Die Ignoranz von rechtspopulistischen Entwicklungen und die Instrumentalisierung eines ermordeten Flüchtlings

Über die Doppelmoral in der politischen Linken

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Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi
Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi

BONN. (hpd) Die "Macht vor Moral"-Einstellung lässt sich auch in der politischen Linken ausmachen. Als aktuelle Bespiele dafür stehen die Ignoranz von rechtspopulistischen Entwicklungen bei der linken Regierungsbildung in Griechenland und der Umgang mit der Erinnerung an einen ermordeten Flüchtling in Dresden. Doppelmoral und Heuchelei begleiten die Beschwörung von "Antifaschismus" und "Antirassismus" in einer sich emanzipatorisch gebenden Szene.

Worin unterscheidet sich eine politisch "linke" von einer politisch "rechten" Auffassung? Über diese Frage wird immer wieder heftig gestritten. Als ein bedeutendes Kriterium bietet sich nach dem italienischen Sozialphilosophen Norberto Bobbio die Einstellung zum Prinzip der "sozialen Gleichheit" an. Linke wollen mehr, Rechte weniger soziale Gleichheit. Doch Bobbio, der sich selbst als ethischer Sozialist verstand, differenzierte weiter aus: Eine gemäßigte Linke bzw. Rechte setze auf den Primat der Freiheit, eine radikale Linke bzw. Rechte stelle sie zugunsten ihres Ziels zur Disposition. Demnach bildet in dieser Perspektive die Einstellung zur Freiheit des Individuums und zur Würde des Menschen das Kriterium zur Unterscheidung von einer gemäßigten und radikalen bzw. demokratischen und extremistischen Linken oder Rechten.

Aktuelle Ereignisse in Deutschland geben Anlass dazu, an diese Differenzierung nicht nur angesichts einer neuen Rechten in Form von AfD und Pegida zu erinnern. Auch die hiesige Linke ist einer kritischen Betrachtung auszusetzen, können doch gegenüber der Glaubwürdigkeit ihres "Antifaschismus" und "Antirassismus" angesichts zweier Reaktionen erhebliche Zweifel formuliert werden.

Denn die damit einhergehenden Auffassungen sprechen eigentlich sowohl gegen die Ignoranz von rechtspopulistischen Entwicklungen wie gegen die Instrumentalisierung eines ermordeten Flüchtlings. Genau damit hat man es aber bei der Kommentierung einer Koalitionsbildung wie bei der Missachtung eines Todesopfers zu tun. Was ist gemeint?

Der erste Aspekt bezieht sich auf die Regierungsbildung in Griechenland: Dort hatte die linke "Syriza"-Partei die Wahlen gewonnen. Indessen fehlte ihr ein Koalitionspartner, um eine Regierung bilden zu können. Ihr Spitzenkandidat Alexis Tsipras suchte ihn nicht in einer im Parlament vertretenen linksdemokratischen Partei. Mit an die Regierung kam mit "Anel" eine fremdenfeindliche und rechtspopulistische Partei.

Wie kommentierten nun Repräsentanten der Partei "Die Linke" in Deutschland diese Entwicklung? Trotz der Existenz von Alternativen bemerkte Dietmar Bartsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Bundestag: "Andere Koalitionspartner standen nicht zur Verfügung, und da ist in diesen sauren Apfel gebissen worden." Auch im parteinahen Neuen Deutschland war nur vom "notwendigen Übel" die Rede.

Diese Auffassung teilen Repräsentanten der unterschiedlichsten Flügel der Partei – von Gregor Gysi über Katja Kipping bis zu Sahra Wagenknecht. Sie hatten sich bereits zuvor schon merkwürdig ambivalent gegenüber Pegida geäußert: Einerseits solle man nicht mit der fremdenfeindlichen Bewegung reden, andererseits wolle man aber den Leuten auf der Straße zuhören. Sieht man in einigen der Unzufriedenen wohlmöglich zukünftige Wähler?

Da Ergebnisse der empirischen Sozialforschung auch im elektoralen Potential der Partei "Die Linke" islam- und migrantenfeindliche Potentiale ausgemacht haben, kann man eine solche Vermutung nicht einfach vom Tisch wischen. Um der Macht willen, um der Wähler willen, ist man auch bereit, eigene politische Prinzipien hinten anzustellen. Dabei kann dann scheinbar auch ein "Antifaschismus" und "Antirassismus" in seiner Bedeutung relativiert werden.

Derartige Ambivalenzen finden sich aktuell aber auch bei anderen Teilen der politischen Linken, also außerhalb der sich so nennenden politischen Partei. Nachdem am 12. Januar 2015 Khaled Idris Bahray, ein Flüchtling aus Eritrea, tot aufgefunden wurde, führte die "linke Szene" Kundgebungen, Mahnwachen und Proteste durch. Daran beteiligten sich Tausende von Menschen, die hier einen fremdenfeindlichen Hintergrund vermuteten.

Für eine solche Annahme schienen zunächst einige Gründe zu sprechen. Denn in der Folge der Pegida-Proteste war es allgemein zu einem Anstieg von fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten gekommen. Dafür kann man zwar die selbsternannten "Verteidiger des Abendlandes" nicht direkt verantwortlich machen. Deren fremdenfeindliches Agieren schürte aber eine einschlägige Stimmung, gerade auch in Dresden, wo Bahray zu Tode kam.

Es stellte sich indessen heraus, dass der Täter ein eritreischer Mitbewohner und kein sächsischer Rechtsextremist war. Die taz berichtete später über einen optischen Eindruck bei der Beerdigung. Daran nahmen nur wenige hundert Menschen dunkler Hautfarbe teil, während an den vorherigen Demonstrationen mit Forderungen zur Aufklärung der Tat meist nur Menschen mit heller Hauptfarbe zu sehen waren.

Das Andenken an Khaled Idris Bahray, die Erinnerung an den Flüchtling aus Erirea war den "Antifaschisten" der "linken Szene" nun nicht mehr wichtig. Sie ließen auch dessen Angehörige, Freunde und Mitbewohner allein. Auf den Fotos von der Beerdigung findet man kaum Gesichter mit heller Hauptfarbe. Bahray konnte nicht mehr einer politischen Kampagne dienen, der Tote war nun nicht mehr "antifaschistisch" nutzbar.

Angesichts derartigen Agieren kann man es nur schwerlich unterlassen, Doppelmoral und Heuchelei für beide Fälle zu konstatieren. Sie belegen in aller Deutlichkeit, dass die Logik der "Macht vor Moral" sich eben auch links und nicht nur rechts findet. Hier stellen die Akteure bewusst oder unbewusst ihre Gesinnung und Interessen über Freiheit und Menschenwürde. Im Konfliktfall können moderne Demokratie und offene Gesellschaft nicht auf sie zählen.

Dabei geht es auch immer um das einzelne Individuum. Wir wissen nicht, was Khaled Idris Bahray für ein Mensch war. War er eher bescheiden oder eitel? War er eher empathisch oder selbstgefällig? Das ist aus dieser Perspektive auch nicht sonderlich wichtig. Sein gewaltsamer Tod verdient Abscheu und Empörung, unabhängig davon, ob sein Mörder ein Migrant oder Rechtsextremist war. Diese Einsicht teilt ein Teil der politischen Linken leider nicht.