausdrückliche Erklärung des Gesetzgebers: “Ärztlich assistierter Suizid ist nicht strafbar”?

Verbandspräsident Montgomery geht nun mit Stammtischparolen aufs Ganze, wenn er formuliert: “Wir müssen der gewerbsmäßigen organisierten Sterbehilfe und den nur scheinbar altruistischen Sterbehilfevereinen das Handwerk legen. In unserer Gesellschaft darf kein Platz sein für die Todesengel, die Giftcocktails reichen und damit Geschäfte machen wollen.”

Bloße Unterstellungen und Beschimpfungen anstelle von Fakten - denn wo eigentlich in Deutschland gibt es derartige geschäftemachende “Todesengel”? Sollen die Befürworter einer Strafbarmachung von Sterbehilfe doch einmal Zahlen, Fakten und Namen nennen. Da kommt jedoch nichts, woher auch?

Geht es wirklich nur um die Ablehnung von Geschäftemacherei?

Ginge es wirklich nur um die Unterbindung von Geschäftemacherei mit dem Sterben und dem Tod – das Problem wäre ohne großen Aufwand schnell gelöst. Ein Blick über die Grenzen würde helfen.

Die Schweiz hat in Artikel 115 Strafgesetzbuch geregelt, dass sich strafbar macht, wer aus “selbstsüchtigen Beweggründen” Beihilfe zu einer Selbsttötung leistet. “Selbstsüchtig” meint die Erzielung eines persönlichen Vorteils, eines Gewinnes. Ohne Gewinnerzielungsabsicht ist Beihilfe, auch organisierte und ärztliche, in der Schweiz straflos.

Aber die Gröhe-Unterstützer schlagen eine solche Regelung keineswegs vor. Allein dies zeigt, dass es ihnen, wie auch Montgomery, nicht um eine Bekämpfung des “Geschäfts mit dem Sterben”, sondern um die grundsätzliche Ablehnung jeglicher Sterbehilfe geht. Hans Küng, katholischer “Abweichler”, zitiert in seinem soeben veröffentlichten Buch “Glücklich Sterben?” zustimmend den Tübinger Arzt und Philosophen Urban Wiesing: “Die Stimmen gegen jegliche Form organisierter Sterbehilfe speisen sich vor allem aus der Ablehnung des Suizids an sich.” Dies ist die wirkliche Position vieler Hilfeverweigerer: wer moralisch verwerflich an sich selbst handelt, darf keine Hilfe erwarten!

Welches Berufsethos Ärzte haben sollen

So wie Montgomery formuliert jemand, wer sich in der Sache selbst nicht auseinandersetzen will oder kann, sondern lediglich Propaganda machen will. Montgomery’s ständig wiederkehrende Äußerung “Das Berufsethos verpflichtet den Arzt, Hilfe zum Leben leisten, nicht Hilfe zum Sterben” steht nicht nur der Auffassung vieler MedizinerInnen entgegen, die auch im Sterbeprozess die Selbstbestimmung des Menschen für achtenswert halten, sondern mutet Sterbenden ein unmenschliches Lebensende zu.

“Grundnorm für ärztliches Handeln sollte sein: fürsorgende Menschlichkeit – bis hinein ins Sterben”, diese Auffassung von Hans Küng ist gewiss nicht die des Verbandspräsidenten. Der Mediziner Hanjo Lehmann (Gründer der AG Ärztliche Sterbehilfe) lehnt die Position Montgomery’s ab und kritisiert die Bundesärztekammer dafür, dass sie es ablehnt, “Ärzte nach ihrem Gewissen entscheiden zu lassen.” Er sagt: “Die Argumente dafür sind philosophisch beschämend und juristisch substanzlos; also werden wie bei der Abtreibung Zeit und Vernunft über sie hinweggehen.”
Er geht davon aus, dass aus dem Gesetzgebungsprozess auf jeden Fall eine gesetzlich gebilligte Schlüsselstellung von Ärzten hinsichtlich des assistierten Suizides hervorgehen wird.

Eine klare Position für Selbstbestimmung am Ende des Lebens

Die weitestgehende Gegenposition zur Gröhe-Initiative vertritt die frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast. Sie fordert, der Gesetzgeber sollte “der Versuchung widerstehen durch strafrechtliche Verbote” in die Frage der Beendigung des eigenen Lebens, einer höchstpersönlichen Angelegenheit, einzugreifen. Künast verlangt, dass gemeinnützige Sterbehilfevereine in Deutschland erlaubt sein sollten: “Und das säkulare Deutschland sollte sich fragen wo es denn tatsächlichen Regelungsbedarf gibt.”

Sie plädiert “für eine Regelung, die die Nichtstrafbarkeit der Beihilfe beibehält, allerdings klarstellt, dass kein Kapital aus der Beratung geschlagen darf und die unabänderliche Beratungsfristen sowie eine klare Dokumentation der Abläufe vorsieht.” Für die grüne Bundestagsabgeordnete erstreckt sich das Selbstbestimmungsrecht und die Würde des Menschen auch auf ein Sterben in Würde und auf das Recht des betroffenen Menschen, “sich gegen einen für sie qualvollen und würdelosen Tod zu entscheiden.” Es müsse, so Kühnast, umfangreiche ergebnisoffene Beratung und Unterstützung ermöglicht werden, damit am Ende des Lebens eine tatsächlich wohlüberlegte Entscheidung stehen kann.

Wovon sollen sich die Abgeordneten leiten lassen?

Renate Kühnast appelliert an die Bundestagsabgeordneten: “Die aktuelle Debatte um die organisierte Beihilfe zum Freitod stellt die Mitglieder des Bundestages vor eine große Herausforderung. Nämlich zu unterscheiden, zwischen ihren eigenen (vielleicht religiösen) Wertvorstellungen, dem Recht des Menschen selbst straffrei über das Ende des eigenen Lebens zu entscheiden und der Frage, welche Handlung der Beihilfe die Gesellschaft mit dem scharfen Schwert des Strafgesetzbuches sanktionieren soll.”

Wie viele Bundestagsabgeordnete ihr da wohl folgen werden? Wie viele werden stattdessen nur ihren eigenen ideologischen Zielvorgaben entsprechend votieren?

Mehrheitsmeinung der Bevölkerung zum Ausdruck bringen

Umfragen haben seit längerer Zeit ergeben, dass sich die Mehrheit der bundesrepublikanischen Bevölkerung auch für organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierten Suizid ausspricht.

Die Meinung dieser Mehrheit zur Sterbehilfe muss bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden – diese ethisch für die gesamte Gesellschaft grundsätzlich bedeutsame Frage darf nicht lediglich als eine interne Parlamentsangelegenheit behandelt werden und an den Menschen vorbei entschieden werden.