Uwe Lehnert verteidigt Pegida

Nachrichten aus dem Wolkenkuckucksheim

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"Pegida" in Dresden
"Pegida" in Dresden

WIEN. (hpd) Die Pegida-Demonstranten sind mehr oder weniger zu Recht besorgte Bürger, findet Uwe Lehnert in einem hpd-Kommentar. Ihren Forderungen müsse man nachgeben und schuld seien sowieso Medien und Politik. Die Thesen stammen aus einem Paralleluniversum, findet Christoph Baumgarten.

Gehen wir davon aus, Uwe Lehnert ist auf die Parolen der Pegida-Leute hereingefallen und hat seinen Kommentar für den hpd unter Zeitdruck geschrieben. Das würde zumindest einige der kolossalen Fehlleistungen und Falschbehauptungen erklären.

Sonst müsste man sich ernsthaft damit auseinandersetzen, wie ein unbestreitbar intelligenter und humanistisch engagierter Mensch dazu kommt, eine Analyse zu schreiben, die wie eine Mischung aus Rechtspopulisten-Bullshit-Bingo und Nachrichten aus dem Wolkenkuckucksheim anmutet.

Wie anders als mit Ignoranz oder geradezu fahrlässiger Uninformiertheit ist es zu erklären, dass er unwidersprochen Werner Patzelt mit der Feststellung zitiert, Pediga würde nicht von rechtsradikalen Kräften geführt?

Pegida-Chefs tief im identitären Sumpf

Wie Recherchen von Natascha Strobl, einer ausgewiesenen Expertin für die Neue Rechte und die Identitären ergeben, steckt Lutz Bachmann tief im identitären Sumpf. Lutz Bachmann ist nicht irgendwer: Er ist das Sprachrohr der gesamten Bewegung in Dresden, ja man kann ihn durchaus als ihren geistigen Urheber sehen.

Dieser Lutz Bachmann veröffentlicht Fotos, auf denen er T-Shirts trägt, die er nur vom rechtsextremen Online-Shop “Phalanx Europa” bezogen haben kann. Der Shop ist begehrte Anlaufstelle für die identitäre Bewegung. Und, Zufall aller Zufälle, wird der Shop betrieben von jemandem, der im Umfeld von Obernazi Gottfried Küssel unterwegs war.

Melanie Dittmer organisiert das Bonner Pendant der Pegida, die Bogida. Sie gilt als eine der aktivsten Personen der Identitären im Rheingebiet und dürfte vielfältige Verbindungen zum Rest der rechtsextremen Szene haben.

Mehr rechtsradikale Führung geht im gerade noch legalen Spektrum vermutlich gar nicht.

Wer mit Neonazis marschiert, hat nichts gegen sie einzuwenden

Es tummeln sich offensichtlich etliche Leute aus der identitären oder neurechten Bewegung allmontäglich in Dresen. Die fallen etwas weniger auf als die vier- bis fünfhundert Neonazis und sonstigen Stützen der Gesellschaft. Da sind sie.

Außerdem: Wie soll man eine Ansammlung von Menschen bezeichnen, die mehrere hundert Neonazis in ihren Reihen duldet? Als aufrechte Demokraten sicher nicht.

Die Leute haben offenbar kein Problem mit Neonazis. Sonst würden sie sie entweder vertreiben oder vom Platz weisen lassen. Oder nicht zu einer Demonstration gehen, auf der sich das Nazi-Gesindel herumtreibt.

Andere Maßstäbe als bei Demos im Gaza-Konflikt

Erinnert sich jemand an die Proteste gegen die israelische Regierung während des Gaza-Konflikts? Da hatten Leute wie Uwe Lehnert bedeutend weniger Probleme damit, die Teilnehmer der Demos mitverantwortlich zu machen für die offen antisemitischen Parolen, die dort geschrien wurden, bis hin zu Aufrufen zum Völkermord an Juden. Oder sie zu zumindest Duldern der Hamas zu machen, deren Fahnen auf diesen Demos zu sehen waren, zu mehr oder weniger naiven Unterstützern des Islamismus.

Mitgehangen, mitgefangen, lautete damals die Devise. Teile der Friedensbewegung und der Linken sahen sich damals mit Vorwürfen konfrontiert, sich instrumentalisieren zu lassen. In der Regel nicht zu Unrecht.

Nur, wenn die Demonstranten keine Linken sind und/oder Muslime, wird auf einmal vehement eine Unschuldvermutung gefordert, die bekannte Tatsachen schlicht ignoriert? Gelten zwei verschiedene Maßstäbe? Wenn die Instrumentalisierer Islamisten sind, ist das Abendland in Gefahr? Wenn es Rechtsradikale und/oder Neonazis sind, gilt: “Lieb Vater, magst ruhig sein”?

Wer aus Prinzip keine “Fremden” als Nachbar will, ist eben Rassist

Es wird auch nicht klar, wie Lehnert zu dem Schluss kommt, man müsse die Pegida-Demonstranten vor dem Vorwurf in Schutz nehmen, sie seien Rassisten und Nationalisten.

Die Leute sagen klar: Sie wollen keine “Fremden” als Nachbarn. Wer nicht deutsch ist, hat so fern zu bleiben, wie irgend geht. Wenn es sich nicht ganz verhindern lässt, akzeptiert man noch weiße (West-)Europäer in der Nachbarschaft. Bei allem anderen ist Schluss.

Wenn das kein Rassismus und kein Nationalismus ist, was ist es dann?

Die Neue Rechte verschlafen?

Es bedarf eines beträchtlichen Ausmaßes an Sophismus, um das zu leugnen. Etwa, indem man konstatiert, die Leute würden ja auf keinem biologischen Rassebegriff herumreiten. Das kann nur behaupten, wer bewusst ignoriert, wie rechtsextreme Kräfte über Jahrzehnte Begriffe weiterentwickelt und neu definiert haben.

Der neue Rassismus tritt heute nicht mehr als offener Rassismus zutage. Er verzichtet auf biologistische Begründungen. Er versteht sich als “Ethnopluralismus”. Alle Menschen sind gleich viel wert, so lange sie dort bleiben, wo sie hingehören. Ethnien seien nun mal unveränderlich kulturalistisch in ihrem Verhalten, ihren Gedanken und Wünschen determiniert. Vermischung bedeute Tod.

Genau das behaupten die Pegida-Anhänger. Meist in weniger gedrechselten Worten. Aber das tut nichts zur Sache. Genau das versucht Lehnert auch mit allerlei Geschwafel über Einwanderungs- und Asylpolitik zu rationalisieren.

Selbst wenn diese Sorgen nicht rassistisch motiviert wären, ernst nehmen müsste man sie noch lange nicht. Was hier auf der Straße steht, ist eine gut organisierte Minderheit. Eine salonfähige, die große Sympathien in der Mitte der Gesellschaft genießt. Aber nur eine Minderheit.

Angst vor 0,8 Prozent der Bevölkerung? Hysteriker.

Wie man etwa in Dresden von berechtigten Sorgen vor Einwanderung reden kann, zumal von “Islamisierung”, bleibt ein Rätsel. Alles in allem sind in Dresden irgendetwas zwischen fünf und sieben Prozent aller Einwohner keine gebürtigen Deutschen. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung gilt als muslimisch – eingeschlossen all jene, die aus vorwiegend muslimischen Ländern kommen, ohne mit der Religion auch nur das Geringste am Hut zu haben.

Ein guter Teil der Pegida-Demonstranten geht angesichts dieser Ausgangslage gegen etwas auf die Straße, was man nicht einmal kennt. Das kann man im allergünstigsten Fall als hysterisch ansehen. Den Leuten würde ein Arzt besser tun als die Rettung des Abendlandes.

Jemand wie Lehnert und unzählige andere werden auf diesen Einwand begegnen: Nun, die gehen gegen Zustände auf die Straße, die sie aus den Medien kennen.

Die BILD als Zentralorgan einer “verschärften Political Correctness”?

Das schlägt sich mittelschwer mit der Behauptung von Wolfgang Donsbach von der TU Dresden, die auch Lehnert zitiert: “Wir haben in Deutschland die Kultur einer verschärften Political Correctness, die es ungeheuer schwierig macht, Themen, die nicht dem Mainstream entsprechen, ergebnisoffen und ohne gleich die Keule einer illegitimen und unmoralischen Haltung zu diskutieren.”

Der Mann hat offenbar noch nie die BILD aufgeschlagen und hört nicht, was die CSU so von sich gibt. In milderem Tonfall handelt der halbe deutsche Diskurs der vergangenen Jahre von “Integration”, der sich “ein großer Teil” der Zuwanderer verweigern würde. Das Stichwort “Ausländerkriminalität” ist längst auch abseits der identitären oder neurechten Kreise bzw. von Neonazi-Stammtischen zum modernen Mythos geworden. Wer das Gegenteil behauptet, lebt im Wolkenkuckucksheim.

Von irgendwoher müssen die Pegida-Leute ja ihre Ansichten über Migranten im Allgemeinen oder Muslime im Speziellen haben. Telepathie steckt keine dahinter.

Es ist, wie Natascha Strobl schreibt, der neurechte Diskurs, der jeden Montag in Dresden und anderswo auf der Straße steht. Der ist in Wahrheit schon längst in den “Mainstream-Medien” angekommen.

Ein vorschnelles Urteil ist ein Vorurteil

Ansichten, die auf unvollständigen Informationen beruhen und die auch nicht mehr reflektiert werden, sind definitionsgemäß Vorurteile. Anders kann man das, was die Pegida-Anhänger so von sich geben, aufgrund der Ausgangslage nicht beschreiben.

Die hat auch Lehnert, wenn er über Meinungsumfragen in mehrheitlich muslimischen Ländern schwadroniert. Hier ist Skepsis angebracht. Die Methodik ist in vielen Fällen unklar. Das kann Ergebnisse erheblich verzerren. Dass Lehnert die auch noch falsch interpretiert, macht es nicht besser.

Lehnert behauptet das glatte Gegenteil der eigenen Quellen

Er schreibt: “Danach werden in allen muslimisch geprägten Staaten mit Mehrheit die Scharia mit Steinigung z.B. für Ehebruch, Auspeitschen und Amputation von Gliedmaßen z.B. bei Homosexualität und Diebstahl befürwortet, und auch das Entstehen eines Islamischen Staates wird grundsätzlich begrüßt.”

Das geht aus der Umfrage nicht hervor. In Bosnien, Albanien, Kirgisien, der Türkei, Kasachstan, Azerbaidjan und Tadjikistan lehnen jeweils zwei Drittel und mehr der befragten Muslime die Sharia als staatliches Rechtssystem ab, ebenso im Libanon.

Und selbst die, die in diesen Ländern die Sharia als Rechtssystem haben wollen, lehnen etwa Steinigung als Strafe für Ehebruch mit überwältigender Mehrheit ab. Auch in vielen Ländern, wo Muslime mehrheitlich die Sharia einfordern, würde sich laut der Umfrage keine Bevölkerungsmehrheit für diese Strafe finden.

Lehnert behauptet das glatte Gegenteil dessen, was die Umfrage ergeben hat.

Das Problem dürfte nicht nur im Islam existieren

Dass die Umfrage für sich genommen entkontextualisiert ist, kommt hier erschwerend dazu. Fairerweise sollte man vergleichen, wie viele Menschen etwa in den USA und Ländern Süd- und Mittelamerikas die Zehn Gebote als staatliches Gesetz oder als Grundlage staatlicher Gesetze sehen würden. Auch Vergleichsuntersuchungen aus Ländern mit anderen dominanten Religionen wären sehr aufschlussreich.

Das macht die hohen Zustimmungsquoten zur Sharia in vielen Ländern nicht besser. Nur würde sich das Bild erheblich relativieren, allein im Islam seien religiöse Hirngespinste weit verbreitet.

Eine Milliarde Afrikaner steht vor der Tür

Auch im letzten Absatz kann der Humanist Lehnert nicht auf ein altes Schreckgespenst der rechten Demagogie verzichten. Er schreibt über die Einwanderungspolitik, dass die Armutsprobleme vorwiegend in den Herkunftsländern von Migranten gelöst werden müssten. So weit, so richtig und unterstützenswert.

Der Satz danach bereitet Bauchweh: “Die Relation der Zahlen – allein eine Milliarde Menschen in Afrika gegenüber 500 Millionen Europäern, von denen allenfalls die Hälfte der Länder in der Lage ist, Flüchtlinge in relevanten Größenordnungen aufzunehmen – macht deutlich, dass ein bloßes Weitermachen wie bisher gefährliche politische und soziale Verwerfungen auch in Europa zur Folge haben wird.”

Ist Populistensprache für: “Eine Milliarde Schwarze werden uns überrennen.” Das ist mit Verlaub einfach Unsinn.

Weiße Afrika-Klischees

Nicht ganz Afrika ist ausnahmslos Katastrophengebiet. In weiten Teilen des Kontinents steigt der Wohlstand. Die Einwohner dieser Länder wollen großteils gar nicht weg. Ja, zu ihnen wollen sogar die meisten Afrikaner, die der Not in den Teilen des Kontinents entfliehen wollen, denen es nicht so gut geht.

Auch die meisten Fluchtbewegungen in Bürgerkriegen finden innerhalb Afrikas statt. Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge des Kontinents – fliehen sie nun vor Krieg, Diktatur oder dem sicher scheinenden Hungertod – macht sich auf den Weg nach Europa. Vor einer Milliarde Afrikaner zu warnen, die demnächst 500 Millionen Europäern gegenüberstehen, ist reine Panikmache.

Zumal das Motiv ausblendet, in welchem erheblichen Ausmaß die wohlhabenden Länder ihren Reichtum auf dem Rücken der Menschen in Entwicklungsländern begründet haben und bis heute stützen. Wären die Menschen dort nicht arm, wir wären nicht reich. So einfach ist das. Dagegen etwas zu tun wird erheblich mehr Anstrengungen bedürfen als nur ein paar Brosamen verteilen, die sich paternalistisch “Entwicklungshilfe” nennen.

Was nicht negieren soll, dass es in etlichen Ländern Afrikas auch hausgemachte Ursachen für die Misere gibt. Der Reflex “Der Westen ist an allem schuld” würde eindeutig zu kurz greifen. Aber das wäre eine andere Diskussion.

Einwanderungsregeln? Gibt es längst

In einem weiteren Punkt macht sich Lehnert des Transports rechtspopulistischer Ideologien schuldig. Wenn er über Einwanderungs- und Asylpolitik schwadroniert, tut er so, als gebe es ungeregelte Einwanderung und als würde jeder Asyl bekommen, der das will.

Das stimmt nicht. Die Regeln für Einwanderung und Asylpolitik, die Lehnert fordert, gibt es längst. Die scheinen ihm nur nicht menschenunwürdig genug zu sein.

Hunderte Neonazi-Opfer. Aber die größte Gefahr ist der Islam?

Bleibt die Frage, warum Lehnert und Pegida den Islamismus als größte Gefahr für den gesellschaftlichen und politischen Frieden in Deutschland und Europa sehen.

Wir reden von einem Land, in dem Neonazis tagtäglich Migranten, politische Aktivisten oder Homosexuelle krankenhausreif prügeln. Wo der rechtsradikale Terrorismus seit dem Krieg hunderte Menschen ums Leben gebracht hat. Der Anschlag aufs Oktoberfest und die Mordserie des NSU sind nur zwei spektakuläre Fälle, die öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.

Das ist auch in Verfassungsschutzberichten nachlesbar.

Jeden Montag marschieren bei Pegida Hunderte mit, die mit ihrer Zugehörigkeit zu Neonazi-Zellen zu erkennen geben: Wir begrüßen diesen Terrorismus. Wahrscheinlich häufig genug: Wir terrorisieren und verprügeln selbst Menschen, die uns nicht passen.

Wer das leugnet oder relativiert, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dieses Gesindel salonfähig zu machen. Erst recht, wer mitmarschiert.