Ist Blasphemie ein notwendiger Straftatbestand?

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BERLIN. (hpd) In der Onlineausgabe der ZEIT schreibt der Bundesrichter Thomas Fischer darüber, ob Gotteslästerung ein notwendiger Straftatbestand ist. Er zieht das Fazit, dass in einem aufgeklärten Staat eine Strafnorm zum Schutze bestimmter Weltanschauungen überflüssig und rückständig ist.

Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Prof. Dr. Thomas Fischer, schreibt seit Anfang des Jahres regelmäßig über rechtliche Fragen in der ZEIT und bei ZEIT-Online. Sein gestern veröffentlichter Artikel "Ist Gotteslästerung ein notwendiger Straftatbestand?" wird unter den Säkularen in den sozialen Netzwerken viel diskutiert. Vertritt hier doch einer der Kommentatoren des Strafgesetzbuches eine Haltung, die den Forderungen der säkularen Vereine und Verbände entspricht.

Er nennt "eine merkwürdige Regelung", dass der Absatz 1 des sog. Blasphemieparagraphen 166 StGB das öffentliche Beschimpfen des Inhalts eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses mit Strafe (bis zu drei Jahren) bedroht, wenn die Tat "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Absatz 2 bestraft unter derselben Voraussetzung das öffentliche Beschimpfen von inländischen Kirchen, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften, ihrer "Einrichtungen oder Gebräuche".

Seit der Neufassung der Strafrechtsregelung im Jahre 1969 hat sich jedoch die Gesellschaft verändert: "Sagen wir: Die Aufklärung ist passiert." Und der Schutz eines kaum noch geglaubten Märchens ist nicht mehr zeitgemäß. "Gott – jeglicher denkbare Gott – mag alles Mögliche benötigen, aber gewiss keinen Straftatbestand im deutschen Strafgesetzbuch, der seine 'Lästerung' verbietet. Wenn er auch nur halbwegs wäre, wen wir aus dem Alten Testament kennen und schätzen, würde er angesichts seiner jahrtausendelang fortgesetzten Lästerung und Missachtung dieses staubkorngroße Sonnensystem gewiss in einem Ozean aus chlorierten Kohlenwasserstoffen ertränken, ohne mit der Wimper zu zucken."

In Strafrecht kann es nach Ansicht von Prof. Dr. Fischer nicht darum gehen, ob ein paar Menschen glauben, dass "der Kosmos sei genau 8.000 und ein paar Jahre alt [sei], oder der Herr des Universums […] sein Hauptaugenmerk darauf [richtet], dass auf den Alleen dieser Welt das Haupthaar seiner Töchter verhüllt sei, kann die Weltgeschichte keine Rücksicht nehmen. Sie bewegt sich nach anderen Maßstäben."

Der im Absatz 1 benannte "öffentliche Friede" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und bedeutet vor allem, dass der Staat (und die Justiz) alles für ein gedeihliches Miteinander innerhalb einer Gesellschaft tun müssen; er bedeutet "die Vermeidung von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerungsgruppen, die aus irgendwelchen Gründen voneinander unterschieden sind." Dabei ist die religiöse Zugehörigkeit nur eines unter vielen Unterscheidungsmerkmalen. "Stets geht es darum, dass bestimmte Gruppen der im Staat zusammenlebenden Gesellschaft nicht als 'Feinde' oder 'Fremde' ausgrenzt werden sollen, weil dies die Gefahr von Gewalt und der Auflösung staatlich-rechtlicher Ordnung in sich birgt."

Prof. Dr. Thomas Fischer
Prof. Dr. Thomas Fischer

Das jedoch bedeutet nicht, dass Religionen allein aufgrund dessen, dass sie Religionen sind, einen Anspruch auf besonderen Schutz haben. "Das wird von denjenigen, die eine 'Verschärfung' fordern, verkannt. … Seit Jahrzehnten wird von Kirchenvertretern und manchen Politikern die Forderung erhoben, der Gesetzgeber möge aus dem Tatbestand des § 166 StGB die tatbestandliche Voraussetzung der Gefährdung des öffentlichen Friedens streichen, damit die 'Beleidigung Gottes' selbst wieder strafbar sei. Das ließe sich, wie die meisten der Protagonisten vermutlich wissen, in einem säkularen Rechtsstaat überhaupt nicht legitimieren. Die Bundesrepublik Deutschland ist kein 'Gottesstaat' und hat auch nicht die (absurde) Aufgabe, irgendeinen Gott mittels Geldstrafen vor 'Beleidigung' zu schützen. Die Umsetzung wäre der von vornherein verfehlte Versuch, die geschichtliche Uhr um 300 Jahre zurückzudrehen und sich mit Fanatikern unserer Zeit auf eine Stufe zu stellen, nach deren Ansicht Gott angeblich durch Strichmännchen oder die Lebensentscheidungen junger Frauen 'beleidigt' werden kann."

Für Prof. Dr. Fischer ist schon der Gedanke absurd, dass man den § 166 StGB in der geforderten Verschärfung anwenden würde. Denn dann "müssten ständig Prozesse wegen 'Beschimpfung' der Botschaften von fünfzig Religionen oder ihrer 'Einrichtungen und Gebräuche' geführt werden."

Einen interessanten Gedanken führt er damit ein, dass er den Blasphemieparagraphen in eine Reihe mit § 130 StGB (Volksverhetzung) stellt. "Nach dem Paragrafen 130 des Strafgesetzbuchs wird unter anderem bestraft, wer zu Hass oder Gewalt gegen 'Teile der Bevölkerung' aufruft. Das kann jede abgrenzbare, durch bestimmte Eigenschaften verbundene Gruppe der inländischen Bevölkerung sein, wenn sie ausreichend bestimmt ist." Für den Bundesrichter deckt diese Regelung auch den Bereich ab, den er § 166 StGB regeln soll. So schreibt er: "Wenn religiöse Gruppen und Weltanschauungsgemeinschaften aber in diesem Umfang vom Strafrecht ohnehin geschützt sind, bedarf es keines privilegierten 'Religionsschutzes' mehr."

Er weist darauf hin, dass wegen "Beschimpfung" anderer Religionen praktisch nie ein Anhänger der Mehrheitsreligion verurteilt wird, "vielmehr geht es in der Praxis durchweg um die Provokation der Mehrheit durch randständige Einzeltäter oder kleine Minderheiten. Erstaunlich an den Forderungen nach Verschärfung ist die Behauptung, in Deutschland sei es insbesondere der christliche Glaube (und, rätselhafterweise, vor allem dessen katholische Variante), dessen Anhänger durch 'Beschimpfung' verletzt würden." Andere Religionen scheinen diesen "Schutz" nach Auffassung derer, die eine Verschärfung fordern, nicht bedürfen.

Nur die Muslime scheinen da eine Ausnahme zu sein. "Sie sind erstens zahlreich, zweitens … öffentlich sichtbar, drittens wehrhaft und – zurückhaltend ausgedrückt – nach 'vorne verteidigend'. Man kann den Ruf des Muezzins schlecht lächerlich machen, wenn gleichzeitig aus allen Türmen die Glocken süßer nie klingen." Der immer wieder beobachtete Schulterschluss der beiden christlichen Kirchen mit den Islamverbänden lässt sich auch so erklären.

Prof. Dr. Thomas Fischer fasst zusammen, dass, wer heutzutage noch einen privilegierten Sonderschutz für Religionen fordert, im Grunde genommen den demokratischen Konsens unterläuft. "Die Religiösen in unserer Gesellschaft könnten sich daran gewöhnen, dass ihr Glaube Privatsache und kein öffentliches Schutzgut … ist, in einer freien Gesellschaft aber bis an die Grenze zur Volksverhetzung oder der individuellen Beleidigung hingenommen werden kann und muss – wie jede andere Gefühlsverletzung auch."

Der letzte Absatz des Artikel lautet: "Es gilt also nicht etwa, die 'Friedensschutzklausel' in § 166 StGB zu streichen. Vielmehr sollte § 166 StGB ganz gestrichen werden. Ersatzlos."